3D-gedruckte Brillenfassungen verbunden mit innovativem technischem Raffinement und visuell spektakulär in Szene gesetzt: Die Münchner Brillenmanufaktur Klenze & Baum ist ein Beispiel dafür, wie erfolgreich sich Quereinsteiger in der Branche behaupten können, wenn sie mit frischem Blick und von außen neue Ideen mitbringen.
Zehn Tage vor der opti. Hektik, heiß gelaufene Computer und viele Telefonate im Münchner Glockenbachviertel, genauer in den Geschäfts- und Produktionsräumen von Klenze & Baum in der Klenzestraße 101. Die 3D-gedruckten Brillenfassungen des Labels sollen noch schnell nach Dubai geschickt werden.
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Co-Gründer Stefan Roesinger und sein Team tüfteln an lesbaren Barcodes, funktionierenden Etiketten und schlagen sich mit Zollbestimmungen herum. Für die Brillen ist die Reise kein Pappenstiel, die größte Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate am Persischen Golf liegt von München aus fast am Ende der Welt.
Premiumkunden in Dubai
Doch Stefan Roesinger ist entspannt. „Wir sind happy. Wir konnten einen Premiumoptiker mit vielen Filialen gewinnen, der uns ab jetzt dort vertritt.“ Von der bürokratischen Mehrarbeit lässt sich der 46-Jährige nicht die Laune rauben: „Wir haben eben noch keine Automatisierung wie die großen Brands, sind eine kleine Firma, die mit vielen Dingen zum ersten Mal konfrontiert wird.“
Das junge Start-up, Ende 2017 von Roesinger gemeinsam mit Aurélien Mierswa als „Yoyou“ gegründet, hat sich längst über München hinaus einen Namen gemacht mit modernen, unprätentiösen, technisch innovativen 3D-gedruckten Fassungen. „In den meisten Ländern Europas haben wir schon Fuß gefasst“, sagt Roesinger. Schweiz, Holland, Belgien, Österreich und Deutschland seien die stärksten Märkte. Bei den Südländern hapert’s noch etwas, gibt er zu. Die schwärmten mehr für Acetat.
Wo früher Isarflöße gebaut wurden
2019 fand das Label ganz zu sich, firmierte sich in „Klenze & Baum“ um, ein gewitztes Bekenntnis zu den lokalen Wurzeln, das auch dem Marketing guttat. Denn die zwei Gründer und ihre fünf Angestellten – weitere Freelancer und rund zehn Mitarbeiter im Vertrieb arbeiten ortsungebunden – residieren in den Klenzestraße, Ecke Baumstraße, also genau dort, wo früher einmal die Isarflöße gebaut wurden. Wer hier arbeitet, kann in den Pausen in dem Fluss schwimmen, der in die Donau mündet.
Das Glockenbachviertel zog immer Freigeister wie Freddie Mercury, Albert Einstein und Rainer Werner Fassbinder an, die früher hier wohnten. In dem bunten, hippen Szeneviertel mit seinen Boutiquen, Designbüros und Modemachern fügt sich die kleine Brillenmanufaktur bestens ein, schließlich produziert man für die Individualisten unter den Brillenträgern.
Roesinger und Mierswa lernten sich als Studenten an der Kunstakademie in Stuttgart kennen. Mit einem Staatsexamen in Kunst und einem Diplom in Kommunikationsdesign in der Tasche war Roesinger zunächst Art Director bei Jung von Matt, dann mit eigener Agentur unterwegs, bevor er sich mit Mierswa zusammentat.
Kampagnenauftritt: lässig und spacig
Produktdesigner Mierswa, der zuvor für den Sportartikelhersteller „Boards & More“ neue Produkte aus der Taufe hob, entdeckte den 3D-Druck schon während des Studiums und übertrug das Verfahren auf Brillen. Für Roesinger bedeutet die Zusammenarbeit einen echten beruflichen Turnaround. Der Marketingexperte lancierte zum ersten Mal ein eigenes Produkt und genoss dabei endlich alle Freiheiten: „Die Werbewirtschaft ist vielen Zwängen unterworfen, doch jetzt konnte ich mich austoben.“ Verantwortlich ist Roesinger für den Kampagnenauftritt, die Fotos dazu sind lässig, spacig und farbenfroh wie die 3D-gedruckten Fassungen.
Der Rahmen wird additiv aus gelasertem Polyamidpulver gedruckt. Mierswa entwickelte dafür ein nach etlichen Prototypen zur Marktreife gebrachtes schraubenloses Scharnier, das für Aufsehen sorgte. Das Scharnier der Yoyou und Sumo Kollektion bildet durch einen abgeflachten Kugelkopf im Zusammenspiel mit einer Feder ein Kugelgelenk mit „Wegklappfunktion“. Werden die Bügel zu stark überdehnt – und welchem Brillenträger könnte das nicht passieren –, klappen die Bügel weg und können im Extremfall sogar abspringen. Doch mit einer einfachen Handbewegung lassen sie sich wieder anbringen.
