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Wie ChatGPT bei Suche nach Bewerbern hilft

Künstliche Intelligenz im Recruiting

Experten, Wirtschaftsverbände und Unternehmen sind sich einig: Nichts bedroht unseren Wohlstand so sehr wie der sich von Jahr zu Jahr verstärkende Fachkräfte-Mangel. Während die Komplexität, Menge an Arbeit und die Lohnnebenkosten steigen, gehen die Alten in Rente und die wenigen Jungen sind scheinbar kaum für normale Arbeiten zu motivieren. Für viele Unternehmen ist die Künstliche Intelligenz (KI) ein Strohhalm, auch in der Augenoptik kann sie manch fehlende Hand möglicherweise ersetzen und die Lücke füllen, die der demografische Wandel hinterlässt. Möglicherweise spielt KI aber in diesem Zusammenhang anderswo ihre wahre Stärke aus: im Recruiting und bei der Suche nach echten Mitarbeitenden. Buchautor Christian Bernhardt wagt einen allgemeinen Ausblick mit Relevanz für die Augenoptik.

Auge - Künstliche Intelligenz
Mit neuem Blick: Künstliche Intelligenz im Recruiting nutzen (Bild: Pixabay)

Das war ein echter Paukenschlag im November 2022: OpenAI stellt der Welt „ChatGPT 3.5“ vor. Wer das Tool das erste Mal erlebt, dem verschlägt es die Sprache. Die KI-Texte sind auf den ersten Blick praktisch nicht von menschlichen Texten zu unterscheiden. Im Gegenteil: Sie lesen sich oft sogar eingängiger. Trotzdem warnen Experten. Zum Teil erfindet die KI einfach etwas, aber weil es so gut klingt, neigt der Leser dazu, den Nonsens zu glauben. Nach anfänglicher Begeisterung steht seitdem die Frage im Raum: Ist die KI brillant oder ein Blender? Die Antwort: beides, aber Letzteres nur vereinzelt und das wird sich lösen lassen.

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Im Januar 2023 investiert Microsoft knapp 13 Milliarden US-Dollar in OpenAI und übernimmt damit praktisch das Start-up. Google & Co. ziehen nach und forcieren eigene Projekte. Währenddessen überschlagen sich die Ereignisse: ChatGPT besteht die Jura-Prüfung der Universität von Minnesota. Ende März 2023 fordern führende KI-Experten in einem offenen Brief, die Forschung zu stoppen, um nicht wie ein übermütiger Zauberlehrling die digitale Büchse der Pandora zu öffnen. Doch ihre Rufe verhallen im globalen KI-Wettrennen.

Generation Z greift zu: KI an der Uni

Juni 2023: Die Sonne scheint, der Autor dieses Textes sitzt im kühlen Schatten in einem Café. Am Nebentisch tauscht sich eine Gruppe Studierender lebhaft über ChatGPT aus. Eine Studierende outet sich: „Ich sage es euch ehrlich: Die einzige Seite meiner Hausarbeit, bei der der Dozent nichts beanstandet hat, war die, die ich mit ChatGPT erstellt habe!“ Zustimmendes Schmunzeln und anschließendes Gemurmel, wie sich die KI am geschicktesten nutzen lassen könnte. Mittlerweile verbieten die ersten Universitäten den Einsatz von KI bei Haus- und Abschluss-Arbeiten. Ein Problem: Die Unis können das Einhalten der Vorgabe nicht prüfen. Zwar erscheinen rasch KIs, die KI-generierte Texte erkennen können, ihre Erfolgsquote liegt jedoch nur bei 35 Prozent.

November 2023, der Autor fährt abends im ICE von Frankfurt nach Köln: Nach einem Recruiting-Seminar geht es zum nächsten Auftrag. Normalerweise würde ich in dieser Situation Musik hören und mich entspannen. Aber dieses Mal habe ich keine Lust auf geistige Arbeit. Genug geschafft! Zudem hat mich das Gespräch mit einer Recruiterin inspiriert und ich beginne, ein Recruiting-Tool zu entwickeln, für das eine gut programmierte Excel-Tabelle als Grundlage ausreichen sollte. Ich selbst habe keine besonders hohen Excel-Kenntnisse und will deshalb einmal ausprobieren, was die neueste Version, ChatGPT 4, so kann.

