Künstliche Intelligenz: Wie viel Menschlichkeit wollen wir?
von Dr. Jürgen Bräunlein,
Künstliche Intelligenz: Mit welchen gesellschaftlichen Umwälzungen haben wir durch ihren Einsatz in naher Zukunft zu rechnen? Und was passiert dabei im gesundheitsbezogenen Dienstleistungsbereich? Fragen an KI-Forscher Prof. Wolfgang Ertel.
eyebizz: „Artifical Intelligence“ (AI) made in Germany soll zum weltweit anerkannten Gütesiegel werden. Bis 2025 will die Bundesregierung hier rund drei Milliarden Euro investieren. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Anzeige
Prof. Wolfgang Ertel: Ich finde das richtig. Der Bereich Künstliche Intelligenz wurde jahrzehntelang ignoriert, wir waren ein Exotengebiet. Jetzt ist die absolute Notwendigkeit, mehr zu tun, endlich auch in Deutschland angekommen. Teil der Förderung ist auch der Plan, mindestens 100 zusätzliche Professuren zu berufen. Das ist mehr als sinnvoll, denn es fehlen Fachleute im KI-Bereich. Firmen suchen händeringend danach.
Künstliche Intelligenz birgt ein gewaltiges Potenzial für die deutsche Wirtschaft. Eine Studie des renommierten Unternehmernetzwerkes PricewaterhouseCoopers International(PwC) zufolge kann das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) allein durch KI bis zum Jahr 2030 um 11,3 Prozent steigen. Was sagen Sie dazu?
Ich sage dazu, dass die Wirtschaft nicht mehr wachsen darf. Und zwar deshalb, weil der Planet die Grenzen des Wachstums schon seit den 1970er Jahren überschritten hat. Wir stoßen zu viel CO2 aus, erzeugen viel zu viele Umweltgifte und zerstören viel zu viele Tier- und Pflanzenarten. Wir leben zu unvernünftig und verbrauchen zu viel. Und dieses zu viel Verbrauchen hängt mit unserem materiellen Wohlstand zusammen. Und das BIP ist eben das Maß für den materiellen Wohlstand.
Weniger ist demnach mehr. Lassen wir das mal so stehen. Dank KI wird es in naher Zukunft viele Dinge geben, die wir uns noch nicht vorstellen können. In welchen Bereichen erwarten Sie die stärksten Veränderungen?
Der erste wirklich dramatische Wandel wird das autonome Fahren sein. Das wird in etwa zwei bis drei Jahren losgehen, dann dauert es noch ein paar Jahre, bis es flächendeckend umgesetzt wird. Wir haben dann einen paradiesischen Mobilitätskomfort: superbillige, superkomfortable und auch sparsame Taxis. Vor allem in ländlichen Regionen wird es dann einen öffentlichen Nahverkehr geben, der den Namen auch verdient. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass nicht alle deutschen Autobauer diese Revolution überleben werden.
Die andere Auswirkung ist der Rebound-Effekt. Wenn wir neue Technologien haben, die den gleichen Komfort billiger bereitstellen als vorher, dann braucht jeder Mensch von dem Geld, das er zur Verfügung hat, weniger. Was machen wir mit dem übrigen Geld? Wir werden es auch ausgeben und noch mehr konsumieren. Und all das ist schädlich für unsere Umwelt.
In der Augenoptik werden sich in absehbarer Zeit Sehtests und Refraktionen auch online von Zuhause erledigen lassen. Was denken Sie dazu?
Ich bin kein Branchenkenner, aber ich würde mutmaßen, dass der Kunde dann auch tatsächlich nicht mehr ins Geschäft kommt. Wir sehen doch, was alles bei Amazon und ähnlichen Anbietern online eingekauft wird. Der Optiker muss deshalb einen Mehrwert bereitstellen. Vielleicht ist es für viele Kunden hilfreich, bei der Entscheidung für das Design der Fassungen eine menschliche Beratung zu haben. Aber auch da bin ich mir nicht sicher. Ich sehe also hier tatsächlich eine große Gefahr für Ihre Branche. Wenn die technische Überprüfung online gemacht werden kann, gibt es wirklich nicht mehr viele Argumente, zum Augenoptiker zu gehen.
