Slow Eyewear von Götti: Vereinfacht, reduziert, gefaltet
von Ingo Rütten,
Wenn die Verpackung so spannend ist wie das Produkt, muss das nichts Schlechtes bedeuten. Das könnte dann auch „Slow Eyewear“ aus dem Hause Götti sein. eyebizz wirft einen Blick darauf.
Manchmal erzählt die Verpackung mehr über das darin befindliche Produkt als der Inhalt selbst. Bei der Story zu Göttis neuer Fassungslinie ist sie ein wesentliches Detail und doch nur ein Teilaspekt. „Teilaspekte“ so nennt Designer Sven Götti die bemerkenswerten Einzelheiten, die aus Bionic, der neuen Kollektion aus der Schweiz, etwas Besonderes machen.
Anzeige
Die Story beginnt zwar nicht bei der Verpackung, sondern vielmehr mit der Idee, eine Brillenfassung komplett aus dem 3D-Drucker ohne zusätzliche externe Teile zu fertigen. Aber das mitgelieferte Etui für die Fassungen der ressourcenschonenden Linie gibt dem Ganzen nochmals einen besonderen Kick.
Augenoptiker erhalten die Fassungen in einer Verpackung aus sogenanntem Kraftpapier. Das ist zwar nicht aus einem nachwachsenden Rohstoff wie die Fassung selbst, deren Material auf der Basis von Samen der Rizinuspflanze besteht. Dafür aber ist es innen liniert und soll bei der Refraktionsbestimmung oder Kundenberatung in einem „zweiten Leben“ als Notizblatt dienen.
Vier Knöpfe per Spritzguss
Das Etui darf sich der Augenoptiker aus dem vorgestanzten veganen Kunstleder selbst falten und dabei entscheiden, in welchem Format. Beide unterschiedlichen Etuitypen sind laut Sven Götti in wenigen Handgriffen aus dem ökologischen Material zusammengefaltet. So erhält die Kundschaft ein innen sicheres und außen mit schöner Haptik versehenes, wohl bislang einzigartiges Brillen-Accessoire, dessen vier Knöpfe per Spritzguss wie alles andere bei „Bionic“ in der eigenen Brillenmanufaktur in der Schweiz entstehen.
Es sind bis zur Fertigstellung keine Transportwege nötig, da von der Idee bis zur Endmontage alle Skizzen, technischen Konstruktionen und Produktionsschritte unter einem Dach ablaufen. Das Bionic-Konzept konzentriert sich laut Götti auf die „bewusste Reduktion“. Deswegen besteht die Kollektion aus nur vier Formen und vier erdigen Farbtönen, die als Klassiker gelten und unbeeinflusst von kurzlebigen Modeströmungen bleiben sollen.
Götti-Anspruch Langlebigkeit
Soll heißen: Die Brillen können lange getragen werden. Das Material sollte da mitspielen. Verwendet wird ein biobasiertes Polyamid, das im Vergleich zu anderen 3D-gedruckten Fassungen flexibler und sehr leicht ist. Aufgrund seiner Stabilität und einer trotzdem optimalen Biegsamkeit sollte ein dauerhaftes bequemes Tragegefühl möglich sein, zumal das Fassungsmaterial äußerst resistent sei.
Inspiriert wurde die neue Linie durch das menschliche Kugelgelenk (siehe Interview). Unter Bionik ist die Übertragung von Phänomenen der Natur auf die Technik zu verstehen. Für Sven Götti ist das die Erfüllung eines alten Wunsches, er tüftelte schon lange an einer Brillenfassung ohne zusätzliches „externes Scharnier“, die aus einem einzigen Material hergestellt werden kann. Bionic-Fassungen bestehen nur aus der Front und einem Paar Bügel: es gibt keine Schrauben, Nieten oder andere Verbindungselemente. Und das ist, was bei Götti Reduktion und Vereinfachung oder auch „Slow Eyewear“ genannt wird.
