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Vorgesetzte nehmen Fluktuations-Quoten mit

Mitarbeiter-Motivation: Raus aus der erlernten Hilflosigkeit

Ein Hund: Er springt herum und erkundet die Welt. Stellen wir uns einen neuen Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag vor: Er erkundet neugierig den Betrieb sowie die Kollegen, ist hoch motiviert, um zum Wachstum des Unternehmens beizutragen. Mit einer nachhaltigen Strategie für langfristigen Erfolg bleibt das auch so!

Mitarbeiter loben - aber richtig
Die positive Psychologie hilft dem Mitarbeiter, zu wachsen, sich zu entwickeln und Potenzial zu entfalten: So macht der Job und die Aufgabe im Betrieb Spaß (Bild: Pixabay / Lograstudio)

1967 sperrte der Psychologe Martin Seligman Hunde in einen Käfig und setzte diesen von Zeit zu Zeit unter Strom. Sobald ein Stromstoß kam, bellten die Hunde, knurrten, rasten durch den Käfig und versuchten, irgendwie zu fliehen oder sich zu wehren. Ohne Erfolg. Schließlich fügten sie sich ihrem Schicksal, blieben apathisch liegen und ließen die Stromschläge über sich ergehen.

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Dann öffnete Seligman die Türen des Käfigs und setzte ihn anschließend erneut unter Strom. Preisfrage: Wie reagierten die Hunde? Obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, ihr Leiden zu beenden, blieben die psychologisch gebrochenen Kreaturen liegen und ließen sich weiter quälen. Martin Seligman hatte die erlernte Hilflosigkeit entdeckt.

Zeitsprung ins Jahr 2024: Wir leben in einer komplexen und chaotischen Welt. Die Kybernetik hat schon vor Jahrzehnten beschrieben, dass sich diese Komplexität nicht mehr top down managen lässt. Organisations-Entwickler und Berater beschreiben, was es braucht: mehr Selbstorganisation, Agilität und dezentrale Entscheidungen. Eine Fehlerkultur, damit Mitarbeiter bereit sind, Rückschläge sportlich zu nehmen. Und ein Growth Mindset, um zu wachsen und lebenslang zu lernen!

Motiviert durch die Erkenntnisse von dynamischen Start-up-Pionieren und New-Work-Vordenkern wie Frédéric Laloux (Autor des Grundlagenwerks für selbst organisiertes Arbeiten) fordern Führungskräfte ihre Mitarbeiter auf: Legt los! Habt keine Angst! Riskiert was! Nutzt eure Spielräume! Seid mutig! Sagt, was Ihr denkt! Bitte, bitte: Macht einfach, Ihr wisst doch am besten, was in euren Positionen das Richtige ist!

Und was passiert? Das Gleiche wie bei Seligmans Hunden: nichts! Natürlich nicht überall und immer. Aber je größer die Organisation und je länger die Mitarbeiter dabei sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass alles bleibt, wie es ist. Unternehmer wundern sich, warum die „befreiten“ Mitarbeiter „nicht wollen“. Aber das Experiment von Seligman zeigt, dass die Hypothese vom „nicht wollen“ falsch ist.

„Klassiker“ der Führungsrhetorik

Erinnern wir uns an ein paar Schmankerl der destruktiven Parolen und Killerphrasen, mit denen immer wieder Gespräche in Unternehmen beendet und Entscheidungen begründet werden.

Hier meine spontanen Top 10:

1. Ober sticht Unter.

2. So ist das halt bei uns.

3. Das haben wir schon immer so gemacht.

4. Die Anweisung kommt von oben, da kann man halt nichts machen.

5. Wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“, wir sind hier bei „So isses“!

6. Sie kennen ja die drei Alternativen: Love it, leave it, change it!

7. Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen.

8. Warum ich das mache? Weil ich es kann!

9. So sind halt die Regeln, wer lesen kann, ist klar im Vorteil!

10. Sie sollen nicht denken und fragen, Sie sollen machen!

Aussagen wie diese sind verbale Stromschläge für Mitarbeiter und drücken diese nach und nach in die erlernte Hilflosigkeit. Je nachdem, wo die Mitarbeiter in diesem Prozess stehen, versuchen sie noch, sich zu wehren, zu diskutieren oder kritische Fragen zu stellen, schließlich zieht der Zynismus ein.

Es folgen Dienst nach Vorschrift und innere Kündigung. Fremdgesteuert und ohne freie Gestaltungs-Möglichkeiten werden Mitarbeiter häufiger krank, auch das Burnout-Risiko steigt. Einige mobilisieren die letzten Kräfte oder erhalten Hilfe und bewerben sich weg. Schon lange ist bekannt: Vorgesetzte nehmen ihre Fluktuations- und Krankenquoten mit.

