Karin Stehr hat 1989 mit ihrem Mann in Hamburg ihr erstes Augenoptik-Fachgeschäft gegründet; 2022 schloss sie ihren letzten Betrieb für immer ab. In ihrer neuen Rolle präsentiert die Eyewear-Expertin und Beraterin in diesem Jahr in eyebizz einen „Wegweiser zur erfolgreichen Neupositionierung“.
Von dieser Ausgabe an bis zur 6.2025 blickt sie auf die Branche und die Herausforderungen, nicht ohne Lösungen für bereits existierende und zukünftige Aufgaben zu präsentieren.
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eyebizz: Karin, du nennst dich „Independent-Eyewear-Expertin“ und Beraterin, aber auch Mutmacherin und Sparringpartnerin für unabhängige Augenoptiker. Warum die Mutmacherin, fehlt es daran beziehungsweise braucht es das heutzutage auch oder insbesondere in der Augenoptik?
Karin Stehr: Die Augenoptikbranche hat über Jahrzehnte keine tiefen Krisen erlebt. Unsere Arbeit erfüllt Grundbedürfnisse wie Sehen, Gesundheit, Sicherheit, Ästhetik und Status – Aspekte, die unsere Branche langfristig stabil hielten. Jetzt zeigt sich, dass dieses Gefühl der Stabilität, und damit der Sicherheit, auch trügerisch sein kann.
Inwiefern?
Ich höre in letzter Zeit von mehreren Seiten, dass sich die gewohnte positive Stimmung etwas abkühlt. Auch bei den unabhängigen Optikern und den Independent Brands. Das ist ungewohnt für uns und aus meiner Sicht ein wertvoller Hinweis, dass Veränderungen normal sind und wir jetzt tatsächlich nicht mehr weiter machen können wie bisher.
Du bist doch auch eine Augenoptikerin, die Krisen nur aus der Theorie kennt.
Vor 35 Jahren habe ich in der Augenoptik und bald darauf auch in der Nische der Independent Eyewear meine berufliche Heimat und meine Leidenschaft gefunden. Mein Mann brachte damals die fachliche Kompetenz für unser erstes Geschäft mit. Ich, die Quereinsteigerin, war verantwortlich für die Umsetzung unserer Idee: ein Optikgeschäft mit Schwerpunkt auf Mode und Design in einem eher konservativen Hamburger Stadtteil. Ende der 1980er gab es kaum Vorbilder – Optiker waren entweder „Tradis“ oder Fielmann. Wir hatten freie Hand, um uns zu verwirklichen.
War der Quereinstieg damals vielleicht sogar deine eigentliche Stärke?
Ohne jemals selbst erlebt zu haben, wie ein „normales“ Optikgeschäft funktioniert, fehlten mir zum Glück die üblichen Denkmuster, wie man es einrichtet und dekoriert, die Brillenkollektion zusammenstellt, mit den Kunden kommuniziert und wie Marketing für Augenoptik aussehen „sollte“. Wir kombinierten einfach meine achtjährige kaufmännische Berufserfahrung und eine nebenberufliche Ausbildung zur Werbetexterin mit dem Know-how meines Mannes – und waren erfolgreich.
Später dann, in meinem eigenen Geschäft Bellevue, ist es mir mit diesen Erfahrungen noch besser gelungen, ein Konzept umzusetzen, in dem ich alle meine Stärken ausspielen und es auch durch viele Inspirationen von außen immer weiter entwickeln konnte.
Welchen Herausforderungen müssen wir uns in der Augenoptik stellen, welche Chancen siehst du?
Das ist Bestandteil des ersten Teils der Serie, die ich mit euch zusammen machen darf, den setzt du am besten gleich hinter dieses Interview, dann muss ich nicht vorgreifen.
Anders gefragt: Welche Änderungen bringt beispielsweise die Digitalisierung weiter mit sich?
Die Digitalisierung hat unsere Branche bislang nicht erschüttert, doch der rasante Einfluss von Künstlicher Intelligenz zeigt, dass sich Aufgaben und Kunden-Bedürfnisse weiter verändern werden. Das bietet uns die Möglichkeit, uns noch mehr auf die Rolle als Vertrauensperson zu konzentrieren, die wir schon immer inne hatten.
„Jetzt zeigt sich, dass dieses Gefühl der Stabilität, und damit der Sicherheit, auch trügerisch sein kann.“
Persönliche Beratung und die ganzheitliche Betreuung der Augengesundheit bleiben essenziell, auch wenn Technik und neue Tools unseren Alltag bereichern. Gerade unabhängige Optiker haben die besten Voraussetzungen, diesen Spagat zu meistern – zwischen Hightech und Menschlichkeit.
Du nennst dich eine „Independent-Eyewear-Expertin“, was bedeutet Unabhängigkeit für dich?
Unabhängigkeit erfordert Mut, Kreativität und strategische Planung. Die Vision, das eigene Geschäft so individuell zu entwickeln, wie es der Persönlichkeit des Inhabers entspricht, ist eine große Chance. In einer Welt, in der Digitalisierung, KI und Mainstream den Alltag immer stärker beeinflussen, werden Individualität und echter persönlicher Austausch immer seltener. Und so sind Optikgeschäfte, die von Menschen mit Ecken, Kanten, Talenten und auch Schwächen geführt werden, ein wertvoller Gegenpol.
Und was zeichnet dich als Beraterin und Autorin der genannten eyebizz-Serie aus?
Ich habe auf meiner Reise gelernt, Menschen mit ihren verschiedenen Kompetenzen, Leidenschaften und Persönlichkeits-Strukturen zu erkennen und zu bestärken, ihren ganz individuellen Weg in unserer Branche zu gehen. Diese Fähigkeit, dazu mein tiefes Insider-Wissen in der Augenoptik und mein starkes Netzwerk innerhalb der Independent Brands, sind die Basis für meine neue Rolle als Mutmacherin, Mentorin und Beraterin. Ich stehe für klare Positionierung, und das ist nichts anderes als Persönlichkeits-Entwicklung – nicht nur für Menschen, sondern auch für Unternehmen.