Anzeige
Anzeige
Förster Peter Wohlleben im eyebizz-Interview

Über Wald, Klima und Holzbrillen

Sein Vater arbeitete im Finanzministerium, die Mutter im Krankenhaus. Dass Peter Wohlleben einmal Deutschlands berühmtester Förster werden sollte, war nicht in die Wiege gelegt. In seinen Büchern macht er begreiflich, wie Bäume im Wald miteinander kommunizieren, als öffentliche Person fordert er mehr Respekt im Umgang mit dem Ökosystem und setzt sich für Klimaschutz ein. [13654]

Peter Wohlleben
Peter Wohlleben über Wald, Klima und Holzbrillen

Deutschland zählt zu den waldreichsten Ländern der Europäischen Union. Mit 11,4 Millionen Hektor ist knapp ein Drittel der Gesamtfläche mit Wald bedeckt. Doch rund 250.000 Hektar Wald sind laut aktuellen Schätzungen in den vergangenen zwei Jahren abgestorben. Ist das beunruhigend?

Anzeige

HerbstwaldPeter Wohlleben: Beunruhigend ist es, weil es das vorher so noch nicht gegeben hat. Fichten haben in Deutschland schon immer Schwierigkeiten gemacht. Das ist eine Baumart, die nicht hierher gehört, weil sie es kühler und feuchter braucht. Man weiß, dass es verkehrt ist, sie hier anzubauen. Dass Fichten sich jetzt im großen Ausmaß verabschieden, ist ein klares Alarmzeichen in Bezug auf den Klimawandel und deshalb erschreckend.

Es ist aber in erster Linie kein ökologischer, sondern ein ökonomischer Schaden. Für unsere Ökosysteme ist die Fichte unbrauchbar, die meisten Tierarten können nichts damit anfangen. Deshalb ist es auch eine Chance, wieder ökologischer anzufangen. Die gute Nachricht dabei: Man braucht nichts zu tun, der Wald kommt von ganz allein wieder. Es gibt schöne Beispielflächen, wo man sieht: Es kommt sofort junger Laubwald zurück.

2,8 Prozent der Waldfläche in Deutschland ist geschützt. Was heißt das genau?

Dass man die Natur dort sich selbst überlässt und schaut, was sie macht. Wir haben in Deutschland Nationalparks, Naturwald und Naturschutzgebiete, doch überall dort wird trotzdem auch kahlgeschlagen. Deshalb sind 2,8 Prozent eher zu hoch gegriffen. Die größten Kahlschläge finden sogar in den Nationalparks statt, auch wenn man das eher in Brasilien vermuten würde. Da kann es natürlich passieren, dass sich nach dem Kahlschlag wieder heimische Wälder daraus entwickeln.

Sinnvoller wäre es, die alten Laubwälder (über 180 Jahre, Anm. d. Red.) – und davon haben wir in Deutschland ungefähr nur noch 3 Promille Anteil an der Waldfläche – zu erhalten, doch ein Großteil davon ist eben nicht geschützt. Meine persönliche Forderung: Wir brauchen in Deutschland 20 Prozent echte Schutzflächen im Wald.

Der Laie denkt ja, im Naturschutzgebiet wird nicht geholzt.

Warum wird das gemacht? Weil Förstern das von Beginn ihres Studiums an in die DNA geschrieben wird: Wir müssen zur Motorsäge greifen, um den Wald zu erhalten. Das ist bizarr und kontraproduktiv, aber der Stand der Dinge.

Du hast vor vielen Jahren deinen Dienst als Förster auf Lebenszeit quittiert, mit der Begründung: Förster sind nur noch Plantagenbewirtschafter, keine Waldhüter mehr.

Ich würde es heute noch härter ausdrücken: Förster sind Baummetzger. Warum der harte Vergleich? Weil man mittlerweile weiß, dass eine Unterscheidung zwischen Tier und Pflanze bei Intelligenz oder Gefühl nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei Bäumen weiß man, dass sie in großen Sozialverbänden leben, und genau das zerstören wir, wenn wir ständig dicke oder alte Bäume entfernen.

