von Dr. Jürgen Bräunlein, Dagmar Schwall und Patricia Perlitschke,
368 Aussteller aus 25 Ländern und 13.000 Besucher aus 71 Ländern kamen zur opti 2022 nach München. Das ist deutlich weniger als bei der letzten opti vor Corona mit 605 Ausstellern und 28.000 Besuchern. Doch ein emotionaler Neustart der Branche ist gelungen, auch wenn bei aller spürbaren Freude am Wiedersehen am Ende nicht alle rundweg zufrieden waren.
Unglaubliche zwei Jahre und fünf Monate sind seit der letzten opti vergangen. Doch die Pressekonferenz am Eröffnungstag – diesmal in einer intimen Lounge im ersten Stock – fühlte sich verdammt vertraut an, was auch daran lag, dass Dieter Dohr für den erkrankten Klaus Plaschka einsprang und noch einmal die veranstaltende Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM) vertrat.
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Von Pandemie-Auswirkungen erholt
Verhalten positiv sind die Zahlen, die der Industrieverband Spectaris präsentierte. Die deutschen Hersteller von Augenoptik und Consumer Optics konnten sich 2021 von den Auswirkungen der Corona-Pandemie erholen. Gegenüber 2020 stieg der Umsatz um 11,4 Prozent auf 4,75 Milliarden Euro. Damit liegt das aktuelle Umsatzniveau um ein Prozent über dem Vergleichswert von 2019.
Doch Josef May, der dieses Jahr zum 15. (und letzten) Mal die Spectaris-Zahlen verkündete, war nie ein Schönwetterredner und dämpfte die Erwartungen für die kommenden Monate. „Ich glaube nicht, dass wir die Situation voll im Griff haben.“ Er verwies auf die immer noch unberechenbare Pandemie, den Ukraine-Krieg und wirtschaftliche Konsequenzen wie gestiegene Energie- und Haushaltskosten, unterbrochene Lieferketten und sinkende Konsumbereitschaft: „Die Stückzahlen werden nicht ins Utopische steigen.“
Fehlendes Personal hemmt Wachstum
Tatsächlich bewegten sich die Brillenstückzahlen 2021 weiterhin unterhalb des Vorkrisenniveaus, wie ZVA-Präsident Thomas Truckenbrod feststellte, als er den jährlichen Branchenbericht vorstellte. Der Branchenumsatz lag 2021 mit knapp 6,6 Milliarden um ein Prozent über dem Umsatz von 2019. Als Wachstumshemmer nennen die Betriebe fehlendes Personal (siehe auch S.70).
Während sich die Aussteller auf der opti 2020 noch auf sechs Hallen verteilten, waren es diesmal nur vier. 60 % kamen aus der DACH-Region, 20 % aus Italien und Frankreich, 5 % aus nicht europäischem Ausland, wie opti-Leiterin Bettina Reiter aufzählte. Sie betonte die Wichtigkeit, dass die Messe überhaupt wieder stattfinden konnte. Zu den vertrauten Namen, die man in München vermisste, gehörten Essilor, Rupp + Hubrach, Eschenbach, aber auch Labels wie Design Eyewear Group, Etnia, Mykita, Ulli Mahler. Zeiss war als Sponsor der opti Lounge mit dabei.
Myopie-Management
Neben Nachhaltigkeit (siehe S.24) war Myopie-Management eines der großen Messe-Themen. Hoya präsentierte am Samstag das Myopie-Glas MiYosmart. Die Kooperation mit Breitfeld & Schliekert zum Kinderbrillen-Komplettpaket „Milo & Me“ hatte Hoya Lens Deutschland bereits Ende April beim Online-Event zum 1. Jahrestag des Brillenglas-Launches in der DACH-Region verkündet. Die Nachfrage bei Augenoptiker*innen sei enorm, berichteten beide Partner in München zufrieden. Ein weiterer Grund zur Freude: Just zur Messe konnte Geschäftsführerin Mirjam Rösch den Gewinn eines German Innovation Awards für die neue Glas-Technologie vermelden.
Referiert wurden die Ergebnisse einer ersten Langzeit-Studie (über sechs Jahre), die an 90 Kindern in Asien durchgeführt wurde. Es habe sich gezeigt, so Hoyas Myopie-Botschafter Pascal Blaser, dass die Wirkung der Brillengläser auf die Myopie bei Kindern über einen längeren Zeitraum anhält – selbst wenn das Tragen von MiYosmart beendet wird.
