Beim Top-Down-Selling beginnen Augenoptiker bei der Produkt-Präsentation im oberen Preissegment. Der Name bezieht sich auf Preis und Qualität des Produktes und bedeutet so viel wie: preislich von oben nach unten verkaufen. Verkaufstrainer Thomas Bottin erklärt, wie sich die Strategie erfolgreich im Kundengespräch einsetzen lässt.
Stellen Sie sich vor, die Bedarfsanalyse ist gerade beendet und Ihnen ist jetzt klar, welche Produkte für den Kunden in Frage kommen. Natürlich hat ein gutes Geschäft unterschiedliche Produkte zu unterschiedlichen Preispunkten, die alle für den Kunden empfehlenswert sein könnten. Doch welches Produkt präsentieren Sie als Erstes – und warum?
Es gibt zwei grundlegende Ansätze. Erstens die „Bottom-up“-Strategie: Hier beginnt der Verkäufer mit seiner Präsentation bei einem Produkt mit einem Preis von z.B. 800 Euro. Während der Präsentation merkt er, dass der Kunde besser fahren würde mit einem Produkt aus einer höheren Preiskategorie, sagen wir 1.200 Euro. Der zweite Ansatz ist die „Top-Down“-Strategie: Der Verkäufer beginnt seine Präsentation bei einem Produkt, das 1.700 Euro kostet, und merkt an der Reaktion, dass der Kunde mit dem Produkt für 1.200 Euro besser bedient wäre.
Beide Verkäufer bieten dem Kunden also das gleiche Produkt für den gleichen Preis an. Doch wer von den beiden Verkäufern wird eher einen Preiseinwand von seinem Kunden bekommen? Richtig: der Verkäufer „Bottom-up“. Aber das ist nicht die Schuld des Verkäufers, sondern der Grund ist Psychologie.
Der Anker-Effekt
Hinter „Top-Down-Selling“ steht fundamentale Verkaufspsychologie. Ein Phänomen bei Kaufentscheidungen ist die Tatsache, dass der Preis, den wir zuerst genannt bekommen, für uns die „heilige Kuh“ ist. Damit vergleichen wir alle folgenden Preise. Der erste Preis ist der Referenzpreis, an dem wir unsere komplette Preisbewertung verankern. Dieser „Anker-Effekt“ ist in der Forschung gut dokumentiert, ihm unterliegen alle Menschen, unabhängig von ihrer Intelligenz.
In dem Beispiel von oben haben zwar beide Verkäufer schlussendlich das gleiche Produkt mit dem gleichen Preis angeboten, jedoch unterschiedliche Preis-Anker verwendet. Der „Bottom-up“-Verkäufer hat ihn bei 800 Euro gesetzt, was somit der Referenzpreis beim Kunden ist. Da wirkt das nächste Angebot über 1.200 Euro wie ein Schlag vor den Kopf und ist preispsychologisch schwer zu verdauen, selbst wenn die Vorzüge des Produkts auf der Hand liegen mögen. Der Anker beim „Top-Down“-Verkäufer lag im Beispiel bei 1.700 Euro. Aus dieser Perspektive wirken 1.200 Euro nicht übertrieben teuer – im Gegenteil. Regel: Präsentieren Sie immer die hochwertige Variante zuerst.
Das Kauferlebnis steigern
Aus einem weiteren Grund ist Top-Down-Selling sinnvoll: Ihr Kunde hat einen Anspruch darauf, auch hochwertige Produkte kennenzulernen. Das heißt nicht, dass ich jedem Kunden immer zuerst das teuerste Produkt anbiete, sondern dass ich bei der Bedarfsanalyse genau hinhöre und dem Kunden dann die qualitativ beste Variante zeige, die zu seinen Wünschen passt.
Selbst wenn der Kunde dann eine preiswertere Variante kauft, habe ich durch das Top-Down-Selling den Erlebniswert des Einkaufs gesteigert. Deshalb: Inspirieren Sie den Kunden, zeigen Sie, was es für großartige Produkte gibt und lassen Sie ihn dann selber entscheiden, was er sich leisten will.
Natürlich gibt es Situationen, in denen es keinen Sinn macht, von oben nach unten zu verkaufen. Das sind Fälle, in denen sich der Kunde bereits für ein bestimmtes Produkt entschieden hat und nur noch den Preis wissen will. In diesen Fällen sollten Sie zuerst auf den konkreten Kundenwunsch eingehen. Allerdings gilt hier die Verkäuferweisheit: Kunden wissen, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen.
