Mitte November fand das 63. Kolloquium der Fielmann Akademie statt – mit einer Premiere: Erstmals wurde es in Kooperation mit der Europäischen Akademie für Optometrie und Optik (EAOO) ausgerichtet. Im Mittelpunkt stand die altersabhängige Makuladegeneration (AMD).
Die Veranstaltung wurde eröffnet von Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein (Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön), Prof. Dr. Daniela Nosch (M.Sc. clin. Optom, vom Institute of Optometry der Fachhochschule Nordwestschweiz und Mitglied des Educational Committees der EAOO) sowie Rupal Lovell-Patel (BSc (Hons), Academic Lead für Vision Sciences an der University of Central Lancashire und Präsidentin der EAOO). Gemeinsam begrüßten sie über 200 Teilnehmer aus zahlreichen Ländern.
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Prof. Dr. Marcel N. Menke (Chief Scientific Advisor der Ocumeda AG aus Riedt bei Erlen in der Schweiz und Chefarzt sowie Klinikleiter der Augenklinik des Kantonsspitals Aarau) stellte die Grundlagen der Pathophysiologie der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) vor. Die Makula sei ein fünf Millimeter kleiner Bereich der zentralen Netzhaut und gleichzeitig der funktionell wichtigste für das Sehen. Ein Verlust des zentralen Sehens gehe mit einem Verlust an Lebensqualität einher, da dies beispielsweise die Lesefähigkeit oder die Gesichts-Erkennung einschränke.
Altersabhängige Makuladegeneration
Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD), eine degenerative Erkrankung der zentralen Netzhaut, betreffe etwa 25 Prozent der über 60-Jährigen in Europa, wobei 2,4 Prozent an einer fortgeschrittenen Form leiden. Alterungs-Prozesse führten zu einer fortschreitenden Funktions-Einschränkung des retinalen Pigment-Epithels (RPE). Im Verlauf der Erkrankung gehe das RPE zugrunde, und es entstünden Lücken in der Bruch-Membran.
Der Beginn der Erkrankung sei die sogenannte Drusen-Makulopathie. In Drusen fänden sich Stoffwechsel-Endprodukte, die sich unterhalb des RPE ablagern und nicht mehr abgebaut werden können. Insbesondere im Bereich der Fovea centralis könnten diese Ablagerungen die Versorgung der Netzhaut beeinträchtigen. Zusätzlich sammele sich Lipofuszin, ein zelltoxisches Nebenprodukt des Photorezeptor-Metabolismus, in den Zellen des RPE an.
Ein weiterer Alterungs-Prozess betreffe die Bruch-Membran. Während sie in jungen Jahren den Stoff-Austausch zwischen Aderhaut und Netzhaut gewährleiste, nehme ihre Durchlässigkeit für Sauerstoff und Nährstoffe im Laufe der Zeit ab. Dies sei insbesondere für die avaskuläre Fovea problematisch, da sie vollständig auf die Ernährung durch die Aderhaut angewiesen sei.
Trockene und feuchte AMD
Aus der anfänglichen Drusen-Makulopathie können sich zwei Formen der AMD entwickeln: die trockene und die feuchte Verlaufsform. Ob sich eine trockene oder feuchte AMD entwickle, hänge von individuellen Risikofaktoren ab. Mit 88 bis 90 Prozent sei die trockene AMD die häufigere Form und zeichne sich durch einen langsameren Krankheits-Verlauf aus. Im frühen Stadium der Erkrankung bemerkten Betroffene häufig eine zunehmende Unschärfe des Sehens, insbesondere bei schlechten Lichtverhältnissen.
Die feuchte AMD hingegen mache lediglich 10 bis 15 Prozent der Fälle aus, sei jedoch für die schwereren Visus-Verluste verantwortlich. Diese Form der AMD zeige eine deutlich schnellere Progression. Innerhalb weniger Wochen könnten Patienten eine Verschlechterung der Sehkraft, zentrale Gesichtsfeld-Ausfälle oder verzerrtes Sehen wahrnehmen.
