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Physiologie

Welche Auswirkungen hat Alkohol auf Augen und Gehirn?

Zwei Drittel der Verarbeitungskapazitäten des Gehirns sind mit der visuellen Wahrnehmung und der Kontrolle der Augenbewegungen befasst. Bisher wurden 30 Areale der Großhirnrinde entdeckt, die für die Verarbeitung visueller Informationen arbeiten. Diese wiederum sind durch mehr als 300 Nervenbahnen untereinander verknüpft. Die visuelle Wahrnehmung ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens erregender und hemmender Verarbeitungsprozesse im Gehirn, in die Alkohol als wirksames Zellgift eingreift. Verschwommenes Sehen, Tunnelblick, Doppelbilder, Störungen der Augenbewegungen sind neben dem bekannten Gedächtnisverlust nur einige der direkten Auswirkungen von Alkohol auf das Gehirn.

Insbesondere die Auswirkungen des Alkohols auf Aufmerksamkeit und Konzentration gelten als Ursache für Wahrnehmungsstörung unter Alkoholeinfluss. Sehstörungen aufgrund von alkoholbedingten Veränderungen des Auges selbst spielen nur eine untergeordnete Rolle.

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  1. Toxische Wirkungen des Alkohols

Alkohol ist ein Zellgift. Er wird rasch vom Körper aufgenommen und, da es gut wasserlöslich ist, leicht im gesamten Organismus verteilt, sodass kein Organ nicht vom Alkohol betroffen wäre. Die schädlichen Wirkungen dieser Droge können vereinfacht auf zwei Mechanismen zurückgeführt.

  • Neurobiologische Wirkungen des Alkohols werden durch das Einwirken des Alkohols auf die Neurotransmitter im zentralen und peripheren Nervensystem beschrieben.
  • Beim Abbau des Alkohols entstehende toxische Substanzen (z.B. Acetaldehyd) und freie Sauerstoff- und Stickstoffradikale sind für den „Kater“ nach übermäßigem Alkoholkonsum und Organschäden (z.B. Leberzirrhose, Magen- und Darmblutungen) bei chronischem Alkoholmissbrauch verantwortlich.

Aufnahme und Abbau von Alkohol

Alkohol wird über den Magen (20%) und den Zwölffingerdarm (80%) in den Körper aufgenommen. Das Maximum der Blutkonzentration des Alkohols wird nach 30 bis 50 Minuten erreicht, wobei ein voller Magen die Aufnahme des Alkohols in den Körper lediglich verzögert, aber nicht zu verhindern mag.

Blutalkoholkonzentration im VerlaufAbb. 1: Zeitlicher Verlauf der Blutalkoholkonzentration einer Frau mit einem Körpergewicht von 60 kg nach Trinken von 1 l Bier (4%)

Der Alkohol wird überwiegend in der Leber mit einer konstanten Rate von 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde abgebaut. Diese lässt sich nicht durch körperliche Aktivität, Schlafen, Medikamente usw. beschleunigen, da die Abbaurate allein durch die Menge der Enzyme, die in der Leber den Abbau des Alkohols katalysieren, bestimmt wird. Die konstante Abbaurate ermöglicht es Gerichtsmedizinern, den Blutalkoholspiegel zu einem vorangegangenen Zeitpunkt sehr präzise zu ermitteln.

Alkohol kann in nahezu allen Zellen des Körpers durch zelleigene Enzyme (Alkoholdehydrogenase, CYT2) in Acetaldehyd umgebaut werden, wobei die Leber die Hauptlast des Alkoholabbaus trägt. Acetaldehyd wird unter Beteiligung des Enzyms Acetaldehyd-Dehydrogenase weiter zu Essigsäure (Acetat) umgewandelt. Acetaldehyd ist ein sehr wirksames Zellgift. Es aktiviert körpereigene Enzyme, wie z.B. Zytokine, wodurch wiederum Entzündungsreaktionen ausgelöst werden können. Bei der Umwandlung von Alkohol in Acetat entstehen in größeren Mengen freie Sauerstoff- und Stickstoffradikale, die Zellen irreversibel schädigen können.