Hoya schloss mit Haag-Streit, dem Anbieter ophthalmologischer Instrumente und medizinischer Geräte, eine globale Vertriebs- und Marketingvereinbarung. „Mit dem Lenstar Myopia zur Messung der Augenbaulänge und der neuen Software EyeSuite können Augenoptiker betroffenen Kindern und ihren Eltern mögliche Risiken visualisieren und die Fortschritte im Myopie-Management auswerten und verfolgen“, erklärte Dr. Michael Rieger, Global Product Manager Biometry & Software Integrations von Haag-Streit.
Biometrische Gläser
Seit 2020 baut Rodenstock sein Portfolio an biometrischen Brillengläsern sukzessive aus. CEO Anders Hedegaard und sein Entwickler-Team stellten auf der opti „B.I.G. Vision For All“ vor. Selbst wenn nur die vier Standard-Refraktionswerte als Input vorliegen, können nun Gleitsichtgläser designt werden, die ein höheres Maß an biometrischer Präzision bei der Brillengasberechnung erreichen als sonst bei Standard-Gleitsichtgläsern üblich.
Möglich wird das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und eines Datensatzes von 500.000 individuellen biometrischen Augenmessungen, über den das Unternehmen verfügt. Wer dem Pressegespräch beiwohnte, war nicht unbeeindruckt.
Futuristisches Erleben war am Stand von evil eye möglich, der Sportbrillenmarke von Silhouette. Christian Jany, evil eye Global PR and Media Manager, setzte dem neugierigen Journalisten eine VR-Brille auf, mit der sich die Wirkung unterschiedlicher Filtergläser bei wechselnden Witterungsverhältnissen „wirklichkeitsecht“ testen ließen. Phantastisch! Möglicherweise wird aus diesem Prototyp einmal ein Tool, das Sportoptiker*innen ganz selbstverständlich bei der Beratung ihrer Kunden einsetzen.
opti BOX AWARD für Leinz Eyewear
Besonderes Highlight auf der Messe war die Verleihung des ersten opti BOX AWARD, den eyebizz als Sponsor unterstützt, an Leinz Eyewear. Gründerin Beate Leinz, die bereits für Labels wie Prada und Yohji designte, war schier überwältigt von der Auszeichnung, die Preisgeld und PR-Unterstützung beinhaltet.
Design, Nachhaltigkeit, Funktionalität, Technik und Marketing waren die Kriterien, gemäß denen sich zwölf junge Labels für den opti BOX AWARD empfahlen. Am Ende waren es vor allem das Design und das Marketing, womit Leinz überzeugte. „Unaufgeregter Mut“, „leise Extravaganz“ und „ein kohärenter Markenauftritt mit viel Persönlichkeit und Wiedererkennbarkeit“ lautete die Begründung der Jury. „Ich arbeite seit fast 30 Jahren am Thema Brille, und in meine eigene Kollektion kann ich jetzt alles an Erfahrung einfließen lassen“, freute sich Beate Leinz, die in Berlin wohnt.
Mancher Aussteller unzufrieden
Während an den Ständen von Andy Wolf, Gigi Studios, Martin & Martin, Oculus oder Visionix fast durchgehend einiges los war, klagten manche Aussteller über Besuchermangel. Andere nutzten die Messe wie eh und je für den besonderen Auftritt, so Dorina Röhm, die den neuen Messestand der Röhm Group mit Palmen unverwechselbar machte. Zu hören war aber auch manche Kritik an der Messeleitung über stillstehende Rollbänder, ungerichtete Böden, unschöne weiße Wände und zu wenig Kulanz bei den Verträgen (siehe Bettina Reiters Entgegnung auf die Kritik).
Jedenfalls sind die Erwartungen an die nächste opti im Januar 2023 sehr groß. Josef May erwartet dann „rappelvolle Hallen“. Ausgemacht ist das noch nicht. Zumal 2023 eine Woche nach der opti bereits die Mido stattfindet. Dann gibt es auch noch die aufstrebende Interlook in Dortmund, bisher Brille & Co, mit zuletzt 90 Ausstellern (Termin Anfang September). Immerhin: Eine Umfrage der opti unter den Besuchern ergab, das 66,5 Prozent aller Befragten ausschließlich die opti als Fachmesse besuchen wollen.
