AO-Portrait - Unternehmensnachfolge - Vater und Sohn
Familie Schier Optik: Harmonie ist machbar
von CH,
In jeder Ausgabe porträtiert eyebizz Unternehmerpersönlichkeiten unter den Augenoptikern. In der 4.2018 ist es Familie Schier von Schier Optik Saalfeld. Stress ist vorprogrammiert, wenn drei Geschwister – zwei Söhne, eine Tochter –, deren Ehepartner und die Eltern in einem Unternehmen zusammenarbeiten. Bei Familie Schier läuft es aber harmonisch. Ticken die Leute in Thüringen anders?
Äußerlich herrscht ein Idyll. Die Altstadt von Saalfeld ist ein Kleinod. Die über 60 Meter hohen Kirchtürme der Johanneskirche sind schon von weit her sichtbar. Thüringen zeigt sich von seiner besten Seite. Im Sommer wie Winter erfreut sich die Kreisstadt mit den schönen Patrizierhäusern und der einladenden Natur am Tourismus.
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Begonnen hat die Geschichte der Familie Schier allerdings weit östlicher: Im ehemaligen Reichenberg, heute heißt es Liberec und liegt in Tschechien. Seit dem 7. Oktober 1937 versorgten Wilma und Anton Schier ihre Kundschaft dort mit ihrem Geschäft „Moderne Augenoptik“ in punkto Brille, Ferngläser und Foto. Eine Art „Gemischtwarenladen“, erzählt Enkelin Carmen Jochmann, geborene Schier, mit einem Augenzwinkern: Das war eben damals so.
Vertrieben
Der Krieg zwang die Familie zur Flucht. Mit seiner Frau Wilma, den beiden Söhnen und einer Kiste voller Brillengläser auf einem Handkarren floh Anton Schier nach dem zweiten Weltkrieg bis nach Saalfeld. Dort ging es schnell wieder bergauf. Innerhalb von zwei Monaten hatte der Unternehmensgründer wieder einen Gewerbeschein, sein Betrieb wurde am 26. April 1946 in die Handwerksrolle der Wirtschaftskammer Thüringen eingetragen und los ging’s.
Schon von Kindesbeinen an wuchsen die beiden Söhne Horst und Heinz mit dem Bröckeln von Brillengläsern auf. Es gab keine Zweifel, die zwei wollten in die Fußstapfen des Vaters treten. Nach der Fachschul-Ausbildung in Jena engagierten sich beide als staatlich geprüfte Augenoptiker und Augenoptikermeister im väterlichen Betrieb.
Familie Schier
Es dauerte, bis die Senioren das Geschäft in die Hände der nachfolgenden Generation legten. Wilma und Anton Schier waren immerhin schon 66 Jahre alt, als sie das Ruder an ihren Sohn Heinz mit Ehefrau Gudrun weitergaben.
Mit Gudrun begann eine Ära, die Tochter Carmen als „Die Schier-Frauen sind Visionärinnen“ überschreibt. Gudrun gab den Anstoß, ein Kontaktlinsenstudio aufzubauen: „Nun war das zu DDR-Zeiten nicht so einfach wie heute. Damals musste man noch selbst die Kontaktlinsen herstellen, harte und weiche“, blickt die 75-Jährige zurück.
In der Werkstatt wurden indes auch fantasievolle Speziallösungen für Brillen gefunden. Wie zum Beispiel die Klipper: An Lesebrillen wurden Halterungen von Kugelschreibern gelötet, und schon konnte der glückliche Besitzer sein Nasenfahrrad ans Anzugrevers heften.
Drei Kinder
Der Erstgeborene Sven-Holger wird 1989, im Jahr der Wiedervereinigung, Optometrist und Augenoptikermeister, 1994 Meister für Hörgeräteakustik. Am 21. Juli 1991 gründen Gudrun, Heinz und Sven-Holger die Schier Optik GmbH. Bruder Knut wird 1992 Optometrist und Augenoptikermeister und 1993 Gesellschafter.
Die 90er Jahre stehen unter dem Stern der Expansion: Das Hauptgeschäft in Saalfeld zieht dreimal um, bis es schließlich ab 1995 in der Saalstraße 6 im eigenen, mittelalterlichen Haus liegt. Dazu kommen fünf Neugründungen, in Saalfeld an der Oberen Straße, am Rainweg, in Leutenberg am Markt 7, in Piesau im Gesundheitszentrum und in Neuhaus an der Eisfelderstraße.
Drei Schwerpunkte
1999 rückt die jüngste Tochter Carmen als Gesellschafterin nach. Wie bei allen anderen Familienmitgliedern sind ihre Ziele hoch gesteckt. „Ich wollte nicht nur Tochter des Chefs sein.“ Sie will Autorität mit Kompetenz erlangen, nicht per Geburt. Der Vater empfiehlt ein Studium in Wolfsburg. Es geht mehr: Nach ihrem Studium zum Diplom-Ingeniuer (FH) geht sie nach Berlin und Philadelphia, um am Pennsylvania College of Optometry (USA) ihren Master of Science in Clinical Optometry abzulegen.