Wie sieht es im Pflegebereich aus? Werden bald schon Pflegeroboter an unseren Krankenbetten sitzen?
Bei der Pflege muss man ganz nah an den menschlichen Körper heran. Die Feinmotorik von Robotergreifern ist derzeit aber bei weitem nicht gut genug dafür. Der Tastsinn, der fehlt der künstlichen Intelligenz noch. In den nächsten zehn Jahren wird es deshalb, so denke ich, keine Pflegeroboter geben. Aber sie werden kommen.
An dem Thema Tastsinn hat man in der KI-Forschung bislang nicht gearbeitet. Das hängt auch damit zusammen, dass wir bis heute Haut nicht herstellen können, und zwar so, dass da ganz viele und in großer Dichte hochsensible Nervenzellen auf einer Haut zu finden sind. Es gibt allerdings bereits Hersteller, die haben flächige Kraftsensoren entwickelt, bei denen auf einem Quadratzentimeter schon zig solcher Sensoren drauf sind. Wenn die einmal in großer Stückzahl billig produziert werden können, werden sie auch angewendet werden.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat kürzlich prognostiziert, dass durch Automatisierung und künstliche Intelligenz bis 2025 etwa 1,6 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, jedoch 2,3 Millionen neue entstehen. Glauben Sie daran?
Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann hat er Recht. Aber wir haben dabei das Problem, dass die Arbeitsplätze, die neu hinzukommen, an völlig anderer Stelle sein werden. Wenn alle Taxifahrer arbeitslos werden, dann können wir die nicht automatisch als Maschinenexperten bei Hightech-Projekten einsetzen. Wir werden also einen strukturellen Wandel haben, und der Staat muss Lösungen finden, Menschen, die keine Arbeit mehr haben, sinnvoll zu beschäftigen und zu versorgen.
Bei meinem Vortrag (auf dem Spectaris-Trendforum 2018, Anm. d. Red.) habe ich ja gesagt: Wenn immer mehr Arbeit wegfällt, warum müssen wir diese Arbeitsplätze durch zwanghaftes Wirtschaftswachstum ersetzen? Wir können doch auch diesen natürlichen Gedanken denken: Wenn die Maschine die Arbeit so toll macht, arbeiten wir Menschen eben weniger. Das wäre doch ein Segen für uns!
Und wie lässt sich mit der Kehrseite, also dem Rebound-Effekt, von dem Sie schon sprachen, umgehen?
Künstliche Intelligenz allein liefert uns keine nachhaltige Zukunft, wenn wir nicht vernünftig damit umgehen. 90 bis 95 Prozent aller Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Sie sind nicht automatisch dazu bereit, diszipliniert und nachhaltig mit dieser Welt umzugehen. Das können nur Staat und Politik durch veränderte Rahmenbedingungen erreichen. Und das heißt ein anderes Steuersystem. So sollten auf fossile Energien entsprechend hohe Steuern erhoben werden. Und auch auf andere Dinge, die der Menschheit und dem Gemeinwohl schaden.
Eine letzte Frage: Wie viel menschliche Zuwendung brauchen wir als Menschen und Konsumenten?
Das kommt ganz darauf an. Wenn wir wollen, dass tatsächlich am Ende noch Menschen mit den uns bekannten menschlichen Eigenschaften übrigbleiben, dann sollten wir vielleicht unsere Kinder nicht von Computern und Robotern erziehen lassen, sondern uns selber genügend um die Erziehung kümmern.
// JUEB
(ID 7371)
Prof. Wolfgang Ertel forscht im Bereich Künstliche Intelligenz. Er hat Physik und Mathematik in Konstanz studiert, an der TU in München promoviert und seit 1994 einen Lehrstuhl an der Hochschule Ravensburg-Weingarten inne. Am dortigen Institut für Künstliche Intelligenz (IKI) arbeitet er mit seinem Team an der Lösung praktischer Anwendungen – lernfähige Maschinen und Roboter für eine nachhaltige Zukunft.