Die Kraft der Worte

Neurobiologen haben herausgefunden, dass nicht etwa unsere Gene darüber entscheiden, wie sich unser Leben entwickelt, sondern dass überwiegend das Umfeld entscheidet, welche Teile unserer Gensequenz aktiviert werden. Diese formen die Vorlage, aus denen unser Körper dann Aminosäuren bildet, die als Hormone und andere Botenstoffe unser Gemüt, die Entwicklung unserer Organe und unsere Gesundheit bestimmen. Das psychosoziale Milieu, in dem wir uns befinden, entscheidet, ob wir krank werden oder aufblühen.

Die Kommunikation von Bezugspersonen, wie es Führungskräfte sind, wirkt also nicht nur psychologisch auf die erlernte Hilflosigkeit, sondern auch auf die Gen-Expression und das hormonelle Niveau der Mitarbeiter. Eine frühere Vorgesetzte sagte mir einmal, sie sei eigentlich eine Feelgood-Managerin, die einfach darauf achtet, dass das Klima gut ist und sich alle wohlfühlen. Damit hatte sie den wesentlichen Aspekt von Führung getroffen.

Eine McKinsey-Studie von 2021 zeigt, dass von über zwanzig Kündigungs-Gründen die beiden bedeutendsten „mangelnde Wertschätzung durch die Organisation“ und „mangelnde Wertschätzung durch die Führungskraft“ sind. Tragisch: Die Unternehmen unterschätzen diese beiden Einflüsse total. Sie verorteten sie auf den Plätzen 11 und 18!

Direkte und indirekte Kosten von Kündigungen

Jede ungeplante Kündigung kostet rund ein Jahresgehalt des scheidenden Mitarbeitenden – direkte und indirekte Kosten eingerechnet. Wichtiger als die monetären Kosten sind oft jedoch die langfristigen Folgen. Durch den Effekt der „Emotionalen Ansteckung“ lösen Kündigungen oft Kettenreaktionen aus, die die Existenz eines ganzen Unternehmens gefährden können.


 

Warum Mitarbeiter aus Arbeitgeber-Sicht kündigen:

1. Suche nach einem besseren Job

2. Unangemessene Bezahlung

3. Schlechte Gesundheit

 

Warum Mitarbeiter wirklich kündigen:

1. Zu wenig Wertschätzung durch die Organisation

2. Geringe Wertschätzung durch den Vorgesetzten

3. Kein Gefühl der Zugehörigkeit

 


Hinzu kommt: In der Regel gehen die Besten zuerst. Sind die Leistungsträger einmal weg, werden die verbliebenen Mitarbeiter schneller und überproportional stärker belastet. Die Gesamtleistung sinkt, die Qualität der Arbeit und Dienstleistungen lässt nach, der Service leidet, Kunden wandern ab. Stress und Druck steigen, ebenso die Krankheitsquoten. Das Image des Betriebes verschlechtert sich, die Suche nach neuen Mitarbeitenden wird aufwändiger. Irgendwann hat der nächste genug, kündigt und versetzt der Abwärtsspirale einen zusätzlichen Schwung.

Mitarbeiter: Wege aus erlernter Hilflosigkeit

Glücklicherweise überließ Seligman seine Hunde nicht einfach sich selbst. Vielmehr fand er nach und nach Wege, um sie aus der erlernten Hilflosigkeit herauszuführen. Mit kleinen zu bewältigenden Schritten konnten die Hunde wieder Erfolgs-Erlebnisse erleben. Und der Kontakt zu anderen Hunden, von denen sie am Modell lernen konnten, half, die alte Lebensfreude zurückzugewinnen. Seligman wurde so zu einem der Mitbegründer der positiven Psychologie, die Menschen noch heute hilft, zu wachsen, sich zu entwickeln und ihr Potenzial zu entfalten.

Werfen wir einen Blick darauf, was im Betrieb unternommen werden kann, um die Mitarbeiter aus der erlernten Hilflosigkeit zurückzuholen.

1. Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Urheber-Erlebnisse

Hilflosigkeit wird durch dauerhaften Kontrollverlust, Fremdsteuerung und Handlungs-Unfähigkeit erlernt. Ein Effekt, der umgekehrt werden kann, wenn Mitarbeiter in kontrollierbaren Situationen Selbstwirksamkeit erfahren und Urheber-Erlebnisse realisieren können.

So wie uns die Erfahrung der erlernten Hilflosigkeit passiv und apathisch werden lässt, beflügelt es uns, wenn wir eigenverantwortlich Entscheidungen treffen können und erleben, wie unser Handeln zu Erfolgen führt. Werden Mitarbeiter in einem für sie kontrollierbaren Umfeld mit Aufgaben konfrontiert, an denen sie wachsen und die sie auf ihre eigene Art und Weise bewältigen können, kehrt ihre Motivation zurück und ihr Selbstvertrauen wächst.

