Etnia Eyewear Culture Group: Zwei Striche und zwei Kreise
von Dr. Jürgen Bräunlein,
Etnia Barcelona hat sich erneuert, drei weitere Marken dazu genommen und sich umbenannt. Als Etnia Eyewear Culture Group ist der Brillen-Pionier aus Barcelona jetzt noch breiter aufgestellt – mit Lool, Allpoets und The Readers. Jürgen Bräunlein wirft einen Blick auf die Erweiterung des Portfolios.
Als Etnia 2001 aus der Taufe gehoben wurde, war das ein echter Aufschlag: provozierend bunte Brillenkollektionen, Fassungen aus Acetat in allen erdenklichen Farbtönen, die auch von den Formen her fröhliche Auffälligkeit kultivierten – eine angemessen spanische Reaktion auf die Eintönigkeit schwarzer und brauner Fassungen, wie sie damals den europäischen Markt überschwemmten.
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Auch das Marketing der Barceloner schlug nonchalant aus der Art, experimentierte mit spektakulären Bildwelten, brach mit Konventionen. Ob die Anverwandlung von Kinoklassikern (Alfred Hitchcock) und ikonischer Kunst (Gustav Klimt, Yves Klein), das Spiel mit Geschlechterrollen, die Feier ethnischer Vielfalt oder die Infragestellung von Schönheitsidealen (siehe eyebizz 1.2020), bis heute bieten die Kampagnen von Etnia den jeweils neuen Kollektionen eine wirksame Bühne: schrill und schön.
Mit dem Großvater fing alles an
Zu verdanken ist all das vor allem dem Etnia-Gründer David Pellicer, dessen Großvater Fulgencio Ramo in den 1950er Jahren eine Brillenfabrik aufbaute. Doch echter Erfolg stellte sich erst ein, als der Enkel in dritter Generation das Ruder übernahm und mit Etnia einen Neustart hinlegte. Heute ist das Label eine der meistverkauften Marken im europäischen Optik-Einzelhandel.
Als David Pellicer 2021 den Joseì Manuel Lara Award bekam, einen weltweit anerkanntesten Wirtschaftspreis, wusste die Jury vermutlich schon, dass in Barcelona Größeres vor der Tür stand. Ein Jahr später übernahm das Unternehmen gleich drei Brillen-Marken und firmierte sich in Etnia Eyewar Culture Group um.
Eine strategische Erweiterung des Portfolios, wie David Pellicer erklärte: „Die Welt verändert sich in rasantem Tempo, der Verbraucher sucht nach Marken mit Sinn und neuen Produkten mit eigenen Werten. Die neuen Marken wurden im Einklang mit der Art und Weise geschaffen, wie wir die Welt heute sehen.“
Erneut zeigt Brillen-Visionär Pellicer Gespür für Zeitgeist, Trends und neue Wünsche von Seiten der Verbraucher und versucht, veränderten Anforderungen gerecht zu werden.
Lool
Mit Lool zum Beispiel. Komplexes zu vereinfachen, dafür steht die Marke, fraglos ein zeitgemäßer Wunsch. Es beginnt mit Leichtigkeit: Die bislang 82 Modelle der Marke wiegen jeweils nur vier Gramm. Dank eines schraubenlosen „Scharnier“-Systems können Augenoptiker*innen die Brillen mit einer einfachen Handbewegung und zwei Fingern zusammenbauen.
Hergestellt werden die Fassungen aus einem korrosionsbeständigen, biegsamen Metall (Stahl 11r51). Die Endbearbeitung erfolgt mit bedampften Teilchen reiner Metalle wie Titan, Palladium und 24 Karat Gold. Bei der Produktion werden weder gefährliche Materialien eingesetzt, noch fallen chemische Rückstände an. Die Fassungen werden von Hand lackiert und bemalt.
„Materialien und Verfahren, die von einer besseren Welt träumen.“
Lool ist, so heißt es vom Unternehmen, genauso einfach und raffiniert wie der Entwurf schraubenloser Brillen mit zwei vertikalen Strichen und zwei Kreisen. Das Markenlogo knüpft daran an, es hat die Form einer zerlegten schraubenlosen Brille.
Drei Linien gibt es bislang. Die Serie „Tectonic“ steht mit ihrer faserförmigen und gelenkartigen Struktur für zeitloses, minimalistisches Design. Die Serie „Deco“ holte sich Inspiration vom New Yorker „Art Déco“ und verwendet Details aus glänzendem Gold und Kupfer. Die Serie „Stereotomic“ – was so viel bedeutet wie „Schneiden der festen Form” – ist ebenfalls von der Architektur beeinflusst, wie alle Fassungen von Lool.
„Einige unserer Brillen sind eindeutig von der Struktur eines Gebäudes inspiriert, Strukturen, die auf ihren minimalen Ausdruck reduziert sind, aber die Spannungspunkte beibehalten, die notwendig sind, damit die Brille stabil und flexibel ist“, heißt es vom interdisziplinären Team hinter der Marke.
