Diabetes mellitus: US-Studie zur Beurteilung von Netzhaut-Fotos
von Redaktion,
In einer aktuellen Studie von Aaron Y Lee und seinem Team von der University Washington wurde die Treffsicherheit von Bilderkennungssystemen bei der Beurteilung alltagstypischer Netzhautfotos von Betroffenen mit Diabetes mellitus mit der Leistung von menschlichen Gutachtern verglichen. Dabei hätten die Computer-gestützten Diagnosesysteme beim Erkennen einer diabetischen Netzhauterkrankung (diabetische Retinopathie) nicht durchgehend überzeugen können.
Die Fotos des Augenhintergrundes stammten von Patienten amerikanischer „Veterans Affairs“-Krankenhäuser. Die Sensitivität, also die Sicherheit, keine Befunde zu übersehen, habe laut der Studie aus Seattle, Washington, bei den Bilderkennungsgeräten sehr stark variiert: Sie lag zwischen 51 % und 86 %. Die Bilderkennung basiert letztlich auf Systemen, die mit neuronalen Netzen, also sogenannter künstlicher Intelligenz (KI), trainiert wurden.
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Die mäßigen Ergebnisse dieses Belastungstests müssten ernst genommen werden, zumal die Anzahl der Patienten mit 23.724 groß ist und im Schnitt 3,5 Bilder mit einem Bildausschnitt von mindestens 45 Grad präsentiert wurden. Grundsätzlich sei bei der Bewertung der Methoden zu beachten, dass sich bei der augenärztlichen stereoskopischen Untersuchung ein dreidimensionales Bild ergibt und so Veränderungen erkannt und eingestuft werden können, die auf einem Foto nivelliert sind.
Dr. Georg Spital, Generalsekretär der interdisziplinären Initiativgruppe „Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen“ (IFDA), weist auf mögliche Gründe für die übersehenen Veränderungen hin: „Während die KI-basierten Verfahren für sehr frühe Veränderungen der Diabetes-Erkrankung des Auges wie kleine Punktblutungen und Mikroaneurysmen sogar etwas empfindlicher waren, dürften die Probleme ganz wesentlich mit der unterschiedlichen Qualität der verwendeten Fotografien zusammenhängen.“
Professor Dr. Focke Ziemssen (Universitätsaugenklinik Leipzig), 1. Vorsitzender der IFDA, weist darauf hin, dass eine Zulassung durch die FDA (U.S. Food and Drug Administration) nicht für die bedenkenlose Anwendung im deutschen Versorgungskontext ausreicht: „Die Spezifität der KI-Systeme hat sich in den letzten Jahren zwar kontinuierlich verbessert, bevor sie klinisch angewandt werden, müssen aber alle Algorithmen dieser Bilderkennungsgeräte gründlich an realen Daten getestet werden.“
Weiterhin stellt er fest: „Die automatisierten Systeme sind besser darin geworden, Überdiagnostik und somit unnötige Verunsicherung zu vermeiden, dennoch bleiben für den Patienten bei einem Computerbefund viele Fragen unbeantwortet, die ausschließlich im Gespräch mit dem Augenarzt geklärt werden können.“
Beide Experten sind sich einig: „Bei der Erhebung von Computer-Befunden des Augenhintergrundes von Menschen mit Diabetes mellitus muss gewährleistet sein, dass die Patienten im Zweifelsfall zum Augenarzt überwiesen und von diesem weiter betreut werden.“
In Deutschland leben zirka 8 Millionen Diabetiker. Sie vor wesentlichen Seheinbußen zu bewahren, ist das Ziel der Initiativgruppe „Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen“ (IFDA) in Düsseldorf. Mitglied kann jeder werden, der sich ihrer Zielsetzung verbunden fühlt.
Das zentrale Anliegen sei es, die diabetischen Augenerkrankungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und die Diabetes-Betroffenen sowie deren Angehörige über die von diesem Leiden ausgehenden Gefahren für das Sehvermögen aufzuklären. Darüber hinaus soll die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Augenärzten gefördert und der Wissensstand einzelner Fachgruppen auf dem Laufenden gehalten werden.
Kontaktadresse: Dr. med. Georg Spital, Augenabteilung des St. Franziskus-Hospitals Münster, E-Mail: georg.spital@augen-franziskus.de, www.diabetes-auge.de.
Die Studie: Lee A Y et al (2021) Multicenter, head-to-head, real-world validation study of seven automated Artificial Intelligence Diabetic Retinopathy Screening Systems. „Diabetes Care“ 44: 1168–1175, https://doi.org/10.2337/dc20-1877