Augenoptiker zu sein ist vielseitig und herausfordernd zugleich. Wer hier mit Herzblut, Mut zum Risiko und frischen Ideen erfolgreich seinen Weg geht, verdient unsere ganze Aufmerksamkeit. In jeder Ausgabe von eyebizz portraitieren wir Unternehmer-Persönlichkeiten, die kennenzulernen sich lohnt. Diesmal ist es Sertac Özenir von Sehwelt Eller, Düsseldorf.
Die ihn kennen, sagen: „Er ist ein Typ, als Mensch schon eine Marke!“ Markant ist auch der erste Eindruck. Nicht nur durch seine dunklen Haare, den leicht grau durchwirkten Vollbart und die schwarze Brille im schmalen Gesicht. Seine dunkelbraunen Augen kontrastieren beim Lächeln strahlend weiße Zähne. Egal wie hart es gerade läuft: Der Mann versprüht gute Laune.
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Sertac Özenir ist 2009 als Teilhaber in die „Sehwelt“ in der Gumbertstraße 170 eingestiegen, damals noch ein recht traditionelles Fachgeschäft. So passte es in die eher bescheidene Art des Stadtkerns von Düsseldorf-Eller. Zwischen Thai-Massage und Second-Hand-Shop hat der Standort nichts vom Flair der Königsallee. Die Klientel von rund 32.000 Einwohnern ist sozial gemischt.
Über vier Stufen in eine andere Welt
An der Ausstrahlung hat sich in der Gumbertstraße seitdem wenig geändert. Wohl aber an dem Ambiente der Sehwelt. In Sertacs neuem Reich ist der Kunde nach zwei umfangreichen Umbauten mehr als willkommen. Vom grauen Asphalt betritt die Journalistin über vier Treppenstufen des Bürgersteigs eine andere Welt. Die Fünfziger-Jahre-Glastür öffnet sich. Das Auge erfasst einen Hauch „used“-Look, ein bisschen industriell und shabby, rustikal, doch edel abgerundet.
Sofort will sich die Besucherin auf dem dunkelbraunen Chesterfield-Ledersofa niederlassen. Zweieinhalb Meter Sitzpolster, die gemeinsam mit dem guten Kaffee auf dem gläsernen Couchtisch und der farblichen Harmonie zwischen Grau, Gold und Braun zum Verweilen einladen. Auf dem bunten Kelim stehen weitere Sessel in gedecktem Curry. Vom dunklen Eichenparkett, selbst verlegtes hochwertiges Laminat, über die grauen Wände, graue Holzplanken als Regale, graue Metall-Ständer, die Theke mit orange-blauen Paradiesvogel-Blumen in Kombination mit großen grünen Blattpflanzen harmoniert alles. Wohlfühlen mit Rap-Musik aus dem Retro-Radio.
Man möchte gar nicht mehr aufstehen. Wären da nicht diese coolen Fassungen, die sofort zum Rundgang durch die „Sehwelt“ zwingen. Also doch wieder hoch und rumgucken: Von Dita und John Dalia, über Cazal bis Rigards ist ein Modell spannender als das andere. Das geschickt gesetzte Licht und goldene Akzente der Schubladen und Regale bieten den Brillen eine packende Bühne.
Messe-Events pushen den Seh-Kosmos
Apropos Auftritt: Sertac hat die Blumen und seine Sportbrillen gerade von Europas größter Radler-Messe in Düsseldorf-Heerdt zurückgebracht.
Solche Messe-Events sind Teil seiner Kampagnen rund um seinen Seh-Kosmos. Auftritte, die er pflegt, damit die Besucher anschließend in die Gumbertstraße strömen. Möglichst auf Termin. Ob Metro-Marathon, Querfeld-Rhein oder Cyclingworld Europe, wie die Sport-Veranstaltungen auch heißen, Sertac mischt mit.