Besonders der Retrofuturismus hat es ihnen angetan: „Wir sind fasziniert von der Tatsache, dass jede Zukunftsvision im aktuellen Kontext ihrer Zeit verankert ist und dass aus dieser Mischung die stärksten Bilder und Visionen einer Zukunft, die nie sein wird, entstanden sind: die minimalistische, avantgardistische Ästhetik, der Einsatz von Farbe und Technologie, um neue Materialien und Verfahren zu finden, die von einer besseren Welt träumen.“
Allpoets
Der Aspekt Nachhaltigkeit steht im Zentrum der zweiten neuen Marke Allpoets. Es ist eine Kollektion ISCC-zertifizierter Organic-Brillen, die aus CRT-Acetat (Carbon Renewed Technology) hergestellt werden. Dabei vertraut man auf die Partnerschaft von Mazzucchelli mit dem Recycling-Unternehmen Eastman.
Die Kollektion bietet, so heißt es, minimalistische Basics in Premiumqualität mit der DNA einer nachhaltigen, radikalen Aktivistenmarke. Allpoets folgt damit den Ruf des Makrotrends nach verantwortungsvollen Produkten und dem Verbraucherwunsch, nachhaltige Produkte kaufen zu können (siehe Interview mit Eduard Pitarch, Etnia Eyewear Culture Group).
The Readers
Die dritte neue Marke – The Readers – nimmt sich des bislang wenig anspruchsvoll besetzten Segments der Lesebrillen an. Es locken von Vintage inspirierte Fassungen, die aus biologisch abbaubarem Acetat und Visottica-Comotec-Komponenten hergestellt werden. Die „Lese“-Marke bietet Blaulicht-, Alterssichtigkeits- und Sonnenbrillen in verschiedenen Modellen. Sechs Dioptrie-Werte gibt es: von null bis +3,0. Gedacht für Brillenträger, für die das Lesen mindestens die zweitschönste Nebensache der Welt ist. Und die stilvoll durch die Seiten blättern möchten.
Jeder Mensch sollte etwa sechs Brillen haben, sagte Etnia-Gründers Pellicer vor einigen Jahren und zählte auf: „ein lustiges Paar für Partys oder die Freizeit, zwei ernstere für die Arbeit, zwei Sonnenbrillen, eine für den Strand, z. B. gelb, die andere für den Stadtbummel.“ Ja, richtig. Doch da hatte er mindestens die Lesebrille vergessen. ///
„Es ist einfacher, etwas hinzuzufügen als etwas wegzunehmen.“
Interview mit Edu Pitch (Eduard Pitarch), Global Marketing Director, Etnia Eyewear Culture Group, über die neue Marke Allpoets
eyebizz: Warum war jetzt der richtige Zeitpunkt für Etnia, mit einer nachhaltigen Brillenmarke auf den Markt zu kommen?
Edu Pitch: Es ist ein globaler Trend mit einem dringenden Grund dahinter: Entweder fangen wir an, uns zu bewegen, oder wir bringen den Planeten um. Jede Marke, die heute geboren wird, muss sich mehr oder weniger innerhalb dieser Parameter bewegen. Es macht keinen Sinn, mehr Produkte in die Welt zu setzen, wenn sie nicht haltbar sind. Und es macht keinen Sinn, keine Brillen aus organischem Material herzustellen, wenn das doch in unserer Reichweite liegt. Der Beitrag, den wir dazu leisten können, ist minimal, aber zwingend.
Was ist das Besondere an der Nachhaltigkeit, die mit Allpoets verbunden ist?
Wir sind ein starker Player, keine Greenwashing-Kids. Wir sind Etnia und setzen uns für nachhaltiges Branding ein. Unsere Stärke ist es, Produkte herzustellen, die den Markt zufriedenstellen und sich in den Verkaufsstellen der Augenoptik gut verkaufen. Wir reagieren auf Nachfrage und tun dies mit unserem Know-how, unseren Produktionskapazitäten und unserer Kreativität im Design. Das macht uns relevant.
Für wen ist Allpoets gedacht? Inwieweit richten sich die Brillen an Jüngere?
Jüngere Menschen wollen günstigere, schlichte und designorientierte Brillen. Genau das ist es, was Allpoets ausmacht. Die Linie ist technisch nicht so kompliziert wie Etnia Barcelona. Das ermöglicht es uns, den Preis der Brillen trotz der höheren Ausgaben für die organischen Materialien zu senken.
Die Kampagnen haben immer die Natur als Protagonisten, denn das ist die Welt, die wir erhalten wollen. Mit größter Bescheidenheit und unter der Voraussetzung, dass wir natürlich nicht Greenpeace sind.
Wie würden Sie die Designsprache von Allpoets beschreiben?
Unsere Idee war es schon immer, makellose Designs zu entwerfen, die sich an der Nüchternheit orientieren. Wir nennen sie „minimalistische Basics“. Auch Schlichtheit kann Schönheit erzeugen.
Es ist einfacher, etwas hinzuzufügen als etwas wegzunehmen. Es ist eine Herausforderung, gute Brillen ohne unnötigen Schnickschnack herzustellen. Wir glauben an Mies van der Rohes „Weniger ist mehr“.
/// JUEB
Etnia Eyewear Culture Group
Gründung: 2000 als Etnia, seit 2022 Etnia Eyewear Culture Group
Gründer: David Pellicer
Niederlassungen in Barcelona (Hauptsitz mit Flagship Store), Miami, Vancouver, Hongkong
Produktion in Barcelona und China, vertreten in mehr als 60 Ländern
Mitarbeiter: rund 600
Marken: Etnia Barcelona Vintage und Originals sowie Lool, The Readers und Allpoets