„Nicht die KI wird Ihren Job bedrohen, sondern jemand, der KI verwendet“

Was ich in den nächsten 60 Minuten erlebe, verschlägt mir den Atem! Bei der Arbeit stoße ich rasch an meine Excel-Grenzen: Mit welcher Funktion lassen sich aus einer Tabelle mit knapp 70 Items die fünf höchstbewerteten herausfinden? Keine Ahnung! Ich frage die KI. Ihr erster Vorschlag klingt zwar gut, funktioniert aber nicht. Aber das kann man ihr ja sagen. Sie entschuldigt sich mit der Begründung, sie habe nicht gewusst, dass ich die deutsche Excel365 Version nutze. Okay, der nächste Vorschlag. Erneute Fehlermeldung. Nächstes Feedback.

Dritter Versuch: Ich erhalte eine Formel und füge sie in die Tabelle ein. Läuft. Ich schlucke und halte inne. Mir wird bewusst: Um das gleiche Ergebnis zu erhalten, hätte ich sonst umfangreich recherchieren müssen oder einen teuren Experten gebraucht. Mir wird klar, wie wahr ein Zitat ist, das ich kürzlich bei einem Vortrag zur KI gehört habe: „Nicht die KI wird Ihren Job ersetzen, sondern jemand, der die KI verwendet!“ Der Zugsprecher kündigt Köln an, ich speichere die Excel, steige aus und stehe kurz danach direkt vor dem Dom, von echten Menschen erdacht und erbaut.

GAU im Recruiting: Aus natürlicher Dummheit wird keine KI

Als einer der Ersten setzte Amazon bereits 2014 in seinem Recruiting KI ein. Der Algorithmus konnte den Kandidaten automatisch antworten und eine Vorauswahl treffen, um die Bewerberspreu vom -weizen zu trennen. Der Algorithmus lernte anhand der Entscheidungen der internen Recruiter. Nach ein paar Testläufen war man zufrieden und ging live.

Kaum gestartet, musste das Projekt auch schon wieder gestoppt werden, denn die KI diskriminierte systematisch weibliche Bewerber. Das Problem: Mit dem Wissen um den Fehler war nichts gewonnen, denn Amazon gelang es nicht, der KI die Diskriminierung auszutreiben. Die Ursache: Eine KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Da die Recruiter für die technischen Stellen männliche Kandidaten bevorzugt hatten, schloss die KI, dass sich weibliche Bewerber weniger gut eignen, und sortierte sie ebenfalls aus. Diese Erfahrung ist kein Einzelfall.

2021 beurteilte die Video-Recruiting-Software Retorio Bewerbende besser, wenn im Hintergrund ein Bücherregal zu sehen war. Bewerberinnen wurden als weniger gewissenhaft beurteilt, wenn sie eine Brille trugen. Auch ein Kopftuch beeinflusste die Ergebnisse. Delikat im Fall Retorio: Es waren nicht die Anwender, die die Mängel der KI erkannten. Diese neigten sogar eher dazu, den Ergebnissen zu glauben. Es war ein investigatives Team des bayerischen Rundfunks, das mit professionellen Schauspielern die Software auf Herz und Nieren testete und die Schwächen offenlegte.

Seit Jahren ist belegt, wie wichtig ein fairer Auswahlprozess für die Zufriedenheit der Bewerber und einen positiven Ruf als attraktiver Arbeitgeber ist. Wenn Bewerber den Eindruck haben, aufgrund unfairer Kriterien aussortiert zu werden, teilen sie ihre Unzufriedenheit mit bis zu acht weiteren Fachkräften. Interessant dabei: Bewerbende haben kein Problem damit, wenn sich eine KI für sie entscheidet, erkennen sie jedoch, dass sie durch KI aussortiert wurden, fühlen sie sich nicht wertgeschätzt. Menschen sind nicht logisch, sondern psycho-logisch.