Neurobiologische Effekte des Alkohols

Die meisten Wirkungen des Alkohols betreffen das Nervensystem. Bereits geringfügige Blutalkoholkonzentrationen stören die Wahrnehmung und das Verhalten. Die hohe Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist nicht allein durch die Anzahl der Nervenzellen, sondern in besonderem Maße auch durch die Verknüpfungen der Nervenzellen untereinander zu erklären. Die Kommunikation an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, den Synapsen, erfolgt über chemische Botenstoffe, den Neurotransmittern. Die beiden wichtigsten Neurotransmitter des Gehirns sind das erregende Glutamat und das hemmende GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Andere Neurotransmitter wirken primär modulierend auf diese beiden Neurotransmitter ein. Im Zentralnervensystem gibt es etwa gleich viele hemmende wie erregende Synapsen.

Alkohol wirkt gleichzeitig auf alle Neurotransmittersysteme ein, indem es deren Aktivität verstärkt oder abschwächt. Die Leistungsfähigkeit des Nervensystems ist an ein austariertes System von erregenden und hemmenden Synapsen geknüpft. Eine Störung dieses Zusammenwirkens von Hemmung und Erregung ist für viele auf den Alkohol zurückzuführenden Veränderungen der Wahrnehmung und des Verhalten zurückzuführen.

Tabelle 1: Neurotransmitter des Nervensystems (ZNS = Zentralnervensystem, PNS = peripheres Nervensystem)

Neurotransmitter Physiologische Wirkung Effekt von Alkohol
Gamma-Aminobuttersäure (GABA) ZNS: wichtigster hemmender Neurotransmitter, hemmt und reguliert Aktivität anderer Nervenzellen, körpereigenes Beruhigungsmittel verstärkend
Opiode ZNS, PNS: Schmerz-, Hungerlinderung, Euphorie verstärkend
Serotonin ZNS: beeinflusst fast alle Hirnfunktionen mit Stimmung, Appetit, Schmerz, Schlaf-Wach-Rhythmus, Sexualverhalten, Temperatur

PNS: Blutdruckregulation

verstärkend
Glutamat ZNS: wichtigster erregender Neurotransmitter; beteiligt an fast allen Hirnfunktionen u.a. an Sinneswahrnehmung, Steuerung von Bewegungen, Lernen, Gedächtnis abschwächend
Dopamin ZNS: Bewegungssteuerung, Belohnungssystem, Motivation, Arbeitsgedächtnis

PNS: Steuerung und Regelvorgänge (z.B. Durchblutung der Organe)

verstärkend

Alkohol verstärkt die Wirkung opioder Synapsen im Zentralnervensystem. Das körpereigene Belohnungssystem wird durch die daraus folgende Ausschüttung von Endorphinen mit der Folge eines gesteigerten Verlangens nach Alkohol aktiviert. Besonders gut untersucht sind die Auswirkungen von Alkohol auf das GABA-System. Alkohol verstärkt die hemmende Wirkung dieses Neurotransmitters. Die Sedierung des Körpers durch Alkohol dürfte die Folge einer gesteigerten Aktivität des GABA-Systems sein. Unmittelbar nach der Aufnahme des Alkohols kommt es zu einer Wechselwirkung des Alkohols mit dem erregenden Glutamat-System. Die enthemmende Wirkung des Alkohols dürfte auf diesen Mechanismus zurückzuführen sein. GABA und Glutamat sind sowohl in der Netzhaut als auch in visuellen Zentren der Großhirnrinde die wichtigsten Neurotransmitter. Eine alkoholbedingte Störung dieser Transmittersysteme wirkt sich auf die Verarbeitung visueller Informationen in Netzhaut und Gehirn aus und ist die Ursache von Sehstörungen.

Alkohol und Dehydratation

Alkohol stimuliert die Ausscheidung von Wasser über die Nieren (siehe Abb. 2). Der Körper dehydriert unter dem Einfluss von Alkohol, was den Nachdurst nach einem Zechgelage teilweise zu erklären vermag. Die Dehydratation hat Einfluss auf das Auge. Hiervon betroffen sind vor allem die Tränenproduktion und der Augeninnendruck.

