Als Anfang Januar in den Medien von einer „mysteriösen Lungenkrankheit in China“ die Rede war, fand man die Nachricht noch unter ferner liefen. Mittlerweile hat die Corona-Krise Gesellschaft und Wirtschaft weltweit – aber eben auch bei uns – fest im Griff. Die größte Rezession seit 100 Jahren wird befürchtet. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren in ihrem Frühjahrsgutachten für 2020 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4,2 Prozent. Auch die Augenoptik hierzulande wurde von der Krise mit voller Wucht erfasst. Probleme bei Lieferketten begannen bereits nach „Chinese New Year“. Die Situation verschärfte sich mit der Verschiebung der Mido, aus der bald eine Absage wurde. [12579]
„Viele augenoptische Unternehmen blieben erst einmal schmerzhaft auf den meisten ihrer Messekosten sitzen“, sagt Peter Frankenstein, Leiter Consumer Optics bei Spectaris, und zählt die vielen Probleme auf, mit denen sich die verunsicherten Unternehmer bis heute auseinandersetzen müssen: Der Umgang mit Verdachtsfällen im eigenen Unternehmen, die Aufrechterhaltung der Produktion, die Sicherstellung der Lieferketten, der Umgang mit Regressionsansprüchen und nicht zuletzt Arbeitsschutz und Sorgfaltspflichten für die eigene Belegschaft. Der Krisenstab, der bei Spectaris gebildet wurde, tagte telefonisch, zeitweise täglich.
Volker Grahl, Vorstandsmitglied des Hybrid-Optikers SuperVista, der seit 2012 den Markt mit Multi-Channel-Angeboten aufmischt, berichtet, dass es trotz einer 45-tägigen „Schockstarre“ in China für SuperVista in Shanghai „keine nennenswerten Produktionsausfälle bei den hauseigenen Steiner Vision-Brillengläsern gab. Zum Hintergrund: Die Brillengläser werden im chinesischen Shanghai, aber auch in Japan hergestellt. In der Zwangspause sei die japanische Produktion eingesprungen, so Grahl. Weitsichtig reagierte man auch beim Kontaktlinsenhersteller MPG&E, als man im Februar die Lagerkapazitäten aufstockte, um für Corona gewappnet zu sein. „Rückblickend hat sich das als richtig erwiesen“, so Geschäftsführer Fabian Hasert. „Ab drei Monaten“, so hört Peter Frankenstein unter den Spectaris-Verbandsmitgliedern, „hätten die meisten Lieferanten ein Riesenproblem“.
Gut, dass die opti im Januar stattfinden konnte, resümieren Aussteller. Das Gros der Orderpositionen wurde noch ausgeliefert, das Warenlager war bei den Messebesuchern gut gefüllt. Auch bei Breitfeld & Schliekert, wo man mit rund 270 Zulieferern aus Deutschland zusammenarbeitet, profitierte man zunächst von „einem äußert positiven Trend seit der opti“, doch bereits mit der Schließung der europäischen Grenzen am 13. März begann „ein massiver Einbruch im Bestellvolumen“, so Bernd Pigorsch, Prokurist/Europe VP, Sales und Marketing bei dem Traditionsunternehmen. Als die Bundesregierung am 22. März das Kontaktverbot beschlossen hatte, kamen die Geschäftsaktivitäten „fast gänzlich zum Erliegen.“
Ähnliches berichtet Hans Joachim Marwitz (Conquistador) für Anfang April: „Nur vereinzelt werden noch Brillenfassungen oder Ersatzteile bestellt.“ Deutliche Umsatzeinbrüche seitdem auch bei der Deutschen Augenoptik AG, „zwischen 70 und 80 Prozent“, so Geschäftsführer Stefan Rüdiger. Kein Außendienst mehr, Homeoffice, Urlaubstage abfeiern, Kurzarbeit sind die Anpassungen an die veränderte Situation. Auch große Hersteller wie etwa Zeiss führten Kurzarbeit ein, so in Aalen seit 1. April.