Daten-Krake Microsoft

Der letzte Schritt wirft die Frage nach dem Datenschutz auf. Zwar beteuert OpenAI, dass die Daten nur für die Dauer der Sitzung temporär gespeichert und nicht anderweitig verwendet werden, dennoch bleibt die Frage, inwiefern es Hintertürchen gibt. Daten sind das neue Gold und Bewerberdaten besonders sensibel.

Relativierend muss man sich jedoch vor Augen führen, dass rund 80 Prozent der Talente LinkedIn-Profile haben und die meisten ihre Unterlagen in Word erstellen. Da alle diese Dienste Microsoft gehören und das Unternehmen die Nutzungsbedingungen in den letzten Jahren so angepasst hat, dass es ohnehin auf die zugehörigen Daten zugreifen kann, stellt sich die Frage: Wie neu sind die Informationen wirklich und kann man der Beteuerung der KI, dass diese nur temporär gespeichert werden, nicht doch einfach glauben? Letzte Klarheit bringt eine Rechtsberatung oder eine Prüfung der eigenen Nutzungsbedingungen. Im Zweifel sollten die Daten zuvor anonymisiert werden.

Fazit: KI ist ein hilfreicher Recruiting-Assistent, aber die Ergebnisse hängen vom Nutzer ab. Wer sich intensiver mit der immer besser werdenden KI beschäftigt, ist mitunter erstaunt, was diese alles kann. Dennoch müssen viele Vorschläge weiterhin kritisch geprüft werden. Nur wer selbst auf einem Gebiet firm ist, kann beurteilen, wie hoch die Qualität der KI-Aussagen und -Antworten wirklich ist und an welchen Stellen sie den Nutzer blendet. Die Erfahrung zeigt: Kleinere und mittlere Unternehmen haben zwar die Expertise in ihren Fachbereichen, aber nur selten im Recruiting. Aber: Auf Prompts wie die oben beschriebenen kommt die KI nicht von selbst!

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Praxis-Check:
Künstliche Intelligenz im Recruiting

Glücklicherweise beschreiben diese Anekdoten Kinderkrankheiten, heute sind Künstliche Intelligenzen eine immer wertvollere Hilfe im Recruiting. Neben Software, die KI nutzt, war das Erscheinen von ChatGPT ein Quantensprung. Die neueste Version „ChatGPT-4o“ liefert auch für kleinere Unternehmen gute Qualität, wenn man sie sauber füttert und die Ergebnisse kritisch hinterfragt. Hier einige Punkte, in denen KI die Personalgewinnung unterstützen kann.

1. Anforderungsprofil

Für ein erfolgreiches Recruiting braucht es zunächst einmal ein valides Anforderungsprofil. Dabei passiert oft der erste Fehler, wenn für eine neu zu besetzende Stelle eine alte Stellenbeschreibung herausgeholt und ergänzt wird. Das Problem: Auf diese Art und Weise wird die Stelle nur an den vergangenen und aktuellen Bedarf angepasst, nicht aber an den zukünftigen. Meist wird die Stelle bei diesem Prozedere immer weiter aufgebläht und gerät zur Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau. Das schreckt Bewerber ab!

Besser ist, die kritischen Ereignisse zu identifizieren, auf die es bei der Stelle in den nächsten Jahren und mit Rücksicht auf die strategischen Ziele des Unternehmens ankommen wird. Hier kann ChatGPT helfen: Einfach die letzte Stellenanzeige als PDF hochladen und die KI bitten, die Relevanz der Anforderungen in Bezug auf die zu erwartenden Entwicklungen der Branche und Position sowie die eigenen strategischen Ziele zu beurteilen und Ergänzungen vorzuschlagen.