Auch wenn der Kunde bereits eine klare Produktvorstellung hat, ist es die Aufgabe eines fachlich versierten Verkäufers, hier noch einmal genau zu verstehen, was den Kunden zu der Produktentscheidung geführt hat. Und dann zu beraten, inwiefern das Produkt zu seinen Anforderungen, Wünschen und Zielen passt.
Top-Down-Selling: Die rhetorische Zauberformel
Um das Top-Down-Selling auch rhetorisch gut zu lösen, möchte ich Ihnen eine passende Formulierung mit auf den Weg geben. Am Ende der Bedarfsanalyse, und noch bevor Sie das erste Produkt präsentieren, sagen Sie:
„Jetzt zeige ich Ihnen als erstes eine richtig gute Sportbrille, weil man hier am besten erkennen kann, worauf es ankommt. Dann prüfen wir, ob das für Sie schon das Richtige ist oder ob wir auf etwas verzichten müssen. Einverstanden?“
Das Zauberwort im Einleitungssatz ist „weil“. Ich erkläre dem Kunden nicht nur, dass ich ihm zuerst ein richtig gutes Produkt zeige, sondern ich liefere die Begründung gleich mit. Wie mächtig dieses unscheinbare „weil“ in der Verkaufspsychologie ist, zeigen Forschungen.
Der Kopierer-Test von Hellen Langer
Die Harvard-Sozialpsychologin Hellen Langer hat in den 80er-Jahren Tests durchgeführt, um herauszufinden, durch welche Begründungen sich Menschen überzeugen lassen. „Tatort“ war der Kopierer der Universitätsbibliothek, an dem immer jemand kopiert. Sie hat versucht, früher als die anderen an die Reihe zu kommen und dabei drei verschiedene Sätze verwendet, um herauszufinden, welcher den größten Erfolg bringt.
- Satz 1: „Entschuldigung. Ich habe fünf Seiten. Kann ich bitte an den Kopierer, weil ich es eilig habe?“ – Die Erfolgsrate lag bei 94 %, die meisten ließen die Dame vor. Nachvollziehbar, oder? Sie ist schließlich in Eile.
- Satz 2: „Entschuldigung. Ich habe fünf Seiten. Kann ich bitte an den Kopierer?“ Die Vordrängel-Erfolgsrate lag nur noch bei 60 %: Auch das ist verständlich: Da könnte ja jeder kommen. Doch dann wird es kurios:
- Satz 3: „Entschuldigung. Ich habe fünf Seiten. Kann ich bitte an den Kopierer, weil ich ein paar Kopien machen muss?” – Hier lag die Erfolgsrate bei erstaunlichen 93 %. Dabei ist die „Begründung“ doch ein Witz!
Das Zauberwort ist einzig und allein das „weil“, da wir konditioniert sind, bei Begründungen – selbst wenn sie keine sind – einer Bitte Folge zu leisten. Das „weil“ ist der Trigger, die Begründung ist nach Hellen Langer zweitrangig. Deswegen werden solche Begriffe „Trigger-Begriffe“ genannt, weil sie eben einen Automatismus auslösen sprich: triggern.
Die Erlaubnis zum Testen
Nach der Begründung mit “weil” folgt der zweite Satz des Top-Down-Selling-Sprachmusters. Der zweite Satz ist die Erlaubnis zum Testen: „Und dann prüfen wir, ob das für Sie schon das Richtige ist oder ob wir auf etwas verzichten müssen. Einverstanden?“
Mit diesem Satz holen Sie sich das Einverständnis des Kunden, sich durch ein besonders gutes Produkt inspirieren zu lassen. Gleichzeitig bereiten Sie mögliche Kompromisse vor, die notwendig werden können, wenn das Preissegment zu hoch ist.
Ich habe noch eine weitere Methode, die Sie ausprobieren können, wenn Sie das Top-Down-Selling professionell einleiten wollen. Es handelt sich um eine Fragetechnik, die Sie am Ende Ihrer Bedarfsanalyse nach einer Zusammenfassung des Kundenbedarfs stellen können, aber noch bevor Sie die Top-Down-Selling-Zauberformel einsetzten. Die Frage lautet: Wie wichtig ist Ihnen das Thema Qualität?
