Künstliche Intelligenz wird immer mehr genutzt, löst den Menschen manchmal sogar schon ab. Auch in der Augenoptik befassen sich viele Unternehmen bereits mit den Möglichkeiten, die KI-Tools bieten. eyebizz fragte bei den Herstellern nach, wo sie zum Einsatz kommt und wo der Mensch noch die Nase vorn hat.
Vergleichen Wissenschaftler die Künstliche Intelligenz (KI) mit dem biologischen Pendant, so stellen sie durchaus eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit fest, die ihre Ursache in der verschiedenartigen „Konzeption“ hat. Wo die Technologie mit unglaublicher Geschwindigkeit riesige Datenmengen analysieren und auswerten kann und optimierende Rückschlüsse zieht, ist die natürliche oder biologische Intelligenz (BI) mit dem evolutionär entwickelten Gehirn in der Lage, schon aus wenigen Beispielen zu lernen und einmal gelerntes Wissen auf neue Bereiche und Situationen zu übertragen.
Anzeige
Gehirnzellen sind immer aktiv, tauschen sich aus und verknüpfen sich, während im künstlichen neuronalen Netzwerk „nur“ einmal eingegebene Daten „abgearbeitet“ werden. Prozesse und Abläufe müssen hier Schritt für Schritt simuliert und mühsam „erlernt“ und Aufgabenstellungen sehr detailliert benannt werden, damit die KI es „bringt“.
Daten-Analyse in der Augenoptik
Es befassen sich viele Unternehmen in der Augenoptik bereits mit den Möglichkeiten, die KI-Tools bieten, manche wollen das aber nicht oder noch nicht offenlegen, was auch als Rückmeldung auf unsere Recherche berichtet wurde. Es gab aber auch spannendere Antworten.
Stichwort Bildklassifizierung: Sozusagen als „KI der ersten Stunde“ in der Augenoptik von verschiedenen Software-Anbietern schon genutzt, wie zum Beispiel seit neun Jahren vom dänischen Unternehmen Retinalyze. Mittels KI werden Fundusbilder auf mögliche Netzhaut-Veränderungen wie Glaukom, diabetische Retinopathie oder altersbedingte Makula-Degeneration überprüft. Das funktioniert so gut, dass einige Hersteller diesbezüglich nachgezogen haben.
Zum Beispiel auch Gerätehersteller, denn von der Software ist es nicht weit zu den Messgeräten. So ist etwa auch bei Visionix die Funduskamera zur Analyse des Augenhintergrundes an eine KI angebunden. Auch im Datenmanagement und Marketing nutzen die Ratinger die neue Technologie. Die Oculus Optikgeräte GmbH in Wetzlar lässt sich seit einiger Zeit bei diversen Auswertungen sowie in der organisatorischen Produktions- und Prozessplanung davon unterstützen. Die KI übernehme die Aufgaben, die eine effiziente Verwaltung und Verarbeitung großer Datenmengen erfordern.
Letzteres fällt auch bei den Messungen zu Brillengläsern an. Durch die KI basierte Auswerte-Unterstützung beim 3D-Videozentriersystem Impressionist von Rodenstock können Augenoptiker beispielsweise seit einigen Jahren Messdaten viel schneller und einfacher bestimmen. Die Münchener nutzen zur Berechnung ihrer biometrischen Brillengläser (B.I.G. Norm) seit 2022 KI, mit deren Hilfe ein approximatives biometrisches Augenmodell erstellt werden könne, auch wenn nur die vier Standard-Refraktionswerte bei der Augenvermessung ermittelt würden. Weitere Anwendungen finden sich unter anderem bei der Qualitätskontrolle und Prozess-Überwachung der Fertigungsmethoden.
Der Mensch (noch) als Aufsicht
Auf die Frage, ob noch in irgendeiner Form mit biologischer Intelligenz nachjustiert werde, also Kontrolle durch Mitarbeitende stattfinde, sind die Antworten unterschiedlich.
