Es ist schon viel geschrieben worden über diesen reißerischen Beitrag im Stern. Die Branche stand zum zweiten Male an dem Pranger: “Die neuen Tricks der Optiker” titelt das Magazin “Stern” auf Ausgabe 30.
Der Berufsstand der Augenoptiker ist verständlicherweise entrüstet. Die Kollegen von Markt Intern rufen umgehend eine Protestaktion ins Leben. Sie zeigen dem “Stern” die Rote Karte. Die Sozialen Medien kochen hoch, eine ganze Branche fühlt sich durch den Artikel zu recht verunglimpft.
Doch wird hier etwa Nennenswertes oder gar Neues enthüllt? Auch der erste Artikel war zum Gähnen langweilig und schlecht recherchiert, wie z. B. der Medienjournalist und Autor Stefan Niggemeier in seinem Blog 2013 virtuos ausführt.
eyebizz hat gähnend auf weiteren Aktionismus verzichtet und befand den Beitrag daher auch keines weiteren Wortes würdig. Doch jetzt erhielt unsere Redaktion einen recht gewitzten Leserbrief von Nicole Ritter, der Inhaberin der Einschleifwerkstatt Nonius. Im Stillen hegen wir die Hoffnung, dass derartige “Enthüllungen” in Zukunft keine (Stern-) Leser mehr finden werden.
Die alten Tricks des Stern
Ein Leserbrief für die Redaktion
Sehr geehrte Frau Gronwald,
nach Ihrem Artikel über die Machenschaften der Augenoptiker aus dem Jahre 2013 und Ihrer anschließenden Relativierung haben sie sich erneut zu diesem Thema zu Wort gemeldet. Ich habe schon damals überlegt, ihnen zu schreiben und nutze nun die erneute Chance, um es auch wirklich zu tun.
Sie schreiben hier leichtfertig über eine ganze Berufsgruppe, ohne sich Gedanken über die Auswirkungen zu machen. Warum auch, Sie persönlich betrifft es ja nicht. Daher möchte ich die gleiche Situation einmal auf Ihr Leben übertragen. Sollten Sie auch bei diesem Artikel über eine Relativierung nachdenken, könnte dies eine inspirierende Sichtweise für Sie sein.
Sie haben viele Jahre und sehr viel Geld in Ihre Ausbildung investiert. Wenn man es genau betrachtet, stehen die Kosten Ihrer Ausbildung mit Ihren anschließenden Verdienstmöglichkeiten in keinem guten Verhältnis. Aber schließlich lieben sie Ihren Beruf und haben dies akzeptiert.
Vieles hat sich in den letzten Jahren in Ihrer Branche geändert. Die „Geiz ist Geil“-Mentalität ist bei Ihren Lesern eingezogen. Die Printausgaben werden immer weniger gekauft. Ihre Leser schauen sich um, wo es Nachrichten und Informationen günstiger gibt. Sie als top ausgebildete Journalistin müssen immer mehr erklären, was Ihre Arbeit von anderen unterscheidet. Da bekommt Ihr Chef einen Tipp, wie er redaktionelle Inhalte viel günstiger bekommt. Der Tippgeber hat zwar von kleinen Nachteilen berichtet, aber sie sollen um mindestens die Hälfte günstiger sein. Das muss Ihr Chef einfach ausprobieren.
Er lädt Sie als freie Journalistin zu einem Meeting ein. 45 Minuten dauert es. Bezahlt bekommen Sie es nicht. Ihr Chef bittet Sie um Ideen für einen neuen Leitartikel. Sie sind vorbereitet und liefern ihm tolle Ideen. Zu dem vorgeschlagenen Thema liefern sie ihm schon haufenweise Hintergrundwissen und sogar Insiderinformationen, die nur Sie haben. Ihr Chef bedankt sich für das Gespräch und möchte sich das Ganze noch einmal überlegen. Sie aber haben ihren Chef durchschaut. Er wollte nur mit Ihnen sprechen, um kostenlose Informationen aus Ihnen herauszuholen.