/// JÜB/ PE/ DS
Bettina Reiter zur Kritik an der opti 2022
„Uns war es wichtig, dass die Messe endlich wieder Fuß fassen kann. Wir wollten die opti-Hallen „wachküssen“, das ist uns, finde ich, gelungen. Dass dabei nicht alles rund lief, ist uns bewusst. U.a. waren der Pflegezustand der Messehallen und die Infrastruktur in Teilen leider nicht so, wie wir das von der Messe München gewohnt sind, z.B. funktionierten die Express-Laufbänder über den Hallen nicht, weil die TÜV-Zertifizierung nicht mehr rechtzeitig erfolgt ist. Herausfordernd war für uns auch, dass die behördlichen Auflagen in den Monaten vor der opti viele Aktualisierungen erlebten, Planungen erschwerten und immer wieder Anpassungen erforderten.
Wir sind als Veranstalter voll ins wirtschaftliche Risiko gegangen und haben in den vergangenen zwei Jahren rd. 1.500 Einzelgespräche zur Messebeteiligung geführt. Dass wir unsere akzeptierten Teilnahmebedingungen eingehalten haben, ist leider nicht gleich immer auf Verständnis gestoßen. Tatsächlich ist es so, dass jede Absage auch emotional etwas mit uns macht. Umso mehr haben wir die opti mit all denen gefeiert, die bei dieser Sonderedition dabei waren. Gleichzeitig stehen wir im engen Kontakt mit denen, die diesmal nicht da waren, und sind überzeugt, sie 2023 zurückzuholen.“
Stimmen zur opti
Hans Stepper, Stepper Eyewear
„Eine Messe ist wie ein gutes Menü,“ sagt der passionierte Koch Hans Stepper. „Es sollte mit einem Appetizer beginnen, zu einem fulminanten Hauptgericht führen und mit Nachtisch und Kaffee angenehm enden.“
Das sei der opti 2022 nicht ganz gelungen, meint der Senior. Zurück nach 20 Jahren in Hongkong hat er sich jetzt wieder in seiner schwäbischen Heimat niedergelassen.
Anita Schenke, Pol Optic
In Halle C4 lernen wir die Augenoptikmeisterin Anita Schenk kennen, die für den Glashersteller Pol arbeitet. An der A6 zwischen Mannheim und Nürnberg wurde gerade die neue Produktionsstätte in Schnelldorf errichtet. Die Gründer, seit 1981 in Tschechien zu Hause, möchten mit einem großen Sortiment an Brillengläsern nun auch deutsche Augenoptiker*innen erobern.
Silvia Wessing, Optik Mester in Südlohn
Für die Augenoptikermeisterin Silvia Wessing ist der Besuch der opti auch ihre Premiere als Inhaberin. „Für mich sehr entspannt“, sagt sie. Interessantes konnte sie auch entdecken: „Holz-Carbon-Brillen aus Frankreich mit Scharnier erleichtern das Verglasen. Und Echtholz ist ein gutes Verkaufsargument bei uns, vor allem bei Männern.“
David Abaew, Midon Vision
„Endlich wieder persönlich treffen!“ Das hörte man auch bei Midon Vision. David Abaew, Mit-Geschäftsführer der Berliner Vertriebs-GmbH, freute sich auch aus anderen Gründen: „Früher waren wir verteilt auf den Ständen unserer verschiedenen Vertriebsmarken. Schon für die opti 2021 hatten wir unseren ersten eigenen Stand geplant, jetzt hat es geklappt.“ Mit dabei zur opti-Premiere: neue Modelle der extravaganten Haze Collection, darunter eine Brille mit magnetischen Wechselscheiben – gerade mit einem iF Design Award ausgezeichnet, und die Sport- und Lifestyle-Marke Champion mit Memory-Materialien bei den Bügeln.
