Die Deoma AG vereint alle Gewerke und industriellen Fertigungsschritte einer Brillenfassung. Ihre Geschichte ist eng mit der ihres Gründers verbunden: Alessandro Picicci startet zu Schulzeiten als junger Designer, doch sein Werdegang nimmt einen anderen, durchaus überraschenden Verlauf.
Alessandro Picicci ist Sohn italienischer Einwanderer, geboren und aufgewachsen in Stuttgart. Als Gründer und Vorstand der Deoma AG nahm er sowohl das Design als auch die Manufaktur in den Firmennamen auf. Mit dem dazwischenliegenden O für Optik könnte die Geschichte der „Design & Optik Manufaktur“ schon erzählt sein mit der für Branchenkenner wenig überraschenden Erkenntnis, dass Picicci Designer und Chef eines italienischen Brillenfassungs-Brands ist. Das ist falsch und geradezu langweilig im Gegensatz zur richtigen Story.
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Ja, der junge Picicci hat zunächst Ambitionen, Designer von Brillen zu werden, wird jedoch einen etwas anderen Weg einschlagen. Wer weiß, vielleicht sähe sein Werdegang anders aus, wenn die Eltern weniger technisch deutsch und mehr modisch italienisch gedacht hätten, aber das bleibt Theorie. Der Blick in die Biografie Alessandro Piciccis und die damit verbundene Historie der Deoma AG erklärt, warum Picicci der eher deutsche Handwerker, vielleicht Erfinder und nicht der italienische Erschaffer und Schöpfer geworden ist und immer im Hintergrund seiner Fertigungen blieb. Er verdeutlicht zudem, warum „Manufaktur“ trotz eingesetzter moderner Technologie im Firmennamen bleiben muss.
Picicci wird in einem Technik-Haushalt groß. „Mein Vater war Ingenieur, ich habe die Technik bereits als Kind geliebt.“ In Stuttgart finden Vater und Sohn ideale Voraussetzungen, ihre Passion zum Beruf zu machen. Als Brille tragender Schüler des Technischen Gymnasiums der schwäbischen Metropole gefallen dem jungen Alessandro in den frühen 90er Jahren die damals hippen Balkenbrillen, die jedoch für die Familie zu teuer sind. Als talentierter Bastler schaut sich Picicci die einfachen Modelle an, holt sich entsprechendes Material im Bauladen und stellt seine erste eigene Brillenfassung her. „Spätestens bei den Nasenpads bin ich gescheitert und musste mir Rat bei unserem Augenoptiker holen“, erinnert er sich.
Besagter Augenoptiker ist weitaus begeisterter vom Talent des Jungen als später dessen Eltern vom Wunsch, Augenoptiker werden zu wollen. Den Brillenmacher gibt es seit zig Jahren schon nicht mehr als Ausbildungsberuf, die Ausbildung zum Augenoptiker bietet zumindest die Möglichkeit, sich in der Werkstatt auszutoben.
Selbstständig in der Lackiererei
„Die Produktion hat mich schon damals mehr gefesselt als die Beratung“, sagt Picicci, der sich als Geselle an eine Stuttgarter Lackiererei wendet, die nicht nur seine ersten Fassungsideen lackiert, sondern sich als industrielle Brillenlackiererei einen Namen gemacht hat: die Fabema-Color. Mit der Idee, dort auch Designs anzubieten, und dem Wissen, wie sich die heimisch Brillenindustrie zu jener Zeit entwickelt, überzeugt er den Fabema-Chef zu einer Partnerschaft und beginnt mit 26 Jahren seine Selbstständigkeit.
Wenn man so will, dann vereint die heutige Deoma alle Gewerke und industriellen Fertigungsschritte einer Brillenfassung (aus Metall), die Ende des letzten Jahrtausends von Deutschland nach Asien gewandert sind, was zu einem regelrechten Aussterben der deutschen Brillenindustrie führt. Schon Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es nur noch wenige Hotspots: in Passau und Rathenow und um Pforzheim herum. Die Produktion in Deutschland scheint schlicht zu teuer, ein Gedanke, der vermutlich auch die Krisen unserer Zeit überdauern wird, der aber trotzdem heute in den Hintergrund drängt.
