Müde Augen, Nacken-Verspannungen und andere Symptome nach einem langen Tag vor dem Bildschirm werden von vielen als normal angesehen – obwohl sie vermeidbar wären. Grund genug, das Thema Digitaler Sehstress beim 59. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön Ende September aus wissenschaftlicher Sicht zu beleuchten.
Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön, begrüßte namhafte Referenten und 175 Zuhörer, um über digitalen Sehstress zu diskutieren. Dieser kann alle Lebensphasen betreffen, von der Jugend bis ins Alter. Optimale optische Korrektion und Ergonomie müssten Hand in Hand gehen, um beschwerdefreies Sehen an Computer, Smartphones oder Tablets zu ermöglichen.
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Es bestehe ein enormer Bedarf, so Grein, Bewusstsein für das Thema in der Bevölkerung zu schaffen sowie an Beratungsangeboten für hilfesuchende Menschen. Vor allem Augenärzte, Augenoptiker, Arbeitsmediziner und Spezialisten für Ergonomie am Arbeitsplatz seien an dieser Stelle gefragt und könnten wesentlich dazu beitragen, Beschwerden zu vermeiden und Augengesundheit langfristig zu erhalten.
Digitaler Sehstress: Epidemiologie
Mit der Frage nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Thema Digitaler Sehstress übergab Grein das Wort an den ersten Referenten: Oliver Kolbe, M.Eng., Optometrist, Regiomed Rehaklinik Masserberg, Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Etwa 78 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa verfügten über einen Bildschirm, unterstrich Kolbe die immense Relevanz des Themas. Die Nutzungsdauer digitaler Medien liege bei durchschnittlich acht Stunden pro Tag, ohne die Fernsehzeit.
Das Lesen von Zeitungen und Büchern finde immer häufiger digital statt, obwohl dies für die Augen signifikant anstrengender sei als die analoge Alternative. Dies begründe sich in der kürzeren Leseentfernung, die Nutzer unweigerlich einnehmen, doch auch die immer besser werdende Display-Auflösung stelle ein Problem dar. Mit immer besser werdenden Displays könnten immer mehr Details dargestellt werden, die es gleichzeitig zu verarbeiten gelte.
Zudem verhinderten Monitore das natürliche Sehen. Natürliche Augenfolge-Bewegungen werden durch ruckartige, abrupt endende Blicksprünge zwischen Maus und Monitor abgelöst. Der Adaptations-Mechanismus wird durch die stets gleiche Helligkeit des Monitors einer konstanten Belastung ausgesetzt. Diese Faktoren bedeuten Stress und Überforderung für den Körper, worauf er mit müden, geröteten, brennenden Augen, verschwommenem Sehen zum Teil in Kombination mit Doppelbild-Wahrnehmungen und Kopfschmerzen reagiere.
Prävention von Sehstress
Die benannten Stress-Reaktionen gleichen zu einem erheblichen Teil den Symptomen des trockenen Auges. „Bildschirmarbeit ist ein verlässlicher Risikofaktor für die Entwicklung des trockenen Auges“, erläuterte Kolbe. Dies führte der Referent vor allem auf fehlendes oder unvollständiges Blinzeln am Bildschirm zurück.
Ein vollständiger Lidschluss fördere einerseits die Expression des öligen Sekrets aus dem Meibomdrüsen, außerdem sorge er für dessen gleichmäßige Verteilung. Bleibe dieser aus, verhärte das Sekret in den Drüsen-Ausgängen, die Drüsen verstopfen und gehen im schlimmsten Fall in die Apoptose. Durch das fehlende Lipid verdunste vermehrt Tränenflüssigkeit, was in den genannten Symptomen resultiere.
Durch Prävention am Arbeitsplatz könne dies zu großen Teilen verhindert werden. Verhinderung von Zugluft, eine Luftfeuchtigkeit von mehr als 40 Prozent, Grünpflanzen zur Verbesserung des Raumklimas sowie Temperaturen zwischen 17 bis 20°C förderten die Arbeitsplatzgesundheit. Für die Augen seien regelmäßige Pausen nach der 20-20-20-Regel empfohlen: alle 20 Minuten für 20 Sekunden ein Objekt in einer Entfernung von 20 Fuß – in der Ferne – anschauen. Nicht zuletzt diene eine optimale Korrektion am Bildschirm-Arbeitsplatz der Prävention von digitalem Sehstress.
Korrektion an Bildschirm oder Display
Bei der Auswahl einer optimalen Sehhilfe am Bildschirm gebe es einiges zu berücksichtigen, eröffnete Dr. rer. medic. Carolin Truckenbrod, M.Sc., Dipl.-Ing. (FH), Optometristin, Leipzig, ihren Einblick in die optischen Versorgungs-Möglichkeiten. Ein wesentlicher Aspekt der Versorgung stelle eine gute Korrektion dar. Im Alltag bleibe ein kleiner unkorrigierter Zylinder häufig unbemerkt, bei andauernder Bildschirmarbeit trage dessen Korrektion bereits zur Linderung der Symptome des digitalen Sehstress bei.
Nicht selten sei eine Akkommodations-Störung Auslöser der Anstrengungs- und Ermüdungs-Erscheinungen. Immerhin leiden etwa zehn Prozent der Nicht-Presbyopen an einer Akkommodations-Insuffizienz, führte Truckenbrod an. Bildschirmgläser, die bereits mit kleinen Additionen verfügbar seien, stellten in diesen Fällen eine gute Wahl dar. Auch bei der Versorgung von Presbyopen sei die Wahl eines auf den Arbeitsplatz des Kunden abgestimmten Brillenglases die optimale Versorgung. Je genauer Kunden ihren Arbeitsplatz und die Arbeitsabstände kennen und beschreiben können, desto zielgerichteter könne die Auswahl des Brillenglases erfolgen.