Nicht einfach, als mittlerweile dreifacher Vater, allen Ansprüchen zu genügen. Erst recht, weil seine Frau Nadja Bojanov als Hebamme und Mitgesellschafterin des Düsseldorfer Geburtshauses rund um die Uhr Rufdienst hat. Der Mann absolvierte für sein Geschäft seit Jahren eine 100-Stunden-Woche. Jetzt hat er sich – auch aufgrund der knappen Personalsituation – den Montag freigeschaufelt, fährt eine Fünf-Tage-Woche. Dass der 49-Jährige belastbar ist, hat er längst bewiesen.
Gastronomische Anfänge in Lemgo
Geboren wurde er im Lemgo im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen, wo er als Sohn einer „Gastarbeiter-Familie“ in die Welt von Gastfreundschaft und gutem Essen hineinwuchs. Der Vater hatte sich mit der Restauration im türkischen Kulturverein eine Existenz aufgebaut. Die Männer spielten Karten, tranken Tee, ab und an wurde eine Hochzeit gefeiert. Das Catering übernahm Familie Özenir.
Als er zehn war, zog die Familie zurück in die Türkei: „Nach Izmir, der schönsten Stadt des Landes.“ Wieder verdiente sich die Familie ihr Geld in der Gastronomie: mit Lahmacun, türkischer Pizza und allem, was zur landestypischen Küche dazugehört. Für den Heranwachsenden eine harte Zeit: „Ich habe es manchmal verflucht, wenn ich zehn, zwölf Kilo Zwiebeln schneiden musste – mir liefen die Tränen über die Wangen.“ 50 Kilo Teig kneten, spülen, Gäste bedienen gehörte zum täglichen Programm. Die Schule lief nebenher, abends ging es zurück ins Restaurant, um Tische zu schrubben.
Die wirtschaftliche Situation in der Türkei war damals nicht gut. So kehrte Sertac nach fünf Jahren allein nach Lemgo zurück. Zunächst fasste der junge Mann wieder im Restaurantbereich Fuß. Es folgte eine Odyssee durch verschiedene Gewerbe: eine Leuchtenfirma, dann eine Schlosserei.
Ärger mit deutscher Bürokratie
Doch nichts packte den Youngster, auch wenn er sich überall schnell hocharbeitete. Zudem ging dem „Schwarzkopf“ die teils fremdenfeindliche Atmosphäre gegen den Strich. Gerade weil er kein Blatt vor den Mund nahm und nimmt. Eine Umschulung zum IT-Systemkaufmann scheiterte 1996 an der deutschen Bürokratie mit ihrem Dschungel an undurchschaubaren Fördermaßnahmen. Der damals 22-Jährige gab den Plan auf, holte sein Abitur nach und immatrikulierte sich in Bielefeld für den Studiengang Internationales Management.
Die Uni startete im Herbst. Ohne Geld in den Taschen hatte Sertac noch gut drei Monate zu überstehen. Ein Kumpel, seinerzeit der jüngste Fielmann-Geschäftsführer in Detmold, empfahl ihm eine Ausbildung zum Augenoptiker. Dann hätte er auch mehr Geld. Augenoptik? Sechs-Tage-Woche? Nö! Der Rat stieß auf taube Ohren. Doch der Gehörgang wurde anlässlich der Gesundheitsreform gründlich durchgepustet.
Ein Talent wird angeworben
Denn 2003 schrieben Augenoptiker Rekordumsätze, erst recht beim Branchenprimus. Tausende Brillenträger sicherten sich noch schnell die Krankenkassen-Zuschüsse zur Sehhilfe. Der Andrang war riesig. So auch bei dem Detmolder Freund.
Sertac sprang bei ihm als Kassierer ein, Tage später auch im Brillenverkauf. Der Tausendsassa organisierte den Geschäftsablauf mit, hatte das Verkaufsgen. Das Talent fiel dem Regionalleiter auf und wurde angeworben. Wieder winkte eine Umschulung, Ausbildungsvergütung, BAföG … Doch das Tor zur Augenoptik hatte sich geöffnet. Es folgte die Meisterschule in Knechtsteden, bis zur Selbstständigkeit in Düsseldorf-Eller.
