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Interview mit Branchenkenner Martin Groß

Augenoptik: Turnaround in der Ausbildung?

Auf der eyebizz-Homepage hat Martin Groß, Trainer, Berater und Kenner der Branche, einen Beitrag zur Ausbildung in der Augenoptik kommentiert und dabei dem Status quo ein miserables Zeugnis ausgestellt. Was läuft in der Ausbildung falsch? Wie lässt sich der dringend notwendige Nachwuchs für die Branche begeistern? Ein Interview, das manche provozieren dürfte.

„Die Optikbranche ist kein reines Handwerk mehr“

eyebizz: Herr Groß, woran krankt die Ausbildung in der Augenoptik?

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Martin Groß: In einem Augenoptiker-Forum im Internet hat ein Augenoptiker kürzlich nach einem Lieferanten gesucht, der noch Silikatgläser liefert, er bräuchte sie für seinen Lehrling. Die Frage beschreibt den Zustand unseres Berufsstandes. Wenn die Industrie schon keine Silikatgläser mehr herstellt, weil sie am Markt nicht mehr gebraucht werden, warum brauche ich dann welche in der Ausbildung? Die Abschlussprüfung zum Gesellen ist heute zu 90 Prozent identisch mit meiner von 1985. Wir müssen aber endlich akzeptieren, dass die Optikbranche kein reines Handwerk mehr ist.

Martin Groß - eyebizz-Interview zur Ausbildung in der Augenoptik
Martin Groß im eyebizz-Interview zur Ausbildung in der Augenoptik (Bild: Martin Groß)

Aber was passiert? Wir ziehen die falschen Leute heran. Wenn ein Schüler beim Augenoptiker ein Praktikum oder einen Schnuppertag macht, was lässt der ihn machen? Bröckeln, Feilen, Schleifen. Er zeigt ihm nur das Handwerk. Dabei sind das junge Menschen, die topmodisch gekleidet sind, internetaffin und kontaktfreudig. Die könnte man auch fragen: Bist du gerne im Service? Guck dir mal unsere Webseite an. Kann man die verbessern?

Auszubildende werden zu wenig auf den beruflichen Alltag im augenoptischen Fachgeschäft vorbereitet?

Wie man verkauft und mit Kunden kommuniziert, findet selbst auf der Berufsschule nicht richtig statt. Das aber müsste passieren. Du kannst deinen Kunden bis zum Glasberater ausbilden, aber wenn er keine Brille findet, die ihm gefällt, passiert gar nichts. Erst wenn er sie abholt, weiß er, ich sehe damit oder nicht. Und vorher vertraut er. Und das hat mit Verkaufen zu tun. Mit Psychologie und Äußerlichkeiten: Das Geschäft muss schön aussehen, ich muss Vertrauen in das modische Produkt haben. Wenn sich Augenoptiker aber immer wieder Handwerker heranziehen und keine Verkäufer, verhindern sie ihr eigenes Wachstum.

Im Refraktionsraum sind Lehrlinge oft selbstbewusst, wenn sie aber in den Verkaufsraum kommen, werden sie unsicher, was sich nicht zuletzt in der Körperhaltung ausdrückt. Sie fragen den Kunden, ob er sich schon etwas vorgestellt hat, weil man ihnen beigebracht hat, offene Fragen zu stellen. Doch das ist falsch. Um Feedback einzuholen, sind offene Fragen gut, wenn du eine vernünftige zielführende Antwort haben willst, sind sie schlecht.

 


Personalsituation in der Augenoptik: Prädikat mangelhaft

 

ZVA Branchenbericht 2021/2022 - Grafik 23 freie Stellen
Laut ZVA-Branchenbericht 2021/22 suchten in den letzten sechs Monaten fast die Hälfte der Innungsbetriebe in der Augenoptik neue Mitarbeiter, in der Umsatzgrößenklasse ab 500.000 Euro Jahresumsatz waren es sogar zwei Drittel. Gesucht wurden vor allem Gesellen. 71 % der suchenden Betriebe sagen, dass sie die freien Plätze nicht wie gewünscht besetzen konnten.

 

Oder ein anderes Beispiel: Ich hatte kürzlich eine Auszubildende, die deutlich besser gestylt war als alle anderen. Wenn sie dem Kunden sagen würde, eine Brille schaut gut bei ihm aus, er würde nicht zweifeln. So stilsicher wie sie angezogen ist, ist ihre Glaubwürdigkeit riesig. Doch in der Berufsschule hat sie gelernt, man darf Kunden seine Meinung nicht sagen. Wenn ich aber meine Meinung nicht mehr sagen darf, dann degradieren wir die Augenoptik-Fachgeschäfte zu Geschäften, die gar kein Fachpersonal mehr brauchen.

Nur etwa die Hälfte aller Auszubildenden will nach bestandener Gesellenprüfung in einem Augenoptik-Betrieb weiterarbeiten. Der Rest ist unsicher oder sieht seine berufliche Zukunft woanders. Woran liegt das?

Was die Auszubildenden sehen, ist wenig modern, hausbacken. Viele Augenoptiker kriegen keine anständige Webseite hin. Manche haben ihr Geschäft 30, 40 Jahre nicht umgebaut, arbeiten im Refraktionsraum mit pappgedruckten Leseproben, womöglich noch auf der rechten Seite links oben mit dem Auszug aus einem Telefonbuch. Oder mit dem Auszug des Screenshots eines Smartphones. Das ist marketingtechnisch nicht falsch gedacht, doch in der Umsetzung miserabel. Denn in welcher Entfernung hält man eine Leseprobe und in welcher ein Smartphone?

