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Nachgefragt bei zwei Experten von Zeiss

Brillenglas der Zukunft: Innovationssprünge erfordern Mut

Brillenglas Zeiss - Test Kontaktwinkel
Wie sieht das Brillenglas der Zukunft aus? Zwei Experten von Zeiss im Interview (Bild: Zeiss, Ein winziger Wassertropfen hilft bei der Bestimmung der Oberflächenqualität während der Kontaktwinkelmessung)

Mithilfe neuer Messtechniken werden beim individuellen Brillenglas-Design mittlerweile so viele biometrische Parameter berücksichtigt, dass Flächenfehler auf ein Minimum reduziert werden. Auch in der Materialentwicklung erzielte die Forschung beachtliche Fortschritte. Was kann also in Zukunft noch kommen? eyebizz fragte nach bei zwei Experten von Zeiss. [14261]

Im Interview: Dr. Markus H. Haidl, Head of Next Generation Lens Technology, und Dr. Philipp Jester, Head of Lens Design Solutions, Zeiss Vision Care

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Je besser wir verstehen, was im Gehirn vor sich geht, desto bessere Brillen lassen sich bauen, oder?

Dr. Markus H. Haidl / Dr. Philipp Jester: Absolut. Aus unserer Sicht ist der Schulterschluss zwischen den Bio- bzw. Neuro-Wissenschaften, der Medizin und der Augenoptik entscheidend für neue Impulse bei Brillenglas-Innovationen. Mittlerweile besitzen wir durch zahlreiche Studien und Experimente großes Wissen über die Verarbeitung des Gesehenen. Mit unserem an die Augenklinik der Universität Tübingen angeschlossenen Institut, dem Zeiss Vision Science Lab, sind wir vorne mit dabei.

Bei der Entwicklung der Glasdesigns zu unserem neuesten Brillenglas-Portfolio waren die Kollegen stark miteingebunden und haben uns Daten geliefert, wie sich das Sehen in einer digitalen Welt ändert. Dementsprechend haben wir unsere Designs angepasst.

Ist beim Brillenglas noch mit Materialinnovationen zu rechnen?

Und falls ja, woher könnten die Impulse kommen?

Wir sehen bei den für Kunststoff-Brillengläser eingesetzten Materialien durchaus noch Potenzial für Innovationen. Die Innovation kann z.B. im Bereich von materialspezifischen optischen Eigenschaften liegen, wie dem Schutz vor energiereichem Licht für Wellenlängen von 400 nm und darunter bei ungefärbten Brillengläsern, oder bei der Blockierung bzw. Selektion spezifischer Wellenlängenbereiche des Lichtspektrums, die durch die Sinneswahrnehmung „Sehen“ auf den Menschen wirken.

Am Beispiel „blaues Licht und Sehen“ lässt sich die Komplexität der Forschung gut illustrieren. Einerseits kann energiereiches Licht in diesem Spektralbereich potenziell schädlich für das Auge sein, etwa den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflussen, andererseits ist es für natürliches Farbsehen, für Kontrastwahrnehmung und bestimmte Stoffwechselprozesse unverzichtbar.

Brillenglas Zukunft - Zeiss Markus Haidl
Dr. Markus H. Haidl

Dieser duale Charakter des blauen Lichts bedarf des Zusammenspiels von Materialforschung, Erkenntnissen der Ophthalmologie, der Neurowissenschaften und der Augenoptik und anderer mehr. Wir arbeiten daher interdisziplinär – in unserem Unternehmen selbst und mit externen Partnern, um hier Brillenglas-Innovationen mit Mehrwert für Gesundheit und optimalen Gebrauchseigenschaften für einen modernen Lebensstil auf den Markt zu bringen.

Ein anderer Innovationsbereich hat mit den Rohstoffen bei der Kunststoff-Herstellung zu tun. Entsprechende Impulse werden durch den Trend zur Nachhaltigkeit gesetzt. Die Hersteller von Brillenglas-Kunststoffen bewerben bereits neue Material-Generationen, die Komponenten enthalten, die ressourcenschonend und umweltfreundlich z.B. aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt werden und teilweise auch als biologisch abbaubar eingestuft sind. Wir stehen hier am Anfang eines spannenden, sicher noch längeren Weges.

Je leichter und ästhetischer Gläser sind, desto komfortabler sind sie zu tragen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Gläserdicke weiter zu reduzieren?

Dünnere Gläser lassen sich durch Tricks in der Glasberechnung erreichen, zum Beispiel durch ein in beiden Gläsern gleiches vertikales Prisma, aber auch Materialien mit höherem Brechungsindex führen zu dünneren Gläsern. Schlussendlich sind aber die Festigkeitsforderungen, aus Gründen der Sicherheit, das Limit.

Die heute üblichen Mindestdicken liegen im Bereich um 1 mm, abhängig vom Brillenglas-Material und der gewünschten optischen Wirkung des Glases. Dieser Wert lässt sich nicht beliebig weiter reduzieren, in diesem Sinne gibt es physikalische Grenzen.

Technologisch ist neben den erwähnten Tricks eine Reduktion der Dicke des Brillenglases unter Beibehaltung der mechanischen Stabilität prinzipiell denkbar, z.B. durch Verwendung von sogenannten Verbundmaterialien, d.h. das Brillenglas besteht dabei aus einer Kombination von mindestens zwei Materialien, die untrennbar miteinander verbunden sind, mit sich ergänzendem und positiv verstärkendem Eigenschaftsportfolio. Es ist nicht auszuschließen, dass neuartige optische Verbundmaterialien in der Zukunft für Brillengläser Verwendung finden.