||| IR
„Ein authentischer Prozess mit Zufällen“
Interview mit Designer Sven Götti
Es ist bald 30 Jahre her, dass Sven Götti sein Brillenlabel in der Schweiz gründete. Damals traf er mit der ersten eigenen Kollektion aus Büffelhornbrillen einige Nerven – zumindest die der Kunden seines Augenoptikgeschäfts in Luzern. Der Designer machte sich und seine Brillenfassungen in wenigen Jahren weit außerhalb der Schweiz bekannt. Den Innovationsgeist hat er immer noch, in seiner Designschmiede in Wädenswil am Zürichsee aber sicher mehr Zeit, um seine Ideen umzusetzen. Wie viel Zeit man sich da manchmal nehmen muss, erklärt Sven Götti im Interview mit eyebizz.
eyebizz: Sven, du sprichst bei der neuen Kollektion Bionic von „Slow Eyewear“. Was meinst du damit?
Sven Götti: Wir möchten mit Bionic die Dynamik herausnehmen und nicht jedes Jahr X neue Modelle präsentieren müssen, wie es sonst erwartet wird. Wir gehen mit Bionic in die Tiefe, nicht in die Breite. Deswegen haben wir uns bei den Fassungen für ein zeitloses Design entschieden, das weder Variationen bei den Formen noch bei den Farben benötigt.
Wer erwartet immerzu neue Modelle, eure Kunden oder ihr selbst?
Sowohl die Industrie als auch die Augenoptiker. Grundsätzlich wird in der Mode immerzu Neues erwartet. Mit dieser Fassungslinie möchten wir da bewusst zurücktreten.
Nachhaltigkeit liegt im Trend, wird zunehmend auch erwartet. Ihr setzt als Material Samen der Rizinuspflanze ein, was aber in der Kommunikation der Kollektion nur am Rande vorkommt. Welchen Stellenwert hat das biobasierte Material für dich?
Es ist ein Teilaspekt des Ganzen. Bionic funktioniert auch mit anderen Materialien, aber so ist es konsequent. Ziel war, eine Brillenfassung aus einem Material zu fertigen, ohne Metallscharniere. Wir haben uns durch die Natur inspirieren lassen, das natürliche Material macht die Sache rund. Aber natürlich legen wir darüber hinaus Wert auf eine ressourcenschonende Produktion. Deswegen haben wir die gesamte Produktion zurück in die Schweiz geholt. Durch den 3D-Druck sind wir in der Lage, en demand zu produzieren, also ohne Überschuss. Das alles ist intrinsisch motiviert, wir spüren da keinen Druck, vielleicht reden wir deswegen nicht so viel darüber.
Dafür habt Ihr rund um Bionic eine bemerkenswerte Story kreiert. Was war zuerst da, die Story oder das Produkt?
Das war ein sehr authentischer Prozess und hatte auch mit Zufällen zu tun. Wir wollten seit vielen Jahren eine Fassung komplett aus dem 3D-Drucker fertigen, ohne zusätzliche Materialien. Vor zwei Jahren kam ein Kollege auf mich zu und präsentierte die Idee, das menschliche Kugelgelenk nachzubauen, damit wir auf ein Scharnier verzichten können. Das war der Startschuss für eine Fassung aus einem Material und drei Teilen: zwei Bügel, ein Mittelteil. Dann haben wir uns um das Material gekümmert, das wir kannten und schon im Test hatten – du musst wissen, bei diesem biobasierten Polyamid ist die Haptik weicher und die Farben sind anders. So gingen wir Schritt für Schritt voran. Wir haben viel probiert und diskutiert, ehe die Story rund war.
Dabei hast du das besondere Etui und die Verpackung noch gar nicht erwähnt!
Ja, um diese Idee in die Tat umzusetzen, hat es über ein Jahr gedauert. Wir wollten keine Kleber oder ähnliches verwenden, auch deswegen haben wir intensiv am Schnittmuster zum Ausstanzen des Materials getüftelt, weil wir zwei Etui-Varianten mit einem Satz Kunstleder ermöglichen wollten. Die vier Knöpfe, die wir dazu brauchen, haben wir zunächst im 3D-Drucker hergestellt, aber im Spritzgussverfahren können wir sie in höheren Stückzahlen und genauer anfertigen. Auch hier haben sich unsere Überlegungen ausgezahlt!