Bachus - der fröhliche Zecher

Abb. 2: Guido Reni (1575 – 1642): Trinkender Bacchus. Man beachte das Fließgleichgewicht von Flüssigkeitsaufnahme und –abgabe

Der Wasserverlust des Körpers ist auf die alkoholinduzierte Hemmung der Synthese des Antidiuretischen Hormons (ADH, Vasopressin) im Zwischenhirn zurückzuführen. Dieses Hormon wird in die Blutbahn abgegeben, wenn spezielle Rezeptoren in den Blutgefäßen festgestellt haben, dass das Blut zu stark eingedickt, d.h. hyperton ist. In der Niere fördert dieses Hormon die Rückresorption von Wasser, wodurch eine weitere Eindickung des Blutes verhindert wird. Wird die Bildung des Hormons unterdrückt, scheiden die Niere mehr Wasser aus, wodurch das Blut hypertoner wird, was wiederum dazu führt, dass allen Geweben des Körpers Wasser osmotisch entzogen wird.

  1. Alkohol und Auge

Die direkten Auswirkungen von Alkohol auf das Auge sind im Vergleich zu den Seh- und Wahrnehmungsstörungen, die auf die neurobiologischen Wirkungen des Alkohols im Gehirn zurückzuführen sind, unbedeutend.

Alkohol und Hornhaut

Alkohol wird bei einigen refraktiv-chirurgischen Eingriffen (z.B. PRK) oder dem Crosslinking der Hornhaut zur Entfernung des Epithels benutzt. Hier hat der Alkohol eine direkte schädigende Wirkung auf das Hornhautepithel. Alkohol, der als Getränk in den Körper aufgenommen wird, wirkt sich nicht unmittelbar auf die Hornhaut aus. Bei chronisch Alkoholkranken jedoch ist die Zahl der Endothelzellen um fünf bis zehn Prozent reduziert, was für die betroffenen Personen nur selten negative Auswirkungen haben dürfte.[1] Horntransplantate, deren Spender alkoholkrank waren, können eine geringere Überlebensdauer haben als Spenderhornhäute von Nicht-Alkoholikern. Die Ursache hierfür wird in der geringeren Zahl von Endothelzelle der Spenderhornhaut eines Alkoholikers gesehen.

[1] http://dx.doi.org/10.1136/bjophthalmol-2017-311197

Alkohol und Bindehaut

Fast immer sind die Augen nach dem Genuss größerer Mengen Alkohols gerötet. Bei einer Polizeikontrolle wird, wenn der Verdacht auf Trunkenheit im Straßenverkehr besteht, auch die Rötung der Augen beurteilt. Dies kann in einem möglichen Strafverfahren wegen Trunkenheit am Steuer von Bedeutung sein. Alkohol bewirkt aufgrund gesteigerter Ausscheidung von Wasser über die Nieren eine Dehydratation des gesamten Körpers. Da die Tränenflüssigkeit ein Filtrat des Blutes ist, ist ein alkoholinduziertes trockenes Auge als mögliche Ursache für die Rötung der Bindehaut denkbar. Alkohol ruft in der Anfangsphase eine Weitung der Blutgefäße verbunden mit einer Senkung des Blutdrucks hervor, was dann als rotes Auge sichtbar wird. Neurobiologische Effekte vor allem auf den Neurotransmitter Serotonin, der die Spannung in den Muskelzellen der Blutgefäße beeinflusst, oder eine Wechselwirkung von Alkohol mit dem sympathischen Nervensystem werden ebenfalls für die Weitung der Blutgefäße verantwortlich gemacht.

Alkohol und Augeninnendruck

Alkohol senkt den Augeninnendruck, was in der Vergangenheit auch therapeutisch bei einem akuten Engwinkelglaukomanfall ausgenutzt wurde. Die drucksenkende Wirkung des Alkohols resultiert aus einer gesteigerten Wasserausscheidung über die Nieren. Die damit verbunden Hypertonizität des Blutes löst einen osmotischen Ausstrom von Wasser aus dem Glaskörper in die Blutgefäße des Auges aus. Der Glaskörper „schrumpft“, was den Abfall des Augeninnendrucks erklärt. Für eine dauerhafte Therapie des Glaukoms ist Alkohol, da seine drucksenkende Wirkung nur kurz ist und die negativen Auswirkungen regelmäßigen Alkoholkonsums erheblich sind, nicht geeignet.

