Kontaktlinsen-Hersteller und Augenoptiker*innen setzen vermehrt auf Tageslinsen. Und das trotz Internet, schrumpfender Margen und dem Plastikabfall, den Tageslinsen produzieren. Was sind die Gründe dafür? Marcel Zischler hat sich für eyebizz bei Kontaktlinsen-Spezialisten und Industrievertretern umgehört.
Unbestritten: Die Tageslinse ist die Produktkategorie, die bei Kontaktlinsen weltweit am stärksten wächst. In Deutschland beträgt der jährliche Umsatz mittlerweile 32 % des Gesamtsegments (2019), europaweit haben Tageslinsen einen Marktanteil von bereits 55 % (2020) (Quellen: GfK, Euromcontact).
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„Tageslinsen werden immer wichtiger für uns.“
Michael Bärtschi, Inhaber Kontaktlinsenstudio Baertschi, Bern
Michael Bärtschi, Inhaber von Eyeness AG Bern und einer der renommiertesten Kontaktlinsenspezialisten im DACH-Raum, führt eine Optometrie- und Kontaktlinsenpraxis mit sechs Optometristen und vier Assistentinnen. Zu seiner Klientel gehören zahlreiche Spezialfälle, trotzdem schwört er vor allem auch auf Tageslinsen: „Ihre Wichtigkeit nimmt bei uns zu. Mehr Auswahl, verbesserte Materialien, markant breiteres Spektrum der Anpassung (sphärisch, torisch, multifokal) und das gesteigerte Gesundheitsbewusstsein bei der Kundschaft sind die Gründe dafür.“
Auch bei Robert Mergenthal, Inhaber von Sehenswert in Göttingen, liegen Tageslinsen im Trend: „Wenn Kunden die absolute Flexibilität, hohen Komfort und Hygiene bevorzugen, bieten wir sie in den jeweiligen Qualitätsstufen und Möglichkeiten an.“
Wenn man 25 Jahre zurückgeht und sich vor Augen führt, welche Themen in der Fachpresse damals rund um weiche Kontaktlinsen präsent waren, so ging es permanent um Augenentzündungen aller Art im Zusammenhang mit mangelnder Hygiene und Compliance. Das ist Schnee von gestern, wenn Augenoptiker*innen heute ihren Kunden Tageslinsen anpassen und sie dabei korrekt instruieren und kontrollieren. Das Schlüsselwort heißt „anpassen“. Auch eine Tageslinse ist trotz Standardisierung und einfacher Handhabung immer noch ein Produkt, das in die Hände von Fachpersonal gehört. Die falsche Kontaktlinse auf dem Auge ist einer der Hauptgründe für Drop-Outs.
„Wenn Kunden Flexibilität, hohen Komfort und Hygiene bevorzugen, sind Tageslinsen eine gute Wahl.“
Robert Mergenthal, Inhaber Sehenswert, Göttingen
Schweizer und Briten lieben sie
Für die führenden Hersteller von Kontaktlinsen sind die genannten Erkenntnisse bzgl. Komfort und Sicherheit auch die Treiber schlechthin, ihre Strategien, die Tageslinsen zu pushen, auszuweiten. „Auch wenn Deutschland kein typischer Markt für Tageslinsen ist, ist ihr Anteil in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, wobei man den Effekt von Corona einmal außen vor lassen muss. In den Märkten mit hohem Kontaktlinsenanteil – etwa Schweiz oder Großbritannien – ist auch die Tageslinse stark vertreten“, sagt Heike Hädrich, Head Professional Affairs DACH, Alcon Deutschland.
