Es besteht kein Zweifel, dass die Optometrie in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist, aber auch nicht daran, dass sie noch bekannter werden muss. Heute ist sie mehr denn je Chance – auch für den „normalen“ Augenoptiker. In der Augengesundheitsversorgung ist sie in der Augenoptik beheimatet und beinahe ein Pflichtprogramm für die Zukunft. In welcher Form, scheint noch offen. Grund genug, den heutigen Status Quo der Optometrie und die Relevanz optometrischer Dienstleistungen noch einmal zu prüfen.
Es ist rund zehn Jahre her, dass die damals noch weniger bekannten Optometristen unserer Branche „technologische Konkurrenz“ erhielten, die wiederum die Optometrie und deren Möglichkeiten für die Augenoptik bekannter machten. Der Markteintritt des Herstellers Easyscan mit seiner gleichnamigen Funduskamera war laut. In Sachen Marketing waren die Niederländer auffallend forsch, was nicht jedem gefiel. Wobei sich die Kritik an der neuen „Technik gestützten Optometrie“ (Alexander van der Mey, zeitweilig Vize-Präsident der Easyscan GmbH) vor allem an anderer Stelle entzündete.
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Easyscan war lange Jahre so etwas wie ein Sinnbild für die bis heute fortwährende Auseinandersetzung zwischen Augenoptiker*innen und Optometristen, die zwar mittlerweile nicht mehr so vehement, dafür aber subtil ausgetragen wird: Auf der einen Seite stehen die Optometristen, die sich das nötige Fachwissen für ihr Metier auf unterschiedlichen Wegen angeeignet haben und sich aufgrund ihres Know-hows für befugt halten, optometrische Dienstleistungen anzubieten. Auf der anderen Seite gibt es die Augenoptiker*innen, die zwar über optometrische Kenntnisse verfügen, aber erst durch die fortschreitende Technologie der letzten Jahre auf den Geschmack und in die Lage gekommen sind, z.B. Screenings in ihr Portfolio aufzunehmen. Dass heute auch anerkannte Branchen-Koryphäen auf moderne Technologie setzen – ohne dabei das Know-how zu vernachlässigen –, spricht für die Entwicklung. Andersherum bekommen auch Augenoptiker*innen durch die Technologie Lust und bilden sich entsprechend fort.
Startschuss mit Easycan
Als sich Easyscan auf Erfolgskurs machte, war das für viele Augenoptiker*innen der Startschuss, sich mit optometrischen Dienstleistungen zu beschäftigen. Schnell warnte der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen damals davor, dass bitte niemand ohne Fachwissen die einfache Anwendung am Kunden erproben dürfe. Ausgerechnet der Verband, der nur einige Jahre zuvor den Optometristen mit dem „Nein!“ zum „Optometristengesetz“ reichlich Wind aus den Segeln genommen hatte.
Vielleicht aber deswegen wurde ZVA-Präsident Thomas Truckenbrod zu jener Zeit recht deutlich: „Ich sehe in Folge der Verbreitung der – im übrigen hervorragenden Geräte – und deren Nutzung durch Augenoptiker mit fehlenden optometrischen Kompetenzen eine Gefahr für das langsam wachsende Pflänzchen der fundierten Optometrie in Deutschland. Erstens im Sinne der Verbrauchersicherheit, denn unsere Kunden erwarten profunde Aussagen, wenn wir optometrische Dienstleistungen anbieten. Und zweitens werden sich in meinen Augen zu Recht diejenigen Kollegen auf den Schlips getreten fühlen, die viel Zeit und finanzielle Mittel in ihre eigene Weiterbildung investiert haben.“
Da ist auch heute noch etwas dran, auch wenn Truckenbrod in seiner Rolle an der Spitze des ZVA den Pionier überlebt hat: Denn am 27. Juli dieses Jahres wurde Easyscan B.V. von einem Gericht in Den-Haag (Niederlande) in Berufung für insolvent erklärt. So laut, wie die Niederländer in unsere Branche hineinpolterten, so leise schleichen sie hinaus. Da erklärt sich auch, warum beim Service in Wuppertal niemand mehr ans Telefon geht. Die vielen Easyscan-Kunden werden zum Glück fehlenden Service nicht lange missen müssen, denn im Gespräch mit der eyebizz erklärt Dr. Amir Parasta, Geschäftsführer der Epitop GmbH in München: „Wir haben die Easyscan-Produkte übernommen und führen sie weiter“.
Parasta sieht die Lösung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland unabhängig von diesem Geschäft in einer „Technik gestützten Versorgung plus einer virtuellen Zusammenarbeit zwischen Augenärzten und Augenoptikern“.