2005 werden die drei Geschwister gleichberechtigte, führende Geschäftsführer. Klar, dass es da Hackordnungen gibt, zwischen den Brüdern, zwischen Bruder und Schwester. Dauerhafte Harmonie ist nur möglich, wenn jeder seinen Bereich hat: Knut spezialisiert sich auf Vergrößernde Sehhilfen und ist der „Werkstatt-Guru“. Der Erstgeborene Sven-Holger betreut den Bereich Hörakustik sowie das Internet. Carmens Steckenpferde sind Kontaktlinsen und Marketing.
Aber damit hört es innerfamiliär nicht auf: Knuts Frau, Andrea Schier, ist ebenfalls Hörakustik-Meisterin und hat zusätzlich noch eine Ausbildung als Pädakustikerin, damit sie hörgeschädigten Kindern auf die Sprünge helfen kann. Svens Frau Simone ist Augenoptikerin und leidenschaftliche Verkäuferin. Der Mann von Carmen, Mario Jochmann, leitet die Werkstatt in Saalfeld.
Friede, Freude, Eierkuchen?
Nur eitel Sonnenschein herrscht natürlich auch bei Familie Schier nicht. Um sich gegenseitig zu informieren und – wie der Senior meint – „auf hohem Niveau“ zu diskutieren, gibt es jede Woche freitags von sieben bis neun Uhr früh ein Geschäftsführermeeting und einmal im Monat für die mittlerweile 19 Mitarbeiter entsprechend ein Mitarbeitermeeting. Und wenn es trotzdem mal kriselt zwischen Familienmitgliedern? Carmen Jochmann erläutert das Special-Meeting: „Dann setzen wir uns an den Tisch und reden miteinander über Lösungen.“
Die vierte Generation mischt munter mit. Pascal Schier (18) brennt für den Verkauf. Das Erfolgsrezept der Schiers fasst Carmen Jochmann in einem Wort zusammen: Familie. Ihrer Sippe eigen sei Energie, ihre Bereitschaft zur Veränderung, zur Fortentwicklung.
Die Schwerpunkte liegen unterschiedlich: In den 90er Jahren war es die Expansion, in den frühen 2000ern die technologische Best-Ausstattung der Filialen. Und jetzt? Die Antwort kommt prompt: Top-Beratung und top-ausgebildete Mitarbeiter stehen an erster Stelle.
Kunst, Jazz, Florett
Dazu gesellt sich ein gehöriger Schuss Tradition. Ein Konglomerat aus Kunst, Musik und Sport: „Meine Mutti war immer die Kreative, die Künstlerin …“ Das Hauptgeschäft an der Saalfeldstraße wurde bereits beim Umbau auf Kultur und Kunst ausgerichtet, weil hier in Kooperation mit der Stadt Ausstellungen und Konzerte Platz finden sollten. Bis zu 140 Fans kommen beispielsweise anlässlich der Saalfelder Jazz-Tage zu den Schiers.
„Wir müssen nicht nur im Geschäft, sondern auch auf ganz anderen Ebenen mit unseren Kunden in Kontakt treten“, ist sich Carmen Jochmann sicher. Ihr Ziel ist, „den Kunden als Freund zu gewinnen“. Zum Beispiel auch bei den Kunstausstellungen über zwei Etagen oder im hauseigenen Optikmuseum bei Projekttagen für die Schulen.
Auf der Suche nach pfiffigem Nachwuchs setzen die Schiers früh an. Sie wollen „das Besondere“ in ihr Geschäft holen, auch als Sponsor von Sportveranstaltungen. Die Buchhalterin war Europameisterin im Bogenschießen. Pascal Schier war im Finale beim internationalen Fechten. Der elegante Kampf mit dem Florett zieht sich übrigens in der dritten Generation als Erfolgssport durch die Familie: Kämpfen nach Regeln, Beobachten, Schnelligkeit, Mut mit dem Ziel, erfolgreich zu sein.
Touché in Saalfeld!
//CH
Nachgefragt
Wird alles schlimmer oder besser in der Augenoptik? Und warum?
Sven-Holger Schier:Digitalisierung und Globalisierung bringen große Veränderungen mit sich. Veränderungen bieten neuen Chancen, die es zu nutzen gilt.
Gudrun Schier:Augenoptik im Osten Deutschlands war früher geprägt von . . . einheitlichem Fachwissen (Fachschule Jena), Erstrefraktionsrecht, der Kassenbrille für jeden, von einer eigenen Kontaktlinsen-Manufaktur, Augenoptiker waren Partner der Augenärzte, ist heute geprägt von . . . modernen Geschäften, freier Marktwirtschaft, vielen Filialketten, zahlreichen Möglichkeiten in Bildung und Beruf.
Wenn Vater und Mutter Augenoptiker sind, warum werden Kinder auch Augenoptiker?
Knut Schier:Weil sie ein positives Vorbild haben und sich viele Gemeinsamkeiten entwickeln – gemeinsam musizieren, tanzen, Sport und Urlaub gehören dazu. Wenn die Kinder einen anderen Berufswunsch haben, ist das aber zu akzeptieren. Die Kinder müssen von selbst wollen.
Heinz Schier:Die größte Herausforderung bei der Übergabe eines Unternehmens an die nachfolgende Generation ist . . . Kommunikation auf Augenhöhe, gemeinsamer umsichtiger Plan, Interessen der Familie beachten, am besten unentgeltliche Übertragung in der Familie, gleichberechtigt von Eltern an alle Kinder (drei Geschäftsführer).