Tobias Uecker, Carin Eyewear
Tobias Uecker betreut mit Sehland die Märkte DACH, Niederlande und Benelux für die südkoreanische Premium-Marke Carin Eyewear, die skandinavisches Design mit Einflüssen aus Südfrankreich verbindet. Der Messestand versprühte Cote-d’Azur-Flair. „Auf der Brille & Co. im Herbst war das Resümee eher verhalten“, erzählt Uecker, „weil die Leute aufgrund der Pandemie noch Berührungsängste hatten. Das hat sich gelegt, die Leute in München sind wieder offener und froh, auf eine Messe zu kommen. Aber es ist nicht mehr diese Art von Ordermesse wie früher, sondern eher eine Präsentationsmesse – nach dem Motto ‘Wir sind noch da!’.“
Ralf Felix Gotter, Bausch + Lomb
Für die Kontaktlinse sei 2021 ein schweres Jahr gewesen, meint Ralf Felix Gotter, Cluster Head Vision Care DACH/ Italy bei Bausch + Lomb. Die Zahlen bei den Kontaktlinsen hätten während der Pandemie gelitten. Wer nicht mehr ausgeht, trägt auch keine Kontaktlinsen. Von den Besuchern her sei es eine schwache Messe gewesen, sagte er am Sonntag zum Abschluss. Er hätte mehr erwartet. Für ihn sei es dennoch kein Fehler gewesen, nach München zu kommen. Schließlich zählten auch Soft-Facts wie persönliche Kontakte und die Reputation, aktuell der größte Linsenhersteller auf der Messe zu sein.
Anna-Lena Band, Wöhlk
Viel zu erzählen hatte Anna-Lena Band, Leiterin Unternehmenskommunikation. Bereits seit 2019 kooperiert Wöhlk mit dem japanischen Kontaktlinsenhersteller Seed, ebenfalls ein Familienunternehmen. Endlich lernten die Schönkirchener ihre japanischen Kollegen persönlich kennen, mit denen sie vorher nur per Videocall kommunizierten. Im Fokus: die fünf verschiedenen Tageslinsen „Made in Japan“, die mittlerweile in Deutschland und Österreich erhältlich sind. Erfrischend zeitgemäß das Imageplakat, mit dem sich Wöhlk am Stand präsentierte: Zwei küssende Frauen zeigen den Vorteil von Kontaktlinsen und sorgen für mehr Diversität – auch auf der opti. Kurz nach der Messe erhielt der Kontaktlinsenhersteller die Auszeichnung „Innovativ durch Forschung“ vom Stifterverband.
Heike Hädrich, Alcon (diesmal auf der opti ohne eigenen Stand)
Als Gastgeberin eröffnete Heike Hädrich, Head Professional Affairs, Alcon DACH, auch bei dieser opti den Dozenten-Round-Table mit gewohnter Herzlichkeit. Sie gab ein Update zu den Neuigkeiten aus dem Unternehmen. Dazu gab es deftige bayerische Kost im Paulaner Bräuhaus und Gespräche mit Kontaktlinsenexperten, die man sonst in dieser Tiefe selten führt.
Highlight war der Vortrag von Prof. Thomas Speck, Universität Freiburg, über Bionik, der zeigte, wie die Natur Ideengeberin ist für technische Innovationen. Da wurde es fast schon philosophisch.
Matthias Schröder, Grafix
Keine leichten zwei Jahre auch für Grafix. „Die Auftragsrückgänge haben schon an uns genagt“, sagt Geschäftsführer Matthias Schröder, der mit seinem Team ohne Erwartungen von Rathenow nach München gekommen ist. „Viele große Hersteller haben abgesagt, manche Vertreter haben uns gesagt, um diese Jahreszeit fahren sie nicht auf die Messe. Wir wollten auch nicht kommen, sind aber aus dem Vertrag nicht herausgekommen.“ Obwohl sein Messe-Fazit durchwachsen ist, wird Grafix im Januar wieder mit dabei sein: „Dann haben wir auch mehr Zeit, uns vorzubereiten.“
Hans-Joachim Marwitz, Marwitz
Bereut hat er den Messebesuch nicht, auch wenn er mit dem Geschäft nicht so ganz zufrieden ist, doch die Freude darüber, dass die Messe stattgefunden hat, überwiegt bei Hans-Joachim Marwitz. „Es fehlte ein bisschen die große Euphorie.“ Ob er im Januar wieder nach München kommt, ist noch nicht entscheiden. Das hänge auch von der weltpolitischen Lage ab – Ukraine-Krieg, Corona, Inflation.