Alkohol und Pupillen

Die Reaktionen der Pupillen auf veränderte Helligkeiten sind unter Alkoholeinfluss zeitlich verzögert. An der Kontrolle der Pupillenbewegung sind mehrere Strukturen des Zentralnervensystems (z.B. II. und III. Hirnnerv, Mittelhirn) beteiligt. Die allgemeinen neurobiologischen Effekte von Alkohol im Gehirn führen zu einer Verlangsamung aller Hirnprozesse, darunter auch die der Steuerung der Pupillenbewegung. Die Amplitude der Pupillenbewegungen ist verringert, d.h. der Pupillendurchmesser passt sich veränderten Helligkeiten nur unzureichend an. Im amtlichen Polizeibericht („Torkelbogen“), der bei einer Polizeikontrolle und Verdacht auf Alkoholisierung am Steuer auszufüllen ist, wird festgehalten, ob die Pupillen erweitert oder verengt sind. Zudem wird abgefragt, ob die Pupillen auf Belichtung der Augen spontan bzw. verzögert reagieren oder pulsieren.[1]

Alkohol und Netzhaut

Der Sehfarbstoff in den lichtabsorbierenden Zellen der Netzhaut muss nach seiner Ausbleichung durch Licht in aufwändigen biochemischen Reaktionen wieder erneuert werden. Das lichtabsorbierende (Retinal) ist die Aldehyd-Form des Vitamins A. Ein Zwischenschritt der Erneuerung des Sehfarbstoffs ist die Umwandlung von Retinal in Retinol, der alkoholischen Form des Vitamins A. An den Reaktionen in den Zellen des Pigmentepithels der Netzhaut sind Enzyme (CYT2) beteiligt, die eng verwandt sind mit den Alkohol-abbauenden Enzymen in der Leber. Alkohol blockiert diese Enzyme, worunter die Regeneration des Sehfarbstoffs leidet.

Die Nervenzellen der Netzhaut kommunizieren wie die des Gehirns über die Neurotransmitter GABA und Glutamat miteinander. Neurobiologische Wirkungen von Alkohol auf diese Transmittersysteme können die Reizverarbeitung in der Netzhaut beeinträchtigen. Dies lässt sich durch leicht nachzuweisende erworbene Farbsinnstörungen nach der Aufnahme auch nur geringer Alkoholmengen aufzeigen. Das Farbensehen gilt aufgrund seiner hochkomplexen Verarbeitungsschritte, die bereits in der Netzhaut ablaufen, als sehr empfindlicher Indikator für Veränderungen in der Netzhaut.

[1] https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/05-12-09/05-12-09-anlage-nr-14.pdf?__blob=publicationFile&v=2

  1. Alkohol und Wahrnehmung

Bereits nach mäßigem Alkoholkonsum mit Blutalkoholkonzentrationen von 0,05% lassen sich Veränderungen der visuellen Wahrnehmung, die in der Regel nicht gravierend sind, feststellen. Untersuchungen mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille sind nicht mehr zuverlässig durchführbar, da die Versuchspersonen, besonders bei Untersuchungen im Dunkeln häufig einschlafen, oder unsinnige Antworten geben und auffällige Reaktionen zeigen. Sie sind „nicht mit voller Aufmerksamkeit bei der Untersuchung […]. Das Messergebnis entspricht mehr der Aufmerksamkeitsminderung, der Ermüdung und anderen Faktoren, als dass es eine Aussage über die optische Leistungsfähigkeit erlaubt.“[1] Untersuchungsresultate einzelner Sehfunktionen, insbesondere bei höheren Blutalkoholkonzentrationen, sind daher als unsicher anzusehen und nur von geringem Wert.