Klassische Gleitsichtgläser seien weniger gut für die Arbeit am Bildschirm geeignet. Diese liege einerseits an der Zentrierung, die in der Regel für die Ferne optimiert werde. Für die Erfassung des Monitors müsse der Kunde den Kopf unnatürlich anheben und so eine Zwangshaltung einnehmen. Auch die Berechnung der Gläser erfolge für die Ferne, was am Bildschirm zu einer verstärkten Wahrnehmung des Schaukel-Effekts führe.
Wirksamkeit von Blaulicht-Filtern
Der Beratungsbedarf zu speziellen Filtern oder Entspiegelungen, die dem Schutz der Augen dienen, sei durch die mediale Aufmerksamkeit in den vergangenen Monaten erheblich gestiegen, berichtete Truckenbrod. „Blaulicht-Filter fallen in Studien durch“, titelte der Spiegel im August dieses Jahres als Reaktion auf die veröffentlichte Übersichtsarbeit von Singh et al. bezüglich der Wirksamkeit von Blaulicht-Filtern. Die Arbeitsgruppe analysierte 17 kontrollierte Studien aus sechs Ländern.
Die einzelnen Studien hatten zwischen fünf und 156 Teilnehmer und liefen über einen Zeitraum von bis zu fünf Wochen. Truckenbrod setzte sich kritisch mit der Frage auseinander, ob die Schlussfolgerung, wie sie beispielsweise der Spiegel zog, gerechtfertigt sei. Dazu warf sie selbst einen Blick in die von Singh eingeschlossenen Arbeiten. Diese untersuchten die Wirksamkeit von Blaulicht-Filtern auf die Reduzierung von Ermüdungs-Erscheinungen am Bildschirm, die Verbesserung der Schlafqualität und den Schutz der Makula.
Es falle auf, dass die einzelnen Studien jeweils sehr klein seien und nur über einen kurzen Zeitraum liefen. Die aktuellen Daten zeigten keine Evidenz für die Wirksamkeit der Filtergläser. Um eine sichere Aussage über die Wirksamkeit von Blaulicht-Filtergläsern zu treffen, fehle es jedoch an weiteren, größeren Studien, die die Effekte über einen längeren Zeitraum untersuchen, resümierte Truckenbrod.
Arbeitsplatz-Ergonomie
Mindestens so wichtig wie die optimale optische Versorgung sei die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes, meinte Jennifer Müller, M.Sc., Optometristin, Regiomed Rehaklinik Masserberg. Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) habe einen umfassenden Leitfaden entwickelt, der sich alleine diesem Thema widme. Dieser berücksichtige die rechtlichen Anforderungen der Arbeitsstätten-Verordnung und beinhalte wertvolle Tipps für die Entlastung der Augen und der Körperhaltung.
Entspanntes Lesen auf dem Monitor sei gegeben, wenn die Schriftgröße auf einem in 70 Zentimetern entfernt stehenden Monitors der Schriftgröße Arial 18 pt entspreche. „Die meisten nutzen die Schriftgröße 11 pt, das ist 35 Prozent kleiner als empfohlen.“ Beim Kauf eines Monitors sollte darauf geachtet werden, dass dieser neigbar, drehbar, höhenverstellbar und mit einem Eco-Sensor ausgerüstet sei. Letzterer ermögliche die automatische Anpassung der Monitorhelligkeit an die Umgebungsleuchtsichten und verhindere so zu große Helligkeits-Unterschiede im Gesichtsfeld. Auch bei der Wahl der Eingabehilfen gebe es einiges zu beachten und auszuprobieren. So könne die Art der Maus als auch die Position und Größe der Tastatur angepasst werden und Zwangshaltungen entgegenwirken.
Misch-Arbeit als Ziel
Das erstrebenswerte Ziel für die Tätigkeit am Bildschirm sei eine dynamische Misch-Arbeit. Das bedeute eine Mischung aus Tätigkeiten mit verschiedenen Sehanforderungen im Sitzen, Stehen und in Bewegung. Die Expertin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Drucker im Idealfall in einem separaten Raum stehen solle. Dort sei er weniger störend, außerdem stelle der Gang zum Drucker eine wünschenswerte Unterbrechung der sitzenden Tätigkeit dar.
Diese könne zusätzlich durch einen höhenverstellbaren Arbeitstisch unterstützt werden, der stehende und sitzende Tätigkeit erlaube. Diese Form des dynamischen Arbeitens führe zu einem signifikanten Rückgang von Rückenschmerzen. Während des Sitzens sollte auf eine individuelle Einstellung des Stuhls geachtet werden. Die Sitzhöhe sei so einzustellen, dass kleine Benutzer ausreichenden Beckenhalt durch die Rückenlehne finden und große Benutzer ausreichende Auflageflächen für die Oberschenkel haben. Dabei müsse der Kniekehlen-Bereich frei bleiben, um Durchblutungs-Störungen in den Beinen zu vermeiden.
Wer neben der Bildschirmarbeit den Rücken trainieren und stärken wolle, könne dies durch die Verwendung eines Balancekissens tun. Die mit Luft gefüllten Kissen fördern das dynamische Sitzen. Man solle jedoch nicht zu ehrgeizig starten, da diese Art des Sitzens im Alltag nicht beanspruchte Muskelgruppen anspreche und Muskelkater keine seltene Nebenwirkung darstelle.
Das 60. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön findet statt am 29. November 2023.