„Standort völlig unsinnig“
„Angesichts des Fachkräftemangels, der Kostenstruktur und den um uns herum liegenden Weltkonzernen inklusive der dort gezahlten Löhne ist unser Standort in Gerlingen völlig unsinnig. Aber hier haben wir unsere Infrastruktur aufgebaut und erhalten unser Qualitätsversprechen Made in Germany“, erklärt Picicci, dessen italienische Wurzeln und Nähe zur dortigen Brillenindustrie ein Vorteil für die schwäbische Manufaktur sind. So können für die Qualität des Brillenbaus eher unwichtige Tätigkeiten günstiger ausgelagert werden, und Picicci kann davon unabhängig traditionelles Know-how und moderne Fertigungsmethoden nach Stuttgart holen.
Im Wissen, dass Brillen-Vertriebe, sobald sie können, näherliegende Fertigungsmöglichkeiten suchen und Abhängigkeiten von fernöstlichen Produzenten samt Lieferketten reduzieren werden, sieht die Zukunft der Deoma noch besser aus. Zumal Picicci im Hintergrund längst internationale Kunden bedient und damit seine Fertigungskunst rund um den Globus schickt. „Wir setzen auch auf internationales Wachstum“, betont der 48-jährige Familienvater, dessen Frau ebenfalls Augenoptikerin ist und dessen Sohn bereits dieselbe Passion wie der Opa und der Vater entwickelt.
Zum Wachstum gezwungen
2004 gründet Picicci, unterstützt von einem Konsortium aus Freunden, Lieferanten und Kunden und nur mit Eigenkapital die Deoma AG. Damals herrscht in der Brillenindustrie Rezession, genau hier sieht Picicci seine Chance und Zukunft. Mit Exklusivität, Qualität und einer beeindruckenden Fertigungstiefe überzeugt er zunächst die Designer, deren Kollektionen nicht für eine Produktion in Asien infrage kommen. Zwei Jahre nach der Gründung in den Räumlichkeiten der Lackiererei, möchte deren Chef aufhören: Brillenlackierung ist nicht mehr relevant! Da das eigene Business gut angelaufen ist, übernimmt Picicci die Lackiererei mit den 14 Mitarbeitenden. „Von da an waren wir zum Wachstum gezwungen!“
Das gelingt: Picicci kauft Maschinen von Firmen auf, die gerade schließen müssen, und eignet sich jede Menge Know-how an, das die scheidenden, häufig in die Jahre gekommenen Unternehmer bereitwillig an den interessierten jungen Mann weitergeben. In Italien prüft er seine Ideen auf Praktikabilität, schmiedet Partnerschaften, denn dort hat der Brillenbau noch eine größere Bedeutung. Schritt für Schritt geht‘s voran, als Meilenstein sieht Picicci die Jahre 2012 und 2013. „Damals wurde die Kluft zwischen der günstigen Fertigung in Asien für günstige Brillen und der exklusiven für den Premiumbereich sehr deutlich. Negative Erfahrungen mit den Akteuren in Asien bestärkten Vertriebe zunehmend zum Umdenken – damals sind wir von der Branche entdeckt worden.“
Pressen, Stanzen, Sägen, Biegen
Wahrgenommen wird Deoma seitdem als Design-Manufaktur ohne eigene Linie, ohne eigene Marke, ohne Vertrieb und ohne Ambition, daran jemals etwas zu ändern. „Wir machen reine Auftragsarbeiten, egal, an welcher Stelle wir in den Prozess eingreifen. Wir sind Produzent für andere und vereinen dabei Design, Fertigung und Optik“, erklärt der Stuttgarter, der sich heute vielmehr als Designberater sieht, dessen Kompetenz aber darüber hinaus geht.
