Wirkungsexpertin Petra Waldminghaus aus Ratingen hilft Augenoptikern, ihre Kenntnisse in Farb-, Stil- und Typberatung zu erweitern. Denn ein Kunde, der sich kompetent und individuell beraten fühlt, wird zum Fan. Sie verrät, wie man Anzugträger mit Geheimratsecken oder bärtige Sparfüchse für sich gewinnt. Ja, wie denn? [13648]
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Lassen wir die Typologie kurz beiseite. Haben mittlerweile 5.000 Jahre Patriachat etwas damit zu tun, dass der aktuelle Verkaufsanteil von Herrenfassungen über dem der weiblichen Designs liegt? Mehr Macht, mehr notwendiger Durchblick? Wohl kaum. Laut GfK liegt die Differenz bei immerhin vier Prozentpunkten. Waldminghaus beobachtet vielmehr, dass Damen mit größeren Köpfen häufig gezwungen sind, zu vermeintlich allein für Kerle angefertigten Designs zu greifen. Die Expertin aus der Dumeklemmer-Stadt konstatiert: „Männer sind eitel und meiden Brille!“ Das passt auch zu anderen GfK Zahlen, nach denen es prozentual weniger Brillenträger unter den Männern gibt (65% zu 70% bei den Damen). So steht die größte Hürde für den Erwerb eines passenden Modells für den Herrn ganz am Anfang der Consumer-Journey.
Nicht nach Gefühl
Wenn in der Konferenz aber auffällt, dass der Prokurist die Zahlenreihen innerhalb der Präsentation kaum noch erkennt, wird er pragmatisch. Tatsächlich sind Männer beratungswillig. Die Stilexpertin wird heute von den Herren sogar öfter zur fachkundigen Begleitung gebucht als von Frauen. Anatomisch erlebt Waldminghaus dabei ähnliche Herausforderungen wie bei den Damen: Mal ist der Kopf zu klein, mal zu groß, die Augen stehen weit auseinander oder liegen zu eng, die Ohren führen links und rechts am Kopf ein Eigenleben in unterschiedlicher Höhe. Ergo herrscht Unsicherheit bei den Probanden. „Toll sehen Sie aus!“ Nur emotionale Sprüche führen indes nicht zum Ziel. Besser ziehen konkrete Argumente: Die Fassung schließt mit dem breitesten Punkt des Gesichts ab. Der obere Rand betont die Augenbrauen. Der Nasensteg unterteilt den Nasenrücken an der richtigen Stelle …
Innerhalb von 15 Minuten
Doch der Reihe nach: Als Erstes steht die Frage im Raum, wie der Proband mit der Brille wirken will. Am Ende liegen vielleicht drei, vier Fassungen mit unterschiedlichen Wirkungen auf dem Tisch. Sportlicher? Eleganter? Zurückhaltend? Hier kann der Kunde seine bewusste Entscheidung treffen. Die Expertin: „Vor einem großen Spiegel, die gesamte Wirkung im Blick, greift er auch mal zu etwas Extravagantem.“
Wann steigen Bosse und Muskelpakete mental aus? Nie! Jedenfalls nicht bei Petra Waldminghaus, denn länger als 15 Minuten dauert ihre Beratung im Schnitt nicht. Anhand des vom Interessenten mitgebrachten Modells fragt sie zu Beratungsbeginn ausschlaggebende Parameter ab. „Schließt diese alte Brille mit dem breitesten Punkt Ihres Gesichts ab?“ „Ja!“, jubelt das Gegenüber. Betont der obere Fassungsrand den Verlauf der Augenbrauen? „Nein!“, bekennt der Proband. Schwupps, hat er selbst Kritik geäußert, nicht etwa die Fachfrau. Denn eine gute Beratung startet immer mit etwas Positivem.
Durch geschickte Argumentation lassen sich mindestens zwei Brillen verkaufen: Allein die Materialien und verschiedene Kontraste erweitern die Palette und fördern das Kauferlebnis. Alles wird ausprobiert: Metall, Acryl, Holzfassungen … „Machen Sie mir mal einen Vorschlag, was das Beste ist!“, kommt manchmal der Hilferuf. Zwei, drei Fassungen werden rausgepickt, dann fällt die Entscheidung anhand der jetzt gelernten Kriterien. Na also.
Gut beraten zum Ziel
Ist die Beratung sachlich und logisch – und darauf kommt es an –, fällt die Männer-Entscheidung schnell. Die Freundin muss nicht mehr gefragt werden. Schließlich hat der Boss das Portemonnaie selbst in der Hosentasche. Der eine oder die andere mag erstaunt beim Lesen stocken: Ob die Waldminghaus‘sche Brille von Vorurteilen beschlagen ist? Nein, Frauen nehmen viel öfter drei Fassungen zur Auswahl mit nach Hause. Gemeinsam mit dem Göttergatten entscheidet sie erst nach gemeinsamer Paar-Sitzung. Der ganze Mann fällt hingegen – unterstützt durch die gebuchte Expertin – seine Entscheidung selbst und vor Ort im Geschäft. Basta.
Zurück zu den Sonderfällen
Und Bartträger? Dazu die Expertin: „Bei einem auffälligen Bart sollte wie immer auf die Proportionen geachtet werden. Viel Haar, viel Bart, Pony über der Stirn und dann noch eine sehr markante, schwarze Brille: Das wäre zu wenig Gesicht!“ Und die Denkerstirn? „Viele Männer haben einen sehr hohen Haaransatz. Sie sind mit einem betonten Oberrand gut beraten oder auch mit einer Vollrandfassung.“ Dunkle, extrem große Brillen sind nur in Ausnahmefällen eine gute Wahl. Auch hier: Auf Proportionen achten! So wird aus dem Sparfuchs ein Fan, der willig zur Scheckkarte greift.