Dass sich der Mangel an Fachkräften in naher Zukunft noch verstärken wird, ist keine neue Erkenntnis. In der Augenoptik ist das Problem auch schon seit Langem bekannt, und es tröstet wenig, dass vergleichbare Berufe nicht weniger damit zu kämpfen haben. Der Blick hinüber zum Beispiel in die Hörakustik offenbart auch Lösungsansätze, unterstreicht aber vor allem die Notwendigkeit, etwas zu unternehmen. Und hier ist laut Rainer Hankiewicz jeder Betriebsinhaber für sein eigenes Glück verantwortlich. Laut des Vorsitzenden des Berufsbildungs-Ausschusses des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) gibt es ein einfaches Mittel, den Fachkräfte-Mangel im eigenen Betrieb zu beheben: indem man ausbildet!
Die Gesamtzahl der Auszubildenden erreichte in der Augenoptik Ende 2020 noch ein Rekordhoch von 7.654. Gerade einmal neun mehr als im bereits erfreulichen Jahr 2019 mit 7.645 Azubis und damit der höchste jemals ausgewiesene Wert in unserer Branche. Und das, obwohl gleichzeitig die Zahl der ausbildenden Betriebe leicht zurück ging, von 3.391 (2019) auf 3.266. Derzeit muss man davon ausgehen, dass dieser Rekord einer für die Ewigkeit ist, es sei denn, irgendjemandem fällt ein Doping für die Augenoptik ein, das bestenfalls von anderen Branchen nicht erkannt, zumindest aber nicht genutzt werden kann. Denn bis 2023 ist die Zahl der Auszubildenden in der Augenoptik bereits auf 6.725 gefallen – eine Tendenz, die sich fortzusetzen droht.
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Zwei bekannte Probleme sind damit bereits angesprochen: Erstens bilden zu wenige Augenoptik-Betriebe aus (und tendenziell werden das auch immer weniger) und zweitens gibt es zu wenige Bewerber für die zur Verfügung stehenden Ausbildungs-Plätze. Ein drittes ebenfalls wenig neues augenoptisches Dilemma verdeutlicht die Dringlichkeit einer Lösung: Denn von rund 3.000 Azubis, die Jahr für Jahr mit einer Ausbildung in der Augenoptik beginnen, absolvieren nur zwei Drittel überhaupt die Gesellenprüfung. Und von den verbliebenen 2.000 Gesellen sehen nur 1.000 eine Zukunft für sich in einem Augenoptikbetrieb.
Für das Jahr 2022 hat das Bundesinstitut für Berufsbildung eine ziemlich erschreckende Quote ausgespuckt: 36,4 Prozent der insgesamt 3.135 neu begonnenen Ausbildungsverträge wurden bereits in der Ausbildung wieder gekündigt. Diese sogenannte Lösungsquote bekommt laut ZVA noch eine zusätzliche Brisanz, denn eine aktuelle Befragung unter den Auszubildenden bringt hervor, dass es zwar jede Menge Gründe für einen Abbruch der Ausbildung gibt, aber leider kein Muster, an dem man sich für eine Trendwende abarbeiten könnte. Vielmehr stimmen die vorherigen Erwartungen der Auszubildenden weitestgehend mit dem tatsächlichen Berufsbild überein: diese Info aus dem ZVA-Report (08.2024) ist offensichtlich keine gute Nachricht.
Eine wahrhaft teuflische Zahl
Es ist eine wahrhaft teuflische Zahl, die der Bundesverband für diejenigen nennt, die als Gesellen in der Augenoptik von 3.000 startenden Berufsanfängern dauerhaft (?) übrig bleiben: 666. Da darf es nicht mehr verwundern, dass einer weiteren ZVA-Umfrage zufolge 42 Prozent der befragten Betriebe in den vergangenen sechs Monaten Fachpersonal gesucht haben. 68 Prozent der freien Stellen konnten dabei am Ende nicht besetzt werden, und bei knapp einem Fünftel der besetzten Stellen mussten bei der gewünschten Qualifikation Abstriche gemacht werden. „Wir müssen jetzt die Zukunft im Blick haben“, erklärte ZVA-Präsident Christian Müller angesichts dieser Zahlen: „Neue Technologien beeinflussen bereits jetzt medizinische Berufe und auch die Augenoptik muss sich den damit einhergehenden Veränderungen anpassen. Dies betrifft nicht zuletzt die Ausbildung des eigenen Nachwuchses und erfordert zeitgleich die Erweiterung der eigenen Kompetenzen.“
Zum Vergleich lohnt sich der Blick in die Hörakustik, in eine Branche, die aufgrund der demographischen Entwicklung gewiss weiter wird wachsen können. Allerdings wird auch die Hörakustik in der Engpassanalyse 2023 – wie die Augenoptik auch – von der Agentur für Arbeit als „sehr engpassgefährdet“ geführt.