„Unsere Produktion basiert auf Techniken und Wissen des traditionellen Brillenbaus mit Pressen, Stanzen, Sägen, Biegen. Das haben wir im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut und mit hochmodernen Technologien wie zum Beispiel einer Laserschweißanlage mit Robotertechnik ergänzt.“ Auf den rund 1.000 Quadratmetern der alten Lackiererei fehlen große Fertigungsstraßen, dafür fallen die Arbeitsplätze für mehr als 30 Leute auf. Der Charakter der Manufaktur bliebe dabei alleine schon durch die unterschiedlichen Aufträge und Arbeitsstationen erhalten. Die Produkte wandern von morgens an durch die Werkshalle und Hände der Mitarbeitenden, die an den unterschiedlichen Stationen auch auf hochmoderne Technologie zugreifen. Kombiniert werde das, so Picicci, mit Werkzeugen und Maschinen aus den 60er Jahren.
Es ist diese Geschichte, die Platz lässt für die Vision des Gründers, der immer ein Zentrum des Brillenbaus errichten wollte, in dem jeder das bekommt, was er braucht. Ob eines Tages Sohn oder Tochter das Lebenswerk übernimmt, kann Alessandro Picicci heute noch nicht wissen. Er wäre indes nicht er selbst, wenn er die Nachfolgeregelung nicht pragmatisch und im Voraus geplant anginge.
„Vielleicht liegt unsere Zukunft auch eher in einer Fusion, wie sie heute um uns herum überall zu beobachten sind. Wir können selbst groß werden, aber auch in einer anderen Konstruktion aufgehen.“ So lautet also die nächste Herausforderung. Die besondere Aufgabe dabei wird sein, nicht nur die Manufaktur, sondern auch das Know-how des Brillenmachens am Leben zu erhalten.
/// IR
Deoma AG – Dienstleister „Made in Germany“
Die Deoma AG sieht sich laut Gründer und Vorstand Alessandro Picicci in erster Linie als Dienstleister und begleitet ihre Kunden und Auftraggeber durch die komplette Brillenfassungsproduktion angefangen beim Prototyp oder wahlweise „nur“ durch einzelne Teilschritte auf dem Weg zum fertigen Produkt. Mittlerweile beschäftigen sich die rund 30 Mitarbeiter auch mit den Möglichkeiten des 3D-Drucks, doch die Fertigung vonMetallbrillen namhafter Marken und bekannter Kollektionen steht traditionell bedingt im Vordergrund des Brillenmacherhandwerks unterstützt durch modernste Technologie.
Die klassisch gelötete Augenrandfassung erzielt dank CNC-Technologie absolute Präzision, bei den Lackierungen der Brillenfassungen aller Materialien kommen neben aufwendigen Handarbeiten auch Airbrush- und Lasertechnik zum Einsatz. „Wir bieten die optimale Auswahl der richtigen Oberflächenveredelung und montieren sowohl die von uns gefertigten Produkte als auch die von unseren Kunden angelieferten Fassungen und Teile“, erklärt Picicci, der vier Augenoptiker*innen angestellt hat, die für die ergonomische Ausrichtung der Fassungen sorgen.
Das Unternehmen verfügt über Markierlaserstationen des Markenherstellers Rofin, markiert aber auf Wunsch genauso im traditionellen Tampondruckverfahren Fassungen, Demoscheiben oder Sonnenbrillengläser. Seit rund zwölf Jahren werden Demoscheiben und Sonnenbrillengläser auch mit CNC-Technik gefräst und dabei gerillt bzw. gebohrt. Auch hier setzt das Unternehmen mit zwei CNC-Glasfräsmaschinen des Marktführers MEI-System auf Präzision bei Form und Passgenauigkeit.
Die eigenen hohen Qualitätsansprüche und die Anforderungen an das Versprechen „Made in Germany“ seien, so Picicci, neben den Anforderungen an die ständig wechselnden Herausforderungen durch unterschiedliche Auftraggeber und angefragte Dienstleistungen prägend für die Arbeit des Teams in Gerlingen, das gute zehn Kilometer Luftlinie vom Stuttgarter Hauptbahnhof entfernt liegt.