Mitte März befasste sich das 57. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön mit dem Thema Prävention und Management von Kontaktlinsen-Komplikationen. Rund 200 Teilnehmer waren beim Webseminar unter der Moderation von Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft, dabei.
Kunden vertrauen darauf, dass ihre Kontaktlinsen ein sicheres Korrektionsmittel für die Augen darstellen, was sie in der Regel auch sind. Dennoch ist zu bedenken, so im Kolloquium, dass auch gut angepasste Kontaktlinsen in die Physiologie der Hornhaut eingreifen. Dies kann zu Stress im Gewebe führen, der bis zu einem gewissen Grad toleriert werden muss. Geht die Toleranz zu weit, drohen Schäden am Auge.
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„Als Kontaktlinsen-Anpasser stehen wir täglich vor der Herausforderung, Entscheidungen für unsere Kunden zu treffen.“ In diesem Kontext gebe es grundsätzlich zwei Kundengruppen zu differenzieren: vorbekannte Kunden, deren Anpassung und Vorbefunde gut dokumentiert seien, und unbekannte Kunden, von denen es keine Vorinformationen gebe. Gerade letztere stellten eine Herausforderung für die Nachkontrolle dar, erläuterte Stephan Weigl, Augenoptikermeister und Dozent der Fielmann Akademie Schloss Plön.
Ob ein Befund als auffällig eingestuft werde, sei einerseits abhängig vom Grad der Veränderung, aber auch von deren Verlauf. Als Beispiel nannte der erfahrene Anpasser Rötungen, deren Ursachen vielfältig sein können. Ein Rötungsgrad könne bei einem Kunden als Normvariante klassifiziert werden, weil sie sich im zeitlichen Verlauf unverändert darstelle, während sie bei einem anderen Kunden abklärungsbedürftig sei, weil sie sich erst über Wochen oder Monate eingestellt habe. Zur Klassifikation kontaktlinsen-typischer Befunde empfiehlt Weigl die Verwendung von Grading Scales.
Trockenheit
Trockenheitsgefühl und Trockene Augen seien die von Kontaktlinsen-Trägern am häufigsten angegebenen Drop-Out-Gründe. Das Trockene Auge sei eine multifaktorielle Erkrankung der Augenoberfläche, bei der das Gleichgewicht des Tränenfilms gestört sei. Begleitet werde das Trockene Auge von verschiedenen okulären Symptomen unterschiedlicher Ursache. Eine gezielte Anamnese liefere wichtige Hinweise auf das Vorhandensein von trockenen Augen. Unterstützend sei die Verwendung spezifischer, standardisierter Fragebögen, wie beispielsweise der „Standard Patient Evaluation Eye Dryness“-Test (SPEED-Test) oder der umfangreichere ODSI-Fragebogen.
Die Inspektion des vorderen Augenabschnittes mit einer dedizierten Analyse der Tränenqualität und -quantität liefere die objektiven Befunde. „Die subjektiv beschriebenen Symptome und die objektive ermittelten Befunde gehen nicht immer Hand in Hand“, erläuterte Weigl. Grundsätzlich gehöre ein bereits antherapiertes trockenes Auge in ärztliche Behandlung und solle dort auch bleiben. Sei die Symptomatik auf die Kontaktlinse zurückzuführen, könne ein Materialwechsel die Symptome beheben. Die Meibomdrüsen-Dysfunktion, die häufigste Ursache des trockenen Auges, stelle keine Kontraindikation zum Linsentragen dar. Hier sei bei der Auswahl der optimalen Linse auf ein wasserbindendes Material zu achten und die Kontaktlinsen-Pflege auf die Problematik abzustimmen.
Hypoxiezeichen
Sauerstoffmangel bedeute Stress für die Hornhaut. Das Auge zeige dies mit Rötungen, also vermehrter Injektion der tarsalen und bulbären Bindehaut. Bei lang andauernden Befunden könne die Sauerstoff-Unterversorgung zu Ödemen sowie zur Neuanlage von Gefäßen in der sonst avaskulären Cornea führen. Letztere seien Dank hochwertiger Materialien und vielfältigen Anpassparametern heute nur noch selten zu erwarten – zumindest für sachgemäß angepasste Kontaktlinsen, erläuterte Weigl.