Die alkoholbedingten Sehstörungen sind primär durch die neurobiologischen Wirkungen des Alkohols im Nervensystem zu erklären. Wichtiger als die Betrachtung der Auswirkung von Alkohol auf isolierte Teilfunktionen des Sehens (z.B. Kontrastempfindlichkeit, Farbensehen, Bewegungswahrnehmung, Gesichtsfeld usw.) ist die Integration aller Sehfunktionen, die durch das Gehirn geleistet wird. „Es bedeutet […] eine Künstlichkeit, die ethanolbedingten Schädigungen für einzelne Teilfunktionen isoliert zu betrachten, da es auf die Intaktheit des integralen Systems aller Teilfunktionen ankommt.“[2] Besonders die negativen Auswirkungen auf die (visuelle) Aufmerksamkeit sind für die zu beobachtenden Sehstörungen unter Alkoholeinfluss verantwortlich. Visuelle Aufmerksamkeit ist erforderlich, um die begrenzten Verarbeitungskapazitäten des Gehirns auf wesentliche Informationen der Außenwelt zu konzentrieren. Sie ist auch für die Auslösung von Augenbewegungen, mit denen die Umwelt abgescannt wird, relevant.

[1] Gramberg-Danielsen B. Sehen und Verkehr, Springer Verlag Berlin, Heidelberg 1967
[2] Madea B. Praxis Rechtsmedizin, Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2007

Sehzentren im Gehirn

Abb. 3: Zur Integrationsleistung des Gehirns. Informationen über die Lage, räumliche Tiefe, Bewegung (Wo?) werden im dorsalen Pfad verarbeitet. Farbe, Gestalt, Größe, Bedeutung usw. (Was?) werden im ventralen Pfad des Gehirns getrennt voneinander verarbeitet. Alle Teilaspekte des wahrgenommenen Objektes müssen zu einem einzigen Bild zusammengefügt werden.

Sehen als Integrationsleistung des Gehirns

Bereits geringfügige Blutalkoholkonzentrationen verlangsamen die Informationsverarbeitung im Gehirn, die Reaktionszeit ist verzögert. Dies beeinträchtigt besonders die Bewegungswahrnehmung mit der Folge, dass es zu Fehleinschätzungen von Geschwindigkeiten und Entfernungen bewegter Objekte kommt. Bewegte Objekte können nur schwer fixiert werden, da Folgebewegungen und optokinetischer Nystagmus gestört sind (siehe unten).

Sehen endet nicht an der Netzhaut, sondern ist eine Leistung des Gehirns. Die visuelle Wahrnehmung ist das Resultat komplexer Verarbeitungsschritte, bei denen aus einer Lichtverteilung auf der Netzhaut ein Bild der Außenwelt rekonstruiert wird. Form- und Strukturerkennung, Farbensehen, Lage im Raum, Bewegung des Objekts werden in unterschiedlichen Regionen der Großhirnrinde verarbeitet. Schließlich muss dem wahrgenommenen Objekt eine Bedeutung zu geordnet werden, andernfalls läge Seelenblindheit vor. Diese Integrationsleistung des Gehirns wird durch die Störung des Zusammenwirkens erregender und hemmender Neurotransmitter empfindlich gestört und ist für die meisten Sehstörungen unter Alkoholeinfluss verantwortlich.

[3] Gramberg-Danielsen B. Sehen und Verkehr, Springer Verlag Berlin, Heidelberg 1967
[4] Madea B. Praxis Rechtsmedizin, Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2007

Kontrastempfindlichkeit und Blendungsempfindlichkeit

Die Kontrastempfindlichkeit verschlechtert sich bei moderaten Blutalkoholkonzentrationen nur geringfügig.[5] Betroffen sind hohe und niedrige Ortsfrequenzen. Die Ursache der Verschlechterung dieser visuellen Teilfunktion liegt, wie bei anderen visuellen Teilfunktionen auch, im Zentralnervensystem und nicht im Auge.

Die durch Alkohol verursachte erhöhte Blendungsempfindlichkeit steht in engem Verhältnis zu den oben beschriebenen Auffälligkeiten der Pupillenbewegung. Aufgrund der zeitlich verzögerten Pupillenbewegungen kann sich das Auge nur verzögert an die Veränderungen der Adaptationsleuchtdichten anpassen. Die verringerte Amplitude der Pupillenbewegung schränkt die Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse ebenfalls ein. Wenn die Verengung der Pupille gegenüber dem nüchternen Zustand eingeschränkt ist, werden auch Abbildungstiefe und Schärfentiefe des Auges weniger effektiv sein.