So setzen Sie den Qualitätsanker
Was da als harmlose Frage um die Ecke kommt, hat es verkaufspsychologisch in sich. Wir sprechen hier vom „Framing“ oder auch „Priming“. Ziel dieser subtilen Frage ist ein Commitment des Kunden zur Qualität und damit zugleich zu einem hochwertigen Produkt. Das funktioniert sehr gut. Ich habe noch keinen Kunden erlebt, der nach dieser Frage geantwortet hätte: „Qualität ist unwichtig, ich kaufe nur billigen Schrott.“
Aber es gibt Kunden, denen diese Frage zu hochpreisig klingt und die einschränkend antworten: „Ja, Qualität ist wichtig, aber bitte nicht zu teuer.“ Fragen Sie aber jetzt nicht, was der Kunde ausgeben möchte, denn sonst verderben Sie sich den psychologischen Vorteil des Top-Down-Sellings. Stattdessen erwidern Sie: „Ja, ganz klar, das muss schon ein solides Preis-Leistungsverhältnis sein, da bin ich zu 100 % bei Ihnen.“
Was auch immer der Kunde antwortet: Das Bekenntnis zur Qualität haben Sie sauber herausgearbeitet und, wie wir alle wissen: Qualität hat ihren Preis.
Warum nutzt nicht jeder Verkäufer das Top-Down-Selling? Berechtigte Frage. Aus meiner Erfahrung liegt das zu 20 % am Handwerkszeug und zu 80 % am falschen Mindset. Manchmal weiß man nicht, wie man den „Dreh“ auf das hochpreisige Produkt hinbekommt. Aber mit der Formulierungshilfe von oben sollte das in Zukunft kein Problem sein. Es ist eine Frage der richtigen Einstellung.
Das Mindset macht den Unterschied
Es gibt nicht zu wenige Verkäufer, die denken für den Kunden über dessen Portemonnaie nach und kommen danach zu dem Schluss, dass z.B. Gleitsichtgläser für über 1.000 Euro zwar schön für den Kunden wären, aber das Gläser für 500 Euro ein eher akzeptables Preis-Leistungsverhältnis für den Kunden darstellt. Es wird also gar nicht erst die hochpreisige Variante vorgestellt.
Ein Verkäufer, der für seine Kunden die Entscheidung trifft, nimmt ihm nicht nur den Spaß am Einkaufen, sondern sich selbst auch die Möglichkeit, gut zu verkaufen. Oder der Augenoptiker bzw. die Augenoptikerin preist die Sportbrille für 100 Euro an und wundert sich, warum das Modell für 499 Euro im Regal liegen bleibt wie Blei. Die Antwort, die man hier häufig hört: „Wir haben dafür nicht die richtigen Kunden“. Manchmal stimmt das, aber meistens liegt die Ursache im fehlenden Mut des Verkäufers, hochpreisiger einzusteigen.
Summenangst adieu!
Summenangst bedeutet, dass ein Verkäufer (manchmal unbewusst) Angst davor hat, Produkte vorzuschlagen, die einen (für ihn) zu hohen Preis haben. Dahinter stecken unterschiedliche Gedanken, die nicht zielführend sind. Ich nenne sie Gedankenviren. Die fünf gefährlichsten sind:
- Perfektionismus: „Ich darf keine Fehler machen und will immer Erfolg haben.“
- Reputation: „Ich möchte nicht aufdringlich, bedürftig oder plump erscheinen.“
- Angebotsangst: „Mein Angebot ist nicht gewollt, nicht passend. Ich verschwende die Zeit der Leute.“
- Negatives Denken: „Alles ist schwer. Der Markt ist gesättigt. Die Leute haben kein Geld.“
- Emotionale Verletzlichkeit: „Es tut weh, wenn ich abgelehnt werde. Das frustriert mich, mir fehlt die Wertschätzung.“
Wie bekommen Augenoptiker solche Erfolgs-Verhinderer in den Griff? Der erste Schritt besteht darin zu merken, welche Gedankenviren man mit sich herumträgt. Dann muss man sich klar machen, was diese Denke für den eigenen Verkaufserfolg bedeutet. Wenn ein Augenoptiker dann merkt, dass er bisher mit angezogener Handbremse im Verkauf unterwegs war, muss er einfach die oben ausgeführten Sprachmuster anwenden. Nichts ist motivierender als Erfolg. Denn wirkliche Motivation kommt nur durch selbst erlebte Erfolge zustande.
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Thomas Bottin hilft als Trainer und Berater Vertriebsteams, die wichtigsten Werkzeuge für erfolgreiches Verkaufen zu kennen, zu testen und erfolgreich anzuwenden. Als Gründer von „Umsatzuni“ gibt er Tipps, Techniken und Strategien, die Verkäufern helfen, besser zu verkaufen.
Artikel aus der eyebizz 3.2023 (April/Mai)