Als Risikofaktoren für die Entwicklung einer AMD werden neben dem Alter genetische Prädispositionen, Rauchen, intensive Sonnen-Exposition und ethnische Zugehörigkeit diskutiert. Darüber hinaus scheinen kardiovaskuläre Erkrankungen sowie ein hoher Body-Mass-Index eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Erkrankung zu spielen.
Diagnostische Möglichkeiten
Zur Diagnostik der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) steht eine Vielzahl modernster Untersuchungsverfahren zur Verfügung. Die ophthalmoskopische Beurteilung des Augenhintergrundes liefere einen guten Überblick und stelle ein einfaches Verfahren zur Früherkennung der Erkrankung dar. Die Fundus-Fotografie eigne sich vor allem für das Monitoring der Drusen-Progression.
Basierend auf den Erkenntnissen der funduskopischen Beurteilung könne der Augenarzt entscheiden, welche weiteren Untersuchungen sinnvoll und notwendig seien. Die Optische Kohärenz-Tomographie (OCT) ermögliche die detaillierte Darstellung der einzelnen Netzhaut-Schichten. Sie erlaube die Visualisierung von Drusen und Flüssigkeits-Ansammlungen in der Makula und sei zugleich das wichtigste Instrument in der Verlaufskontrolle. Um OCT-Bilder fundiert analysieren zu können, sei ein umfassendes Wissen über den histologischen Aufbau der Netzhaut erforderlich.
Die Fluoreszein-Angiographie gehöre weiterhin zu den etablierten Standard-Untersuchungen in der AMD-Diagnostik. Es handele sich um ein invasives Verfahren, bei dem ein Farbstoff in die Venen injiziert und dessen Verteilung in den Gefäßen des Auges beobachtet werde. Mithilfe dieser Methode ließen sich sowohl abnormale als auch undichte Gefäße identifizieren.
Abzugrenzen sei die Fluoreszein-Angiographie von der noch relativ jungen OCT-Angiographie, die auf Daten der optischen Kohärenz-Tomographie (OCT) basiere. Diese ermögliche eine detaillierte Darstellung der Gefäßstrukturen, etwa makulärer Neovaskularisationen. Allerdings könne sie keine Informationen über die Durchlässigkeit der Gefäße liefern. Als nicht-invasives Verfahren habe die OCT-Angiographie den Vorteil, dass sie keine Nebenwirkungen verursache. Dennoch sei die Bildgebung anfällig für Artefakte, was die Interpretation der Ergebnisse erschwere.
Eine weitere bildgebende Methode stelle die Fundus-Autofluoreszenz dar. Diese konzentriere sich auf die Darstellung der Lipofuszin-Verteilung in der Netzhaut. Aus den charakteristischen Mustern der Lipofuszin-Akkumulation ließen sich Rückschlüsse auf die Progressions-Geschwindigkeit der trockenen Form der AMD ziehen. Zudem ermögliche die Technologie die präzise Quantifizierung von Atrophiearealen.
KI-gestützte AMD-Diagnose
„Die Erhebung und Analyse von Bilddaten bindet erhebliche ärztliche Ressourcen. Könnte ein Teil der Diagnostik, insbesondere die Daten-Analyse, durch den Einsatz künstlicher Intelligenz ersetzt werden?“ Mit dieser zentralen Frage übergab Grein das Mikrofon an Prof. Dr. Ursula Schmidt-Erfurth (Leiterin der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien). Sie antwortete mit einem entschiedenen „Ja“ und schien für einen kurzen Moment zu signalisieren, dass diese Frage bereits abschließend beantwortet sei.
Doch sie fuhr unmittelbar fort: Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) sei die führende Ursache für bleibenden Visus-Verlust. Nicht selten werde die Erkrankung jedoch erst spät diagnostiziert. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland werde dieses Problem in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Ihrer Ansicht nach ließe sich dies verhindern, wenn die Diagnostik für die Risikogruppe niederschwelliger zugänglich gemacht werde. Hier sehe sie großes Potenzial in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen im Bereich der Sehgesundheit, ergänzt durch den gezielten Einsatz künstlicher Intelligenz.