Dämmerungs- und Nachtsehen

Das Dämmerungs- und Nachtsehen werden durch Alkohol in besonderem Maße gestört. Sowohl die Helladaptation nach vorausgegangenem skotopischen Sehen als auch die Dunkeladaptation nach vorausgegangenem photopischen Sehen sind extrem verzögert. Die Readaptationszeit nach Blendung ist im alkoholisierten Zustand um bis zu 60% länger als im nüchternen Zustand. Im Dunkeln wird, da die Zapfen ihre Funktionsfähigkeit eingebüßt haben, mit peripheren Netzhautstellen gesehen. Das periphere Sehen verschlechtert sich durch den Tunnelblick und die alkoholbedingten Störungen der Augenbewegungen.

Gesichtsfeld

Die Prüfung des Gesichtsfeldes mit einem automatischen Perimeter stellt an den Probanden sehr hohe Anforderungen hinsichtlich Konzentrationsvermögens und Aufmerksamkeit, welche beide unter den Auswirkungen des Alkohols leiden. Mögliche Auffälligkeiten des Gesichtsfeldes sind dann nicht die Folge von pathologischen Veränderungen des Auges oder Sehbahn, sondern das Resultat unzulänglichem Konzentrationsvermögen und fehlender Aufmerksamkeit.

Die Fovea macht nur etwa 0,01% der gesamten Netzhautfläche aus. Die meisten Objekte der Außenwelt werden daher auf Netzhautbereiche abgebildet, die eine geringere Sehschärfe aufweisen als die zentrale Netzhaut. Visuelle Aufmerksamkeit ist erforderlich, um aus der Vielzahl der vorhandenen Objekte die auszuwählen, die mittels Augenbewegungen auf die Fovea abgebildet und damit mit maximaler Sehschärfe wahrgenommen zu werden. Der Teil des gesamten Gesichtsfeldes, aus dem durch visuelle Aufmerksamkeit selektiv Informationen bei der Fixation verarbeitet werden, wird als nutzbares Gesichtsfeld (useful field of view UFOV) bezeichnet. Alkohol schränkt die Funktionsfähigkeit der visuellen Aufmerksamkeit und damit das nutzbare Gesichtsfeld deutlich ein. Die Folge ist der Tunnelblick. Der Tunnelblick ist eine häufig nach Alkoholkonsum zu beobachtende Störung des Sehens. Peripher auf die Netzhaut abgebildete Objekte werden nicht wahrgenommen. Dieser reversible Gesichtsfeldausfall wird durch die gestörte Verarbeitung visueller Informationen im Gehirn und nicht durch pathologische Veränderungen der Netzhaut oder des Sehnervs verursacht. Da für die Orientierung im Raum das periphere Gesichtsfeld maßgeblich ist, ist das räumliche Orientierungsvermögen stark eingeschränkt. Im Straßenverkehr führt der Tunnelblick dazu, dass bei einem Überholvorgang der Gegenverkehr nicht erkannt oder der an einer Kreuzung einmündende Verkehr übersehen wird.

  1. Alkohol und Augenbewegungen

An der Auslösung und Kontrolle von Augenbewegungen sind weite Teil des Großhirns, des Hirnstamms und des Gleichgewichtssystems beteiligt. Störungen der Augenbewegungen beeinträchtigen vor allem die Fixation bewegter Objekte. Augenbewegungen sind eng an das Gleichgewichtssystem gekoppelt, umgekehrt setzen Gang- und Standsicherheit ein stabiles Netzhautbild voraus.

Vestibulärer Nystagmus

Das im Innenohr gelegene Gleichgewichtsorgan kontrolliert auch die Augenbewegungen. Veränderte Kopfhaltungen müssen durch gegensinnige Augenbewegungen ausgeglichen werden, damit trotz Bewegung des Kopfes die Lage des Netzhautbildes stabil bleibt. Veränderungen im Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) äußern sich neben Schwindel, Gang- und Standsicherheit und Übelkeit, die als typische Folgen übermäßigen Alkoholgenusses gelten, häufig auch in einem Nystagmus („Augenzittern“).