Ein Buch von dir endet mit dem Satz: „Es sind Ihre Wälder, die Hilfe brauchen. Jetzt.“ Wie gehe ich verantwortungsvoll mit dem Wald um?

Es fängt schon mit der Planung des Ausflugs an. Man sollte die Suchmaschine wechseln und von Google auf Ecosia umsteigen. Ecosia ist eine gemeinnützige Suchmaschine, die Wälder etwa an der Küste Brasiliens oder in der Sahelzone renaturiert. Die Betreiberfirma mit Sitz in Berlin kümmert sich aber auch um Wälder in Deutschland.


„Auf die Natur schauen, nicht aufs Handy!“


Wenn man draußen im Wald ist, muss man gar nicht so viel reflektieren, sondern einfach nur genießen, vielleicht einmal querfeldein gehen. Wer den Wald schätzt, geht automatisch richtig damit um. Im Alltag sind das eher Sachen wie, Plastiktüten nicht durch Papiertüten zu ersetzen, weil Papiertüten ebenfalls viel Umweltschaden verursachen, nicht beim Abbau, aber in der Herstellung. Besser ist es, eine Baumwolltasche zu nehmen und die dann immer wieder zu verwenden. Alles, was dem Klimaschutz dient, nutzt auch dem Wald.

Du beschreibst in deinen Büchern sehr anschaulich, wie Bäume, Pflanzen und Tiere miteinander kommunizieren. Manche meinen, du vermenschlichst sie zu sehr.

Wenn ich in meinen Büchern schreibe, dass Bäume, die ihre Sämlinge versorgen, ihre Sämlinge gleichsam „stillen“, dann ist das eine Analogie, weil man mittlerweile weiß, dass Mutterbäume ihren Nachwuchs über die Wurzelspitze erkennen. Es ist kein zufälliges Vernetzen, sondern ein aktives Sich kümmern. Man hat mittlerweile Hunderte von Baumvokabeln entschlüsselt und herausgefunden, was Bäume sich mitteilen und wie. Die Reaktionen darauf sind messbar.

Das ist knochentrockene Grundlagenforschung, und die wissenschaftliche Sprache ist völlig emotionsfrei. Ich übersetze das in etwas Verständliches, menschlich Nachvollziehbares. Und Emotionen haben da sehr wohl etwas zu suchen. Sie ändern ja nichts an den Forschungsergebnissen, die ich darstellen möchte.

Nachhaltigkeit - Am Anfang der Wald

Muss ein Förster im Wald besonders gut sehen?

Das Farbsehen muss intakt sein. Menschen, die eine Rot-Grün-Sehschwäche haben, können nicht so gut erkennen, wenn es Bäumen schlecht geht, wenn sich das Grün verfärbt, etwa ins Bräunliche geht, ins Olivgrün oder Olivbraun. Diese Unterschiede bei den Farbübergängen sollte man schon gut sehen. Oder ein verletztes Tier, das Blut verliert im Gras. Der Fernblick muss beim Förster besser funktionieren als der Blick aufs Handy.

HerbstwaldSeit wann trägst du Brille?

Seit ich 16 bin. Doch meine Werte haben sich, das ist jedenfalls meine Interpretation, mit dem ständigen Rausgehen in den Wald relativ schnell verbessert. So mit Ende 20 sind meine Korrektionswerte zurückgegangen von –2,5 auf ungefähr –1 und sind bis heute stabil. Als Förster guckt man überwiegend in die Ferne, auf den nächsten Berghang, in die nächste Baumkrone.

Du schreibst: „Wir stammen aus dem Wald. Unser Blutdruck sinkt, wenn wir im Wald sind“. Wir tun also auch Gutes für unsere Augen, wenn wir im Wald nicht dauernd aufs Handy schauen …

Deshalb bin ich auch kein Befürworter von Wald-Apps, obwohl ich manchmal denke, es wäre jetzt vielleicht ganz nett, wenn so ein QR-Code an einem Felsen oder auf einer Bank wäre. Einerseits ist es eine schöne Hilfe, schnell Infos zu bekommen, andererseits, wenn ich jetzt nicht genau weiß, was für ein Baum gerade vor mir steht, ist das auch nicht schlimm. Man sollte da wirklich auf die Natur schauen und nicht aufs Handy.