Herausfordernde Situation für Augenoptik-Betriebe
Besonders herausfordernd entwickelte sich die Situation für Augenoptikerbetriebe. Da sie mit ihrer Dienstleistung die zentrale Sehversorgung garantieren und damit ein wichtiges Gesundheitshandwerk darstellen („Systemrelevanz“), dürfen sie offenbleiben. In einer Blitzumfrage des ZVA unter Mitgliedern kurz nach der Kontaktsperre entschieden sich sogar 95 Prozent der befragten Betriebe dafür, auch wenn die meisten ihre Öffnungszeiten stark reduzierten und/oder nur (Notfall-)Versorgungen nach terminlicher Vereinbarung anboten. Für die Inhaber bleibt die Situation ein Balanceakt, wie der Geschäftsbetrieb im Detail weitergeführt werden soll, schließlich tragen sie die Verantwortung für Schutz und Gesundheit der Mitarbeiter und Kunden. Zudem macht der Föderalismus manches noch komplizierter: Je nach Bundesland und Standort müssen unterschiedliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
Bei Mister Spex hatte man zum Beispiel zeitweise alle 21 Stores geschlossen, sieht aber optimistisch nach vorn: „Hier zeigt sich einmal mehr, warum Omnichannel das Modell der Zukunft ist, denn die stringente Verknüpfung von On- und Offline gibt uns auch in Krisen wie dieser die Möglichkeit, unsere Services und Produkte weiterhin anzubieten“, so Geschäftsführer Mirko Caspar. Er verweist dabei auf die „offene Testphase für einen Online-Sehtest“, den das Unternehmen seit Anfang April anbietet. Der ist allerdings nicht unumstritten.
Die Hersteller reagieren auf die veränderte Situation ihrer Kunden mit unterstützenden Angeboten. Bei MPG&E hält man die Augenoptiker mit einem „Corona-Telegramm“ auf dem Laufenden, die Optiswiss AG bietet kostenlose online-basierte Marketingtools an und Hoya ist längst nicht der einzige Hersteller, der Partneroptiker zu speziellen Webinar-Programmen einlädt. Essilor Deutschland wird Teilnehmern des Drive-to-Store-Konzepts gegenüber großzügiger. Alexander Mohr, Geschäftsführer Essilor Deutschland GmbH: „Gemeinsam mit Brille24 lassen wir bis Ende Juni Brille24-Vertragspartner stärker am Online-Umsatz partizipieren.“
Dass die Lockerung der Corona-Verbote und die erweiterte Öffnung von Geschäften des Einzelhandels, wie sie seit Ende April vollzogen werden, auch Augenoptikern zugutekommen, ist wahrscheinlich. Stefan Rüdiger von der Deutschen Augenoptik AG erwartet „frühestens im Herbst ein normales Auftragsvolumen.“ Klar ist: Brillen werden immer gebraucht.
/// JUEB/ CH
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Stimmungen. Reaktionen. Erwartungen.
Stefan Rüdiger, Vorstand Deutsche Augenoptik AG
„Die Branche und unser Leben werden sich durch diese Krise deutlich verändern. Das geht von der Nachhaltigkeit der Produktionsstandorte und Lieferketten über die Anzahl der Optikgeschäfte und Lieferanten, die Sinnhaftigkeit unseres Angebotes und das Preis-Leistungs-Verhältnis bis hin zur veränderten Nachfrage durch die Endverbraucher. Da diese Krise Auswirkungen auf alle Lebensbereiche und fast alle Menschen in Deutschland und der Welt hat, wird es kein „Weiter-so“ geben.“
Thomas Truckenbrod, ZVA-Präsident
„Natürlich sind stationäre Geschäfte von der Corona-Krise unmittelbarer und stärker getroffen als Online-Händler. Dennoch glaube ich nicht, dass sich Konsumgewohnheiten beim stationären Augenoptiker nachhaltig verändern. Die Menschen werden froh sein, wenn sie nach der Krise wieder einkaufen gehen und die Produkte anfassen und erleben können, statt sie nur virtuell im Warenkorb abzulegen und das Beste zu hoffen.“
