An welcher Stelle der Entwicklung befinden wir uns? Noch am Anfang des Online-Geschäfts in der Augenoptik, oder ist das Potenzial bereits ausgeschöpft? Niemand kann diese Fragen sicher beantworten. Deshalb lohnt es sich, darüber nachzudenken, was aus Sicht von Brillenträgern für den Online-Kauf von Brillen spricht und welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie darauf haben mag. [13343]
Die Augenoptik: lange vom Online-Handel verschont
Hierzu zunächst einige – zugegeben subjektiv gewählte – Schlaglichter auf die Entwicklung des Online-Handels mit Brillen der letzten zwanzig Jahre.
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2000:
Laut HDE beträgt der B2C-Onlineumsatz in Deutschland 1,3 Mrd. Euro.
Zwei Studenten aus Aalen entwickeln in ihrer Diplomarbeit ein Tool zum Onlineverkauf von Brillen. Das Projekt landet bei einem großen deutschen Brillenhersteller in der Schublade. Begründung: Toll, aber so etwas wird sich niemals umsetzen lassen.
2007:
Apple bringt mit dem iPhone das erste massentaugliche Smartphone auf den Markt.
Gründung von Mister Spex und Brille 24.
2010:
Meine erste Studie zum Thema Brillenkauf im Internet zeigt: Das Gros der Brillenträger hält die Anpassung der Sehhilfen durch einen Augenoptiker für unverzichtbar.
2011:
Erstmals wird der augenoptische Online-Handel in einem ZVA-Branchenbericht erwähnt.
Beginn der Zusammenarbeit von Online-Anbietern mit stationären Augenoptikern. Diverse Multichannel-Anbieter treten in den Markt ein.
2013:
Gründung von Ace & Tate und Viu.
2019:
EssilorLuxottica kauft Brille 24.
Eine Studie im Auftrag des ZVA kommt zu dem Ergebnis: In Deutschland werden zwei Prozent der Korrektionsbrillen online verkauft.
Laut HDE beträgt der B2C-Onlineumsatz in Deutschland 57,8 Mrd. Euro.
2020:
Fielmann plant eine App zur Sehschärfenprüfung per Smartphone.
Die Covid-19-Pandemie verändert alles.
Kontaktloser Brillen-Kauf: für manche schon länger attraktiv
Die naheliegenden Vorteile des Brillen-Kaufs über das Internet sind klar: Bequemer Einkauf von Zuhause, Unabhängigkeit von Ladenöffnungszeiten und Parkplätzen und einiges mehr. Disruptive Geschäftsmodelle sind nur dann erfolgreich, wenn sie den Nerv der potenziellen Zielgruppe treffen und ein existierendes Problem lösen. Beschäftigen wir uns mit den weniger offensichtlichen Problemen, die die Kunden beim stationären Brillen-Kauf oft haben und die durch einen Online-Kauf umgangen werden können.
Kaufdruck bei intensiver Beratung
Bei einem Produkt, das im Durchschnitt alle drei Jahre gekauft wird, entwickelt sich keine Kaufroutine. Weder für die Brillengläser noch für die Fassung. Die wenigsten Kunden entscheiden sich unabhängig vom Urteil anderer für eine Brillenfassung, die Glasauswahl obliegt dem beratenden Augenoptiker. Allen Versuchen zum Trotz, die Korrektionsbrille zum modischen Accessoire zu erklären, ist und bleibt sie ein erklärungsbedürftiges Medizinprodukt. Der Kauf einer Brille ist nicht unbedingt ein lustvolles Shopping-Erlebnis.
Auch Kunden, die sich vorab ausgiebig im Internet informieren, können ihre Brille beim Augenoptiker nicht ohne intensive, persönliche Beratung kaufen. Genau deshalb empfinden nicht wenige Kunden den Druck, sich dafür mit einem Kauf zu revanchieren, vor allem, wenn der Besuch beim Augenoptiker im Vorfeld terminiert war. Wie viel einfacher ist es da, einen Onlineshop – ohne jeden Erklärungszwang – mit einem Klick zu verlassen.
Überforderung beim Thema Glasauswahl
Die Glasberatung wird insbesondere bei Erstkäufern und beim Umstieg von Einstärken- zur Gleitsichtbrille als anstrengend und kompliziert erlebt. Zudem findet sie beim stationären Augenoptiker meist als letzter Programmpunkt des Brillen-Kaufs statt, also wenn die Konzentrationsfähigkeit des Kunden nach Refraktion und Fassungsauswahl schon nachlässt. Glasart, Material, Brechungsindizes, Veredelungen … all das ist für einen Laien nicht leicht zu durchschauen, umso schwerer ist es, eine eine Entscheidung zu treffen.
Je nach Beratungskompetenz des Augenoptikers können Onlineshops hier durchaus mithalten. Der Kunde wird im Programm strukturiert durch die Glasauswahl geführt, bei gleichzeitiger Kostentransparenz. Ein Plus für den Brillen-Käufer: Ist ihm ein Feature zu teuer, kann er die Ausstattung reduzieren, ohne das Gesicht zu verlieren.