Wie oft kaufst du eine neue Brille?

Ungefähr alle zwei Jahre brauche ich eine neue Brille, weil meine Kunststoffgläser, auch wenn sie beschichtet sind, verkratzen. Sie stauben draußen viel stärker ein, so dass ich die Brille bestimmt zweimal am Tag putze. Wenn‘s dann mal richtig zur Sache geht, etwa bei einem Lagerfeuer, wenn Funken fliegen, nehme ich lieber die alte Brille.

Hast du eine Holzbrille?

Nein. Holz ist zwar ein schöner Rohstoff, aber ich muss nicht unbedingt so viel Holz verbrauchen, ich habe auch keine Uhr mit Holz, obwohl das vielleicht naheliegt. Holzbrillen sind mir meistens auch zu schwer. Ich lege Wert auf leichtes Gewicht. Das kann eine Kunststoffbrille sein oder auch eine Fassung aus Titan. Und dann ist es natürlich auch eine Frage der Haltbarkeit. Meine Brillen werden schon sehr beansprucht.

Es gibt mittlerweile phantastische Holzbrillen, die angenehm zu tragen sind und gar nicht schwer. Ich zeige sie dir mal. Eine andere Frage: Hast du das Sehen mit Brille jemals als Handikap empfunden?

Ich finde Brillen grundsätzlich praktisch, habe mich total daran gewöhnt. Kontaktlinsen habe ich noch nie verwendet, ich neige auch eher zu trockenen Augen. Das Einzige, was mir bei Brillen sauer aufstößt, ist jetzt mit dem Mundschutz, dass die Gläser beschlagen.

In der Regel liegt das dann nicht an der Brille, sondern an der Maske, die nicht richtig sitzt. Atemluft strömt durch die Lücken zwischen Maske und Gesicht, deshalb beschlagen dann die Gläser. Hast du einen Stamm-Augenoptiker?

Früher waren wir beim Filialisten, jetzt haben wir gewechselt. Wir wollen den lokalen Augenoptiker in unserem Kleinstädtchen unterstützen, weil wir froh sind, dass da einer ist. Wir kaufen unsere Brillen mittlerweile dort.

Was tust du persönlich für den Klimaschutz?

Meine Familie isst seit eineinhalb Jahren kein Fleisch mehr. Es gibt in Deutschland 11,4 Millionen Hektar Wald, eine ähnlich große Fläche wird allein für Tierfutter bewirtschaftet. Deutschland könnte also viel mehr bewaldet sein, wenn wir weniger tierische Produkte zu uns nehmen würden. Wir bauen auch selber in unserem Garten an.


„Ich bin das grüne Schaf in der Familie!“


Fernreisen machen wir mit dem Zug, Fliegen nur dann, wenn es irgendeinen positiven Effekt für das Klima hat. Für unseren Kinofilm haben wir einen Indianerstamm in Kanada besucht, aber da ging es um die Rettung von 500 Quadratkilometer Wald, da war der Flug zu verschmerzen. Und der Neubau unserer Waldakademie in Wershofen erfolgte C02 neutral, dort gewinnen wir unsere Energie auch über Solaranlagen.

Wald und Nachhaltigkeit

Menschen denken oft, wenn man Rücksicht auf Klima und Umwelt nimmt, müsste man sich einschränken. Doch das stimmt nicht, viele Sachen sind einfach viel bequemer, komfortabler und intelligenter gelöst. So gesehen, macht Klimaschutz richtig Spaß.

Was denkst du über die Klimaschutz-Bewegung? Kommt sie zu spät?

Ich bin optimistisch. Trotz Corona ist der Klimawandel immer noch Thema Nummer eins, auch in der Politik. Das haben in Deutschland mittlerweile alle begriffen. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Geschwindigkeit, nicht mehr des Ob. Im Übrigen: Natur ist geduldig, die kriegt man so schnell nicht kaputt.

 

/// Die Fragen stellte Jürgen Bräunlein

Dass sich die Gesprächspartner duzen, liegt daran, dass man sich schon länger kennt.

 

Beitrag aus der eyebizz 6.2020

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.