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Interview mit Prof. Dr. Stefan Schaltegger

Nachhaltigkeit: Auch kleine Firmen können Maßstäbe setzen

Kaum ein Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum hat sich so intensiv mit nachhaltigem Wirtschaften beschäftigt wie Prof. Dr. Stefan Schaltegger von der Leuphana Universität Lüneburg. Im eyebizz-Gespräch macht der gebürtige Genfer den Begriff Nachhaltigkeits-Management anschaulich und gibt Tipps für Nachhaltigkeit im Unternehmen.

Nachhaltigkeit: Stefan Schaltegger c Leuphana Uni
Rief den Studiengang Nachhaltigkeits-Management ins Leben: Prof. Dr. Stefan Schaltegger von der Leuphana Universität Lüneburg (Bild: Leuphana Universität)

eyebizz: Herr Prof. Schaltegger, zunächst herzlichen Glückwunsch! Der von Ihnen ins Leben gerufene Aufbaustudiengang Nachhaltigkeits-Management an der Leuphana Universität feiert dieses Jahr 20-jähriges Bestehen, weltweit der erste seiner Art. Wer studiert eigentlich bei Ihnen?

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Prof. Stefan Schaltegger: Die Bandbreite ist groß. Wir haben eine vielfältige Gruppe hoch motivierter Persönlichkeiten. Das Durchschnittsalter ist Mitte 30. Alle Studienrichtungen und Branchen sind vertreten, viele haben Wirtschaft studiert, andere sind Ingenieure oder kommen aus den Natur- oder Geisteswissenschaften.

Wir haben sogar einen pensionierten Theologen, der ein Energie-Management für Kirchen in Norddeutschland geplant hat. Mit dem Studium hat er sich die Voraussetzungen dafür erarbeitet.

Viele haben bereits Karriere bis ins mittlere Management gemacht, doch was ihnen häufig fehlt, ist der Sinn im Beruf. Sie möchten etwas Sinnstiftendes tun; da sehen sie Nachhaltigkeit als Chance.

Leuphana Universität Lüneburg
Leuphana Universität in Lüneburg (Bild: Leuphana Universität)

Was raten Sie mittelständischen Unternehmern, die sich nachhaltig aufstellen wollen?

Zunächst sollten die Verantwortlichen das Thema im Unternehmen in einer Vision oder einem Leitbild schriftlich verankern. Allen Mitarbeitern muss bewusst sein, welches Verständnis von Nachhaltigkeit für ihr Unternehmen gilt. Es sollte deutlich werden, dass das Thema eine wichtige Rolle spielt.

Zweitens empfiehlt es sich, eine Bestandsaufnahme zu machen: Was sind die wichtigsten Nachhaltigkeits-Themen, denen wir als Unternehmen besonders ausgesetzt sind? Wo sind wir exponiert? Das ist für Hersteller von Brillengläsern anders als für einen Produzenten von Fassungen und wieder anders für Augenoptiker.

Orientieren können sich Unternehmer an den Nachhaltigkeits-Zielen der Vereinten Nationen, auf die sich 193 Nationen geeinigt haben. Damit kann systematisch identifiziert werden, welche Themen das Unternehmen besonders betreffen. Üblicherweise beginnt man mit dem eigenen Betrieb. Ein nächster wichtiger Schritt wäre zu fragen: Wie sieht unsere Lieferkette aus? Andere Ansatzpunkte sind: Wie werden unsere Produkte genutzt? Welchen Konsum- und Lebensstil legen wir damit nahe?

Der Aspekt, wie langlebig ein Produkt ist, gehört auch dazu?

Ja! Und die Frage: Überlassen wir unseren Kundinnen und Kunden die Entsorgung? Ist am Ende alles Deponie-Abfall? Und ließe sich das besser machen?

Hat man Nachhaltigkeits-Probleme identifiziert, muss man entscheiden, welche Priorität sie haben. Dann lassen sich entsprechende Maßnahmen entwickeln. Dabei kann man das Umweltmanagement-Gütesiegel der Europäischen Union EMAS zugrunde legen, zu Deutsch: „Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung“.