2. Passende Herausforderungen und Sicherheit

Eine wichtige Aufgabe der Führung ist abzuschätzen, wie hoch der Reifegrad eines Mitarbeitenden ist, um eine zu ihm und seinem Niveau passende Aufgabe oder Herausforderung zu finden. Die Herausforderung sollte leicht über dessen Kompetenzniveau liegen, damit er seine Komfortzone verlassen muss. Gleichzeitig muss er genügend Sicherheit empfinden, um offen zu bleiben und das Wachsen als positive Erfahrung zu erleben.

Das Sicherheitsbedürfnis lässt sich beispielsweise befriedigen, wenn er nicht allein vor der Herausforderung steht, sondern ihr gemeinsam mit einem Kollegen begegnet. Auch Mentoren können Sicherheit bieten und auf Wunsch Impulse und wertvolles Feedback geben, die ihm helfen, den Bezugsrahmen zu erweitern und neue Wege zu gehen.

3. Loslassen und vertrauen

Ist die richtige Herausforderung gefunden, ist es an der Führung, zu vertrauen und (wichtig!) loszulassen. Wer dauernd dazwischenfunkt, kontrolliert oder Mikromanagement betreibt, begünstigt eine erneute erlernte Hilflosigkeit.

4. Sinn vermitteln

Die Top 10 der destruktiven Führungsparolen vermitteln vor allem die Botschaft, dass es bei der Arbeit nicht um Sinn geht, sondern darum, das umzusetzen, was von oben vorgegeben wird. Das Problem dabei: Der Mensch ist ein sinnsuchendes Wesen. Keine Frage wird von kleinen Kindern so gerne gestellt, wie die nach dem „Warum?“ Viele Erwachsene stellen sich diese Frage weiterhin und zwei von drei Mitarbeitenden würden sogar für eine sinnvollere Tätigkeit ihre Arbeit wechseln.

Eine weitere wichtige Führungs-Aufgabe liegt also darin, diesen Wunsch nach Sinn zu bedienen. Über Änderungen und neue Regeln muss miteinander gesprochen werden. Idealerweise werden sie gemeinsam entwickelt. Führung kann und darf sich heute nicht mehr auf Positions-Autorität und Herrschafts-Wissen zurückziehen!

Machen wir uns nichts vor: Genügend Pioniere sind in den letzten 30 Jahren neue Wege gegangen und führen ihre Mitarbeiter mit Wertschätzung und auf Augenhöhe. Sie predigen nicht nur Wasser, sondern trinken es auch selbst. Sie messen nicht mit zweierlei Maß, fördern die Stärken und Entwicklung ihrer Mitarbeiter und arbeiten leidenschaftlich daran, Teams zusammenzuführen sowie Kollegen Spielräume zu eröffnen, um gemeinsam zu wachsen.

Die Erfolge bestätigen ihr Handeln: Hunderte Studien und Beispiele zeigen, dass Unternehmen in jeder relevanten Messgröße deutlich besser performen als der Markt, wenn sie Priorität auf Kultur und die Mitarbeiter legen. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Kunden steigt, ebenso die Umsätze und Gewinne. Krankenzeiten sinken. Mehr und bessere Kandidaten bewerben sich. Weniger Mitarbeiter verlassen das Unternehmen. Die Organisation wächst als Ganzes zusammen, geht resilienter mit Rückschlägen um und reagiert kreativer sowie flexibler bei anstehenden Veränderungen.

Wichtig: Fingerspitzengefühl

Die Möglichkeiten, Mitarbeiter aus der erlernten Hilflosigkeit herauszuführen, sind da. Wichtig ist hierbei Fingerspitzengefühl: Jeder Mitarbeiter muss individuell betrachtet, geführt und gefördert werden. Es gilt, Verbundenheit zur Organisation, Führungskraft und Aufgabe zu schaffen und zu bewältigende Wachstums-Möglichkeiten zu eröffnen. Diese sollten zu den gemeinsamen Werten und Zielen sowie zu den individuellen Stärken des Mitarbeitenden passen.

Ein Problem ist, dass die Veränderung nicht auf Knopfdruck erfolgt. In großen Unternehmen wird sie von daher oft den Quartalszahlen geopfert. Das bietet inhabergeführten kleinen und mittelständischen Unternehmen fantastische Chancen, um sich abzugrenzen und mit einer nachhaltigen Strategie die Grundlagen für langfristigen Erfolg zu legen.

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Christian Bernhardt gilt als einer der führenden Experten zum Thema „Nonverbale Kommunikation im Recruiting“. Als Kommunikations-Psychologe und Körpersprache-Trainer hat er viele Unternehmen branchen-übergreifend bei der Stellenbesetzung unterstützt. In Deutschland und der Schweiz ist er ein gefragter Referent sowie Coach für Führungskräfte rund um die Themen Fachkräftemangel und Wertschätzung. www.bernhardt-trainings.com

 

Artikel aus der eyebizz 5.2024 (August/September/Oktober)

 

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