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Nur ein paar Brillen blieben übrig

Herrmann Optik und Akustik: Vom Restart nach der Flut

Beim Hochwasser in West- und Mitteleuropa im Sommer 2021 starben in Deutschland mindestens 186 Menschen, Dutzende von beruflichen Existenzen wurden zerstört. Einer, der den Restart geschafft hat, ist Manfred Herrmann aus Heimerzheim (Swisttal), dessen Fachgeschäft für Augenoptik und Hörakustik im Juli 2021 vollständig von der Flut verwüstet wurde. eyebizz hat ihn besucht.

Manfred Herrmann - Herrmann Optik
Manfred Herrmann vor seinem Geschäft, das noch Baustelle ist

An die Nacht vom 14. auf 15. Juli 2021 wird sich Manfred Herrmann sein Leben lang erinnern. „Ich bin um 2 Uhr wachgeworden und die Swist, das kleine Bächlein, stand schon neben mir.“ Barfuß und in Unterhose flitzte der Augenoptiker von seiner Parterre-Wohnung hinunter in den Keller zu seinen Gitarren und Verstärkern, doch zu spät: Alles stand schon unter Wasser. Später schoss die Flut auch in die Wohnung. Das Haus war 2 Meter 20 hoch vom Wasser umgeben. Erst nach einem Tagen konnten Rettungsboote den Eingeschlossenen befreien.

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Kaum ein Ort in Deutschland wurde im letzten Sommer so vom Hochwasser verwüstet wie Heimerzheim, die größte Ortschaft der Gemeinde Swisttal in Nordrhein-Westfalen. 6.000 Anwohner mussten vorübergehend evakuiert werden, die freiwillige Feuerwehr war mit 180 Mitarbeitern im Einsatz. Die Swist, die sich mit einer maximalen Breite von zwei Metern durch Heimerzheim schlängelt, weitete sich in kürzester Zeit auf 200 Meter aus und flutete in den frühen Morgenstunden tosend in die Keller und Wohnzimmer dutzender Häuser.

Herrmann Optik Flut Juli 2021
In der Nacht zum 15. Juli 2021 verwüstete das Hochwasser das komplette Geschäft von Manfred Herrmann in Heimerzheim

Für Manfred Herrmann war das Hochwasser eine doppelte Katastrophe. Denn auch sein Geschäft wurde zerstört. Lager, Büro, Werkstatt, Inneneinrichtung und die Refraktions-Einheiten mit sämtlichen technischen Equipment – alles hinüber. Mit dem Wasser waren reichlich Schlamm, Schmutz und Verunreinigungen durch die CNC-Automaten geflossen. „Da war nichts mehr zu retten. Lediglich eine kleine Stückzahl an Brillen konnten wir noch von den Ständern abpflücken“, erinnert er sich knapp zehn Monate später.

Die Leute sollten sehen: Wir sind noch da!

Besonders bitter: Erst drei Jahre zuvor hatte er das Geschäft, dass er seit 2004 führt, mit hohen Investitionen umgebaut. Damals kam die Hörakustik neu dazu. Doch Manfred Herrmann und sein sechsköpfiges Team kapitulierten nicht. „Wir hatten den Antrieb, den Betrieb so schnell wie möglich wieder zum Laufen zu bringen. Die Leute in Heimerzheim sollten sehen: Wir sind noch da!“

Swisttalbach Opti Herrmann
Fast 44 Kilometer lang schlängelt sich die Swist durch das Rheinland

Da die vom Gewerbeverein organisierten Container erst in drei Monaten gestellt werden konnten, beschaffte sich Manfred Herrmann kurzentschlossen auf eigene Kosten drei Container – Monatsmiete 750 Euro. In einem Augenoptik-Forum bei Facebook beschrieb die Mitarbeiterin Melanie Schulz die desolate Lage und startete einen Spendenaufruf. Kollegen halfen mit Inventar und Geräten, damit in den Containern ein Refraktionsbereich eingerichtet werden konnte. Der Chef fand Unterstützung bei einem befreundeten Optiker in der Nachbarschaft, der mit seiner Werkstatt aushalf.

Geschäft noch eine Baustelle

Unterdessen telefonierte die Hörakustikmeisterin Sandra Hirschberger mit acht Firmen, bis sie auf die Fördergemeinschaft Gutes Hören stieß, die leihweise einen mobilen Bus zur Verfügung stellte. Jetzt konnten auch wieder Hörtests und die Anpassung von Hörsystemen angeboten werden, wenn auch improvisiert auf engstem Raum. „Dabei komme ich unseren Kunden sehr nahe“, erzählt Hirschberger, „viele vertrauen mir ihre Sorgen an. Auch die Flutkatastrophe und ihre Folgen sind noch Thema.“

Herrmann Optik - Hörakustikerin Sandra Hirschberger
Hörakustikerin Sandra Hirschberger betreut Kunden im mobilen Bus

Doch was als Zwischenlösung gedacht war, zieht sich in die Länge. Noch ist das entkernte Geschäft eine Baustelle. Lärm dringt nach draußen. Die Handwerker sind gerade mit dem Estrich beschäftigt. Währenddessen geht der laufende Betrieb in den mittlerweile vier Containern und dem mobilen Bus weiter. Schon Weihnachten 2021 wollte Manfred Herrmann mit seinem Team, darunter auch Sohn Christian, das Geschäft wieder eröffnen, doch das war natürlich unrealistisch, wie er lächelnd eingesteht: „Wir haben uns etwas blenden lassen, waren zu optimistisch, weil das Ausräumen der Trümmer zunächst sehr schnell ging.“

Refraktion im Container

Hatte man in dem Geschäft zwei Plätze für die Refraktion, ist es im Containerbetrieb nur einer. Gemessen wird im Stundentakt, weil derzeit so viele Kunden kommen. Vor den Containern befindet sich eine Sitzgruppe mit Tisch, die improvisierte Gemütlichkeit funktioniert bestens an diesem klaren Tag mit viel Sonnenschein. Die beiden Kundinnen, die nacheinander kommen, probieren gutgelaunt verschiedene Brillenmodelle.

