Brillendesign entsteht nicht immer durch die Suche nach möglichst schönen oder ergonomischen Lösungen; manchmal ist Kreativität auch einfach das Ergebnis eines Mangels. Zum Beispiel dann, wenn aus einer Suppendose eine Schutzbrille wird.
Jeremy Baines hat sein ganzes Berufsleben in der Augenoptik verbracht
Zunächst als Augenoptiker in Großbritannien zu einer Zeit, als die heutigen, so genannten „Designermarken“, ihre Zukunft noch vor sich hatten. Danach war er für die Industrie tätig, wo er für Optyl beispielsweise die Marke Dior in Großbritannien einführte. Später arbeitete er in den USA mit und für Marken wie Ralph Lauren, Calvin Klein oder Diane von Fürstenberg. „Es war ziemlich einfach, dem Publikum Brillen mit bekannten Markennamen zu verkaufen – und mit billigen chinesischen Produkten eine Menge Geld zu verdienen“, sagt er heute.
Anzeige
TAVAT war dei Krönung seiner Karriere
Die Krönung seiner unternehmerischen Karriere war 2010 jedoch die Gründung eines eigenen Labels: TAVAT. Den ungewöhnlichen Namen hatte er schon mit 17 Jahren gefunden: Das Kunstwort TAVAT hat keine augenoptische Bedeutung, sondern ist einfach ein Palindrom, also ein symmetrisches Wort, das vorwärts wie rückwärts gleich funktioniert. Unter diesem Label wollte Baines das tun, was er jahrelang nicht mehr getan hatte: Brillenfassungen und Sonnenbrillen für unabhängige Augenoptiker herstellen. Die Rahmenbedingungen waren anspruchsvoll: Ungewöhnliche Designs, weit weg vom Massenmarkt, ohne ständigen Blick auf Preise und Profite, entworfen in den USA und hergestellt im Brillenland Italien. Denn Baines ist überzeugt davon, dass das Überleben von anspruchsvollen Augenoptikern in aller Welt vor allem davon abhängig sein wird, dass sie Produkte anbieten können, die bei Ketten und Online-Händlern nicht zu bekommen sind.
Mittlerweile sind aus dieser Idee vier Kollektionen entstanden.
Die vermutlich auffälligste hört auf den Namen „Soupcan“ – und ist tatsächlich von Suppendosen inspiriert: Der Designer und TAVAT-Mitbegründer Norman Schureman, Professor am Art Center College of Design im kalifornischen Pasadena, hatte vor Jahren im Hangar eines kleinen Flughafens zufällig ein altes Bild mit Piloten aus den 30er Jahren gesehen, die sich aus dem Blech von Suppendosen selbst Fliegerbrillen gebastelt hatten. Diese Idee griff der Designprofessor auf und entwickelte ein Brillenkonzept daraus.
Die so entstandenen Korrektions- und Sonnenbrillen-Modelle sehen tatsächlich aus, als wären ihre Ränder aus gerippten Konservendosen geschnitten und die Bügel mit Rändelschrauben daran befestigt worden. Manche der Modelle tragen zusätzlich einen Acetatring als Schmuckelement. Aber die „Rippen“ jedes Bauteils sind kein Design-Gag: Sie versteifen die Metallteile – eben wie bei einer Konservendose, die man aufgrund ihrer Rippen auch nicht einfach eindrücken kann.
Leider hat Norman Schureman die Realisierung seiner Idee nicht mehr erlebt
Er wurde 2010 im Alter von nur 50 Jahren durch ein Gewaltverbrechen aus dem Leben gerissen. Doch in zahlreichen Produkten, denen er im Lauf der Jahre seinen gestalterischen Stempel aufdrückte, lebt sein kreativer Geist weiter. So auch in dieser kleinen, feinen Brillenkollektion, die vor kurzem gelauncht wurde und deren Ursprungsidee vor 80 Jahren nichts anderes als eine ordinäre Suppendose war.
Ist eine der schönsten Brillen die ich in meinen 50 Jahre Brillen tragen gesehen habe. super