Oculus-Geschäftsführer Matthias Kirchhübel meint zum Beispiel: „Trotz des umfangreichen Einsatzes von KI bleibt die Kontrolle durch Mitarbeitende, also die biologische Intelligenz, eine unverzichtbare Komponente, besonders bei unvorhersehbaren Ereignissen und in der Qualitätskontrolle. Diese menschliche Überwachung und Priorisierung sind notwendig, um sicherzustellen, dass die KI-Systeme optimal funktionieren und die gewünschten Ergebnisse liefern.“
Bei Visionix setzt man auf die Lernfähigkeit der Technologie. „Wir sehen KI hauptsächlich als Unterstützung, um einen Startpunkt zu setzen. Logisches Denken und auch thematische Expertise muss hier vorhanden sein, um KI gewinnbringend und sinnvoll einsetzen zu können“, so Sascha Hammacher, Digital Marketing Manager.
„Bei unserer Funduskamera analysiert die KI die Fundusbilder und bewertet das Ergebnis mit Hilfe eines Ampelsystems. Hier schaut im Nachgang der Augenoptikermeister/ Optometrist oder ein Augenarzt auf die Ergebnisse. Bei der Befundung sehen wir es jedoch in der Zukunft als entschieden, dass KI hier weiter Strecken der menschlichen Analyse ablösen wird. In weiten Teilen der Medizintechnik ist dies bereits der Fall. KI hat hier einfach den Vorteil, mit zig Krankheitsbildern bespielt werden zu können und im weiteren Verlauf dazuzulernen.“
Und Dr. Dietmar Uttenweiler, Executive Vice President Innovation bei Rodenstock, sagt: „Bei der KI gestützten Berechnung unserer B.I.G.-Norm-Brillengläser sind keine Kontrollen durch Mitarbeiter notwendig. Wir können uns auf das hierdurch generierte biometrische Augenmodell verlassen. Natürlich wurden im Rahmen der Entwicklung umfangreiche Tests, Studien und Konsistenzchecks von unseren Spezialisten durchgeführt.“
KI kann auch kreativ sein
Ein neues Feld ist der Einsatz von KI im kreativen Bereich. Bei OPO Scandinavia (Malmö, Schweden) hat man im Frühjahr 2023 KI-generierte Bilder für die Herbst-Kampagne der Marke Studio Eyewear verwendet. Sarah Lavesson, Marketing & Communication: „Die Umgebungen und menschen-ähnlichen Modelle wurden mithilfe von KI generiert und schufen eine spannende und visuelle Darstellung der Marke. Die physischen Brillen, die in unserem lokalen Designstudio entworfen werden, wurden dann im gleichen Licht und in den gleichen Posen wie die KI-Modelle fotografiert und später dem endgültigen Bild hinzugefügt.“
Entstanden sei dadurch ein fantasievoller neuer Look, der zwei Welten verbinde. „Mit den physischen Brillen ist ein reales Element enthalten, mit dem das Publikum im Geschäft durch Berührung in Kontakt treten kann, was ein taktiles Erlebnis schafft.“
Bei Headrix (New Line Optik, Berlin) ist ein „AI supported process“ seit Herbst 2023 fester Design-Bestandteil und verhilft der Entwicklung neuer Modelle der 3D-Druck-Kollektionen zu einem optimierten Workflow.
„In der Vergangenheit haben unsere Mitbewerber mit der KI gespielt, um ein einzelnes Brillenmodell als Hingucker für einen Messeauftritt zu entwerfen. Uns geht es im Rahmen des Workflows darum, Ideen zunächst schneller visuell und damit auch in der Realität umsetzen zu können. Beim klassischen Designprozess diente ausschließlich eine Bleistiftskizze als Ausgangspunkt. Durch den Einsatz spezieller KI mit entsprechend gezielter Programmierung des Algorithmus können wir nun schon frühzeitig brauchbare Ergebnisse in Form von zweidimensionalen Grafiken erhalten“, beschreibt Jörg Wachsmuth, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Vorteile.
