Anfang 2020 machte sich die Augenoptikmeisterin Sabrina Oberlander mit ihrem Geschäft „Brillenwerke“ im schwäbischen Offingen selbstständig. Und das mit Erfolg, weil sie manches anders macht als andere. Seit Sommer 2020 repräsentiert sie zudem in der Imagekampagne des Deutschen Handwerks die Augenoptik.
Sabrina Oberlander hätte sich nie träumen lassen, einmal Botschafterin der Augenoptik zu werden. Schon deshalb nicht, weil sie den Beruf eher zufällig wählte. Unzählige Praktika durchlief sie vor der Berufswahl und blieb bei der Augenoptik hängen. Das Praktische-Sinnvolle des guten Sehens mit Beratung der Kunden kombiniert mit Mode und Lifestyle begeisterte sie – zunächst. Wie enttäuschend jedoch, dass die Ausbildung zum Großteil aus Werkstattarbeit bestand: „Feilen, Schleifen, Löten … das hätte ich mir anders gewünscht. Heute bin ich aber froh über die hervorragende Ausbildung und das stundenlange Üben.“
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Echte Leidenschaft für den Beruf kam für Sabrina Oberlander erst mit der Meister-Ausbildung in München: „Mit den dort erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten war es mir möglich, Kunden umfassend beraten zu können.“ Es folgten Stationen bei Augenoptikbetrieben, schließlich eine Position als Betriebsleiterin. Doch die Führungsposition in Teilzeit gestaltete sich für die zweifache Mutter zunehmend schwierig.
Eröffnung in Rekordzeit
Im Sommer 2019 dann erste Überlegungen, sich selbstständig zu machen. Mit der Zusage ihrer Handwerkskammer als „öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Augenoptik“ hatte Oberlander ein zweites berufliches Standbein. Die Pläne wurden konkreter, die 35-Jährige erlebte einen stressigen Herbst voller detaillierter Planungen „Der Mut kam dazu und etwas Wahnsinn.“
Bis zur Eröffnung der „Brillenwerke“ im Januar 2020 musste Oberlander in kürzester Zeit grundlegende Entscheidungen zu Finanzierung, Personal, Fassungsauswahl, Einrichtung, Geräten und Öffnungszeiten treffen. Am geplanten Budget hielt die Betriebswirtin (HWK Augsburg, plus Studium BWL- und Wirtschafts-Psychologie) strikt fest. Am größten Posten, dem Geräte-Equipment, konnte die Gründerin nicht rütteln, für die Einrichtung der rund 90 qm großen Betriebsfläche nutzte sie Second-Hand-Brillenwände.
Kein Schaufenster? Na und!
Außergewöhnlich ist, dass die „Brillenwerke“ in einer über 100 Jahre alten Arztvilla untergebracht sind, sodass Schaufenster komplett fehlen. Wie soll das für ein Augenoptikgeschäft funktionieren? Doch das scheinbare Manko ist keines, wie die Inhaberin feststellte. Schließlich kämen fast alle Kunden mit festem Termin und kauften meistens auch. Im Übrigen genössen sie die heimelige Atmosphäre der gehobenen Räumlichkeiten.
Laufkundschaft wie in größeren Innenstädten findet man bei „Brillenwerke“ nicht. Das Geschäft liegt in der Bahnhofstraße der kleinen Marktgemeinde Offingen mit rund 4.200 Einwohnern im schwäbischen Landkreis Günzburg zwischen Ulm und Augsburg. Außer „Brillenwerke“ gibt es keine weiteren Optiker am Ort, im Umkreis von 15 km allerdings knapp 20 Mitbewerber. Die ältere, nicht mehr so mobile Kundschaft am Ort freut sich, nicht mehr nach Günzburg fahren zu müssen. Kunden kommen auch aus den umliegenden Städten, sogar aus weiter entfernteren, viele im Gleitsichtalter.
Wer die Öffnungszeiten der „Brillenwerke“ sieht, ist vielleicht irritiert: unter der Woche vormittags von 8.00 bis 13.30 und donnerstags Nachmittag von 14.00 bis 20.00 Uhr, dazu nur vormittags jeden ersten Samstag im Monat. Ist das rentabel?