Ein häufig zu beobachtender Nystagmus ist der alkoholinduzierte Lagerungsnystagmus. Diese Variante des Nystagmus wird durch die Fixation unterdrückt, sodass er nicht spontan zu beobachten ist. Bei bestimmten Körperlagen kann er hingegen einfach festgestellt werden. Die Ausprägung des Nystagmus ist in Bauchlage minimal, während sie in Seitenlage maximal ist. Der Nystagmus hat eine zum unten liegenden Ohr gerichtete Schlagrichtung. Er tritt etwa eine halbe Stunde nach Aufnahme von mindestens 40 g Alkohol auf. Seine maximale Ausprägung hat er nach etwa zwe Stunden, wenn auch die Blutalkoholkonzentration maximal ist. Bei hohen Alkoholkonzentration kann dieser Nystagmus bis zu zwölf Stunden nachweisbar sein. Verbunden mit dem Lagenystagmus ist der alkoholtypische Schwindel.

Die Ursache des Nystagmus und des Schwindels ist primär physikalischer Natur. Alkohol hat eine geringere Dichte als Wasser. Er gelangt durch Diffusion leicht in die gallertartige Kupula, in die die Sinneshärchen des Gleichgewichtsorgans eingelagert sind, während die in den Bogengängen enthaltene Flüssigkeit (Endolymphe) zunächst nur wenig Alkohol aufnimmt. Durch die Veränderung der Dichte der Kupula verändert sich die Position der Sinneshärchen im Gleichgewichtsorgan, was vom Gehirn als Bewegung des Körpers (miss-)interpretiert wird, die von der Körperlage abhängig ist. Der Nystagmus kann verstärkt werden durch toxische Reaktionen, die die Bahnen zwischen Gleichgewichtsorgan und Gehirn betreffen.

[5] Zulauf M, Flammer J, Signer C. Short-Term Influence of Alcohol on Spatial Brightness Contrast Sensitivity. Ophthalmologica 1988;197:159–165

Tabelle 2: Alkohol und Augenbewegungsstörungen

Nystagmus Blickrichtungsnystagmus

Downbeat-Nystagmus

peripherer Lagenystagmus

Folgebewegungen sakkadierte Folgebewegungen
Optokinetischer Nystagmus Störung
Sakkaden verlangsamt

hypometrische Sakkaden

Vestibulookulärer Reflex gestörte Suppression

Steuerung Areale in der Großhirnrinde

Abb. 4: An der Steuerung der Folgebewegung beteiligte Areale der Großhirnrinde. Die Areale MST und MT dienen der Ermittlung der Lage und der Geschwindigkeit des bewegten Objektes. Das frontale Augenfeld wählt die Objekte aus, auf die die Aufmerksamkeit des visuellen Systems gerichtet werden soll. Vom Großhirn ziehen Nervenbahnen zum Hirnstamm, von wo aus die einzelnen Augenmuskeln über die okulomotorischen Hirnnerven gesteuert werden. Alkohol greift über seine neurobiologischen Wirkungen in dieses komplizierte Kontrollsystem der Augenbewegungen ein und ruft so Störungen der Augenbewegungen hervor.

Zentrale Augenbewegungsstörungen

Wie bei der Rekonstruktion der Außenwelt durch das Gehirn sind auch bei der Auslösung und der Steuerung der Augenbewegungen unterschiedliche Regionen der Großhirnrinde beteiligt. Neurobiologische Wirkungen des Alkohols haben daher regelmäßig auch negative Auswirkungen auf die Augenbewegungen.

Folgebewegungen dienen der Stabilisierung des Netzhautbildes, wenn sich Objekt und Beobachter relativ zu einander bewegen. Bei Bewegung eines anfixierten Objekts würde sich sein Bild auf der Netzhaut verschieben. Um dies zu vermeiden, wird eine entgegengesetzte gleichmäßig fließende Augenbewegung erzeugt, deren Geschwindigkeit von der Geschwindigkeit der Objektbewegung bestimmt wird. Unter Alkoholeinfluss treten statt gleichmäßig fließender Augenbewegungen ruckartige Augenbewegungen auf (sakkadierte Folgebewegungen), da die Geschwindigkeit der Augenbewegung geringer ist als die des Objekts. Ist das Netzhautbild zu weit von der Fovea entfernt, muss es durch eine ruckartige Augenbewegung (Sakkade) wieder zentral abgebildet werden.