Das Entstehen hypoxischer Schäden sei bislang nicht vollständig verstanden. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Norbert Schrage, Direktor der Augenklinik Köln-Merheim, Vorsitzender ACTO e.V, stellte diesbezüglich neue Erkenntnisse vor. Die Hornhaut verstoffwechsele Glukose unter aeroben Bedingungen zu Milchsäure, danach stoppe der Stoffwechsel. Dieser Weg generiere zwar weniger Zellenergie (ATP), er erzeuge jedoch auch keine Hydroxyradikale. Nachts, bei geschlossenem Auge, werde die Glukose vollständig über den Zitronensäurezyklus zu Sauerstoff und Kohlendioxid abgebaut. Dabei werde sehr viel Energie freigesetzt und gleichzeitig freie Hydroxyradikale, die über ein enormes zellschädigendes Potenzial verfügen. „Mit Kontaktlinsen machen wir biochemisch das Auge zu und die Hornhaut beginnt, den vollen Stoffwechsel laufen zu lassen, während sie gleichzeitig dem Licht ausgesetzt ist“, so Schrage.
Kontraindikationen
Der wichtigste Parameter, der gegen eine Kontaktlinsen-Anpassung spreche, ist aus Sicht des Mediziners ein Mangel an Intelligenz und Zuverlässigkeit. Jemand, der eine Kontaktlinse trage, müsse grundsätzlich auch Sorge für das selbststständige Ein- und Aussetzen sowie die Hygiene tragen können. Als weitere Kontraindikation nannte Schrage schwere Sicca-Syndrome. Hier sei die Kontaktlinse als alleiniges und dauerndes Korrektionsmittel nicht sinnvoll.
Ein großes Problem stelle das Symptom der herabgesetzten Hornhautsensibilität dar, die häufig bei Patienten mit Diabetes mellitus vorkomme. Die Hornhautsensibilität lasse sich sehr leicht durch Berührung der Hornhaut mit einem auseinandergezogenen Wattestäbchen testen. Auch bei jenen Personen, die beim ersten Kontakt mit Kontaktlinsen keine Irritationen zeigen, sollte an eine reduzierte Hornhautsensibilität gedacht werden.
Auch für Menschen mit Einäugigkeit seien Kontaktlinsen ungeeignet. Hier stehe das Risiko einer durch Kontaktlinsen induzierten Komplikation über deren Nutzen, eine Ausnahme stelle eine nur durch Kontaktlinsen erzielbare, ausgewiesene Sehkraftverbesserung des einzigen Auges dar. Entzündungen von Hornhaut und Bindehaut stellen ebenfalls eine Kontraindikation dar. „Man darf eine Kontaktlinse nicht auf ein entzündetes Auge aufsetzen.“
Keratitis
Keratitiden gehören zu den gefürchteten Kontaktlinsen-Komplikationen. Erste Anzeichen eines entzündlichen Prozesses seien weiße Punkte im limbalen Stroma. Es handele es sich um Signalzellen weißer Blutkörperchen, die in die Hornhaut migrieren und diese lokal eintrüben. In Bezug auf die Erreger, die eine Keratitis auslösen, habe sich in den letzten Jahren einiges getan. Seit 2015 seien Infektionen durch Pseudomonas aeruginosa deutlich zurückgegangen. Dafür gebe es aktuell vermehrt Infektionen mit koagulasenegativen Staphylokokken. Infektionen mit Staphylokokkus aureus, zu denen auch multiresistente Keime zählen, seien in ihrer Häufigkeit seit 2015 etwa gleich geblieben. Bei Diabetikern seien es oftmals Pilze, die Keratitiden auslösen.
Im Fall eines Verdachts müssen Kunden notfallmäßig an einen Augenarzt oder die nächste Klinik überwiesen werden, damit Abstriche gemacht und die richtige Therapie eingeleitet werden könne. Zum sicheren Erregernachweis empfehle es sich, die Kontaktlinse gemeinsam mit den genommenen Abstrichen an ein mikrobiologisches Labor zu übersenden. Die abgesetzte Linse solle dem Kunden aus diesem Grund ungereinigt mitgegeben werden. Um Komplikationen vorzubeugen, sind regelmäßige Nachkontrollen sinnvoll. Wie dies effektiv und im Optimalfall flächendeckend gelingen kann, erörterte Sylvia Wulf, Dipl.-Optometristin (FH), M.Sc. und Dozentin der Fielmann Akademie Schloss Plön.
Neue Wege der Nachkontrolle
Eine gute Nachversorgung bedinge, dass Kontaktlinsen-Kunden in augenoptischer oder augenärztlicher Betreuung seien. Laut einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2018 beziehen knapp 50 Prozent der Kontaktlinsen-Träger ihre Linsen aus dem Internet oder kaufen sie in einem Drogeriemarkt. Die gleiche Studie habe laut Kolloquium auch gezeigt, dass diese Kunden nie oder sehr viel seltener zu Nachkontrollen gehen, als Kontaktlinsen-Träger, die ihre Linsen von einem Augenoptiker beziehen.