2. Reduzierung des Anforderungsprofils

In Zeiten des Fachkräftemangels sind passende Bewerber rar. Ein Weg, um die Zahl der Bewerbungen zu erhöhen, bietet die Reduktion der Anforderungen. Die Bewerbenden haben dann zwar vielleicht ein niedrigeres Qualifikationsniveau, können aber mit etwas Aufwand in die Stelle eingearbeitet werden. Entscheidend ist, das Anforderungsniveau auf die kritischen Kompetenzen und Erfahrungen zu reduzieren. Auch diese Aufgabe kann die KI übernehmen und wenn die Vorschläge passen, ebenfalls die Formulierungen in der Stellenanzeige angleichen.

3. Identifikation übertragbarer Fähigkeiten und alternativer Zugangsberufe

Eine weitere Chance, um die Zahl der Bewerber zu erhöhen, sind alternative Berufsbilder. Ein Schlüssel hierbei sind übertragbare Fähigkeiten, also Kompetenzen, die in einem Berufsbild genutzt werden und auch in einem anderen wesentlich sind. So kann beispielsweise bei der Suche nach einem Uhrmacher auch nach Zahntechnikern gesucht werden, da diese den Großteil der bedeutsamen Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen. Der Auftrag an die KI: „Schlage für die zu besetzende Stelle andere Berufsbilder mit relevanten übertragbaren Kompetenzen vor.“ Hat der Recruiter die Vorschläge gesichtet, kann die KI die Stellenanzeige dahingehend anpassen.

4. Unterstützung bei der aktiven Suche nach Bewerbern

Je nach Position, Alter, Branche und Region sind 40 bis 70 Prozent der Talente offen für einen Arbeitgeberwechsel, allerdings werden nur 10 Prozent selbst aktiv. Eine Möglichkeit, neue Kandidaten zu finden, besteht darin, in Social Media nach passenden Profilen zu suchen. Das Problem: Wenn kleinere Unternehmen keine teure LinkedIn-Recruiter-Lizenz haben, begrenzt die Plattform die Suchmöglichkeiten und beschneidet die Ergebnisse.

Vielen ist unbekannt, dass auch mit Google über die sogenannte „X-Ray Search“ in LinkedIn und in anderen Sozialen Medien gesucht werden kann. Dafür braucht es jedoch erweiterte Google-Kenntnisse, um die Such-Formel zu erstellen. Wer diese nicht hat, kann ChatGPT fragen. Der passende Prompt, um beispielsweise Software-Entwickler im Raum Berlin zu suchen, lautet: „Erstelle bitte die Formel für eine Google-X-Ray-Suche, um in LinkedIn nach Software-Entwicklern im Raum Berlin zu suchen.“

5. Beurteilung der Passgenauigkeit

Sind Bewerbungen eingetroffen, kann ChatGPT deren Passgenauigkeit für die zu besetzende Stelle abschätzen. Hierfür wird die Stellenbeschreibung in das Chat-Feld kopiert und der Lebenslauf als PDF angehängt. Der dazu passende Prompt lautet: „Beurteile, wie passend das Profil für die zu besetzende Stelle ist und welche Chancen und Risiken das Profil hat.“ Ist die Beurteilung für mehrere Bewerber erfolgt, kann die KI gefragt werden, welche Bewerber sie für die Einladung zum persönlichen Gespräch bevorzugen würde und warum.

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Christian Bernhardt gilt als einer der führenden Experten zum Thema „Nonverbale Kommunikation im Recruiting“. Als Kommunikations-Psychologe und Körpersprache-Trainer hat er viele Unternehmen branchen-übergreifend bei der Stellenbesetzung unterstützt. In Deutschland und der Schweiz ist er ein gefragter Referent sowie Coach für Führungskräfte rund um die Themen Fachkräfte-Mangel und Wertschätzung. www.bernhardt-trainings.com

 

Artikel aus der eyebizz 5.2024 (August/September/Oktober)

 

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