Friederike Winkel, Head of Marketing Vision Care DACH, Johnson & Johnson, erinnert sich: „1995 haben wir die weltweit erste Tageslinse auf den Markt gebracht. Seitdem hat dieses Segment große Bedeutung für uns. Tageslinsen sind ein sehr erfolgreiches Produkt, weil sie viele Vorteile bieten. Wer jeden Tag eine frische Kontaktlinse aufsetzt, profitiert von sehr guter Sehqualität und hohem Tragekomfort – selbst unter herausfordernden Bedingungen. Eine frische Linse zu tragen, ist hygienischer und vermeidet Irritationen durch Verunreinigungen. Der Aufwand für Reinigung und Pflege entfällt.“
„Neue, hochwertige Produkte mit verbesserten Eigenschaften in Hinblick auf Materialien und Oberflächen geben der Tageslinse Auftrieb.“
Heike Hädrich, Head Professional Affairs DACH, Alcon Deutschland
Tageslinsen für unzufriedene Brillenträger
Um mit Tageslinsen erfolgreich zu sein, sollten sich Augenoptiker*innen mit dem Produkt identifizieren, rät Michael Bärtschi: „Sie müssen sich von den Vorteilen der Tageslinsen selbst überzeugen und diese Überzeugung an ihre Kundschaft weitergeben. Sie sollten als Vorbild voran gehen.“ Wolfgang Ohlicher, Inhaber von Augenoptik Ohlicher, Saalfelden (Österreich) denkt ähnlich: „Wir bieten Tageslinsen proaktiv unseren Kunden an und heben deren Nutzen hervor. Dies überzeugt immer. Selbstverständlich müssen die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Anpassung erfüllt sein.“
Auch Ellen Fries, Head of Marketing & Professional Service, Menicon GmbH, ist ein Fan von Tageslinsen: „Sie sind eine sehr einfache, höchst flexible Sehlösung. Nahezu jeder Brillenträger kommt irgendwann an den Punkt, an dem die Brille stört, ob beim Sport, beim Ausgehen, im Beruf. Hier können Tageslinsen eine großartige Lösung sein.“
Für Heike Hädrich gibt es kaum eine andere Kontaktlinse, die sich so gut dazu eignet, einen Brillenträger mit dem Trageerlebnis „ohne Brille“ bekannt zu machen: „Die Tageslinse stellt eine wunderbare Möglichkeit dar, beliebig zu entscheiden, ob man Brille oder Kontaktlinse tragen möchte. Der Augenoptiker muss also keine Kannibalisierung der Brille befürchten, sondern kann ein zusätzliches Geschäft machen. Natürlich lässt sich die Tageslinse auch als Vollzeitlinse verwenden. Zahlreiche Korrektionsmöglichkeiten und innovative Materialien machen das möglich.“
„Tageslinsen bieten gegenüber Austauschlinsen je nach Tragehäufigkeit sogar leichte Umweltvorteile, Pflegemittel fallen weg.“
Friederike Winkel, Head of Marketing Vision Care DACH, Johnson & Johnson
Bedrohung durch Online-Handel?
Doch es gibt auch Vorbehalte gegenüber Tageslinsen. Vor allem die Abwanderung von Kunden ins Internet wiegt schwer. Kaum eine andere Kontaktlinse wird online so stark vertrieben wie die Tageslinse. Jérôme Kuzio, Head of Marketing DACH, CooperVision, relativiert die Bedenken:
„Für viele Online-Käufer sind das einfache Bestellen und der bequeme Home-Delivery-Service Gründe für den Nachkauf im Netz. Gerade bei einem Qualitätsprodukt ist nicht der Preis allein das ausschlaggebende Entscheidungskriterium, schon gar nicht, wenn es um ein Gesundheits- und Medizinprodukt geht. Der Handel muss deshalb glaubhaft vermitteln, dass Verbraucher beim Kauf im Geschäft die gleichen Vorteile haben, wie beim Online-Kauf: ein gutes Preis-Leistungsverhältnis, Online-Bestellmöglichkeiten, eine schnelle, unkomplizierte Lieferung, Convenience auf der ganzen Strecke und on-top eine unentbehrliche Dienstleistung. Am Ende wiegt der Vertrauens- und Kompetenzbonus schwerer als gelegentliche Preisvorteile der Mitbewerber. Denn es gibt immer jemanden, der noch günstiger verkauft.“
Herausforderung Preiskalkulation
Die Diskussion, wie eine marktgerechte Kalkulation aussieht, wird kontrovers geführt. Beschwerden, dass der eigene Einkaufspreis teilweise höher liegt als der Preis, der im Internet für das gleiche Produkt auffindbar ist, vergrault viele Augenoptiker*innen.