Insolvenz des Vorreiters kein Sinnbild
Dass der Epitop-Chef dabei beinahe dieselben Worte benutzt wie der damalige Chef von Easyscan, mag Zufall sein. Und die Insolvenz des Vorreiters sollte auch kein Sinnbild für die Optometrie insgesamt sein, auch wenn Easyscan bis heute für viele der Inbegriff für neue optometrische Dienstleistungen in Form von Augenscreenings ist. Um im Bild des ZVA-Präsidenten zu bleiben: Das zarte Pflänzchen Optometrie hat mittlerweile ordentlich Wurzeln geschlagen. Zwar gibt es noch alte Vorbehalte, doch insgesamt hat sich die Branche gemausert, haben sich Augenoptiker*innen und Optometristen weiter angenähert, hat die Technologie nicht nur Möglichkeiten geschaffen, sondern auch Brücken gebaut: Weil sie schlicht mehr Chancen eröffnet als Gefahren birgt!
Parasta lebt als langjähriger wegweisender Begleiter der Entwicklung nicht nur Pragmatismus vor, wenn er erklärt, „dass wir zukünftig eine hybride Versorgung in Deutschland benötigen, um die heute noch immer gute Versorgungslage aufrecht zu erhalten. Es darf keine Rolle mehr spielen, wo ein Patient oder Kunde seine Reise beginnt, wo er welche Leistungen in Anspruch nimmt.“ Es sei die Kombination aus der Zusammenarbeit von Augenärzten und Augenoptiker*innen, unterstützt durch Technologie und KI, die nötig sein werde, um die näher betrachtet schon heute schlechtere Basisversorgung der Bevölkerung aufzufangen.
Es geht zum einen darum, dass die kranken Menschen den Weg zum Augenarzt finden, die Gesunden aber besser beim Augenoptiker aufgehoben sind. Es geht aber auch darum, die geringere Verfügbarkeit an freien Terminen bei konservativen und nicht operierenden Augenärzten abzufedern. Durch den Kauf und Zusammenschluss etlicher Arztpraxen von Investor geführten Gruppen hat sich die Situation hier verschärft. Entscheidend ist nicht, wie viele Augenärzte es in Deutschland gibt, sondern wie viel Kapazität sie für das Thema Vorsorge zur Verfügung haben. „Das ist derzeit eher schwierig bei den Ärzten“, so Parasta.
Wer ist erster Ansprechpartner in Sachen Sehen?
Früher argumentierte man, dass immer weniger Menschen regelmäßig zum Augenarzt gehen, dass der Augenoptiker ohnehin der erste Ansprechpartner in Sachen Sehen und damit für die Augen sei, und allein deswegen optometrische Screenings in sein Portfolio gehörten. Heute geht es eher darum, die hierzulande bislang zu Recht gelobte Gesundheitsversorgung und insbesondere die Vorsorge aufrecht zu erhalten. Im Ergebnis sind das Chancen für den Augenoptiker und Optometristen, der sich noch dazu in Kooperation mit einem Augenarzt um ein leidiges Thema herumschleichen kann: Denn eine Diagnose oder Therapie ist auch heute nicht sein Handwerk. Bei der Bewältigung der Ängste, die eigene Kompetenz durch zu viel oder falsche Kommunikation zu überschreiten, hilft die Technologe sicher nicht. Aber, wer weiß, was er machen darf – und vor allem: was nicht –, ist auf der sicheren Seite.
Folgende drei Beispiele spiegeln den Status Quo der optometrischen Dienstleistungen sowohl innerhalb der Branche als auch in der Öffentlichkeit wider: Optik Sagawe aus Rostock erklärt seinen Kunden auf der Website, warum der Betrieb Easyscan verwendet, und setzt dabei nicht nur auf die altbekannte Technologie, sondern argumentiert: „Wir möchten für Sie unser Dienstleistungsspektrum erweitern. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass immer weniger Kunden regelmäßig zum Augenarzt gehen. Durch den Easyscan können wir hier einwirken und bei Bedarf eine augenärztliche Untersuchung nahelegen.“
Beispiel zwei verdeutlicht die Existenzberechtigung der Optometrie beim Augenoptiker und dass dabei unterschiedliche Ansätze möglich sind. Dr. Carolin Truckenbrod, Tochter des ZVA-Präsidenten, stellte als Referentin beim „Tag der Optometrie“ am 9. Oktober in Osnabrück heraus, dass auch bei den optometrisch versorgten Kunden eines Augenoptikers meist zunächst „nur“ der Wunsch nach einer neuen Brille im Vordergrund stehe. Erst das gezielte Nachfragen gebe Hinweise auf diverse Erkrankungsrisiken, die dann korrekt eingeschätzt werden und durch weitere notwendige Messungen und optometrische Untersuchungen geprüft werden müssten.
Screenings helfen beim Umsatz
Unter Einhaltung der bekannten Spielregeln empfiehlt es sich für Augenoptiker*innen, diese notwendigen Messungen und Prüfungen selbst zu übernehmen. So interpretiert Sophia Hofmann das Resultat eines Fragenkatalogs im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule Aalen.