Der Mensch weiß besser, wie der Mensch tickt
Aber die Designer werden nicht gleich brotlos: „Im Designprozess geht es auch um eine Auswahl-Entscheidung, diese wird von uns im Team getroffen. Dann muss der mit KI entstandene Entwurf noch feinjustiert und nachgearbeitet werden in eine 3D-Vorlage, um sie überhaupt im industriellen 3D-Druck umsetzen zu können.“
Ein anderer wichtiger Faktor, wo die biologische Intelligenz noch die Nase vorn hat, sind Empathie und Vertrauen, besonders im direkten Kundenkontakt. Aspekte, die der KI noch abgesprochen werden, aber bei Gesundheits-Handwerken unerlässlich sind. „Damit Kundinnen und Kunden dem digitalen, abstrakten Augen-Screening Vertrauen schenken, ist nach wie vor die Empathie der beratenden Person entscheidend. Wenn es um die Gesundheit geht, ist das Vertrauen vis-à-vis wichtig“, betont Michael Anthonsen, Retinalyze DACH.
„Menschen sind letztlich besser darin, mit Menschen in Kontakt zu treten. Es ist wichtig, ein Element echter Emotionen beizubehalten, mit dem sich die Menschen identifizieren können – etwas, das KI niemals so gut kann“, sind sich auch die Schweden von OPO sicher.
KI muss noch viel lernen
Es bleibt spannend, wie es mit der Künstlichen Intelligenz weitergeht. „Die Entwicklung der KI ist mit der Einführung der Fließband-Arbeit im frühen 20. Jahrhundert vergleichbar – eine revolutionäre Veränderung, die jedoch Zeit braucht, um vollständig integriert und optimiert zu werden“, schätzt Kirchhübel. Und Hammacher ergänzt: „Von der KI erstellte fachspezifische Themen sind grob gesagt häufig falsch oder ausbaufähig. Jedoch sehen wir, dass sich die KI weiterentwickeln wird.“
Auch Uttenweiler sieht noch Lernbedarf: „Sicherlich sind aktuelle KI-basierte Systeme in speziellen und komplexen Situationen dem Menschen noch deutlich unterlegen. Ich sehe den Menschen immer noch führend in seiner Fähigkeit, Wissen, Erfahrungen und Emotionen – insbesondere Empathie – miteinander zu kombinieren, also genau in dem, was ein Optiker in seiner täglichen Arbeit leistet. Das von der KI-Community ausgegebene Ziel einer sogenannten ,starken KI‘, welche auch diese Fähigkeiten beherrscht, sehe ich aktuell nicht.“
Die zunehmende Bedeutung von KI ist jedoch unbestritten und Potenzial gibt es noch bei der „Optimierung von Prozessen und Abläufen, in der Kommunikation, zur Unterstützung von Entscheidungshilfen“ (Kirchhübel). Der technologische Fortschritt der KI dürfte schneller vonstatten gehen als die Umsetzung und Einbindung in die Unternehmen, und „man sollte nicht vergessen, die gesellschaftliche Entwicklung aus Kundensicht zu berücksichtigen, damit solche Angebote auch angenommen werden“ (Hammacher).
Der Mensch gestalte den Output während des Verarbeitungs-Prozesses, so Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck in einem Interview 2023. Er verstehe Zusammenhänge von Ursache und Wirkung besser, während das „Optimierungs-Verfahren KI“ auf Effizienz getrimmt sei, nichts hinterfrage oder durch eigene Sichtweise verzerre. Deshalb sieht Beck die ausgewogene Kombination aus effizientem Prozess (durch KI) und einem mittels Anpassungsfähigkeit erreichten, effektivem Ergebnis (durch BI), das auch in der Praxis funktioniert, als optimale Lösung für Unternehmen!