Friederike Winkel rät ihnen, mit attraktiven Services wie Kontaktlinsen-Abos, Home Delivery oder Sofort-Bestellplattformen zu arbeiten, welche die Convenience-Anforderungen der Kunden erfüllen. Die Angebote sollten klar und offensiv kommuniziert und die Preise für die Tageslinsen und die Services jeweils transparent dargestellt werden. Ohnehin sollten Augenoptiker*innen Dienstleistung vom Produkt zu trennen und dies stets ausweisen.
„Wir bieten Tageslinsen proaktiv an und heben deren Nutzen hervor. Das überzeugt Kunden immer.“
Wolfgang Ohlicher, Inhaber von Augenoptik Ohlicher, Saalfelden
Das kann man auch bei einem Abo tun. Eine Preisdifferenz bis zu 15 % gegenüber dem Durchschnittspreis im Internet scheint, so die Erfahrung des Autors, für viele Augenoptiker*innen und Konsumenten akzeptabel zu sein. Schließlich kann ein Augenoptiker mit Gratis-Ersatzlinsen bei einem Defekt, sofortiger Lieferung ab Lager oder einer Beratung bei Problemen viel mehr Service bieten als das Internet.
Und der Plastikabfall?
Bleibt das Thema Nachhaltigkeit. Speziell junge Konsumenten sind heute sehr sensibel, wenn es um den Schutz der Umwelt geht. Hier schneiden Tageslinsen eher schlecht ab: Sie sind Einweg- und Wegwerfprodukte und produzieren täglich Abfall. Doch anders geht’s derzeit noch nicht.
„Tageslinsen sind Medizinprodukte und werden direkt auf einem unserer wichtigsten Organe getragen, den Augen“, erläutert Jérôme Kuzio, „daher ist es wichtig, dass bei jeder einzelnen Linse die Sterilität gewährleistet wird. Kunststoffe sind in diesem Bereich noch unverzichtbar.“
Industrie zeigt Umweltbewusstsein
Er verweist auf die Notwendigkeit, dass Augenoptiker*innen ihre Kunden über die richtige Entsorgung von Kontaktlinsen und Blister aufklären. CooperVision ist selbst nicht tatenlos, machte seine Einmalkontaktlinsen in der DACH-Region in Kooperation mit der Umweltschutzorganisation Plastik Bank mittlerweile plastikneutral. „Jeder, der seit November vergangenen Jahres unsere Linsen verkauft, anpasst oder trägt, hilft dabei, dass weniger Plastikmüll in die Meere gelangt“, so Kuzio über das Konzept (siehe eyebizz 1.2022).
„Tageslinsen sind ein idealer Einstieg für Fehlsichtige, die bislang nur Brille tragen.“
Ellen Fries, Head of Marketing & Professional Service, Menicon
Generell ist bei Kontaktlinsenherstellern ein Trend zu mehr Umweltbewusstsein und Ressourcen sparender Produktion festzustellen. „In allen unseren Produktionsstätten wurden Programme zur Einsparung von Strom und Wasser umgesetzt und Innovationen zur Kontrolle des Energieverbrauchs eingeführt“, so Ellen Fries von Menicon, „eine unserer Tageslinsen ist so gestaltet, dass von Anfang an 80 % weniger Rohstoffe zum Einsatz kommen. Die gesamte Verpackung ist aus recycelten Materialien hergestellt und ihrerseits wieder recycelbar.“ Auch bei Alcon bemüht man sich um die Reduktion von Treibhausgasen sowie betrieblichen Abfällen. Zudem steht ein Projekt mit Schwerpunkt Plastik-Recycling in den Startlöchern, wie Heike Hädrich verrät.