Peter Frankenstein, Spectaris, Leiter Fachverband Consumer Optics
„Die Amazons & Co. haben in dieser Krise vornehmlich von der Bestellung wenig erklärungsbedürftiger Produkte sowie der generellen Convenience profitiert. Die Unter-30-jährigen Fehlsichtigen werden die Augenoptik nun nach und nach in den nächsten Jahren auf Online umkrempeln. Welche Wirkung wiederum die oft beschworene „Sehtest-Killer-App“ haben wird – sollte sie eines Tages für Einstärkengläser verlässlich funktionieren –, bleibt für mich die spannendste Frage.“
Mirjam Rösch, Geschäftsführerin Hoya Lens Deutschland GmbH
„Unser Ratschlag ist, die Zeit für sich als Augenoptiker zu nutzen und sich zu fragen, ob ich für die Gegenwart und Zukunft weiterhin gut aufgestellt bin. Angefangen von kleinen Ideen zur Ladenbauoptimierung bis zu Weiterbildung der Mitarbeiter über Webinare gibt es hier eine Bandbreite an Möglichkeiten, die die nächsten Monate positiv beeinflussen können.“
Britta Walter, Teamleiterin Digital & Media bei Rodenstock
„Wir haben die Initiative #stärkerzusammen ins Lebens gerufen – um Augenoptikern in diesen herausfordernden Zeiten zur Seite zu stehen. Diese Initiative widmet sich der Frage: „Was passiert während und nach der Corona-Krise mit meinem Geschäft – und wie kann ich jetzt sinnvolle Schritte ergreifen?”.“
Stephan Grünewald, rheingold Institut, Köln
„Die Stunde der Zweifler ist gekommen! Der Eklat um die Mietaussetzung von renommierten Unternehmen wie adidas zeigt, wie stark die Menschen derzeit Orientierung und Vertrauen nicht nur in der Politik und in den Medien suchen, sondern auch bei den Unternehmen und Marken, die sie Zeit ihres Lebens im Alltag begleitet haben. Um diesem Wunsch adäquat zu begegnen, ist es wichtig, die seelischen Achterbahnfahrten der vergangenen Woche zu verstehen.“
Bernd Pigorsch, Prokurist/Europe VP, Sales and Marketing, Breitfeld & Schliekert
„Das Ziel sollte jetzt sein, Kosten und unnötige Ausgaben dort zu reduzieren, wo es möglich ist; jedoch in erster Linie auch versuchen, die Mitarbeiter zu halten. Fachkräfte sind heutzutage Mangelware, weshalb diese gerade jetzt ihre Zeit zur Weiterbildung nutzen können. Insbesondere im digitalen Bereich besteht ja in der Augenoptikerbranche hoher Nachholbedarf.“
Volker Grahl, Vorstand von SuperVista AG
„Wir werden einen eigenen Rettungsschirm für die mittelständischen Augenoptiker aufspannen – nicht nur für die bestehenden Partner, sondern auch für interessierte Betriebe, die dem Netzwerk bisher nicht angehören. Gespräche mit den entsprechenden Institutionen laufen bereits. Wir werden ein völlig neues Ladenkonzept präsentieren, dass die wichtigen Aspekte „kontaktlos“ und „preissensibel“ umsetzt und bei gleicher Mitarbeiterzahl erheblichen Mehrumsatz ermöglicht.“
Katharina Schlager,CEO und Creative Director von Cazal Eyewear
„Not macht erfinderisch. Viele großartige Dinge sind aus solchen Situationen entstanden. Wir müssen kreativ und mutig sein, anders ist einer Situation wie dieser nicht beizukommen. Außergewöhnliche Arbeit wird man aber auch weiterhin schätzen. Davon bin ich überzeugt.“
„Man muss einfach durchhalten und optimistisch in die Zukunft schauen. Der mittelfristige Effekt der Krise ist ja eine noch stärkere Zunahme der weltweiten Myopie, d.h. noch mehr Menschen werden nach der intensiven Nutzung von digitalen Medien eine Brille benötigen. Die allgemeinen Wachstumsaussichten der Branche sind also nach wie vor gut.“
Mehr Statements, welche Maßnahmen Augenoptik-Betriebe in der Corona-Krise unternehmen, gibt es in der eyebizz-Ausgabe 3.2020, die am 7. Mai erscheint.