Nutzer wünschen sich robustere, kratzfestere Brillengläser. Welche Verbesserungen sind hier vorstellbar?

Kunststoffe sind im Vergleich zu mineralischen Gläsern zwar robuster, aber weniger kratzfest. Deshalb sind sie anfälliger für Verschleiß. Auch deren Alterungsbeständigkeit durch den Einfluss der über die Tragezeit einer Brille kumulierten Umweltbedingungen ist geringer als für Glas.

Diese Nachteile können über Veredelungsprozesse, z.B. Entspiegelung, Easy-to-clean-Beschichtungen, bei der Brillenglas-Herstellung kompensiert werden. Durch das Zusammenwirken der Eigenschaften von Brillenglas-Material und Beschichtung lassen sich so zum einen die Robustheit des Produktes optimieren, zum andern sind veredelte Kunststoff-Brillengläser damit nahezu so kratzfest wie Glas.

Ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht?

Sicher nicht. Im Bereich der inkrementellen Innovationen – das betrifft die Weiterentwicklung und Optimierung von Produkten und Prozessen z.B. zur Optimierung des Kundennutzens und zur Reduktion von Kosten – ist noch Vieles denkbar. Größere, d.h. radikale bzw. disruptive Innovationssprünge mit dem Potenzial zur Gestaltung des Marktes erfordern technologische Vorausschau und Mut, neue oder auch ungewöhnliche Wege zu gehen.

Ich verstehe Sie so, dass es eine Frage der Kosten ist, ob sich eine Investition in das Thema Kratzfestigkeit lohnt? Vielleicht ist es im Sinne des Marktes, dass Brillengläser ihre Halbwertszeit haben.

Kommen wir zu einem aktuellen Phänomen: Im Zuge der Pandemie zeigt sich für viele Brillenträger das Beschlagen der Gläser als zunehmend lästig. Ein unlösbares Problem?

Die dauerhafte Vermeidung des Beschlagens von Brillengläsern ist eine große Herausforderung, vergleichbar mit der Suche nach dem Heiligen Gral. Angesichts der Pandemie und der durch das Tragen von Masken entstandenen Notwendigkeit wird diese Problematik derzeit intensiv diskutiert.

Brillenglas Zukunft - Zeiss Philipp Jester
Dr. Philipp Jester

Die heute kommerziell verfügbaren Lösungen, wo Flüssigkeit per Spray oder Spezialtuch auf die Brillengläser appliziert wird, bieten eine gewisse Funktionalität, die aber nicht dauerhaft ist – das Brillenglas muss regelmäßig behandelt werden, um die Anti-Beschlag-Funktion aufrecht zu erhalten. Die Haltbarkeit hängt von der individuellen Gebrauchssituation ab.

Es gibt eine Reihe von Ideen für die dauerhafte Beschlagvermeidung. Welcher Ansatz am vielversprechendsten ist und sich durchsetzen wird, ist Gegenstand laufender Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Hierfür muss ebenfalls technologisches Neuland betreten werden.

Wie beurteilen Sie Smart Glasses als neues Produkt im Portfolio für Augenoptiker? Beispielsweise Brillen, bei denen Computerdaten ins Sichtfeld gespiegelt werden? Bis jetzt ist das noch ein relativ unbedeutendes Feld.

Smart Glasses werden das Produktportfolio für Augenoptiker erweitern und bereichern. Die Kombination von Optik und Elektronik bietet eine Plattform für zusätzliche Freiheitsgrade, die für zukünftige Produkte nutzbar sind – nicht nur im Design und in der Funktionalität, sondern auch im Kontext neuer Geschäftsmodelle und der Erschließung neuer Märkte, unter anderem auch über das Internet als Absatzkanal.

In diesem Zusammenhang ist vieles denkbar, z.B. Brillengläser mit Autofokus-Funktion oder die Integration von Sensoren, deren Funktion durch externe Stimuli gesteuert wird. Für Smart Glasses ist ein hohes Maß an Technologiekonvergenz notwendig – in Sachen Optik, Displaytechnologie, Konnektivität, Software, Elektronik. Von daher hängt die Zukunft von vielen Faktoren ab.

Am Ende entscheiden die Nutzer, welche Anwendungsgebiete und Applikationen für sie wichtig sind und ob es eher ein smartes Brillenglas mit weiteren Funktionen, wie etwa als Sonnenbrille, oder eher eine Sonnen- oder Korrektionsbrille mit smarten Zusatzfunktionen geben wird.

 

Dr. Markus H. Haidl ist Physiker und seit mehr als 20 Jahren bei Zeiss im Forschungs- und Entwicklungsbereich tätig, die überwiegende Zeit davon bei Vision Care am Standort Aalen. Mit einem interdisziplinären Experten-Team beschäftigt er sich mit der Evaluierung neuer und innovativer Technologien für zukünftige Brillenglas-Applikationen.

Dr. Philipp Jester ist Mathematiker und hatte bereits während seiner Promotion intensiven Kontakt mit Zeiss. Nach einem Aufenthalt in Australien für Zeiss Vision Care hat er 2017 die Leitung des Lens Design Teams innerhalb der Produktentwicklung von Vision Care übernommen.

 

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