Teil 3 (Schluss) der Mini-Serie zur Fachmesse opti
Die Zukunft der Messen: Kommen die Hybriden?
von Christine Höckmann und Dr. Jürgen Bräunlein,
Die opti 2021 wurde abgesagt. Wird es wieder so, wie es einmal war? Wohl kaum. Das Messegeschäft verändert sich. Teil 3 der eyebizz-Serie zur opti befasst sich mit der Zukunft der Messen und was Augenoptiker*innen, Vertreter der Industrie, ein Marktforscher und eine Unternehmensberaterin dazu sagen. [13922]
Vor der Corona-Krise in Deutschland hielten 27 Prozent der Anbieter hybride und räumlich verteilte Veranstaltungen für zukunftsweisend. Nach dem 9. März waren es bereits 60 Prozent, so das Ergebnis einer Studie des Europäischen Instituts für Tagungswirtschaft EITW aus Wernigerode. Augenoptiker*innen, Vertreter der Industrie, ein Marktforscher und eine Unternehmensberaterin geben eine Einschätzung: Wie sehen die Messen der Zukunft aus? Und was wünschen sie sich?
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Themen-Messen wären eine Idee
Birgit und Stefan Meyer, Optik Meyer, Bardowick, fünf Mitarbeiter: Das Augenoptik-Meister-Paar besuchte bisher Messen in München, Dubai, sowie regionale Messen. Die Statements gab Birgit Meyer.
Messen sind für uns als Orte von Information und Austausch sehr wichtig. Künftig werden es womöglich mehr kleinere, regionale Messen sein, weil dort Hygiene-Vorschriften besser eingehalten werden können. Genauso spannend sind Unternehmensveranstaltungen. Themen-Messen kann ich mir gut vorstellen: zur Myopie-Prävention, Screening und Optometrie.
Wann es wieder eine große, internationale Messe in München geben wird, wie Anfang 2020, wage ich nicht zu prognostizieren. Von einer regionalen Messe in der Elbphilharmonie war ich bisher eher enttäuscht, es fehlten Besucher.
Facebook-Live-Auftritte sind spannend
Martina Dettke, Durchblick Dettke, Kleinmachnow: ist Messefan, mehrsprachig (Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch), ein Mitarbeiter.
Messen sind für mich Inspiration, Ermutigung, vor allem ein Treffpunkt für Menschen. Hier knüpfe ich neue Kontakte, treffe gute Freunde. Auch das ganze Drumherum inspiriert: ob in München, Paris oder Mailand, auch bei der Copenhagen Specs in Berlin-Kreuzberg. Ich wäre auch nach Stuttgart gekommen. Meine Mitarbeiter nehme ich übrigens auf Messen mit.
Bei einer Präsenzveranstaltung kann man sich als Besucherin viel abgucken. Dabei werden alle Sinne angesprochen, das Sehen, Hören mit Musik, Riechen mit Gerüchen. Ich erfahre, was die Story, die Philosophie einer Firma ist. Solche Eindrücke nehme ich mit, dekoriere meine Schaufenster entsprechend, überlege, ob das zu meinen Zielgruppen passt.
Die Deutsche Augenoptik AG hat es ja schon in diesem Jahr (2020) mit einer Art Online-Messe vorgemacht. Es gab interessante Vorträge, verknüpft mit sehr guten Angeboten, die auf zwei Tage befristet waren. Augenoptik ist die Kunst, etwas fast Unsichtbares zu präsentieren.
Wenn es um Online-Auftritte von einer Messe geht, ist mir wichtig, dass auch Frauen mitberücksichtigt werden. Eine reine Männerveranstaltung wie beim letzten Spectaris-Trendforum erachte ich als nicht angemessen.
Konkret finde ich Facebook-Live-Auftritte spannend, zum Beispiel ein Make-up-Tutorial mit einer Visagistin. Präsentiert man ein +4-Glas und ein –4-Glas, muss ganz anders geschminkt werden. Ein gutes Thema sind auch Kunden mit Hörgeräten. Welche Brillen eignen sich dafür? Was tun, wenn ein Ohr fehlt? Ich erwarte auf den Messeständen, aber auch digital, dass über die Kernbereiche hinausgeschaut wird. Wie gehe ich mit den zurzeit notwendigen Corona-Masken um, mit dem Beschlagen, mit der schlechteren Verständlichkeit im Verkaufsgespräch?
Ich bin der Messe-Typ
Karin Figgen, Geschäftsleitung für den Bereich Einkauf, Brillen Rottler, Arnsberg. 94 Filialen, 600 Mitarbeiter, besucht regelmäßig die opti, die Mido und die Silmo. Zur opti nach Stuttgart wäre sie wegen der Infrastruktur mit einer kleineren Mannschaft gefahren.
