Kunden, die bei Optik am Stauffacher im Zürcher Stadtteil Nr. 4 eintreten, werden tierisch begrüßt: entweder von den wunderbaren Diskusfischen im Aquarium oder den beiden quirligen Jack Russell Terriern Milo und Susie. „Tiere machen neugierig und sind gute Eisbrecher“, sagen Roland von Burg und Hansjörg Blaser. Auch die beiden Inhaber brechen schnell das Eis mit ihrer charmanten offenen Art. Sie stehen ein für Handwerk, Qualität und Individualität.
Vor allem eines wollen die Inhaber in ihren neuen Räumlichkeiten in der Badenerstraße 41 zeigen: Augenoptiker*innen sind nicht nur Brillenverkäufer. Schon gar nicht von Marken, die es überall gibt. Individualität ist das Gebot. Das hippe Viertel um den Stauffacher Platz ist genau der richtige Platz dafür: lebendig, viele Familien, locker, die Leute sind schnell per Du. Die beiden kennen sich aus „in ihrem Quartier 4“.
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Hansjörg Blaser (58) und Roland von Burg (60) sind seit fast 20 Jahren hier zu Hause, „Optik am Stauffacher“ ist nicht ihr erstes Geschäft dort. 2003 starteten sie mit „Kalkbreite Optik“, eine Straßenbahnstation weiter ebenfalls in der Badenerstraße, in die Selbstständigkeit.
Zwei werfen ihre Fähigkeiten zusammen
Der Augenoptikermeister Blaser spielte schon länger mit dem Gedanken von einem eigenen Betätigungsfeld und wollte seinen damaligen Chefs den Augenoptikbetrieb abkaufen, was sich zäh gestaltete. Von Burg, „der gute Verkäufer mit Geschmack“, suchte nach Umbrüchen in der Reisebranche nach einer neuen Sinnhaftigkeit. Als die „Kalkbreite“ zum Verkauf annonciert wurde, fackelte das Paar nicht lange und warf seine Fähigkeiten zusammen und stürzte sich in das neue Projekt.
Ein bisschen verrufen war das ehemalige Arbeiterviertel damals noch, doch die beiden fanden bald treue Stammkunden mit ihrem besonderen Style und Brillen abseits des Mainstreams. „Wir dachten, wir werden mit dem Laden alt hier“, so Roland von Burg. Doch die zunehmende Attraktivität des Standorts zog Interessanten an, die die Immobilie kauften und allen Mietern kündigten. Ein neuer Plan musste her.
Kniffelig: Standort- und Namenswechsel
Die Ausschreibung eines ehemaligen Fotoateliers am Stauffacher Platz entschieden sie für sich, fingen im November 2019 an dem stark frequentierten Zürcher Verkehrsknotenpunkt – 50.000 Passanten täglich – neu an. „Wir wollten unbedingt in diesem Viertel bleiben, auch um den Gebietsschutz für unsere Marken nicht zu verlieren“, erzählt von Burg.
Ein Standortwechsel ist für ein Ladenlokal eine Herausforderung, erst recht, wenn sich der Geschäftsname ändert. Wer weiß, ob die Stammkunden bei der Stange bleiben. Der Neustart mit „Optik am Stauffacher“ brachte erstaunlicherweise mehr Neu- als Stammkunden ins Geschäft. Der Name sollte auf den Standort verweisen, damit Kunden leichter herfinden.
Die Werkstatt gleich neben dem Eingang macht das Handwerk sichtbar. Eine Bank lädt zum Zuschauen ein. Ähnlich wie beim Show Cooking, wo die Profis vor Publikum kochen, werden hier die Brillen wie Schmuckstücke gefertigt. Wer will, kann zusehen. Die Strategie funktioniert – die Neugierde nachfragender Kunden zeigt das.
Für Gesprächsstoff sorgt auch die individuelle Einrichtung des Ladens mit den großen Bogenfenstern: ein urbaner Stil im Mid-Century-Design mit viel Holz und Metall, warmen Farben und Pflanzen. Eine Vision von Roland von Burg: nicht clean, nicht kalt, sondern warmherzig und familiär, inklusive der tierischen Eisbrecher. Ein Ladenbauer aus den Niederlanden zeichnete nach den Vorgaben der beiden Inhaber den Entwurf; die ungewöhnlichen Lampen hat von Burg selbst kreiert.
Optik am Stauffacher: Markenauswahl ist Sache des Teams
Genau das richtige Ambiente für das qualitativ hochwertige Brillensortiment, das sich auch außerhalb Zürichs herumgesprochen hat. Independent Labels, oft nachhaltig, darunter Marken wie Dick Moby, Ahlem, Haffmans & Neumeister, Lazare Studio, Cutler and Gross oder Suzy Glam. Das handverlesene Angebot spiegelt den unbedingten Willen, mit besonderen Brillendesigns zu überzeugen.