Unbehagen durch zu viel körperliche Nähe
Neben dem Arzt und dem Friseur kommt uns kaum ein Dienstleister so nahe wie der Augenoptiker. Dringt eine fremde Person in unsere persönliche Distanzzone ein, empfinden wir das als unangenehm. Bei einem Verkaufsgespräch ist das Eindringen in die intime Zone normalerweise ein absolutes Tabu, beim Brillen-Kauf aber üblich.
Ein heikler Punkt, der häufig genannt wird: das Aufsetzen der Brille auf die Nase des Kunden: „Ich kam mir vor wie ein Kind, das sich nicht allein die Schuhe anziehen kann!“ Kommen dann auch noch olfaktorische Reize (Nikotin, Achselschweiß, Mundgeruch etc.) ins Spiel, kann das Fluchtreflexe bei manchen Kunden auslösen.
Reklamationen von Angesicht zu Angesicht sind unangenehm
Kommen Kunden mit neuen Brillengläsern nicht zurecht, hat mancher Schwierigkeiten zu erklären, was genau nicht funktioniert. Für einen Laien ist es kompliziert, die richtigen Worte zu finden, um Sinneseindrücke zu beschreiben. Mancher hat auch einfach nicht das Selbstbewusstsein, sich gegen einen Augenoptiker durchzusetzen, der keine Fehler feststellen kann und die Reklamation nicht anerkennen will.
Da ist es wesentlich einfacher, eine online gekaufte Brille zurück zu schicken, als Diskussionen über die auftretenden Probleme zu führen. In noch größerem Maße trifft das zu, wenn sich die Fassung im Nachhinein als Fehlgriff herausstellt. Wo man beim stationären Augenoptiker in der Regel keine Chance auf Kulanz hat, schickt man dem Online-Händler einfach das Päckchen zurück.
Widersprüchliche, für manche vielleicht auch verstörende Erkenntnis: Die Distanz beim Brillen-Kauf über das Internet ist nicht für jeden Kunden eine abschreckende Vorstellung, sondern für manchen ist gerade der kontaktlose Kauf ein positiver Aspekt. Dies wird durch die Covid-19-Pandemie noch intensiviert.
Covid-19 befeuert den Online-Handel mit Brillen
Bisher geht man davon aus, dass online vor allem Einstärken- und Sonnenbrillen verkauft werden, also eher junge Kunden das Angebot nutzen. Dabei stellen die 50- bis 59-Jährigen mit über zwölf Millionen Nutzern die größte Altersgruppe bei den Onlinern. Mehr als 27 Millionen Deutsche über Fünfzig sind im Internet aktiv. Gerade die Altersgruppe der Gleitsichtbrillenträger sieht sich plötzlich als Risikogruppe durch Covid-19 besonders gefährdet.
Krisengewinner sind derzeit in allen Branchen die Online-Händler, die nicht nur ein Absatzplus bei Bestandskunden verzeichnen, sondern zudem einen deutlichen Zuwachs an Neukunden feststellen. Auch Kunden, die bisher dem stationären Handel die Treue gehalten haben, nutzen vermehrt den Online-Handel. Warum sollte ausgerechnet die Augenoptik von dieser Entwicklung verschont bleiben?
Fazit
Es gab aus Kundensicht auch schon vor Corona gute Gründe für den Kauf von Brillen im Internet.
Reduzierte Öffnungszeiten, der obligatorische Hygieneabstand, die Auflage, Mund-/Nasenschutz zu tragen, Zugangsbegrenzungen, Terminvergaben etc. beeinträchtigen derzeit das Kauferlebnis. Alle Maßnahmen zur Risikoreduzierung verdeutlichen noch die aktuellen Gefahren.
Online gekaufte Gleitsichtbrillen können ohne große Begründung und bei voller Kostenerstattung zurückgegeben werden. Das macht den Brillen-Kauf im Internet für bestimmte Kundengruppen besonders attraktiv.
Natürlich bleibt abzuwarten, inwieweit die derzeitige Situation zu einer dauerhaften Etablierung des Online-Handels mit Brillen führt. Die Erfahrungen, die Kunden bei den Online-Anbietern machen, wird deren künftige Marktanteilsentwicklung bestimmen. Die spannende Frage ist, welche wirkungsvollen Konzepte stationäre Augenoptiker dem entgegensetzen.
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Führende Online-Anbieter für Brillen in Deutschland:
Brille24 (brille24.de)
Brillen.de/SuperVista (brillen.de)
Brillen-butler (brillen-butler.de)
Mister Spex (misterspex.de)
My-Spexx (my-spexx.de)
Viu (viu.com)
Optik.one (optic.one)
Meine Brille (meinebrille.de)
Elke Dobisch verfügt über langjährige Erfahrung in der Institutsmarktforschung und der Leitung von Marktforschungs-Abteilungen großer und mittelständischer Unternehmen und erstellt von München aus für Kunden Marktforschungs-Analysen. Seit gut 20 Jahren ist sie mit den Entwicklungen auf dem augenoptischen Markt bestens vertraut.