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Sehverschlechterung im Alter

Mobile Augenoptik: Mehr als eine Nische?

Obwohl in Deutschland eine augenoptische Versorgung nahezu flächendeckend verfügbar ist, gelangt sie oft nicht zu den Menschen in Pflege- und Seniorenwohnheimen und zu jenen, die nicht mehr mobil genug sind, einen Augenoptiker selbst aufzusuchen. Oftmals liegt der letzte Sehtest lange zurück, nicht selten werden völlig ungeeignete Brillen getragen oder Augenkrankheiten gar nicht erst bemerkt. Dabei ist Sehen gerade im höheren Alter wichtig für die soziale Teilhabe. Für Augenoptiker ein Thema auch deshalb, weil es neue Geschäftsmodelle eröffnet, zum Beispiel die mobile Augenoptik.

Ende Mai dieses Jahres schlug die Stiftung Auge der DOG (Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft) auf einer Pressekonferenz in Berlin Alarm. Eine im JAMA (Journal of the American Medical Association) veröffentlichte Studie belegt einen deutlichen Zusammenhang zwischen nachlassender Sehkraft und abnehmender Hirnfunktion im Alter. Die Stiftung wies vor diesem Hintergrund nicht nur darauf hin, wie wichtig gutes Sehen und regelmäßige Besuche beim Augenarzt für ältere Menschen sind, sondern zeigte hier auch gravierende Defizite auf. Laut der neuesten Studie OVIS (Ophthalmologische Versorgung in Seniorenheimen) lag der letzte Augenarztbesuch der Bewohner durchschnittlich vier Jahre zurück.

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Sehschwäche Älterer oft mit Demenz verwechselt

Viel zu wenig beachtet wird, so eine Erkenntnis bei der Pressekonferenz, dass schlechtes Sehen im Alter gravierende Konsequenzen haben kann: Wer das Essen nicht erkennt, das vor ihm auf dem Teller liegt, bekommt keinen Appetit. Wer die Tageszeitung nicht mehr lesen kann, verliert das Interesse an lokalen Ereignissen. Oft kommt es allein durch schlechtes Sehen zum sozialen Rückzug. Nicht zuletzt können Stürze die Folge einer Sehschwäche sein.

Die promovierte Psychologin und ehemalige Gesundheitsministerin Prof. Dr. Ursula Lehr erklärte dazu: „Die nachlassende Sehfähigkeit zählt zu den typischen Alterserscheinungen, darf jedoch nicht mit Demenz verwechselt werden. Diese falsche Diagnose wird aber leider schnell gestellt.“ Dabei sind Sehschwächen eben nicht so offensichtlich wie etwa ein Armbruch. Bis zu 70 Prozent der Bewohner von Pflege- und Seniorenwohnheimen sind, so schätzt man, in ihrer Sehfähigkeit eingeschränkt. Dass Augenärzte oder Augenoptiker dort vorbeikommen, um Versorgung und Service anzubieten, ist die Ausnahme.

Pflegeheimbewohner und ihre Angehörigen als Kunden

Allerdings gibt es mittlerweile einige Augenoptiker, die auf dieses Defizit reagieren und auch mobil unterwegs sind, wie etwa Matthias Geertz von Geertz Optik im schleswig-holsteinischen Mölln. Er hat 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bietet seinen Kunden auch einen „smarten Vor-Ort-Service“ an. Er oder eine Mitarbeiterin macht nach Termin Hausbesuche.

Mobile Augenoptik - Matthias Geertz
Matthias Geertz bietet „smarten Vor-Ort-Service“

Optik Geertz hat außerdem monatlich einen fixen Termin bei sechs Seniorenwohnheimen in Mölln, eine Kleinstadt mit (inklusive Einzugsgebiet) 30.000 Einwohnern. Zum kostenlosen Serviceangebot gehören das Richten, Justieren und Reinigen der Brille, eine Messung der Sehstärke und Sehberatung, natürlich auch im Low-Vision-Segment. Besonders das „Augustinum“ in Mölln, ein hochpreisiges Seniorenstift, legt Wert darauf, seinen Bewohnern solche besonderen Angebote zu machen, so etwa auch der regelmäßige Besuch eines Hörgeräteakustikers.

Auf dem Veranstaltungskalender im Stift steht der Termin, wenn Optik Geertz mobil anrückt. Für den Augenoptiker ein zusätzliches Angebot zum Geschäft, das sich allein genommen nicht rechnen würde, aber Synergieeffekte für den Umsatz schafft. Man gewinnt eben nicht nur Pflegeheimbewohner als neue Kunden, sondern immer wieder auch deren Angehörige oder Freunde. Matthias Geertz empfindet es aber auch als folgerichtig, langjährige Kunden, die nicht mehr mobil genug sind, auf diese Weise weiter zu betreuen.

Empathie ist notwendig

Auch Augenoptikermeisterin Hülya Yig-Özgen aus Freigericht-Somborn in Hessen ist mobil unterwegs – sogar ohne gleichzeitig ein stationäres Geschäft zu betreiben. Während der Elternzeit nach der Geburt ihres zweiten Kindes kam der heute 42-Jährigen die Idee: „Als zweifache Mutter fiel mir auf, wie wichtig Flexibilität und Individualität im stark fordernden Familienalltag sind. Das motivierte mich, die Kundenorientierung neu zu durchdenken, um künftige Kunden zu begeistern. So ist das Konzept zu ‚Brille auf Rädern!‘ entstanden.“ Zielgruppe: Menschen, die familiär oder beruflich stark eingespannt sind, aber auch Senioren und gehandicapte Menschen, die nicht mobil sind.

