Als sich Augenoptikermeister Peter Meyenschein 2006 selbstständig machte, schwebte ihm für sein Geschäft in Wittlich in Rheinland-Pfalz etwas ganz Besonderes vor, nämlich der Name „Eye and Art“. Daraus wurde zwar nichts, doch die Grundidee, an seinem Arbeitsplatz regelmäßig Kunst auszustellen, hat er von Beginn an beherzigt. Nicht das einzige Augenoptik-Fachgeschäft, das so einen Mehrwert für seine Kunden schafft.
Ob großflächige Landschaftsmalerei, Skulpturen aus Stein, Exponate von Glasbläsern oder brillante Farbfotografien von der Halbinsel Coney Island, wie sie derzeit bei „Meyenschein Optics“ zu sehen sind; Peter Meyenschein hat keine Berührungsängste, wenn es darum geht, sich und seine Kunden immer wieder aufs Neue zu überraschen. Er betreibt sein Augenoptikgeschäft in der knapp 19.000-Einwohner-Kreisstadt Wittlich im Alleingang, und dass er sich hier einen so guten Namen gemacht hat, hängt nicht nur mit seiner Fachkompetenz und dem idealen Standort zusammen – er logiert direkt am Marktplatz –, sondern ebenso mit seinem Engagement als Hobby-Gallerist.
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Augenoptik und Kunst befruchten sich gegenseitig
Platz für Kunst, die temporär hier einzieht, hat er genug: 140 Quadratmeter sind es inklusive der Werkstatt. In der Regel sind die Werke sechs bis acht Wochen zu sehen. Die Künstler müssen zwar alles selbst organisieren, den Auf- und den Abbau und auch die Einladungen verschicken, doch wird ein Kunstwerk verkauft, bekommen sie den gesamten Erlös. Meyenschein lädt Freunde über Facebook zu den Vernissagen ein, versucht aber, seinen Aufwand grundsätzlich gering zu halten. „Regelmäßig Ausstellungen hier zu machen, kommt den Geschäftsabläufen nicht in die Quere“, betont er, „im Gegenteil: Augenoptik und Kunst befruchten sich gegenseitig.“
Sechs Optiker sind in der Wittlicher Innenstadt zu finden, da sollte man sich etwas einfallen lassen. Und „Meyenschein Optics“ ist kein Allesanbieter, sondern spezialisiert auf exklusive Brillen, hauptsächlich aus deutscher Fertigung. Da passen die schönen Künste bestens dazu. So auch die strahlend-farbigen Strandbilder von Coney Island des 80-jährigen Fotografen und Trompeters Stephen Levine, die derzeit im Geschäft zu sehen sind. Levine ist in Brooklyn geboren und 1968 nach Trier gezogen und hat kürzlich auch im Studio des SWR in Trier ausgestellt. Auf Peter Meyenschein ging er direkt zu und schlug eine Ausstellung vor. „Mein Augenarzt in Trier hat in seiner Praxis auch Bilder von mir“, erklärt Brillenträger Levine und lacht herzlich, „so bekomme ich übrigens immer schnell einen Termin.“
Aus „Brillenkontaktlinsengalerie“ wurde „Blickfang“
Auch die Augenoptiker Jörg und Anja Ballhause von „Blickfang“ in Lichterfelde-Ost, im Berliner Südwesten, stellen in ihren Räumen Bilder und Kunstwerke aus – bis zu sechsmal im Jahr – und das seit der Geschäftseröffnung 1991. Zu Beginn nannte man sich noch „Brillenkontaktlinsengalerie“, doch der Name wurde oft genug missverstanden. Die Vernissagen bei Blickfang sind große Ereignisse, bei denen das gesamte Team aus sieben Mitarbeitern außergewöhnlich engagiert ist. Da werden neben der Kunst und den Getränken auch schon mal Selbstgebackenes, Fingerfood oder ein musikalisches Ständchen serviert. Die Räume wurden vor Jahren so gestaltet, dass sie sich für die Aufhängung von Bildern eignen. Gut zwei Drittel der Wandhöhe ist im warmen Orange gestrichen – der Logofarbe von „Blickfang“ -, darüber dann zur Decke hin ist alles Weiß, da kann sich die Kunst entfalten.
Bis vor kurzem waren Fotografien aus Myanmar, dem früheren Burma zu sehen. Hannelore Sengebusch, eine langjährige Kundin hat sie gemacht. Zeitgleich mit der Vernissage Anfang Juli ging sie in Rente, erzählt Anja Ballhause und berichtet begeistert von dem „Pulk an Leuten“, viele von Frau Sengebuschs alter Arbeitsstätte, die aus entfernten Stadtteilen extra nach Lichterfelde-Ost zur Eröffnung gekommen sind.
„Sie machen immer so schöne Ausstellungen!“
Natürlich sei das alles nicht ohne Aufwand zu haben, am Tag der Vernissage müsse am Ende der Geschäftszeit zügig umgeräumt werden, gibt die Augenoptikerin zu, doch Augenoptiker seien gut strukturiert, nicht wahr? Für Anja Ballhause sind die Ausstellungen – auch eine Goldschmiedin hat schon ausgestellt – Teil eines Gesamtkonzeptes. Die Leitfrage sei doch, wie stellt man sich heute als Augenoptiker gegenüber den Filialisten auf? Bei „Blickfang“ bietet man auch optometrische Leistungen und 3D-Erlebnisrefraktion an, als besonderes Zuckerl kommt das Kunsterlebnis dazu. „Die Leute merken, da läuft noch etwas nach Feierabend und schauen ins Geschäft herein. Immer wieder sagt man zu mir: Sie machen immer so schöne Ausstellungen.“
Es stimmt schon: Wer sich die Bilder an der Wänden anschaut, der wirft eben auch Blicke in die Regale mit den Brillen. Augenoptiker Meyenschein erzählt von einer älteren Damen, die zur Vernissage kam und bald nur Augen für die Brillenfassungen hatte. Er empfahl ihr eine, sie setzte sie auf und sagte: „Genau das wird meine nächste Brille!“ Anja Balhause kennt auch den anderen Fall: Aus Künstlern, die ausstellen, werden treue Kunden.
Noch konsequenter als bei „Meyenschein Optics“ und „Blickfang“ widmet man sich im „Haus des Sehens“ in Landau den schönen Künsten. Das siebenköpfige Team um Geschäftsführer und Augenoptikermeister Martin Mütsch nimmt seinen Leitsatz „Sehen ist mehr als Augenoptik“ wirklich ernst. Das 2011 eröffnete „Haus des Sehens“ befindet sich im „Französischen Tor“, einem der geschichtsträchtigsten Orte Landaus, ursprünglich waren hier die Räume des Telegraphenamtes. Wenn in den umgebauten Geschäftsräumen der Augenoptik jetzt zarte Aquarelle der Künstlerin Sonja Boileau zu sehen sind, so ist das nur die Spitze vom Eisberg.
Denn im „Haus des Sehens“ finden regelmäßig auch Fachvorträge, Musikevents und Lesungen mit bis zu 60 Besuchern statt. Wenn man allerdings im Hinterkopf hat, dass solche Events unbedingt einen Mehrwert haben, also sofort neue Kunden generieren müssen, dann sei das der falsche Ansatz, meint Martin Mütsch: „Es macht uns einfach Spaß, und darauf kommt es an. Für mich als Augenoptiker ist es einfach schön, dank der wechselnden Ausstellungen alle zwei drei Monate eine andere Arbeitsumgebung zu haben“.