Spectaris sieht das geplante Lieferkettengesetz der Bundesregierung sehr kritisch: Nationale Alleingänge würden kein Mehr an Gerechtigkeit schaffen. Daher favorisierten die Spectaris-Branchen eher EU-weite Maßnahmen und haben ein Positionspapier dazu erstellt.
Nach den bisher bekannten Eckpunkten entstehe mit dem geplanten Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern eine Sorgfaltspflicht, nach der sie die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette bis ins letzte Glied ermitteln müssen, so der Industrieverband Spectaris. Dabei müssen diese Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe ergreifen und in regelmäßigen Abständen über ihre Anstrengungen zur Wahrung der Menschenrechte berichten. Bei Verstößen drohen Bußgelder. Ungeklärt bleibe laut Spectaris allerdings bisher, wie Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht effektiv nachkommen sollen. Der Industrieverband bringt sich nun mit einem Positionspapier in die aktuelle Diskussion um ein nationales Lieferkettengesetz ein.
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Spectaris-Vorstandsvorsitzender Josef May beurteilt die Pläne der Bundesregierung so: „Unsere Mitglieder wissen um ihre menschenrechtliche Verantwortung und die Einhaltung von international anerkannten Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards entlang ihrer Lieferketten. Diese Werte werden als unternehmenseigene Grundsätze und durch das vielfache Engagement im ‚UN Global Compact‘, in der ‚Responsible Business Alliance‘ oder durch freiwillige Anwendung des ‚Deutschen Corporate Governance Kodex‘ gelebt. Ein nationaler Alleingang, wie er derzeit von der Bundesregierung mit dem Lieferkettengesetz geplant ist, wird jedoch nicht das erhoffte Mehr an Gerechtigkeit bringen. Selbst kleine und mittelgroße Firmen sollen mit Kontrollarbeit belastet werden, die unmöglich zu schultern ist und vielmehr zu den staatlichen Aufgaben zählt. Unsere Mitglieder lehnen ihn als nicht zielführend und in der Praxis nicht umsetzbar ab.“
Besonders kritisch sieht der Verband die geplante Einführung einer zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen. May: „Dies widerspricht den OECD-Guidelines und den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte. Beide schließen eine Haftung für Dritte aufgrund des Bestehens von Geschäftsbeziehungen aus. Unbeachtet bleibt auch, dass Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen im Ausland heute schon strafrechtlich verfolgbar sind und betroffene Personen bereits in Deutschland klagen können. Die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung und die einseitige Risikoabwälzung auf deutsche Unternehmen lehnen wir ab.“
Das Vorhaben, deutsche Unternehmen branchenunabhängig bei ihren Auslandsgeschäften auf die Einhaltung von Menschenrechten zu verpflichten, stoße in den mittelständisch geprägten Spectaris-Branchen aufgrund „der schwierigen Nachverfolgbarkeit, der Komplexität der Lieferketten und der zweifelhaften Durchsetzbarkeit des Lieferkettengesetzes in den Erzeugerländern ebenfalls an praktische Grenzen“.
„Unsere Branchen sind mittelständisch geprägt, verfügen gleichzeitig aber über komplexe Lieferketten. Häufig kommen Teile zwar vom gleichen Lieferanten, haben ihren Ursprung jedoch in unterschiedlichen Staaten und zuvor ebenfalls eine Wertschöpfung in verschiedenen Staaten durchlaufen. Auch eine Überprüfung von Drittunternehmen, die keine direkten Zulieferer deutscher Unternehmen, aber trotzdem Teil der Lieferkette sind, ist unrealistisch. Lieferanten legen ihre eigenen Lieferketten mit dem Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht komplett offen und unsere Mitglieder haben häufig kein eigenes Personal vor Ort, um die Umstände in den Erzeugerländern zu überprüfen,“ so May weiter.
Spectaris für EU-weite Lösung
Ein nationales Lieferkettengesetz, das allein auf die Verpflichtung der Wirtschaft setzt, berge laut Spectaris außerdem die Gefahr, dass sich Unternehmen aus Angst vor einer umfassenden Haftungspflicht aus Erzeugerstaaten zurückziehen, in denen sie die Menschenrechtslage nicht effektiv nachprüfen könnten. Zielführender und für Unternehmen praxisfreundlicher wären die Schaffung eines EU-Sanktionsregimes für Menschenrechtsverstöße, eine EU-weite Plattform zur Sammlung von Menschenrechtsverstößen oder eine verpflichtende Ursprungskennzeichnung in für Menschenrechtsverletzungen besonders anfälligen Branchen, so der Industrieverband. Diese könnten Unternehmen bei ihren Sorgfaltspflichten wesentlich besser unterstützen als ein nationales Lieferkettengesetz mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe.
„Die EU als wichtiger Partner bei der Umsetzung globaler Themen sollte in der Diskussion um Verpflichtungen in der Lieferkette nicht außer Acht bleiben, denn auch hier wird parallel an einem Verordnungsvorschlag gearbeitet. Würde jeder EU-Mitgliedsstaat seine eigenen Gesetze machen, hätten wir bald einen europäischen Flickenteppich an Regularien zu beachten“, so May abschließend.
Quelle: Spectaris
Geplantes Lieferkettengesetz
Die Bundesregierung hat mit ihrem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien (NAP) von Dezember 2016 zunächst auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen gesetzt und einen Überprüfungsmechanismus eingerichtet. 2019 und 2020 wurden Firmen dazu befragt. Das Ergebnis habe laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gezeigt, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkämen. Der NAP sieht vor, dass die Bundesregierung in diesem Fall weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen wird. Das nun geplante „Sorgfaltspflichtengesetz“ soll deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern dafür verantwortlich machen, dass Lieferanten im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einhalten.