Der Bedarf an Hörsystemen ist dabei allerdings in den Jahren nach der Corona-Pandemie wieder und weiter gewachsen, rund 1,6 Million Hörlösungen werden im Jahr in Deutschland von insgesamt etwa 18.000 Mitarbeitenden in der Hörakustik angepasst. 500 Azubis werden pro Jahr ausgebildet, der Bedarf aber dürfte nach Meinung der Branchenexperten mittlerweile doppelt so hoch sein. Wie in der Augenoptik bestimmen die Filialisten zunehmend das Marktgeschehen. In der Hörakustik verteilen sich alleine 40 Prozent des Marktes auf die Filialisten Amplifon, Geers, Kind und Fielmann. Leidtragende der Entwicklung sind auch hier die inhabergeführten Geschäfte, die mit der Marktkonzentration, aber immer mehr auch mit den geburtenschwachen Jahrgängen und zusätzlich den rentewilligen Babyboomern zu kämpfen haben.
Quereinsteiger können in der Hörakustik nach viereinhalb Jahren im Beruf eine Prüfung zum Fachassistenten machen. In der Folge stehen ihnen Weiterbildungs-Maßnahmen bis hin zum Hörakustik-Meister offen. Doch Quereinsteiger werden auch in anderen Branchen zunehmend mit Kusshand genommen. So stehen insbesondere die Mitarbeiterbindung und die Suche nach geeigneten Kandidaten für freie Ausbildungs-Plätze ganz oben auf der Prioritätenliste. Das wiederum setzt den Willen voraus, auszubilden! Laut der Bundesinnung der Hörakustiker erlernen in den über 7.300 Hörakustiker-Betrieben rund 2.800 Auszubildende derzeit das Hörakustiker-Handwerk. Zur Erinnerung: In der Augenoptik sind es 6.725 Azubis – Tendenz fallend – in noch knapp 11.000 Betrieben.
Augenoptiker: der nachwachsende Rohstoff
Und in diesen Betrieben – zumindest den inhabergeführten – haben nach einer ZVA-Erhebung 50 Prozent der Betriebsinhaber keine Zeit, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Rainer Hankiewicz glaubt, die Gründe zu kennen und fühlt den Betroffenen in seiner Funktion als Vorsitzender des Berufsbildungs-Ausschusses bereits im Vorwort des ZVA-Berufsbildungsberichts von 2012/22 auf den Zahn: „Ich wage die Vermutung, dass eine personelle Unterdeckung hierbei eine Rolle spielt. Denn der Fachkräfte-Mangel wird allenthalben beklagt. Zu Recht, dem Markt fehlen Augenoptiker. Und so stecken die Inhaber vielfach eben selbst von morgens bis abends in Kundenberatungen und im Refraktionsraum und haben keine Zeit, auszubilden. Anders ausgedrückt: Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Tagein, tagaus. Und samstags erst recht. Wer mal eine Katze bei diesem Spiel beobachtet hat, weiß, es gibt nur zwei Auswege: Ermüdung oder ein wohlplatzierter Schock von außen. Letzteren möchte nun ich liefern. Ich sage, wer nicht ausbildet, schafft sich seinen Fachkräfte-Mangel selbst und verliert damit das Recht, den Fehler bei anderen zu suchen. Sei es beim Verband, der ‚nicht genug für die Nachwuchswerbung tut‘, oder bei Eltern, die ‚ihre Kinder lieber zur Uni schicken` oder direkt bei den jungen Leuten, ‚denen die Work-Life-Balance wichtiger ist als alles andere‘.“
Wohlgemerkt kommt dieser Zeitmangel also erst durch den Personal-Engpass zustande. Und so liegt auch die Lösung nahe. Ein Augenoptiker, der sich heute trotzdem dafür entscheidet, auszubilden, könnte in drei Jahren einen großen Schritt für sich gemacht haben in eine Zukunft ohne (eigenen) Fachkräfte-Mangel. Hankiewicz nennt das im zitierten Vorwort so: „Augenoptiker sind ein nachwachsender Rohstoff. Wer seinen Betrieb nachhaltig bewirtschaften will, sollte sich daher zunächst … intensiv mit dem Thema Ausbildung beschäftigen.“
/// IR
Kommentar von Ingo Rütten, eyebizz-Chefredakteur
Fachkräfte-Mangel:
Beklagt haben wir uns jetzt genug!
