Geprüfte Nachhaltigkeit: In fünf Schritten zum Klimahelden
von Patricia Perlitschke,
Matthias Köste machte sich Gedanken um mehr Nachhaltigkeit, nicht nur für sein Unternehmen pricon, sondern generell für die Augenoptik. Heraus kam das „optic.family SDG-Statement“, das Betriebe auf dem Weg zu einer besseren Ökobilanz in 5 Stufen begleitet und den aktuellen Stand nach außen dokumentiert.
Gleich nachdem Matthias Köste 2011 Geschäftsführer von pricon wurde, begann er, das Unternehmen in Mainz auf mehr Nachhaltigkeit auszurichten und startete wie die meisten: Wechsel auf Ökostrom, Einsatz von Energiesparlampen, Papier und Verpackung in der Recycling-Variante. Als im Gebäude und bei betrieblichen Abläufen nichts mehr zu optimieren war, ging der Anbieter von Lese-, Kinder-, Sonnen- und Sportbrillen sowie augenoptischem Werkstattbedarf an die Berechnung und Kompensation des aktuellen CO2-Fußabdrucks.
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Köste arbeitete sich durch eine Vielzahl von Klimaschutz-Zertifikaten am Markt – mit unterschiedlichen Standards, Anforderungen und unterschiedlich hohen Kosten, mit denen ein Anwärter auf einen solchen begehrten Nachweis zu rechnen hat. Köstes Recherche war enorm, die Frage stand im Raum: Ist der Aussteller des jeweiligen Zertifikats auch seriös? Zudem drängte sich der Eindruck auf, dass ein CO2-Ausgleich nur mit zusätzlichem Personal und Budget zu wuppen ist. Für kleinere Unternehmen schwierig machbar – wie für die Mainzer mit 15 Mitarbeitenden.
Mit 100 Tonnen zum Ausgleich
Anfang 2022 hatte der pricon-Chef dann sein Aha-Erlebnis: Mit dem Kontakt zu Fokus Zukunft, einer unabhängigen Nachhaltigkeits-Beratungsgesellschaft für mittelständische Unternehmen im bayerischen Starnberg, wurde der Weg zu einer besseren Ökobilanz klarer und nachvollziehbarer. Das Ergebnis für pricon: Das Unternehmen verursacht 85 Tonnen CO2 pro Jahr und gleicht freiwillig 100 Tonnen mit Klimaschutz-Zertifikaten aus.
Für Matthias Köste dennoch nur eine Momentaufnahme des Status Quo „klimaneutral“ und damit zu kurz gesprungen. Was noch fehlte, war das Wissen, welche weiteren Schritte das Unternehmen gehen muss, um „klimapositiv“ zu werden. Die andere offene Frage lautete: Wie lässt sich ein vertrauensvolles unabhängiges Qualitätssiegel schaffen, das das Erreichte nach außen verifiziert?
We are optic family!
Aus diesen Überlegungen entstand das Konzept „optic.family SDG-Statement“, das sich an alle Branchenteilnehmer richtet, Augenoptiker*innen genauso wie Hersteller, die bezüglich Nachhaltigkeit von sich aus mehr machen möchten. SDG – Sustainable Development Goals – steht für die 17 Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung.
Den Klimastatus bewertet pricon nicht, sondern organisiert lediglich die notwendigen Abläufe und Prozesse für die interessierten Betriebe. „Das Projekt heißt optic.family, nicht pricon.family. Wir sind der Initiator, im Vordergrund steht das Konzept“, so Matthias Köste.
Auf einer Skala mit fünf Stufen können Betriebe vom Freund zum Helden des Klimas aufsteigen. Ähnlich wie bei der Energieverbrauch-Anzeige gibt es die Kategorien E bis A. Wo sich ein Unternehmen aktuell befindet, ist am dazugehörigen Siegel erkennbar: Die jeweilige Stufe ist grün markiert. Die Mainzer selbst haben die Stufe C erreicht, weil sie „klimaneutral“ sind. Für „klimapositiv“ müssen sie den aktuellen Status zwei Jahre halten.
Bienenstöcke auf dem Firmengelände
Was pricon nicht daran hindert, mehr zu tun als die Vorgaben. So wurde die Belegschaft um 60.000 tierische Angestellte „aufgestockt“ – zwei Bienenstöcke fanden ein neues Zuhause auf dem Firmengelände (eine Patenschaft über beefuture.online). „Da entsteht eine besondere Stimmung“, schwärmt der Chef. „Wer morgens zur Arbeit kommt, schaut zuerst, wie es den Bienen geht. Abends zeigt ihr Verhalten, ob es noch regnen wird. Die Bienen bleiben dann im Stock, fliegen nicht mehr groß herum.“
Mit Fokus Zukunft hat Köste einen ausgewiesenen Spezialisten gefunden, der den Weg des ökologischen Kulturwandels begleitet und objektiv nachvollziehbar macht, damit nicht der Eindruck von Greenwashing entsteht. Die dazugehörige Online-Plattform optic.family soll ein offenes Netzwerk sein, das Platz hat für weitere Partner, die Leistungen für mehr Nachhaltigkeit anbieten oder unterstützen.