Mit unseren großen Lieferanten sind wir über das Jahr ständig im Austausch, sodass für mich auf den Messen schon jetzt vor allem die kleineren, ausgefallenen Anbieter interessant sind. Ob Brille & Co oder die Kick-off-Tage: Solche Angebote nutzen wir. Welcher digitale Transfer noch stattfinden kann, wie Warenwirtschaftsketten besser laufen, sind Themen, die mich auf Messen interessieren.
Informationen rund um Produkte wie Brillengläser, Kontaktlinsen oder Fassungen oder Maschinen digital abzubilden, halte ich für sehr schwierig. Ich bin eher der Messe-Typ. Die Kollegen, die mit auf die Messen reisen, nehmen hier Stimmungen auf. Trends werden deutlich: Wie entwickelt sich der Markt? Nirgends sonst ist ein derartiger Branchenüberblick zu bekommen. Den Puls am Markt zu haben, bringt uns alle weiter.
Kommt ein großes Comeback der Messemarktplätze?
Peter Frankenstein, Spectaris, Leiter Fachverband Consumer Optics
Um Hybrid-Events wird in den ersten Monaten (oder Jahren) nach der Pandemie aufgrund der Nachfrageseite niemand mehr umhinkommen. Das stellt die Messegesellschaften und Marketingverantwortlichen in den Unternehmen vor komplexe Doppelaufgaben, die ganz unterschiedlich zu lösen sind, je nachdem, ob es um einen persönlichen oder einen digitalen Kundenkontakt handelt. Und das auch noch parallel.
Mir ist allerdings nicht klar, wie das auf der Angebotsseite finanziell zu stemmen sein wird, weil deutlich größere Kostenblöcke anfallen, und für Messe- oder Kongressveranstalter in der Regel die Einnahmen aus Tickets oder Teilnahmegebühren sinken werden. Zudem wird sich wahrscheinlich immer ein Teil der Gruppen nicht ausreichend abgeholt fühlen.
Am Rande: Aktuell planen rund 50 Prozent unserer Messe-affinen Mitglieder die Ausrichtung oder Teilnahme an Haus-Messen. Andere sind in der Vorbereitung von eigenen Digitalevents. Für einen gut laufenden Augenoptikbetrieb mit breitem Produktspektrum droht da ein deutliches Überangebot. Und umgekehrt für die Hersteller ein Wettlauf um die verfügbaren Zeitfenster der Kunden. Was ebenfalls für das große Comeback der Messemarktplätze spricht. Aber die Messebudgets werden sinken müssen, weil Digitalevents für kleinere, spezifisch zugeschnittene Zielgruppen zusätzlicher Budgets bedürfen.
Eine digitale Ganzjahresveranstaltung muss folgen
Dieter Funk, Gründer von Funk Eyewear
Ich frage mich, ob Messen noch Plattformen der Zukunft sind. Sicherlich nicht in der Art und Weise, wie man sie kennt. Ich bin sehr skeptisch, wenn die Veranstalter keine Ideen haben.
Meiner Meinung nach braucht es eine Kombination aus virtueller und vor Ort stattfindender Messe. Von einer Messe vor Ort sollte der zündende Funke ausgehen! Ihr muss eine digitale Ganzjahresveranstaltung folgen. An so einem Duo hätte ich große Freude.
Die Messe schafft einen Link zwischen Geschäft und Marke, im besten Fall trägt sie auch zur Gewinnung von Neukunden bei. Doch diesen Mehrwert bietet mir momentan keine Messe. Daher bin ich nicht mehr in Mailand und Paris vertreten, sondern arbeite derzeit lieber verstärkt an meinem Konzept, die Funk-Erlebniswelt in Kinsau auszubauen.
Teilnahme vor Ort und virtuell
Britta Walter, Senior Manager Global Communications bei Rodenstock
Unter einem Messeauftritt der Zukunft nach Corona stellen wir uns ein hybrides Format, bestehend aus online- und offline-Elementen, vor. Erfahrungen und Veränderungen im Rahmen der Pandemie werden einfließen, ebenso wie die voranschreitende Digitalisierung der augenoptischen Branche und positive Erfahrungen der letzten Monate. Auf der anderen Seite sehnen sich viele Kunden und Hersteller wieder nach einem persönlichen Austausch. Ein zurück auf „wie immer“ wird es nicht geben, vielmehr ein Format, das ein Erlebnis anbietet, das sowohl eine virtuelle als auch eine vor Ort-Teilnahme ermöglicht. So könnten Kunden mit unterschiedlichen Bedürfnissen bedient werden.