Bei der Entscheidung, welche Kollektionen in das Geschäft kommen, beziehen die Inhaber ihr Team mit ein. Selbst Azubis vom ersten Lehrjahr an haben ein Stimmrecht bei der Auswahl. „Jüngere können aktuelle Trends besser einschätzen. Wir hatten schon sehr erfolgreiche Marken im Portfolio, die wir nicht genommen hätten“, gibt von Burg zu. „Der Input der Jungen ist wichtig, damit wir nicht stehenbleiben.“
Auch Nachhaltigkeit ist ein Thema. Um erst gar keine Verschwendung aufkommen zu lassen, bieten die Zürcher Kunden eine Reparatur ihrer Fassungen an; auch Zweit-Verglasungen in alte Lieblingsfassungen machen sie.
Eine erste Brillen-Auswahl können die Kunden über eine Online-Anprobe treffen. Über eine App werden die im Laden zur Auswahl stehenden Marken und Modelle virtuell zur Verfügung gestellt. Zukünftige Online-Refraktionen, wie sie von großen Anbietern angekündigt wurden, sehen die beiden Handwerker gelassen, im Gegenteil. „Dieser Einsatz ist sogar gut, weil ‚schlechte‘ Brillen dabei herauskommen. Die unzufriedenen Kunden kommen zu uns zurück – und zahlen dann gerne ein paar Fränkli mehr für eine ‚gute‘ Brille.“
„Lieber sich selbst Konkurrenz machen“
Wie sehr die beiden Inhaber am Augenoptikhandwerk hängen, zeigt sich an „Kreis 4 Optik“, ihrem zweiten Geschäft, das sie 2012 übernahmen. Motto: „Lieber sich selbst Konkurrenz machen.“ Als der zweitälteste Augenoptiker Zürichs, ebenfalls im Quartier 4 beheimatet, vor dem Aus stand, weil aus der Familie kein geeigneter Nachfolger zu finden war, nahmen sie sich beherzt des Traditionsbetriebs an. Hier ist es hochpreisiger, das Original-Mobiliar hat 50er-Jahre-Touch – ein anderes Konzept. Blaser ist vormittags im Geschäft „am Stauffacher“, nachmittags im „Kreis 4“.
Die Aufgabenteilung – oder besser „Gewaltentrennung“ – ist bei den beiden Alphatieren, wie sie sich selbst augenzwinkernd nennen, klar definiert: Hansjörg Blaser kümmert sich um alle fachlichen Bereiche, Roland von Burg um Marketing, Werbung und Kundenbetreuung. Der Rat des anderen wird geschätzt, aber der jeweils Zuständige trifft die Entscheidung.
Privat und beruflich Partner zu sein, sehen beide als Herausforderung. Es sei ein Lernprozess über viele Jahre gewesen, bei dem sie zunächst ihre Positionen definieren und klären mussten. Doch es funktioniere, sagen sie. Und man glaubt es sofort, wenn man sie, wie hier im Zoom-Gespräch, im respektvollen Umgang miteinander erlebt.
Brillen-Tischmesse für Independent Labels
Die Corona-Pandemie hat auch in der Schweiz ihre Spuren hinterlassen, aber die Eisbrecher in Sachen Handwerk und Independent Labels wollten nicht tatenlos zuschauen. Als die Mido in Mailand im Frühjahr dieses Jahres als Präsenzmesse abgesagt wurde, und damit auch der persönliche Austausch mit Herstellern und das Entdecken und Erleben neuen Brillendesigns ausfiel, organisierte Roland von Burg kurzerhand die „ArsOptica“ für Augenoptiker*innen, die nun endlich am 6. September mit 32 Ausstellern in Zürich stattfinden wird, nachdem die bereits für März geplante Veranstaltung wegen Corona mehrmals verschoben werden musste.
Die kleine Tischmesse für Independent Labels soll die Zeit bis zur nächsten „richtigen“ Messe überbrücken und Augenoptiker*innen in Helvetia einen Überblick über Neuheiten verschaffen. „Die tatsächlichen Farben und die Haptik einer Fassung lassen sich online nicht transportieren“, so der „Verkäufer“ von Burg.
Augenoptiker*innen im Alpenland werden zudem oft über den Außendienst in Deutschland mitbetreut. Sich Fassungen von dort zur Ansicht schicken zu lassen, sei aber keine Alternative der teuren Zollkosten wegen. Und der Austausch mit Herstellern und Kolleg*innen fehlte einfach. „Die sozialen Kontakte bleiben auf der Strecke, die Leute vereinsamen.“
Den kleinen feinen Brillenlabels wird das Duo von Optik am Stauffacher verbunden bleiben. Mainstream-Kollektionen großer Konzerne sind nicht ihr Ding. „Wir sind mit den kleinen Designermarken weniger vergleichbar, und die Geschichten dahinter sind Kunden wichtig.“ Die Zürcher zeigen: Wenn Augenoptiker*innen in die Selbstständigkeit starten, können sie ihre ganz eigene Kundschaft aufbauen und mit ihrer individuellen Art für das Augenoptikhandwerk begeistern – in ihrem Viertel.
Die ArsOptica ist eine Brillen-Tischmesse für Independent Labels in Zürich, die als NonProfit-Veranstaltung von den Augenoptikern Roland von Burg und Hansjörg Blaser organisiert und durchgeführt wird. Zum besonderen Charme dieser B2B-Messe gehört der Veranstaltungsort: Das „George Bar und Grill“ über den Dächern Zürichs erfreut seine Gäste mit elegant stilvollem Interieur und exklusiver Atmosphäre.