Geplant ist für die Domain ein Blog mit Best-Practice-Beispielen zur Inspiration, ebenso ein FAQ-Bereich. Wenn all das zu gemeinsamen, kostengünstigeren Ideen für mehr Nachhaltigkeit im Betrieb führt – umso besser.
Nachhaltigkeit: Und was kostet das?
Ein Rechenbeispiel: Für einen Augenoptik-Betrieb in der Klasse C – wie im Fall von pricon – kostet die Berechnung des CO2-Fußabdrucks mit Bericht plus Empfehlungen für Verbesserungen rund 1.000 Euro. Nach Tests von „optic.family SDG-Statement“ fallen hier meist zwischen 25 und 30 Tonnen an Kompensation an. Mit Zertifikaten von im Schnitt ca. 10 Euro pro Tonne über die notwendigen zwei Jahre bis zur nächsten Stufe B ergibt das weitere rund 500 bis 600 Euro. 280 Euro berechnet pricon für das Handling des Ganzen.
„Es ist in Ordnung, erst seine Hausaufgaben im Betrieb zu machen, etwa mit der Nutzung regenerativer Energien, und dann weiterzumachen“, findet Matthias Köste, „Hauptsache, man fängt an und geht diesen Weg. Mit optic.family SDG-Statement bieten wir ein einfaches Werkzeug dafür.“
Fragen an Matthias Köste, Geschäftsführer von pricon und seit März 2022 Mitglied im Senat der Wirtschaft Deutschland und dem Senate of Economy Europe.
Herr Köste, CO2-Fußabdruck ermitteln und mit Klimaschutz-Zertifikaten ausgleichen, ist das nicht Greenwashing?
Natürlich macht man sich angreifbar, wenn man nur diesen Aspekt anspricht. Doch ich mag den Begriff Greenwashing in diesem Zusammenhang nicht, denn wer sich um ein Klimaschutz-Zertifikat bemüht, trifft eine Entscheidung pro Klima. Derjenige gibt Geld dafür aus, obwohl es noch kein Gesetz verlangt. Trotzdem mache ich als Unternehmen bildlich gesprochen „meinen Dreck weg“. Und zwar, weil ich das will, und vielleicht auch, weil sich die gesellschaftlichen Konventionen dahin entwickeln, aber zunächst ist es die Entscheidung, Verantwortung zu übernehmen.
Wie viele Partner machen bei Ihrer Netzwerk-Plattform mit?
Die Online-Plattform ging Ende Juli an den Start. Elf Partner sind mit dabei. Wir beginnen dort, wo pricon bereits aktiv ist – in der Augenoptik in Deutschland und im Sportbereich mit den Äquivalent „endurance.team SDG-Statement“ im DACH-Raum. Ein paar Augenoptik-Betriebe werden gleich mitmachen, andere werden abwarten und erst beobachten, was ihre Mitbewerber tun.
Daraus kann sich eine schöne Dynamik entwickeln. Uns ist wichtig, diesen Weg des ökologischen Kulturwandels einzuleiten oder besser gesagt, zu begleiten und nach außen ehrlich sichtbar zu machen: Hier stehe ich, und da kann ich mich noch hinbewegen. Wir machen das nicht aus Eigennutz, sondern wollen die ganze Branche mitnehmen.
Was wünschen Sie sich längerfristig?
Das Konzept ist gut durchdacht, ich glaube daran. Es ist kein PR-Schnellschuss, sondern ein Projekt über einen längeren Zeitraum. Im schlimmsten Fall stelle ich in zwei Jahren fest, dass kaum einer mit dabei ist – und habe viel gelernt. Aber ich wäre schon etwas enttäuscht, wenn nur wenige mitmachen.
Sie sind seit kurzem in den Senat der Wirtschaft Deutschland berufen worden. Inwieweit hat das Einfluss auf Ihr Fünf-Stufen-Konzept?
Die Berufung in den Senat der Wirtschaft Deutschland sowie den Senate of Economy Europe hat mir die Möglichkeit gegeben, mich in der dortigen Arbeitsgruppe „Nachhaltigkeit“ einzubringen. Ohne die Erkenntnisse aus diesem Gremium wäre das Fünf-Stufen-Konzept, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, noch nicht so weit fortgeschritten.