Sakkaden dienen dazu, die Bilder peripher auf die Netzhaut abgebildeter Objekte zentral auf die Fovea abzubilden. Sakkaden sind ruckartige Bewegungen, die mit großer Geschwindigkeit (bis zu 1000 Grad pro Sekunde) und Amplitude (bis zu 60°) erfolgen. Die Präzision der Sakkaden ist trotz der hohen Geschwindigkeit und großen Amplitude hoch. Durch Alkohol bedingt kommt es zu einer deutlichen Verlangsamung Sakkaden. Eine hypometrische Sakkade als Folge der Einwirkung von Alkohol auf das Sakkadensystem des Gehirns äußert sich darin, das die Sakkade hinter dem angestrebten Ziel um mehr als 15% zurückbleibt.

Der optokinetische Nystagmus („Eisenbahnnystagmus“) ist eine Abfolge von Sakkaden und Folgebewegungen, um bei einem horizontal bewegten Beobachter zum einen das Netzhautbild zu stabilisieren und durch Sakkaden neue Objekte zentral abzubilden. Die beschriebenen alkoholbedingten Störungen von Folgebewegungen und Sakkaden bedingen Störungen des optokinetischen Nystagmus.

Doppelbilder

Doppelbilder sind die wahrscheinlich bekannteste Nebenwirkung von Alkohol auf das Sehen. Die Verschmelzung der Einzelbilder beider Augen sind das Resultat motorischer und sensorischer Fusion. Die beschriebenen alkoholbedingten Störungen der Augenbewegungen erschweren die Ausrichtung beider Augen auf ein Sehobjekt, die die Grundlage jeglicher Fusion ist. Selbst dann, wenn beide Augen auf dasselbe Objekt ausgerichtet sind, müssen die Einzelbilder zu einem gemeinsam wahrgenommenen Bild verschmolzen werden. Dieser Prozess kann durch die neurobiologischen Nebenwirkungen von Alkohol auf die erregenden und hemmenden Neurotransmittersysteme im Gehirn gestört werden, sodass es zur Wahrnehmung von Doppelbildern kommt.

Gleichgewicht und Augenbewegungen

Störungen des Gleichgewichtssinns sind teilweise mit Störungen des Gesichtssinns gekoppelt. Änderungen der Kopfposition und Körperlage verschieben das Netzhautbild auf der Netzhaut, das durch kompensatorische Augenbewegungen „nachfixiert“ werden muss. Diese Nachfixierung ist wegen der Störungen der Augenbewegungen unter Alkoholeinfluss nicht mehr gegeben. Das Netzhautbild verliert seine Funktion als optischer Orientierungspunkt zur Stabilisierung der Körperposition. Gang- und Standsicherheit (Torkeln) sind die sichtbaren Zeichen dieser fehlenden Stabilisierung der Körperposition durch das Auge.

  1. Zusammenfassung

Alkohol wirkt sich auf viele Teilfunktionen des Sehens aus, jedoch sind diese Funktionseinbußen nicht auf alkoholbedingte Wirkungen im Auge, sondern auf Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitung im Gehirn zurückzuführen. Störungen der Motorik beider Augen wirken sich ebenfalls auf die visuelle Wahrnehmung aus. Insbesondere die Fixation bewegter Objekte wird durch Alkohol erschwert. Mangelhafte visuelle Aufmerksamkeit schränkt den nutzbaren Bereich des Gesichtsfeldes ein, es kommt zu einem Tunnelblick.

Autor: Dr. Andreas Berke ist Direktor der Höheren Fachschule in Köln (HFAK) hat Biologie, Physik und Philosophie studiert und ist ehrenamtlich in verschiedenen Gremien der internationalen Augenoptik aktiv, stellvertretend sei hier der Vorsitz des Board of Examiners des ECOO Europadiploms genannt. Er ist Fachbuchautor verschiedener aktueller Publikationen.

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