Sébastien Bétend aus Frankreich: Think global – act local
von Patricia Perlitschke,
Unter den bekannten Söhnen und Töchtern der Stadt Bron bei Lyon finden sich ein paar Sportler, Politiker, eine Schauspielerin. 2012 sorgte Sébastien Bétend für Aufsehen in der von Industrie geprägten Stadt. Der umweltbewusste Augenoptiker und „Buy Local“-Verfechter eröffnete damals das erste komplett nachhaltige Augenoptikgeschäft in Frankreich.
„Think global – act and buy local“ – so ein Leitgedanke, um die weltweiten CO2-Emissionen zu reduzieren. Sébastien Bétend wollte das für sein Geschäft konsequent umsetzen und hatte dabei soziale, ökonomische und ökologische Aspekte im Blick. So stammten Brillenwände, Beratungstische und sonstige Möbel aus Holz sowie Fliesen, Büromaterial, Beleuchtung, Sanitärausstattung, Werkzeug und technisches Equipment überwiegend von nachhaltig produzierenden Unternehmen aus Frankreich und Europa. Gefunden nach mehr als 27 Monaten beispielloser Recherche.
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Auch die angebotenen Fassungen kamen aus zertifiziert französischer bzw. europäischer Herstellung. „Ich wollte meinen Ansatz konsequent zu Ende gehen, indem ich ein nachhaltig renoviertes augenoptisches Geschäft mit ökologischen Materialien schuf. Ich habe die gesamte Ausstattung zuvor eingehend untersucht“, so der heute 46-Jährige.
Wichtig war ihm sparsamer Wasser- und Stromverbrauch und Energie-Effizienz. Zur Einrichtung der Werkstatt gehörte ein Filtrationstank für die Schleifmaschine, das Wasser zum Händewachsen wurde auch für den Toilettenspülkasten verwendet. Auf eine Klimaanlage verzichtete er.
„Made in France“ oder „French Made“?
„Greenwashing“ ist Sébastien ein Graus. Deshalb wollte er genau wissen, was in den Produkten steckt, woher sie kommen. Auch bei der „Grand Nation“ kommt es nämlich vor, dass in Asien gefertigte Teile in Europa lediglich zusammenmontiert werden, um dann als „Made in France“ verkauft zu werden.
Frankreich hat
… die größte Optiker-Dichte in Europa: 12.441 Augenoptikgeschäfte
… 5,55 Augenoptiker*innen pro 10.000 Einwohner (in D: 2,41)
… 0,47 Optometristen pro 10.000 Einwohner (in D: 2,7).
(Quelle: ECOO Blue Book 2020)
Für den Franzosen ist das nicht nur Etikettenschwindel. Es sei der Verlust von wertvollem Know-how und Arbeitsplätzen in Frankreich sowie unnötige Transportwege, die bei der globalen Umweltverschmutzung nach seiner Einschätzung immerhin 30 % ausmachten. Der Freund der Nachhaltigkeit sagt aber auch: „Es ist kein Protektionismus, sondern Logik. Hätte ich in Vietnam gelebt, hätte ich vietnamesische Produkte in lokaler Herstellung bevorzugt, um den Import von Brillen aus mehreren tausend Kilometern Entfernung zu vermeiden.“
Eigenes Zertifikat von Sébastien Bétend
So genügt es für eine Brillenfassung mit dem Zoll-Etikett „Made in France“, wenn die Kosten für die Montage bzw. die in Frankreich durchgeführte Einfärbung mindestens 45 Prozent des Stückkostenpreises entsprechen. Eine Regelung, die von Fachleuten zu Recht als zu weit gefasst kritisiert wird, so Sébastien Bétend.
Das anspruchsvollere Label „Origine France Garantie“ (OFG) soll diese Mängel mit strengeren Kriterien und jährlichen unabhängigen Kontrollen beheben. Leider sei das für französische Fassungshersteller sehr teuer, nicht jeder könne sich das leisten. Für sein eigenes Geschäft führte Sébastien damals ein eigenes Zertifikat ein, um zu gewährleisten, dass alle angebotenen 1.100 Brillen tatsächlich in Frankreich hergestellt werden.
Sein, wie er selbst sagt, „extremes Konzept“ sorgt bis heute bei lokalen Initiativen und Behörden für viel Aufmerksamkeit. 2016 bekam er die höchste Auszeichnung der Initiative „Lyon, faire und nachhaltige Stadt“. Mehrfach gehörte er zu den sieben Augenoptiker*innen aus Lyon, die es in die Ausgabe des Reiseführers „Petit Futé“ mit Millionenauflage schafften.
Sein Anliegen bezieht der „Buy local“-Verfechter, der 2012 und 2013 Mitglied der „Silmo d’Or“-Jury war, nicht nur auf den Beruf. Auch privat lebt und konsumiert der passionierte Angler nachhaltig umweltbewusst.
Vom Augenoptiker zum Brillenbauer
„L’Optique par Sébastien Bétend“ ist bis heute das erste Augenoptikgeschäft dieser Art in Frankreich. Obwohl mit Erfolg geführt und von Kunden aus 15 französischen Regionen und der Schweiz besucht, trennte er sich im März 2019 davon. Seitdem coacht Sébastien Bétend Kollegen und Unternehmen zum Thema nachhaltige Geschäftsführung.
Bereits 2014 brachte er seine eigene Brillenkollektion OpSB auf den Markt: aus Bio-Acetat im französischen Jura-Massiv gefertigt, zu 100 % recycelbar und bis zu 97 % biologisch im Boden abbaubar. Die Brillenetuis werden in der heimischen Region Rhône-Alpes entworfen, gewebt, gedruckt, hergestellt.
Rund 230 unabhängige Augenoptiker*innen hat Brillenhersteller Sébastien Bétend schon als Kunden. Jeden Tag in einem Geschäft zu stehen wie früher, ist heute nicht mehr seine Sache. Stattdessen geht er von Lyon aus mit seiner Frau Nicole und dem belgischen Schäferhund Thyma im Camping-Auto auf „Tour de France“. Im Gepäck seine eigene Brillenkollektion. So folgt er konsequent seiner frei gewählten, durchaus anspruchsvollen Lebensart: „Think global – act local“.