„Die Frage ist nicht, ob künstliche Intelligenz die Diagnose unterstützen kann – sie muss es tun.“ Insbesondere in der Augenheilkunde, die bereits auf moderne und hochauflösende Bildgebung wie die optische Kohärenz-Tomografie (OCT) setze, sei dies entscheidend. Die manuelle Auswertung dieser Bilddaten durch Augenärzte koste nicht nur viel Zeit, sondern sei zudem anfällig für Fehler. So habe die CATT-Studie gezeigt, dass selbst erfahrene Ophthalmologen in nur etwa 72 Prozent der Fälle zu übereinstimmenden Diagnosen kommen. Künstliche Intelligenz hingegen könne diese Aufgabe innerhalb weniger Sekunden schneller und mit höherer Zuverlässigkeit bewältigen.
Fluid-Monitor
Eine bereits validierte und erfolgreich eingesetzte KI-gestützte Software sei der sogenannte Fluid-Monitor. Diese analysiere OCT-Bilder präzise auf Pixelbasis und identifiziere Flüssigkeits-Ansammlungen in der Netzhaut. Dabei unterscheide die Software zwischen intraretinaler, subretinaler und sub-RPE-Flüssigkeit, die farbcodiert visualisiert werde.
Diese differenzierte Darstellung habe einen entscheidenden Einfluss auf die Therapie-Entscheidung bei der feuchten AMD. Intraretinale Flüssigkeit gelte als eindeutiger Indikator für eine intravitreale Injektion, während subretinale Flüssigkeit nicht behandelt werden solle, solange sie stabil bleibe. Wissenschaftliche Studien deuteten sogar darauf hin, dass subretinale Flüssigkeit bei AMD-Patienten einen protektiven Effekt auf die Funktion der Photorezeptoren haben könne.
Die präzise Detektion und Lokalisation dieser Flüssigkeiten sei daher von essenzieller Bedeutung, da sie maßgeblich über die Funktionalität der Photorezeptoren entscheide. Die Funktion der Photorezeptoren werde in der OCT durch die sogenannte Ellipsoid-Zone repräsentiert – ein dünnes Band in der äußeren Netzhaut. Mithilfe künstlicher Intelligenz lasse sich diese Schicht segmentieren und deren Dicke messen. Eine Abnahme der Dicke sei ein Hinweis auf eine reduzierte Funktion der Photorezeptoren, was sich in einer Verschlechterung der zentralen Sehschärfe und einer verminderten retinalen Empfindlichkeit äußere.
AMD-Therapie
Die feuchte AMD kann derzeit lediglich symptomatisch behandelt werden. Dabei kommen Medikamente zum Einsatz, die direkt in den Glaskörper-Raum des Auges injiziert werden. Ihre Wirkung basiert auf der Hemmung des körpereigenen Botenstoffs VEGF. Die Durchführung der intravitrealen Injektion erfordert sterile Bedingungen und stellt sowohl für Kliniken als auch für operative Zentren einen erheblichen organisatorischen und zeitlichen Aufwand dar.
Auch für die Patienten ist der Aufwand beträchtlich, da es sich um eine lebenslange, regelmäßig wiederholte Therapie handelt. „Egal, was man tut, die Flüssigkeit kommt immer wieder zurück,“ fasste Schmidt-Erfurth die ernüchternden Ergebnisse der VIBES-Studie zusammen. Zusätzlich sei eine große Zahl der Patienten untertherapiert, was die Problematik weiter verschärfe. Hier könne der Einsatz künstlicher Intelligenz in Kombination mit einem erleichterten Zugang zu KI-gestützter Diagnostik, beispielsweise durch Augenoptiker und Optometristen, wertvolle Unterstützung leisten. Für die trockene AMD hingegen sei derzeit in Europa keine Therapie zugelassen.