Unternehmer haben hier ein Regelwerk, an dem sie sich ausrichten können. Wichtig wäre mir dabei: Man sollte nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen betrachten: Wie können wir als Unternehmen einen positiven Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten?

Damit klingt eine globale Verantwortung an. Wie kann ich jenseits der Grenzen meines Unternehmens Nachhaltiges bewirken?

Bezogen auf die Augenoptik könnte man sich fragen: Wo gibt es Menschen, die Augenprobleme haben, sich aber keine Brillen leisten können, etwa im eigenen Land, aber auch in weniger entwickelten Ländern im globalen Süden. Und wie könnte man dort helfen? Die deutsche Entwicklungshilfe-Organisation EinDollarBrille e.V. ist hier ein gutes Vorbild und hat zu Recht einen „Next Economy Award“ bekommen.

Martin Aufmuth in Malawi c EinDollarBrille
Seit 2012 sorgt der Physiklehrer Martin Aufmuth mit seinem Sozialunternehmen EinDollarBrille dafür, dass Menschen in Entwicklungsländern ihre erste Brille bekommen, wie hier in Malawi (Bild: EinDollarBrille e.V)

Man muss sich klar machen: Ein nachhaltiges Unternehmen ist kein Unternehmen, das einfach nur spendet, sondern dort zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt, wo es besondere Kompetenzen hat, nämlich in seinem Kerngeschäft. Kooperationen jenseits des Kerngeschäfts mit sozialen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder der EinDollarBrille sind ergänzend hilfreich, können aber nicht das Engagement im Kerngeschäft ersetzen.

Wenn Unternehmen Produkte und Dienstleistungen anbieten, die nachhaltig entstehen, ist das nicht häufig mit Mehrkosten verbunden, die der Verbraucher zahlen muss?

Eine Berücksichtigung von Nachhaltigkeits-Aspekten führt nicht zwangsläufig zu höheren Kosten. Das ist eine Klischeevorstellung. Im Gegenteil: Überall, wo Unternehmen Energie oder Material sparen können, ist das Potenzial da, auch Kosten zu senken.

Manchmal müssen Unternehmen zwar zunächst höhere Investitionen tätigen, doch die Betriebskosten werden dadurch niedriger. Wenn man die Nutzung über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, ist es dann häufig billiger. Die Wärmepumpe ist ein Beispiel dafür. Über 20 Jahre betrachtet ist sie deutlich günstiger als andere Heizsysteme.

 

„Wie stark das Thema Nachhaltigkeit nach außen kommuniziert wird, hängt von den Kunden ab.“

(Prof. Dr. Stefan Schaltegger)

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Man kann aber auch fragen: Welche Qualität ist für ein Produkt aus Perspektive der Konsumenten-Nutzung notwendig? Ich hatte vor Jahren das Beispiel eines Brillenglas-Herstellers, dessen Gläser eine besondere Sauberkeit aufwies, die aber sofort verloren ging, sobald die Gläser aus der Verpackung genommen wurden. Auf diese Sauberkeitsstufe konnte der Hersteller getrost verzichten, weil sie beim Kunden gar nicht ankam.

Und wenn Produkte deutlich teurer werden, weil besonders nachhaltige Materialien verwendet werden?

Dann stellt sich die Frage, wie das Unternehmen den Mehrwert so kommunizieren kann, dass Kunden auch eine höhere Zahlungsbereitschaft haben. Mit Marktforschung kann ein Unternehmer die Kaufkriterien für seine Produkte identifizieren, die mit Nachhaltigkeits-Argumenten unterstützt werden können.

Beispiele für solche Argumente sind, dass das Produkt keine krebsfördernden Substanzen erhält oder aus allergiefreien Materialien besteht. Nicht nur im Lebensmittelbereich spielt der Gesundheitsaspekt bei nachhaltigen Produkten oft eine große Rolle.

Das Thema Nachhaltigkeit ist Teil der Unternehmens- und Marken-Kommunikation. Wie stark soll man diesen Aspekt nach außen kommunizieren?