Wie geht es besser in der Augenoptik?

Junge Menschen suchen sich einen Ausbildungsplatz im Internet, nicht beim Arbeitsamt. Die schauen im Internet, ob der Augenoptiker eine coole Webseite hat, vielleicht sogar eine eigene Kollektion, und das Geschäft modern und lässig daherkommt. Ich kenne einen Fall, da lässt der Chef den neuen Mitarbeiter von seinen Lehrlingen aussuchen. Da kommunizieren zunächst die jungen Menschen untereinander, der Chef kommt erst später ins Spiel. Der Lehrling im zweiten oder dritten Lehrjahr sucht den neuen Lehrling aus und ist dann auch für ihn verantwortlich. Das ist viel moderner gedacht und spricht Jüngere auch an.

 

„Dem Wunsche der Arbeitgeber, jemanden zu beschäftigen, steht offensichtlich der Wunsch der Arbeitnehmer gegenüber, nicht von diesem Arbeitgeber beschäftigt zu werden.“

Thomas Heimbach Augenoptikermeister und Vorstandsvorsitzender des Augenoptikerverbandes NRW

 

Kann nicht auch die Optometrie zum wirtschaftlichen Erfolg des Geschäftes beitragen?

Natürlich ist Optometrie eine sehr gute Sache, aber nur wenn ich die Ausbildung richtig einsetze. Auch eine optometrische Dienstleistung muss verkauft werden. Wenn Optometristen nur um ihrer selbst willen vermessen, verhindern sie den Verkauf. Vergessen wird, dass von 50 Kunden vielleicht fünf Kunden optometrische Dienstleistungen benötigen. Und 45 wollen einfach eine Messung haben, eine schöne Brille kaufen. Und fertig.

Wie können Augenoptiker*innen trotz Fachkräftemangel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen?

Schon lange vor der Pandemie empfahl ich: Holt euch Quereinsteiger, etwa Leute aus dem Hotelgewerbe und der Gastronomie, die gerne kommunizieren, serviceorientiert und bereit sind, die Branche zu wechseln. Man muss kein Optiker sein, um bei einem Optiker zu arbeiten, wenn man Freude daran hat, Brillen zu verkaufen. Derjenige kann eine Verkaufsschulung machen und die notwendigsten fachlichen Dinge dazulernen. Wir brauchen auf 25 verkaufende Augenoptiker einen Handwerksoptiker.

Wie beurteilen Sie die zukünftige Nachfrage nach augenoptischen Dienstleistungen?

Wenn wir sehen, wer derzeit alles in die Augenoptik-Branche investiert, dann wissen wir, dass dort Potenzial liegt. Die Digitalisierung hat ja nicht nur zur Folge, dass die Menschen mehr am Computer oder am Handy arbeiten, sondern sie hat auch das Sehen verändert. Die Menschen brauchen heute mehr Brillen als noch vor 15 oder 30 Jahren. Auch deshalb sind wir Lichtjahre von einer Marktsättigung entfernt. Und wenn wir das Ziel haben, fachlich kompetente Gesundheits-Optiker auszubilden und dann noch die Kombination aus modischer Kompetenz und ganzheitlicher Beratung hinbekommen, dann ist das ein wunderbarer und wertvoller Beruf.

/// Die Fragen stellte Jürgen Bräunlein.

 

Martin Groß, Inhaber und Geschäftsführer, ist einer der renommiertesten Mental- und Verkaufstrainer in der Augenoptik und im Einzelhandel. www.martingross.eu

 

Artikel aus der eyebizz 4.2022 (Juni/Juli)

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Lieber Martin Groß,
    vieles, ja sogar sehr vieles ist davon richtig. Aber wenn ich mir das fachfremde Personal anschaue, all die Hippster und Co, dann stelle ich mir schon berechtigt die Frage, ob diese es ernsthaft draufhaben. Eine schicke Brille, ja, möglich, da mag Kompetenz vorhanden sein. Optometrisch optimal? Bei hochsensiblen Gläsern? Nicht umsonst verkaufen Filialisten Durchschnitt, Pareto lässt grüßen. Aber Fachverkäfter*innen 1200 € teure Gläser anbieten zu lassen ohne Hintergrundwissen? Eine minderwertige Ray Ban mit Einstärkengläsern im unteren Dioptriebereich-OK-, mehr aber auch nicht. Nein, die Optikbranche degradiert sich gerade mit diesen “Quereinsteiger*innen”, man sieht es ja nur zu deutlich an der Qualitätsminderung durch die wachsende Anzahl von Filialistenbetrieben. 3 Gleitsichtbrillen für 399 €. Am besten noch eine Packung kitchimea reizdarm pro dazu. Nö, dass hat mit seriöser Augenoptik wenig zu tun. 3 Sterne Lokal mit Quereinstiegern, Menü für 39€? Geht nicht, versteht jeder. Hier ist die Crew top, der Chef und die Produkte.
    Nein, wir befinden uns mit den modernen Gläsern im High-Tec Bereich, und da bedarf es tiefgründiges Wissen und nicht nur “Antrainiertes”. Richtig ist aber, daß die Augenoptik dringend weg muss von Bröckeln und “was kann ich für Sie tun, mit Hände auf dem Rücken (you name it). Technisch, emphatisch und ästhetisch top ausgebildetes Fachpersonal ist gefragt, die Angelernten können gerne bei den üblichen Verdächtigen ihre work-live-balance pflegen.

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