Inklusion: Gezielt Arbeitskräfte mit Behinderung finden
von Redaktion,
Wenn die Initiative JOBinklusive mit Unternehmen spricht, heißt es oft: Wir würden ja gern mehr Leute mit Behinderung einstellen, aber die bewerben sich nicht bei uns. Was können Unternehmen tun, damit sich das ändert? In Teil 3 unserer Reihe hat JOBinklusive ein paar Ideen dafür zusammengestellt.
In jedem, auch kleinen, Unternehmen gibt es Tätigkeiten, die Menschen mit Behinderungen ausüben können. Ihre Kompetenzen sind so vielfältig wie sie selbst. Haben Menschen mit Behinderung erst einmal einen Betrieb gefunden, dann sind sie sehr loyal gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung neben ihrer beruflichen Ausbildung oft ausgeprägte Soft Skills: Sie finden innovative Lösungsansätze oder bringen Organisationstalente mit, die sie in der barrierevollen Umwelt entwickeln mussten.
Anzeige
Eine Möglichkeit wäre auch zu schauen, ob neue Stellenprofile im Unternehmen speziell für Menschen mit Lernschwierigkeiten geschaffen werden können. Beim sogenannten Jobcarving werden z.B. einfache oder routinemäßige Tätigkeiten aus anderen, schon vorhandenen Stellenprofilen im Unternehmen „geschnitzt“. Die gebündelten Tätigkeiten können dann eine neue Stelle für einen Menschen mit Lernschwierigkeiten ergeben. Gleichzeitig werden andere Fachkräfte dadurch entlastet.
Wenn Unternehmen bereits gezielt nach Menschen mit Behinderungen suchen, sind sie schon auf einem guten Weg. Tun sie dies noch nicht, sollten sie die Gründe dafür reflektieren. Oft wissen die Verantwortlichen auch nicht, wie und wo sie nach Bewerber*innen suchen können.
In Zeiten des Internets sind viele Menschen mit Behinderungen überall dort unterwegs, wo auch Bewerber*innen ohne Behinderung sind, auch sie suchen auf allen gängigen Jobplattformen nach Jobs. Aber auch spezielle, auf Menschen mit Behinderung gezielte Plattformen wie myability.jobs bieten eine Möglichkeit, behinderte Bewerber*innen zu finden.
Für Menschen mit Behinderung Stellenanzeigen besser formulieren
Aber es gibt noch mehr zu beachten. Es zeigt sich laut JObinklusive, dass viele behinderte Menschen Stellenausschreibungen für sich gar nicht in Betracht ziehen, wenn nicht explizit erwähnt wird, dass das Unternehmen auch Menschen mit Behinderungen sucht. Deshalb ist es wichtig, Stellenausschreibungen so zu schreiben, dass sich Menschen mit Behinderungen angesprochen und willkommen fühlen. Eine Floskel reicht hier nicht. Ganz im Gegenteil: Der Standardsatz „Bei gleicher Eignung werden behinderte Menschen bevorzugt“ wird eher als nicht ernst gemeinte Formulierung verstanden.
Das Unternehmen sollte sich stattdessen offen zeigen und transparent darstellen, wie es sich Gedanken macht. Individuelle Formulierungen wirken dabei authentischer. In vielen Unternehmen gibt es bereits Formulierungen, die andere Vielfaltsmerkmale, wie sexuelle Orientierung und Internationalität, begrüßen. Behinderung wird dabei oft vergessen. Vielleicht braucht es da nur eine kleine Ergänzung.
Wichtig ist auch, die genauen Tätigkeiten des Jobs und die dafür notwendigen Kompetenzen so konkret wie möglich zu beschreiben. Oft werden in Stellenausschreibungen eine Vielzahl von Fähigkeiten verlangt, die für den konkreten Job gar nicht wichtig sind, die aber eine ganze Reihe von Bewerber*innen ausschließen. Es versteht sich von selbst, dass jegliche Formulierungen zu vermeiden sind, die gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder das Benachteiligungsverbot des Schwerbehindertenrechts (§ 164 SGB IX) verstoßen.
Barrierefreiheit im Unternehmen?
Besonders wichtig für Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit eines Unternehmens. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, in Stellenangeboten stets Angaben dazu machen.
Da Barrierefreiheit aber nicht nur Rollstuhlfahrende betrifft, können auch andere Aspekte, wie Licht und Akustik oder barrierefreie Software, wichtig sein für manche Menschen mit anderen Behinderungen. Welche gesundheitsfördernden und familiengerechten Möglichkeiten bietet das Unternehmen schon? Oftmals sind solche Maßnahmen, wie zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und Orte, für Menschen mit Behinderung auch sehr hilfreich.