Um diese Kundengruppe besser erreichen zu können, präsentierte Wulf den Weg der Firma Vision Express aus Großbritannien, die auf ihrer Webseite virtuelle Nachkontrollen anbietet. In einem Chat teilen die Kunden dem Anpasser ihre Beschwerden oder Sorgen mit. Zusätzlich bestehe die Möglichkeit, basierend auf Fotos, die der Kunde zu Hause mit der Kamera seines Smartphones aufnehmen könne, den Zustand des vorderen Augenabschnittes zu beurteilen. Dies ermögliche zwar nicht die Darstellung von Infiltraten, Trübungen in der Hornhaut oder topografischen Veränderungen, sei jedoch eine niederschwellige Möglichkeit, auch jene zu erreichen, die ohne diese Möglichkeit überhaupt keine Nachkontrollen wahrnehmen würden.
Systematischer Ablauf
Grundsätzlich sei es immer wichtig, die Nachkontrollen systematisch und regelmäßig durchzuführen. Für die Systematik helfe der SOAP-Ablauf. Das S stehe für die Abfrage des subjektiven Kundenempfindens sowie der Tragegewohnheiten. Hinter dem O verberge sich die objektive Befunderfassung durch den Anpasser. Diese beginne immer mit der Ermittlung der Sehschärfe und einer möglichen Restrefraktion. Erst im Anschluss erfolge die Beurteilung der aufgesetzten Linse. Anschließend werde die Kontaktlinse abgesetzt, um den Zustand des Auges zu kontrollieren.
Wie bereits ihr Vorredner wies auch Wulf darauf hin, dass Befunde, sofern möglich, immer mit dem Ausgangsbefund verglichen werden sollen, um Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen. Zur objektiven Erfassung gehöre regelmäßig auch eine Topometrie. In Einzelfällen können weiterführende Untersuchungen, zum Beispiel eine Biometrie oder OCT des vorderen Augenabschnittes sinnvoll sein.
Aus A, der Analyse der erhobenen subjektiven und objektiven Daten, könne direkt P, ein Plan, abgeleitet werden. Gebe es keine Störung, brauche es keine Änderung, schilderte die Referentin den einfachsten Fall. Zeige sich ein refraktiver Restfehler, müsse der Scheitelbrechwert oder das Stärkenprofil der Linse geändert werden. Liege eine mechanische Störung vor, beispielsweise eine Verspannung der Hornhaut oder Abdrücke in der Bindehaut, werde eine Änderung des Linsendesigns oder des Materials vorgenommen.
Kontroll-Intervalle bei Kontaktlinsen
Der richtige Zeitpunkt der Nachkontrolle sei ein individueller Parameter und orientiere sich an Linsenart, Tauschfrequenz und Tragemodalitäten sowie an der zu erwartenden refraktiven Änderung. Grundsätzlich habe sich das Auftreten sauerstoffmangel-bedingter Komplikationen seit Einführung der Silikonhydrogele signifikant reduziert. Durch den Wegfall einer aufwendigen Pflege habe die Einführung von Tageslinsen einen Rückgang von mikrobiellen Keratitiden bewirkt. Ein erhöhtes Risiko für eine mikrobielle Infektion trete vor allem dann vermehrt auf, wenn weiche Kontaktlinsen mehrfach oder dauerhaft getragen werden.
Aus diesen Informationen lasse sich eine Risikobewertung ableiten, aus der sich sinnvolle Nachkontroll-Intervalle ergeben. Grundsätzlich sei eine Funktionsprüfung und Nachkontrolle bei Neuanpassungen unabhängig von Linsentyp und Tragegewohnheiten nach spätestens zwei Wochen gegeben. Bei gelegentlich getragenen Tageslinsen kann eine Nachkontrolle erst nach 24 Monaten erfolgen, bei täglich getragenen weichen Kontaktlinsen sollte die regelmäßige Nachkontrolle nach zwölf Monaten stattfinden. Immer, wenn ein erhöhtes Risiko für mikrobielle Infektionen bestehe, wie es bei verlängertem Linsentragen der Fall sei, solle die Nachkontrolle alle sechs Monate stattfinden. Dies gelte auch für angepasste Speziallinsen, zum Beispiel bei Keratokonus oder nach Keratoplastik.
Das 58. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön findet voraussichtlich am 14. Juni 2023 wieder als Web-Seminar statt.