Rodenstock wird seine Partner wie gewohnt auch 2021 umfassend über jegliche Neuerung und Wissenswertes wie Produktneuheiten und Angebote informieren und ihnen unterstützend zur Seite stehen. Das wird sowohl in enger Zusammenarbeit mit dem Außendienst, kleineren regionalen Eventformaten als auch mit digitalen Lösungen während des Jahres realisiert werden.
Messeformate werden kleiner, feiner
Regina Mehler, Gründerin von 1ST Row und der Women Speaker Foundation. Sie entwickelt Leadership Brands und Experten-Marken für Executives und Unternehmensleitung, ist „Member of Board“ im Deutschen Gründerverband und Fach-Referentin an der Universität St. Gallen
Die Imac, eine Arbeitsgruppe von Europäischen Messeveranstaltern, bei der ich mitarbeite, ist sich sicher: Die Zukunft der Messen ist hybrid. Meine persönliche Meinung ist, dass Veranstaltungen und Messen kleiner und feiner werden. Wenn wir uns künftig treffen, wird man netzwerkmäßig sehr gut vorbereitet sein, weil man sich weniger trifft. Denn auch künftig werden Menschen weniger reisen als vor der Pandemie. Die digitalen Meetings sind bequem, geldsparend, damit effizienter und ökologisch ein großes Plus, wie wir gelernt haben.
Wenn es Messetermine vor Ort gibt, will man hochkarätige und spannende Leute treffen. Die Verabredungen werden im Vorfeld getroffen, um die Chance zu nutzen, den persönlichen Kontakt in Ruhe auszubauen. Keynote-Speaker werden im Vorfeld digital zu konsumieren sein. Andererseits werden bei Präsenzveranstaltungen Redner in 3D auf der Bühne stehen. Der Speaker fliegt gar nicht mehr aus den USA ein. Es wird viel Künstliche Intelligenz auf die Bühnen kommen, je nachdem, was gerade die Bühne ist: vor Ort oder digital.
Entsprechend werde ich mein eigenes Business-Modell komplett neu ausrichten. Mehr kann ich hier nicht verraten, weil es sich gerade sehr agil entwickelt.
Als Orte der Begegnung bleiben Messen wichtig
Marcel Beaufils, Senior Research Consultant, rheingold Institut, Köln. Das Institut entwickelt tiefenpsychologische Marktforschung, die einen wissenschaftlichen Blick in die Seele von Konsumenten und Geschäftspartnern ermöglicht.
Die jüngste Messe, die ich besucht habe, war die ISPO in München Ende Januar 2020. Schon dazu gab es ein digitales Pendant, die Ispo Restart Ende Juni. An zwei Tagen traten über hundert Sprecher auf, in mehr als sechzig Break-out-Sessions, also kleineren Chat-Räumen, in denen man in Austausch treten konnte. Die Resonanz war sehr gut (www.ispo.com/ispo-restart-days).
Messen werden als Orte der Begegnung auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Ich glaube nicht an den digitalen Schub durch Corona, der Messen auf Dauer überflüssig macht. Im Gegenteil. Wenn wir zurzeit mehrheitlich digital arbeiten, also eine Art digitale Verdichtung entsteht, werden persönliche Begegnungen umso wichtiger. Mit den Lockdowns ist auch die Sehnsucht nach großen Veranstaltungen gewachsen. Es gab weniger Begegnungen, weniger direkten Austausch mit Kunden, diesen Mangel wollen die Leute auf- und nachholen. Das ist kein kurzfristiger Effekt. Messen bleiben wichtig, auch wenn sie sich verändern müssen, weil es die Besucher erwarten.
Insgesamt sehe ich im künftigen Messegeschehen eine Verschmelzung von analoger und digitaler Welt. Dank unseres Smartphones sind wir ständig online. Wenn Präsentationen parallel stattfinden, entscheide ich mich für die eine auf der Messe. Den anderen Vortrag höre ich mir später digital an. Streams, Chats, Diskussionsrunden, alles bleibt im Netz weiter nachhaltig erhalten. Das ist ein Vorteil.
Eine Messe sollte wie Weihnachten sein, ein physischer, spezifischer Höhepunkt einer ganzjährigen Vernetzung, die wie bei der Vorweihnachtszeit in einem Event gipfelt, bei dem alle mit neuen, spannenden Ideen und Produkten zusammenkommen. Digital bleibt der Austausch zwischen den Kontakten auch nach dem physischen Messetermin weiter möglich, die Vernetzung nimmt weiter zu.
// CH, JUEB
Beitrag aus der eyebizz 1.2021 (Dezember/ Januar)
Was erwarten Sie von den Messen der Zukunft? Schreiben Sie uns: redaktion@eyebizz.de