Da individuelle Behinderungen so unterschiedlich sind, ist es fast unmöglich, alle Fragen, die Menschen mit Behinderung haben, in einer Stellenausschreibung zu beantworten. Hilfreich kann deshalb eine konkrete Ansprechperson im Unternehmen sein, die für Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit zur Verfügung steht und Bewerber*innen bei Schwierigkeiten unterstützt. Diese sollte gemäß dem 2-Sinne-Prinzips nicht nur schriftlich erreichbar sein, sondern z.B. auch telefonisch.
Bildsprache überdenken
Auch die Bildsprache, die ein Unternehmen benutzt, beeinflusst, ob sich Menschen mit Behinderungen angesprochen fühlen. Mit Fotos lässt sich zeigen, wie Inklusion im Unternehmen bereits gelebt wird. Versuchen Sie, Klischees zu umgehen, indem Bilder genutzt werden, wo behinderte Menschen aktiv statt passiv gezeigt werden. Fotos sollten immer auf Augenhöhe gemacht werden, wie die der Fotodatenbank gesellschaftsbilder.de.
Sie sollten authentische Situationen und Models mit Behinderung zeigen. Für viele Stockbilder werden zum Beispiel nicht behinderte Personen in veraltete Rollstühle gesetzt. Ein geschultes Auge erkennt schnell, dass das kein authentisches Bild ist.
Internet-Barrieren
Auch wenn die Stellenausschreibungen einladend formuliert und bebildert sind, kann die Bewerbung von behinderten Menschen dennoch am nicht barrierefreien Internet scheitern. Wichtig ist es, Jobs auf barrierefreien Plattformen zu veröffentlichen und dass die eigene Job-Page zugänglich ist. Für einen ersten Eindruck kann man einen automatischen Test der Seite laufen lassen, z.B. auf web.dev oder auf wave.webaim.org. Sofern Stellenausschreibungen als PDF zur Verfügung stehen, ist darauf zu achten, dass dieses in einem barrierefreiem Format ist.
Es lohnt sich darüber hinaus, sich mit Initiativen und Projekten zu vernetzen, die Menschen mit Behinderung ganz konkret dabei unterstützen, inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Ausschlusskriterien bei der Bewerber-Auswahl
Viele gut qualifizierte Menschen mit Behinderung berichten, dass sie sich zwar weitläufig bewerben, doch nie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Gleichzeitig berichten Personaler*innen, dass keine behinderten Personen bei ihnen in die engere Auswahl kommen.
Um zu verstehen, warum das so ist, ist es wichtig, die Recruiting-Prozesse intern genau zu überprüfen. Gibt es dort Hürden, die Menschen mit Behinderungen z. B. aufgrund von Lücken oder Fehlzeiten im Lebenslauf ausschließen? Es ist nichts Ungewöhnliches, dass behinderte Menschen z. B. aufgrund zeitintensiver Therapien und einer längeren Krankheit mal ein Jahr länger zur Schule gegangen sind oder ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit geschafft haben.
Rechtschreibfehler in Bewerbungen gelten noch heute als absolutes No-Go. Doch was ist, wenn die Person eine Leserechtschreibschwäche hat und sie sonst qualifiziert ist? Es geht nicht darum, dass alle Bewerber*innen eingeladen werden, die eine fehlerhafte Bewerbung abgeben. Aber nicht jede Stelle erfordert perfekte Rechtschreibfähigkeiten. Es macht also Sinn, unter bestimmten Umständen eine Ausnahme zu machen und nicht an rigiden Einstellungskriterien festzuhalten.
Dafür ist es ratsam, sich mit Behinderungen, deren Barrieren und Unterstützungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen und Prozesse zu entwickeln, unter welchen Umständen vielleicht Ausnahmen in Betracht kommen. Diese Ausnahmen kann dann auch ein Algorithmus lernen. Apple beispielsweise leitet die Bewerbungen von behinderten Menschen mit bestimmten Schlagwörtern generell an eine gesonderte Abteilung, die dann die Bewerber*innen unterstützt und bei Fragen zur Verfügung steht.
Das Bewerbungsgespräch
Und bei der Auswahl für ein Bewerbungsgespräch? Es lohnt sich, innovativ im Sinne von Diversität und Inklusion zu denken und zu handeln und über eine bevorzugte Einladung von Angehörigen aus Minderheiten nachzudenken. Dadurch bekommt das Unternehmen überhaupt erst die Chance, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden, die nicht in ein Schema F passen. Wenn es kein erfolgreiches Gespräch wird, kann immer noch auf andere Kandidat*innen zurückgegriffen werden und außer etwas Zeit für das Gespräch ist nichts verloren.