Wie umweltschädlich sind Tageslinsen tatsächlich?
Bei Johnson & Johnson hat man sich verpflichtet, den Strom bis 2025 ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen und bis 2030 in allen Betrieben CO2-Neutralität zu erreichen. Zudem hat man Kontaktlinsen im Portfolio, deren Verpackung zu 100 % aus zertifiziert nachhaltigem Papier besteht. Beim Kontaktlinsentragen fallen monatlich durchschnittlich etwa 40 Gramm Kunststoffabfall an – das entspricht etwa einer Shampoo-Flasche und ca. 0,63 % des monatlichen Pro-Kopf-Plastikmüllaufkommens von rund 6,3 Kilogramm in Deutschland.
Doch Friederike Winkel gibt zu bedenken: „Zwischen Tageslinsen und anderen Austauschlinsen gibt es übrigens kaum Unterschiede bei den Abfallmengen. Schließlich gilt es, nicht nur die Linsen und das Blister-Material zu berücksichtigen, sondern z. B. auch die Kunststoffflaschen mit der Pflegelösung und die Kontaktlinsenbehälter. Tageslinsen bieten hier je nach Tragehäufigkeit sogar leichte Umweltvorteile. Denn es werden nur die Linsen entsorgt, die auch tatsächlich getragen wurden.“
Einmalprodukte bedienen Lifestyle
Der Siegeszug Tageslinse wird sich fortsetzen, auch in der DACH-Region, davon sind alle interviewten Expertinnen und Experten überzeugt. Die Vorteile entsprechen einem zeitgemäßen Lifestyle, der mehr denn je Flexibilität, Sicherheit und Einfachheit einfordert.
„Auch für Tageslinsen gilt: Am Ende wiegt der Vertrauens- und Kompetenzbonus schwerer als gelegentliche Preisvorteile von Mitbewerbern, etwa online.“
Jérôme Kuzio, Head of Marketing DACH, CooperVision
„Viele Einmalprodukte erleichtern unseren Alltag und sind heute nur mehr schwer wegzudenken“ so Jérôme Kuzio, „sie geben uns Verbrauchern mehr Zeit, das zu tun, worauf wir Lust haben. Genau da liegt das Potenzial der Tageslinse. Wie das Einweg-Papiertaschentuch das Stofftaschentuch abgelöst hat, so wird wahrscheinlich die Tageslinse die Monatskontaktlinse einmal ablösen.“
Tageslinsen bleiben Wachstumsmarkt
Auch Heike Hädrich glaubt, dass die Marktanteile weiterhin steigen werden: „Auch deshalb, weil neue, hochwertige Produkte mit verbesserten Eigenschaften in Hinblick auf Materialien und Oberflächen zur Verfügung stehen.“ Friederike Winkel ist der Meinung, dass die vergleichsweise sehr geringen Aussteiger-Quoten sowie die hohe Zufriedenheit der Träger die Produktekategorie Tageslinse weiter befeuern wird. „Aktuelle Marktdaten zeigen, dass die Verkaufszahlen bei Tageslinsen viel stärker steigen als bei anderen Austauschlinsen. Deshalb legen wir den Fokus weiterhin auf Tageslinsen.“
„Es passiert nichts Gutes, außer man tut es“, könnte man abschließend zur Zukunft der Tageslinse sagen. Vor allem Augenoptiker*innen haben es in der Hand. Sie haben schlussendlich auch die Verantwortung, dass die richtige Kontaktlinse auf dem entsprechenden Auge sitzt und dass ihre Kunden über den Entsorgungsprozess der Linsen richtig informiert sind. ///
Marcel Zischler ist Inhaber der Agentur für Marketing, Training und Consulting „Zischler Visionplus“ in Luzern (Schweiz) und Autor für Betriebswirtschafts-, Kommunikations- und Führungsthemen und ausgewiesener Kenner der Kontaktlinsenbranche. www.zischler-visionplus.