Mit ihr kommt eine noch junge Expertin zu Wort, die der Branche hoffentlich erhalten bleibt: „Es stellte sich heraus, dass ein vermehrter Einsatz von optometrischen Geräten einen positiven Einfluss auf den Erfolg eines Augenoptikerfachgeschäfts hat. Darüber hinaus zeigte sich, dass das Angebot von optometrischem Screening zu einer Abgrenzung von anderen Mitbewerbern führt und dies einen positiven Einfluss auf die Umsatzentwicklung hat. Es zeigte sich, dass es bei der Einführung des Screening-Bereichs hilfreich sein kann, wenn man auf die Telemedizin zurückgreift.“
Letztlich sei auch der persönliche Kontakt zu einem Augenarzt förderlich, aber die Ergebnisse der Experteninterviews hätten noch etwas andere zutage gebracht: „Es hat sich gezeigt, dass der Screening-Bereich mehr Erfolg hat, wenn man mehr Geräte einsetzt bzw. mehr Messungen durchführt.“ Hofmanns Empfehlung: „Mit einfachen Messungen beginnen und nach und nach weitere Geräte anschaffen. Wenn ein Augenoptikunternehmen das Vorhaben hat, einen optometrischen Screening-Bereich aufzubauen, empfiehlt es sich, dies möglichst schnell umzusetzen.“ Denn dann könne man sich heute noch von der Konkurrenz abheben und so auch dazu beitragen, „den Risiken des demografischen Wandels und dem Bedarf an augenärztlicher Versorgung entgegenzuwirken.“
Überzeugungsarbeit nicht mehr nötig
Womit die Aalener Absolventin den Diskussionsstand in der Optometrie durch ihre Arbeit bestätigt hat. Womit wir wieder bei der Frage wären, welche Rolle die Technologie und welche das Fachwissen einnehmen sollte. In der Geschichte der Optometrie scheint das in Deutschland die letzte offene Frage zu sein, wenn die Beobachtungen von Dr. Parasta und seinem Team aus den gemeinsamen Workshops mit Augenärzten und Augenoptiker*innen nicht trügen: „Wir stehen heute am Anfang unseres Kooperationsgedanken, aber wir müssen keine Überzeugungsarbeit mehr leisten, nur noch hier und da Ängste nehmen.“
In diesem Findungsprozess stellt sich der Epitop-Geschäftsführer die Frage nach dem Know-how und der Technologie (besser?) nicht, er wechselt lieber die Perspektive und findet dort eine Antwort auf die fortwährende Diskussion: „Nimmt der Kunde oder Patient einen Unterschied wahr? Oder beurteilt er seinen Augenoptiker und auch seinen Augenarzt nicht eher darin, ob er zufrieden mit ihm war und ob er ihm weitergeholfen hat?“
In eine ähnliche Kerbe schlägt Stefan Lahme als Vorsitzender der Gütegemeinschaft Optometrische Leistungen, wenn er erklärt, dass hier „mittlerweile 120 Optometristinnen und Optometristen registriert sind. Und es gibt weitere in der Warteschleife. Es ist schön zu sehen, dass sich immer mehr Optometristinnen und Optometristen zur Einhaltung überprüfter Qualitätskriterien verpflichten und sowohl über die hierfür notwendige Qualifikation als auch über die erforderliche technische Ausstattung verfügen.“
Königsweg: „Sowohl-als-auch“
Die Mitglieder der Gütegemeinschaft Optometrische Leistungen stellen nach eigener Darstellung zwar „das hohe Gut ihrer Dienstleistungen gegenüber dem reinen Verkauf von Waren in den Vordergrund.“ Aber das Sowohl-als-auch in Lahmes Zitat ist das Entscheidende. Vielleicht ist das nicht das Ende alter Diskussionen, aber mehr als nur ein Anfang und gewiss die Basis für Kooperationen mit Augenärzten, die nicht nur für Parasta das Konzept für die zukünftige Augengesundheitsversorgung sind.
„Die Leichtigkeit, mit der eine Netzhautaufnahme gemacht werden kann, ist unschlagbar. Innerhalb von drei Minuten können eventuelle Auffälligkeiten beim Kunden festgestellt werden, ohne dass dafür eine Pupillenerweiterung durchgeführt werden muss.“ Diese vor einem Jahrzehnt erstmals vorgebrachten Argumente von Alexander van der Mey machte die Easyscan zu einem Verkaufsschlager auf dem deutschen Markt, aber auch in „England, Amerika oder China.“
Warum das in der Insolvenz endete, ist müßig, erklären zu wollen. Vielleicht hat es sogar mit der Emanzipation der Technologie in der Optometrie zu tun. Man mag der optometrischen Dienstleistung in der Augenoptik eine glänzende Zukunft bescheinigen wollen, wenn dasselbe jetzt auch mit der Einsicht passiert, dass Augenoptiker*innen, Optometristen und Augenärzte diese Möglichkeiten fortan nicht nur gemeinsam, sondern miteinander nutzen!