Das hängt von der Kundschaft ab. Wir hatten ein Projekt mit einem führenden Champagner-Hersteller, der zu dem Schluss kam, dass es besser wäre, die eigenen Nachhaltigkeits-Bemühungen nicht nach außen zu kommunizieren, dabei ist das Thema für das Unternehmen durchaus von Bedeutung, zum Beispiel für die Qualitätssicherung und Risikoreduktion.

So hat man mit allen Traubenlieferanten Verträge abgeschlossen, dass sie nur minimal Pestizide verwendet dürfen, und falls ja, mit genauer Angabe. Da für einen Teil der Kunden dieses Unternehmens Nachhaltigkeit ein kontroverser oder ideologisch besetzter Begriff ist, wird das in der Kommunikation nicht in den Vordergrund gestellt.

Verbraucher sollen nachhaltig konsumieren, Unternehmen nachhaltig produzieren, die Politik soll passende Rahmenbedingungen liefern. Wer ist am stärksten in der Pflicht?

Das hängt von der Ausgangslage ab. Manchmal ist es die Politik, manchmal sind es die Unternehmen, manchmal sind es vielleicht Medien, die den Ausschlag für die nächsten Entwicklungs-Schritt geben. Man nehme nochmals das Beispiel Wärmepumpen. Die gibt es schon seit vielen Jahren und sie wurden technisch immer weiter verbessert. Doch um eine Wärmewende hinzubekommen, ist die Politik in der Pflicht. Sie muss die Rahmenbedingungen so ändern, dass die Wärmepumpe zum Massenmarkt wird und nicht in der Nische bleibt.

Bionade c Bionade GmbH
Mit der Öko-Limonade „Bionade“ setzte eine kleine Unternehmerfamilie aus der Rhön einen Trend, mittlerweile geht das Avantgarde-Getränk in der Masse der Bio-Limos fast verloren (Bild: Bionade GmbH)

Ganz anders der Markt für Softgetränke, dort haben erst Unternehmen den Anstoß zu nachhaltigeren Produkten gegeben. Es waren Pioniere wie die regionale Brauerei Bionade und die Naturkost-Safterei Voelkel, die entsprechende Produkte auf den Markt brachten und so gesellschaftliche Trendsetter wurden. Heute sind in Deutschland, je nachdem, wie man den Soft-Getränkemarkt definiert, ein großer Teil des Segments Bio-Getränke. Bei dieser Entwicklung hat die Politik keine Rolle gespielt.

Jeder, also auch ein kleines Start-up, kann Maßstäbe für Nachhaltigkeit setzen?

Wer hat die Innovation? Wer das Geschäftsmodell? Wer die entsprechende Kommunikation, um das überzeugend genug voranzubringen? Es ist immer ein Zusammenspiel zwischen den Akteuren. Häufig wird Unternehmen zu wenig Vertrauen geschenkt oder zu wenig zugemutet.

Das ist meines Erachtens nicht gerechtfertigt, denn Innovationen kommen von den Unternehmen. Eine nachhaltige Entwicklung ohne nachhaltige Entwicklung von Unternehmen wird nicht gelingen.


/// Die Fragen stellte Jürgen Bräunlein.

 

Wann ist ein Unternehmen nachhaltig?

Eine Antwort von Prof. Dr. Stefan Schaltegger

Die Frage, was ein nachhaltiges Unternehmen genau sei oder kennzeichnet, lässt sich kaum oder nur mit vielen Erläuterungen beantworten. Die Annäherung an eine Antwort kann über die Umkehrfrage versucht werden: „Was kennzeichnet unnachhaltige Unternehmen?“

Eng betrachtet würde ein nachhaltiges Unternehmen überhaupt keine Schäden und nur Werte schaffen, während ein unnachhaltiges Unternehmen Schäden verursacht. Beispiele für absolut nachhaltige Unternehmen, Projekte oder Unterfangen sind aber weitgehend unbekannt. Jede menschliche Aktivität kreiert nicht nur Werte, sondern verursacht auch Schäden oder Kosten.