„Gut Sehen und gut aussehen“ lautet ein Grundsatz an der Gumbertstraße 170. Und: „Es gibt immer einen Weg. Es gibt kein Nein.“
Ein anderer Kumpel hatte ihm 2009 von dem Geschäft „Sehwelt“ erzählt. Das Unternehmen war 2002 gegründet, 2006 vom ursprünglichen Besitzer zur Insolvenz angemeldet gewesen. Sertac arbeitete probeweise nachmittags nach der Meisterschule.
Pfändungen drohten
Bis 2011 dauerte die Zusammenarbeit mit dem Kollegen. „Ich war in einer rosa Wolke. Unser zweites Kind war geboren, ich der einzige Öze-Akademiker und Meister, jetzt sogar selbstständig. Aber ich habe mich über den Tisch ziehen lassen.“ Sertac hatte die Übernahme der Schulden von 26 Gläubigern unterschrieben. Der Druck nahm zu. Das Hauptzollamt drohte mit Pfändungen, weil Sozialversicherungen nicht gezahlt worden waren. Plötzlich standen Forderungen im sechsstelligen Bereich im Raum.
Der junge Vater erlitt Bandscheibenvorfälle, saß auf dem Boden, weinte. Dann kam die rettende Idee. Sein Schwager war Controller in einer großen Firma. Noch in der Nacht reiste er aus Hamburg an und half dem Verzweifelten auf die Beine. Ein mit einem Privatdarlehen garnierter Schlachtplan wurde erarbeitet.
Phönix aus der Asche
Gemeinsam mit nur einer Auszubildenden zog Sertac den Karren aus dem Dreck. Alle Gläubiger wurden angeschrieben, bis auf zwei stimmten alle den Vergleichsangeboten zu. Im Februar 2012 wurde das erste Mal umgebaut. Alles weiß, ansonsten im 70er- und 80er-Jahre-Stil. Die Zahlen wurden besser: 40 Prozent Umsatzsteigerung. Im selben Jahr startete Özenir auf der Messe mit Sportoptik durch.
„Ich wurde mit Sportbrillen ein Held, setzte alles in Bewegung. Print-Werbung, Handzettel verteilt, Social Media genutzt. Der Deutsche Alpenverein bekam zehn Prozent Rabatt …“ Der Effekt der Trommelei ließ nicht auf sich warten: Ski-Läufer, Kiter, Surfer, alle kamen und kommen noch heute. Pilgern in die „Sehwelt“ zum mittlerweile vom ZVA zertifizierten Sportoptiker. „Der Einzugskreis der Kunden erstreckt sich über 50 Kilometer, reicht sogar ins Ausland. Ein Läufer aus Tunesien, den ich beim Metro-Marathon kennenlernte, kaufte bei mir.“
Sertac Özenir: Gute Laune und ein Lächeln
Für die untere Geschäftsetage steht die Planung für eine Kletterwand, ein Laufband – nicht nur einen Windkanal. Eine offene Werkstatt war geplant. Dann kam Corona und die Pläne liegen erstmal auf Eis. Nicht so das neue Wohlfühl-Design. Designerin Julia Wortmann-Schulz und Martin Heck, Designer, aber auch Fotograf und Schreiner, besorgten die Innengestaltung. Innerhalb von einem halben Jahr schufen sie gemeinsam mit Sertac das neue Ambiente. Die Theke, eine 120 Jahre alte Werkbank, stammt vom Großvater des Steuerberaters.
Welche Philosophie hinter seinem Geschäftsmodell steckt? „Gute Laune und ein Lächeln“, kommt die Antwort von Sertac. Doch das unausgesprochene Mehr dahinter lautet Handwerkskunst, bester Service, Stil und der Draht zum Kunden. Pardon: zum Gast in dieser Wohlfühl-Oase. Kein Kunde geht unter zwei bis vier Brillen aus dem Geschäft.
/// CH
Sehwelt Eller Inhaber Sertac Özenir 2011 neu eröffnet Gumbertstraße 170, 40229 Düsseldorf E-Mail: mail@sehwelt-eller.de www.sehwelt-eller.de
Bilder: Sehwelt Eller, CH
Artikel aus der eyebizz 3.2023 (April/Mai)
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