Lebenslange Garantie aufs Gelenk
„Vielen Kunden hat das schon die Brille gerettet“, erzählt Roesinger, „etwa, wenn sie sich versehentlich draufsetzten. Brillen mit diesem rekonstruierbaren Gelenk gehen nicht so einfach kaputt. Das Gelenk macht die Brillen deshalb sehr nachhaltig. Wir geben neuerdings eine lebenslange Garantie darauf.“
Eine weitere patentierte Besonderheit ist die Verwendung von Metalleinlagen im Bügel, die für eine noch bessere Anpassung sorgen und auch das Biegen von Golfbügeln sehr leicht machen, was andere 3D-Druck-Marken, so Roesinger, nicht anbieten.
Jeder Zehnte will die Custom-Brille
Zum Portfolio des Labels gehört nicht zuletzt die Custom-Brille. Kunden können sich die Fassung als Unikat zusammenstellen, Parameter wie Breite, Bügellänge, Nasenbreite, Inklination und Basiskurve selbst wählen. In rund 10 Prozent der Fälle werde davon Gebrauch gemacht, so Roesinger. „Die Möglichkeit zur weitgehenden Individualisierung bietet einen Wettbewerbsvorteil, das bestätigen uns viele unserer Augenoptiker.“
Dass der 3D-Druck nachhaltigem Wirtschaften entgegenkommt, versteht sich mittlerweile von selbst. Bei Klenze & Baum wird das überschüssige Material zur Hälfte wieder verwendet, die andere Hälfte vom Zulieferer zur Herstellung anderen Polyamid-Produkte eingesetzt. Mit der neuen „Sleek“-Kollektion, die erstmals auf der opti vorgestellt wurde, geht das Glockenbacher Start-up noch einen Schritt weiter, verwendet wird jetzt nachwachsendes Material aus Pflanzenöl, das auch für eine Transluzenz der Brillen bei helleren Farben sorgt.
Messeneuheit: kürzbare Bügel
Ebenfalls neu zur opti: „steel pill“, gemeint ist eine Edelstahlkappe am Bügelende, die sich abschrauben lässt, sodass der Bügel nach Belieben gekürzt werden kann. Anschließend wird die steel pill wieder aufgeschraubt, ganz ohne ästhetische Einbußen. „Eine simple Idee, doch bei anderen Brands habe ich das noch nicht gesehen“, sagt Roesinger, der immer darüber staunt, mit welchen technischen Innovationen sein Mitstreiter, der gerade in Elternzeit ist, um die Ecke kommt.
„Viele Augenoptiker sprechen das Thema 3D-Druck im Verkauf gar nicht an, dabei hat das Material so viele Vorteile.“
Ob der 3-Druck eher technikaffine Männer begeistert, da ist sich Roesinger nicht sicher, auch wenn auf ihrem Instagram-Account mehr Männer folgen. „Wenn eine Frau im Geschäft eine Brillenform sieht, die ihr gefällt, warum sollte ihr dieselbe Fassung als 3D-Druck nicht ebenso gefallen?“ Ein interessantes Learning hierbei: „Viele Augenoptiker sprechen das Thema 3D-Druck im Verkauf gar nicht an. Das finden wir schade, denn das Material hat so viele Vorteile: weniger Gewicht oder auch extreme Flexibilität.“
Der Markt an 3D-gedruckten Fassungen ist längst nicht mehr klein. Wo verorten sich Klenze & Baum selbst? „Wir sind weder besonders expressionistisch oder sehr extravagant in der Formensprache, noch haben wir schlichteres, puristisches Design, sondern bewegen uns dazwischen“, sagt Roesinger. „Wir machen Brillen für Individualisten, die technische Raffinesse zu schätzen wissen, aber auch auf Farben und Formgebung Wert legen.“
Klenze & Baum: „Messen machen Spaß!“
Corona hat das Start-up auch wirtschaftlich gut überstanden („Wir mussten unser Business zwei Gänge herunterschalten, konnten aber weiterarbeiten.“), jetzt will man wachsen. Das Ziel für die kommenden Jahre: sich noch breiter, internationaler aufstellen. Nächstes Jahr will Klenze & Baum zum ersten Mal auf der Mido ausstellen, auch die Brillenmessen in Japan und New York sind für die Zukunft angedacht. Die Märkte in den USA und Asien locken.
Messen haben eine große Bedeutung für das Label. „Gerade wer nicht aus der Branche kommt, hat hier die Möglichkeit, wichtige Kontakte zu knüpfen, aber auch zu sehen, wie es andere Brands machen. Außerdem machen Messen Spaß.“
Eine Herausforderung sei, gute Vertriebsleute zu finden. Doch Roesinger ist auch wichtig, dass in ihrem Team weiterhin eine gute Stimmung herrscht. Demnächst sollen auch die Mitarbeiter via Instagram stärker nach vorne gerückt werden, damit die Menschen sehen, wer alles zur Klenze-Baum-Familie gehört.
/// Jueb
Klenze & Baum
Klenzestraße 101, 80469 München
Gründung: 2017 als Yoyou, seit 2019: Klenze & Baum