Sie sind verärgert und denken darüber nach, dieses Meeting künftig in Rechnung zu stellen. Das wäre nur fair. Doch Sie wissen, Ihre Kollegen werden hier nicht mitziehen. Solange die Ihr Wissen kostenlos weitergeben, müssen sie das Spiel mitspielen, sonst könnten Sie schon heute Ihren Schreibtisch räumen. Ihr Chef ist nun inspiriert. Er weiß ganz genau, was er will und was nicht. Er geht auf die Plattform www.content.de, ein Portal für Texter. Gerade der Journalist RustyBlitz wurde ihm empfohlen. Er bucht einen Artikel bei ihm. Das Autorenbriefing zu formulieren ist etwas aufwändig, aber am Ende ist er begeistert. RustyBlitz nimmt nur 2,03 ct. pro Wort. Für den gesamten Artikel mit 1500 Worten zahlt Ihr Chef also gerade einmal 30 €. Fantastisch. Wie ist das so günstig möglich? RustyBlitz kommt aus Berlin, ist aber viel im Ausland unterwegs. Er lebt und arbeitet viel in Osteuropa. Seine Lebenskosten dort sind viel geringer als früher in Deutschland. Für ihn sind die 30 Euro selbst nach Abzug der Vermittlergebühr gutes Geld. Sie, Frau Gronwald, bräuchten mindestens das Zehnfache für diesen Artikel.
Nach einigen Tagen bekommt Ihr Chef den Artikel per E-Mail. Schon auf den ersten Blick ist Ihr Chef angetan. Wie bestellt, handelt es sich um einen Artikel mit 1.500 Worten zu dem gewünschten Thema. Aber irgendetwas passt noch nicht so ganz. Ihr Chef bittet Sie um Hilfe. Sie formulieren ihm die Schlagzeile um und passen die Bildunterschriften an. Dies möchten Sie nun aber wirklich in Rechnung stellen. Das behält Ihr Chef im Hinterkopf und wird künftig lieber einen anderen Kollegen fragen. Denn in Sachen Geiz ist er nun so richtig auf den Geschmack gekommen. Abschließend warnen Sie noch ihren Chef, dass der Artikel versteckte Fehler haben kann. Sie vermuten, dass eine Quellenangabe nicht korrekt ist. Das kann immense Folgen für Ihren Chef haben, aber davon will er nichts wissen. Schließlich hat er viel Geld gespart. Sie sitzen tapfer noch einige Zeit an Ihrem Schreibtisch.
Es gibt auch noch andere Chefredakteure, die Ihre Arbeit zu schätzen wissen. Aber immer mehr buchen Ihre Artikel im Internet oder bei Ihren billigen Kollegen. Erst viele Jahre später merken sie, wie gut doch die Zusammenarbeit mit Ihnen war und wollen zu Ihnen zurück. Aber Sie haben Ihren Platz schon vor langer Zeit räumen müssen. Es lohnte sich einfach nicht mehr. Die Chefredakteure sind geschockt. Das wollten sie doch alle nicht.
Frau Gronwald, ich würde mir wünschen, dass Sie vor Ihrem nächsten Artikel das Thema mal von allen Seiten beleuchten. Eine anschließende Relativierung wie beim letzen Mal repariert den Schaden nämlich nicht. Ich schlage in diesem Zusammenhang Themen vor wie „Ist Geiz wirklich geil?“ – Warum bekommen die deutschen Händler auf europäischen Gemüsemärkten nur die schlechteste Ware? Wie können wir mit der heutigen Technik ganze Berufsgruppen wie Banker und Immobilienmakler auslöschen? Wen können wir in 5 Jahren abschaffen und wie sieht unsere Welt dann aus? Was bedeutet eigentlich Digitalisierung, und sind die Deutschen irgendwann nur noch die Handlanger für andere Nationen? Das sind alles Themen, die etwas in Deutschland bewegen könnten. Sollte Ihr Chef an solchen Themen Interesse haben, biete ich ihnen gerne passende Artikel an. Für 30 €, versteht sich.
Beste Grüße
Nicole Ritter Augenoptikermeisterin & Betriebswirtin
HWK Inhaberin Nonius e.K. Einschleifservice & Brillen Guru Marketing
kann nur sagen PERFEKT