Low Vision
Die Low-Vision-Versorgung spielt eine zentrale Rolle in der Therapie von AMD und begleitet die medizinische Behandlung parallel. Ziel der Low-Vision-Rehabilitation ist es, das vorhandene Sehvermögen optimal zu nutzen. Dafür steht eine Vielzahl unterschiedlicher Hilfsmittel zur Verfügung. Allerdings ist nicht jedes Hilfsmittel für jeden Patienten gleichermaßen geeignet, erklärt Frank Wersich (Augenoptikermeister und Optometrist (HWK) sowie Geschäftsführer der Schrodin & Wersich Optik GmbH in Baden-Baden).
Die Kunden kommen aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen: Während einige bereits im Ruhestand sind, stehen andere noch mitten im Berufsleben. Für Wersich bedeutet Low Vision jedoch weit mehr als die bloße Anpassung von Hilfsmitteln. Er sieht sich als Berater, Zuhörer, Motivator und Mutmacher. Ein zentraler Aspekt seiner Arbeit sei es, den Betroffenen und ihren Angehörigen die Diagnose verständlich zu machen.
Viele wüssten nicht, worin der Unterschied zwischen einer Sehbeeinträchtigung und Blindheit besteht. Insbesondere Kunden, die ihre Diagnose erst kürzlich erhalten haben, fänden es oft schwer, offen darüber zu sprechen. Hier schafft Wersich Raum und hört aufmerksam zu: Welche Bedürfnisse haben die Kunden? Welche Aktivitäten sind ihnen besonders wichtig? Auf dieser Basis könne er das individuell beste Hilfsmittel auswählen. Gleichzeitig schaffe dieser Ansatz die Grundlage für eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die über die rein technische Versorgung hinausgehe.
Das perfekte Hilfsmittel
Für eine erfolgreiche Low-Vision-Rehabilitation sei der richtige Zeitpunkt entscheidend. Patienten durchlaufen nach der Diagnose einer lebensverändernden Erkrankung verschiedene emotionale Phasen – von Schock über Depression, Akzeptanz, Anpassung und Reorganisation bis hin zu einem neuen Selbstverständnis und persönlichem Wachstum. Eine Versorgung sei erst sinnvoll, wenn der Patient begonnen habe, seine Erkrankung zu akzeptieren.
Die Auswahl an verfügbaren Hilfsmitteln sei umfangreich: Sie reiche von optimierter Beleuchtung über Lesegläser, Lupen, Filtergläser und Großschrift-Material bis hin zu elektronischen Sehhilfen und taktilen Hilfsmitteln. Dabei gelte der Grundsatz: Das einfachste Hilfsmittel sei in der Regel das beste. Zudem dürften bestehende Ressourcen nicht außer Acht gelassen werden. So verfügen viele ältere Menschen bereits über ein Smartphone, das den Zugang zu hilfreichen Apps ermögliche.
Solche Tipps für den Alltag seien nicht nur praktisch, sondern förderten auch eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Patient, die sich positiv auf die Zusammenarbeit auswirke. Ebenso wichtig wie die Auswahl des Hilfsmittels sei das Training im Umgang damit. Nur ein korrekt angewendetes Hilfsmittel könne seinen vollen Nutzen entfalten. Auch hier sei es entscheidend, dass Patienten und ihre Angehörigen sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen der Hilfsmittel verstehen.
Viele Erkrankungen, die Patienten zur Low-Vision-Versorgung führen, verlaufen progressiv. Daher sind regelmäßige Kontrolltermine empfehlenswert. So könne eine Verschlechterung frühzeitig erkannt und das Hilfsmittel angepasst werden. Ein zentrales Anliegen sollte es zudem sein, dass Patienten das Geschäft mit dem Wissen verlassen, dass ihre Versorgung noch nicht ausgeschöpft ist. Dies vermittle nicht nur Hoffnung, sondern schaffe auch die Basis für eine langfristige Betreuung.