Ich bin voll und ganz bei Rainer Hankiewicz. Jemand, der nicht ausbildet, hat kein Recht, sich über den Fachkräfte-Mangel an sich oder über mangelnde Lösungen jegwelcher Institution zu beklagen. Wenn, dann dürfen sich unsere Kolleginnen und Kollegen darüber beschweren, nicht früh genug und nicht intensiv genug aufmerksam gemacht worden zu sein, auf das, was uns wahrlich nicht überraschend trifft. Aber hilft das jetzt?
Natürlich gibt es Betriebsinhaber unter Ihnen, die nicht ausbilden, die es nicht können, aus welchen Gründen auch immer. Oder, die es eben nicht wollen. Jeder ist seines Glückes in dieser Hinsicht Schmied – aber Achtung, beim Original „Schmied seines Glückes“ von Gottfried Keller ging das ziemlich übel daneben. Egal, es gibt zum Glück ja auch diejenigen, die wollen, aber niemanden für die Lehrstelle finden. Auch hier gilt, bitte nicht anderswo nach Schuldigen suchen, sondern nach Lösungen.
42 Prozent der vom ZVA befragten Betriebe suchten in den vergangenen sechs Monaten Fachpersonal. 68 Prozent der freien Stellen konnten dabei am Ende nicht besetzt werden. Das kann (und wird zum Teil) an der Verknappung des Angebotes liegen. Auch hier könnten wir wieder das große Rad drehen und die dafür Verantwortlichen in die Pflicht nehmen, den Beruf Augenoptiker endlich so attraktiv zu machen, dass alle Azubis bis zur Prüfung durchhalten und die Gesellen nicht schwarmartig die Branche verlassen. Aber wer soll das am Ende eigentlich sein, die dafür Verantwortlichen? Und wer könnte das am ehesten ändern? Mein Vorschlag: Hier sollten wir alle vor der eigenen Tür kehren!
Ich selbst habe mit zwei Coaches vor nicht allzu langer Zeit eine Webinarreihe zum Thema Employer Branding aufgrund mangelnder Anmeldungen abgesagt. Employer Branding ist auch eine Möglichkeit, dem benannten Problem zu begegnen, ohne selbst auszubilden, auch wenn das vielleicht zur Attraktivität eines Arbeitgebers heutzutage dazu gehören sollte. Wer ist nun schuldig am ausgebliebenen Erfolg dieser Webinarreihe? Sie, weil Sie keine Ahnung haben, wie wichtig das werden wird oder schon ist? Oder die Coaches und ich, weil wir es nicht geschafft haben, die Dringlichkeit hervorzuheben? Der Preis, der Verband? Ah nein, natürlich der Zeitmangel!
Ich halte jede Wette, dass Employer Branding so wie die Einbindung und Förderung von Quereinsteigern zukünftig über die Fachkräftesituation nahezu eines jeden Betriebes in unser Branche mitentscheiden werden. So wie eine gewisse Attraktivität des Berufes gepaart mit einer gesteigerten Aktivität der gesamten Branche, potenziellen Azubis davon zu berichten, von Bedeutung sind. Ob Sie nun ausbilden oder nicht, wir wissen mittlerweile alle Bescheid und sind alle gefragt: Beginnen Sie doch bei sich im Betrieb, Werbung für unseren Beruf zu machen. Dann haben Sie vielleicht auch bald wieder Zeit für einen (weiteren) Azubi und Lust, uns von Ihrem erfolgreichen Tun zu erzählen. Beklagt haben wir uns jetzt genug! Ich freue mich also auf Post von Ihnen unter chefredakteur@eyebizz.de.
/// IR
Artikel aus der eyebizz 5.2024 (August/September/Oktober)