 

„Die Leute wollten, dass wir weitermachen. Manche haben aus Solidarität sofort eine neue Brille gekauft.“

 

„Der Zusammenhalt hier ist immens, die Unterstützung unserer Kunden, die teilweise selbst schwer von der Flut getroffen wurden, groß“, sagt Melanie Schulz. Herrmann Optik und Akustik ist das einzige augenoptische Fachgeschäft im Umkreis. „Die Leute wollten, dass wir weitermachen“, sagt auch der Chef, „Manche haben sofort aus Solidarität eine neue Brille gekauft.“ Wichtig ist ihm, dass er alle Mitarbeiter behalten konnte, während der Corona-Zeit schickte er sie nur zwei Monate in Kurzarbeit.

Herrmann Optik im Container-Betrieb

Doch noch ist das Geschäft nicht wieder eröffnet, finanzielle Herausforderungen bleiben. Für äußere Schäden kommt die Gebäudeversicherung des Vermieters auf, nicht aber für die Inneneinrichtung. Hier würde eine Elementarversicherung einspringen, die Herrmann nicht abgeschlossen hat. Die Soforthilfe vom Staat sei da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Unsere enorme Investition von vor vier Jahren ist dahin. Denn trotz der vielen Spenden und Hilfen bleibt der große Batzen bei uns hängen, denn der Kredit läuft weiter. Wir müssen wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen.“

Steiniger Weg zur Aufbauhilfe

Bei der Beantragung der notwendigen Aufbauhilfe hilft der Steuerberater. Die benötigten Unterlagen bereitzustellen, ist Sisyphusarbeit. Nicht alles wurde digitalisiert, nicht alle Angaben für die zerstörten Geräte wie Seriennummern können recherchiert werden. Auch ist es schwierig, den Zustand bzw. Wert des Inventars vor der Zerstörung richtig zu taxieren. Entscheidend ist, wie üppig die Aufbauhilfe ausfällt: Wie hoch wird der Grundwert angesetzt, von dem Manfred Herrmann dann 80 % bekommen wird?

Herrmann Optik Container Werkstatt
Die Augenoptik ist vorübergehend in Container gezogen – hier die Werkstatt

Der Augenoptiker hat Verständnis, dass manches länger dauert, schließlich seien die Ämter durch die Masse an Anträgen überlastet. Doch er kritisiert das Krisenmanagement der Kommune: „Fachleute hätten das Ausmaß der Flut früher erkennen können. Entgegen meinem Bauchgefühl verließ ich mich auf die Informationen von oberster Stelle.“

 

„Ich bin stolz auf meine Mitarbeiter, dass sie so mitgezogen sind und mich sogar noch aufgerichtet haben.“

 

Heimerzheim ist noch nicht über den Berg, die mit vielen Millionen Euro veranschlagte Sanierung von Kindergärten, Schulen, Sportplätzen und Turnhallen lange nicht abgeschlossen, das zerstörte Feuerwehrhaus wird an gleicher Stelle neu errichtet. Doch manche Gewerbetreibenden, deren Existenzgrundlage durch die Flut zerstört wurde, wie etwa der Schreibwarenhändler am Ort, kommen nicht mehr zurück. Auch die Volksbank Rhein-Erft-Köln wird ihre Filiale nicht mehr öffnen.

Neustart auch für den Sohn Christian Herrmann

Doch Manfred Herrmann ist froh, dass er durchgehalten hat. „Ich bin stolz auf meine Mitarbeiter, dass sie so mitgezogen sind und mich sogar noch aufgerichtet haben.“ Sehr bestärkt wurde er durch seinen Sohn, der den gemeinsamen Wiederaufbau ebenso für den einzig richtigen Schritt hält.

Herrmann Optik - Christian Herrmann mit Kundin
Das gute Wetter macht’s möglich: Christian Herrmann mit einer Kundin bei der Brillenanprobe draußen

Natürlich könne man – je nach Mentalität – auch anders mit der Situation umgehen, gibt Herrmann zu bedenken. „Ich kenne Kollegen, die sehen es allein vom wirtschaftlichen Standpunkt und würden sagen: Was macht ein solcher Neustart mit 64 Jahren noch Sinn? Ich habe es auch für meinen Sohn mitgemacht.“

Die neue Ladeneinrichtung wird anders sein, schlichter, kostengünstiger. „Wir wollen uns mit Wohnmöbeln einrichten, die wir im Umkreis bekommen und die keine lange Lieferzeit haben. Wir brauchen kein Schöner Wohnen, um zu überzeugen. Ich bin seit 35 Jahren hier bekannt. Unsere Kunden wollen dieselbe Vielfalt an Brillen, denselben gewohnten Service und dieselben Personen wieder vorfinden.“

Herrmann Optik Laden innen Frühjahr 2022
Bis zur Wiedereröffnung im Sommer muss noch einiges getan werden

Im August, spätestens September soll das Geschäft endlich wieder eröffnet werden. Alle fiebern daraufhin. „Dann wollen wir uns auch bedanken für die große Unterstützung, die wir bekommen haben.“ Geplant ist ein Eröffnungsfest mit Musik mit drei Bands.“ Nicht überraschend ist, dass dann auch der Chef zur Gitarre greifen wird.

/// Jueb

 

www.brille-herrmann.de

 

Artikel der eyebizz 4.2022 (Juni/Juli)

 

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