Grob ausgedrückt schafft ein nachhaltiges Unternehmen demnach zuerst einmal mehr Wert und Werte, als es Schäden verursacht. Bei dieser Aussage sind der Werte- und der Schadensbegriff erstens weit gefasst und beinhalten gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Werte und Schäden. Zweitens wird das Konzept der starken Nachhaltigkeit unterstützt, dass eine Minderung von Werten einer Art (z. B. ökologische Werte) nicht durch die Schaffung anderer (z. B. ökonomischer) Werte kompensiert werden kann.

Unnachhaltigkeit kann demnach anhand folgender Punkte diskutiert werden:

• direkte Wirkung der Unternehmenstätigkeit, wie Emissionen aus der Produktion im Umweltbereich, Kinderarbeit im Sozialen oder Korruption und Überschuldung im Ökonomischen;

• negative indirekte Wirkungen der in die Welt gesetzten Produkte, wie beispielsweise gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Konsum der Produkte des Unternehmens, persistente Gifte in der Entsorgungsphase oder teure Altlasten verursachende Produktteile;

• untaugliche Managementsysteme, die falsche Informationen über die nachhaltigkeits-relevanten Wirkungen und Nebenwirkungen von Management-Entscheidungen liefern oder Umsetzungsdefizite begünstigen sowie

• ein zu kurz greifendes Geschäftsmodell, das soziale oder ökologische Innovationen hemmt oder unnachhaltige Produktions- und Konsummuster begünstigt.

Der Anspruch, nachhaltig zu wirtschaften, stellt den Gegenentwurf zu „Business as usual“ dar und fordert materielle Veränderungen zur Verfolgung mitunter als unerreichbar bewerteter Ziele. Überspitzt formuliert muss ein völlig nachhaltiges Unternehmen über folgende Eigenschaften verfügen:

• Das Unternehmen schafft gesellschaftliche und ökonomische Werte.

• Die völlig emissionslose, ausschließlich kompostierbare Produkte erzeugende Firma verursacht keinerlei direkte negative Wirkungen und handelt innerhalb natürlicher Grenzen von Ökosystemen.

• Vom Unternehmen gehen keine indirekten negativen Wirkungen aus. Die nachhaltigen, nutzenstiftenden Produkte induzieren ausschließlich vorteilhafte Wirkungen in der Lieferkette und nachhaltiges Konsum- und Weiterverwertungs-Verhalten bei den Nutzern.

• Das Unternehmen handelt als „kreativer Zerstörer“ unnachhaltiger Wirtschafts- und Gesellschafts-Strukturen, indem unnachhaltige Unternehmen, Konsum- und Lebensstile durch eine Nachhaltigkeits-Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft verdrängt werden.

• Das Geschäftsmodell dient als Vorbild für andere und das Unternehmen. Es wirkt über direkte Markt-Effekte hinaus und schafft Markt- und Gesellschafts-Strukturen, die eine nachhaltige Entwicklung fördern.

Die Darstellung zeigt, dass offensichtlich kein Unternehmen radikal formulierten Nachhaltigkeits-Vorstellungen entspricht. Dennoch können bezüglich der Produktion, Produkte, Lieferketten, Management-Systeme und Geschäftsmodelle deutliche Nachhaltigkeits-Unterschiede zwischen Unternehmen identifiziert werden.

Auch wenn kein Unternehmen vollständig nachhaltig ist (und es vielleicht auch nicht sein kann), und auch wenn die Frage unbeantwortbar bleibt, wann ein Unternehmen als ausreichend nachhaltig bezeichnet werden kann, so liefern die oben genannten Kernthemen dennoch eine Orientierung im Spektrum zwischen Unnachhaltigkeit und Nachhaltigkeit. Dabei befasst sich Nachhaltigkeits-Management mit der Ausgestaltung des Pfades, der sich in diesem Spektrum von der Unnachhaltigkeit in Richtung Nachhaltigkeit bewegt.


/// Jueb

 

Artikel aus der eyebizz 4.2023 (Juni/Juli)

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Nachhaltig?
    Ganz einfach: Keine Brillen mehr aus China.
    Den Menschen und der Umwelt zuliebe.

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