Hülya Yig-Özgen betreibt Haus- und Heimbesuche in einem Umkreis von 80 Kilometern. Sie refraktioniert vor Ort, berät rund ums gute Sehen und hat über 200 aktuelle Markenfassungen zur Auswahl dabei. Für jeden Termin rechnet sie anderthalb bis zwei Stunden, eine Verpflichtung zum Kauf geht der Kunde damit nicht ein. Von der Einstärken- über die Gleitsicht- und Arbeitsplatzbrille bis hin zur Kontaktlinse deckt sie das Spektrum ab. Nach etwa zehn Tagen bringt sie die fertige Brille vorbei und passt letzte Feinheiten an. Vor allem bei älteren Kunden, die sie zuhause oder im Seniorenwohnheim besucht, erfährt sie große Dankbarkeit: „Ich bin so glücklich, dass Sie kommen!“

Im Halbfinale des Hessischen Gründerpreises

Mobile Augenoptik - Hülya Yig-Özgen
Hülya Yig-Özgen macht mit „Brille auf Rädern!“ Furore

Im Verdachtsfall einer Augenkrankheit rät Hülya Yig-Özgen zum Besuch eines Augenarztes. Aus ihrer Sicht wäre mehr Kooperation mit Augenärzten hilfreich. Der Umgang mit älteren Menschen oder auch Pflegebedürftigen liegt ihr und bereichert sie. „Empathie ist nötig, und man darf keine Berührungsängste haben, wenn man etwa von einem behinderten Menschen spontan umarmt wird.“

Für ihr Geschäftsmodell „Brillen auf Rädern!“ ist sie ins Halbfinale des diesjährigen hessischen Gründerpreises gekommen, auch wenn sie es nicht bis ins Finale geschafft hat, steigerte die Nominierung ihre Bekanntheit in der Region enorm. Was sie selbst überrascht, ist, dass ihr Angebot vor allem von einer anderen Zielgruppe nachfragt wird, als sie anfangs dachte. Die meisten ihrer Kunden, so zeigt sich mittlerweile, sind junge, Karriere orientierte Personen ab 30 aufwärts, die viel arbeiten und teils ganz wenig Zeit haben, oder auch vielbeschäftigte junge Akademikerinnen und Mütter, die Sehberatung in den eigenen vier Wänden sehr zu schätzen wissen.

Mobile Augenoptik: Zurückhaltung beim ZVA

Mobile Augenoptik ohne stationäres Geschäft – sieht der ZVA eher skeptisch. Früher hieß es in den Verbandsrichtlinien, der mobile Verkauf sei als Notfall-Lösung zu betrachten. Mittlerweile hat sich die Haltung etwas geändert, doch Vorbehalte bleiben. „(…) der stationäre Augenoptikbetrieb muss auch bei einer mobilen Versorgung natürlich wohnortnah im Hintergrund stehen, um eine Sehhilfenversorgung gemäß der Arbeits- und Qualitätsrichtlinien zum Schutz und im Interesse der Verbraucher durchführen zu können. Ist dies gegeben, ist gegen eine mobile Versorgung innerhalb eines gewissen Aktionsradius um diesen Betrieb nichts einzuwenden“, erläutert ZVA-Pressesprecher Lars Wandke auf eyebizz-Anfrage.

50.000 Euro Bankkredit für die „rollende Optikerin“

Bereits 2013 machte sich die damals 24-jährige Augenoptikermeisterin Katharina Rupp aus Dittelbrunn bei Schweinfurt als „rollende Optikerin“ selbstständig, ebenfalls ohne Ladengeschäft. Auf einer Plattform im Internet für Augenoptiker fand sie einen komplett ausgebauten Transporter, der für ihre Zwecke geeignet war. Hier konnte sie Sehtests durchführen, Gläser schleifen und anpassen und rund 400 Brillen zur Auswahl präsentieren.

Mobile Augenoptik - KatharinaRupp
Mobile Augenoptik: Katharina Rupp startete ihr Business als „rollende Optikerin“

Einen Bankkredit von 50.000 Euro bekam sie für ihren Businessplan. Unterstützung gab’s auch von der Handwerkskammer Unterfranken. Der dortige Betriebsberater analysierte das Potenzial einer mobilen Optikerin in der Region – einen stationären Optiker in Dittelbrunn gab es nicht – und kam zu dem Schluss, dass das Geschäftsmodell Erfolg haben wird. „Es gibt so viele Augenoptiker, ich wollte eine Nische finden“, erklärt Katharina Rupp, „zudem kann ich gut mit Älteren umgehen, habe auch Geduld, wenn es mal länger dauert.“

Viele überraschte das Angebot

Trotzdem hat sich der Erfolg nicht in dem Maße eingestellt, wie sich Rupp es vorgestellt hat. Aus diesem Grund hat sie zwei Jahre später ein Geschäft vor Ort eröffnet, gebaut wurde es auf dem Gelände ihrer Eltern. Doch der Grund lag sicherlich nicht an der mangelnden Qualität ihrer Dienstleistung. „Ein Augenoptiker, der ins Haus kommt?“ Viele hatten noch nie von einem solchen Angebot gehört. „Die Franken sind auch nicht so aufgeschlossen für Neues“, mutmaßt sie.

Ihre mobile Dienstleistung hat sie jedoch keineswegs aufgegeben, nur reduziert. Sie fährt jetzt an zwei halben Tagen die Woche zu Kunden oder in Senioren- und Pflegewohnheime. Statt mit einem Transporter ist sie mit einem normalen Auto unterwegs, mit dabei ihr Sehtest-Koffer und eine Auswahl an Brillen. Seit Mai hat sie erstmals eine Mitarbeiterin, kann also jetzt zeitlich noch flexibler sein. Keine Frage, Katharina Rupp gibt als „rollende Optikerin“ nicht so schnell auf.

/// JUEB

ID [10911]

 

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