Flexibles Team, flexible Kunden
Sabrina Oberlander kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Die offiziellen Öffnungszeiten sind unsere Kernzeiten. Ich habe das so geplant, damit ich mich flexibel um meine Familie kümmern kann. Außerhalb der Zeiten vereinbaren wir Kundentermine individuell, etwa zu späterer Abendstunde oder an einem beliebigen Samstag.“
So ergeben sich für die Mutter und Unternehmerin immer wieder günstig gelegene Abendtermine im Geschäft, nach den Nachmittagen mit ihren Kindern. Am Anfang eine mutige Entscheidung, doch durch Corona wurden Beratungen zu festen Terminen ohnehin üblich. Sabrina Oberlander hat eine volle Arbeitswoche, nur anders verteilt. „Die Kunden freuen sich, wenn sie morgens früh vor dem Büro oder in der Mittagspause kommen können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie bei längeren Öffnungszeiten eher Hemmungen haben zu fragen, ob sie auch zu einer anderen Zeit kommen können.“ Liest man die vielen 5-Sterne-Bewertungen bei Google wird neben der kompetenten Beratung gelobt, dass Kunden auch außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten willkommen sind.
So flexibel wie die Kunden sind die Mitarbeiterinnen der „Brillenwerke“ und legen von sich aus Stunden um, wenn es für die Kunden besser passt. Da an Samstagen nicht automatisch viel los und ein regelmäßiges Öffnen wirtschaftlich nicht immer effektiv ist, lässt sich über die Terminvergabe der Kundenfluss steuern.
Jeder im Team ist maximal an zwei Wochenenden pro Monat im Laden. Angesichts der viel zitierten, ungünstigen Arbeitszeiten in der Augenoptikbranche ein attraktives Novum. Das Konzept hat sich herumgesprochen, ab Januar stößt deswegen eine Meisterin aus Ulm dazu.
Brillen und Gläser von den „Kleinen“
Zur Eröffnung der „Brillenwerke“ startete Oberlander mit zwei Augenoptikmeisterinnen in Teilzeit, knapp zwei Jahre später besteht ihr Team aus einer Vollzeitmeisterin, einer Teilzeitmeisterin, einer Augenoptikerin und einer Bürokraft, auch jeweils in Teilzeit.
Beim Portfolio geht die gebürtige Grundremmingerin ebenfalls eigene Wege. Die Brillengläser bezieht sie von unabhängigen, kleineren Herstellern, vorrangig von Optiswiss aus Basel, oder von regionalen Herstellern wie Optik Glas Aschaffenburg.
Zu Beginn tastete sich Sabrina Oberlander mit einem breitgefächerten Brillenangebot im günstigen bzw. mittleren Preisniveau an ihre Klientel heran. „Nachdem sich herausstellte, dass sich unsere Kunden individuellere und exklusivere Fassungen wünschen, haben wir unser Portfolio Stück für Stück mit verschiedenen Independent Labels vervollständigt.“
Service, Service, Service – und Eigenmarken
Einen Großteil des Umsatzes machen die „Brillenwerke“ mit Gleitsichtbrillen, Multifokal-Kontaktlinsen und Arbeitsplatzbrillen. „Das Angebot, Arbeitsplatzbrillen verglast für vier Wochen zu testen, war ursprünglich für Kunden gedacht, die sich darunter nichts vorstellen konnten. Da immer mehr Kunden diese Brillen inzwischen kennen, brauchen sie immer seltener ein Test-Exemplar und bestellen gleich eine zweite Brille für den Arbeitsplatz.“
Kontaktlinsen oder fertige Brillen werden bei längeren Anfahrtswegen zugesendet. Reinigungsflüssigkeiten und Linsen der Hausmarke können bei Bedarf im Onlineshop bestellt werden, ebenso wie Etuis und Brillenketten. „Zum Shop auf der Website kam es wegen Corona. Brillenkettchen und Suncovers kamen später aus modischen Gründen dazu. Sie sind im Trend, gefallen auch uns“, so die Chefin.
Im Oktober stellten die „Brillenwerke“ ihre erste Eigenkollektion vor, die derzeit noch nicht komplett selber designt wird, das soll sich im neuen Jahr ändern. Auch bei den Kontaktlinsen gibt es eine Hausmarke. „Die Eigenlabels bei den Kontaktlinsen sind nicht vergleichbar“, so Oberlander, „und für unsere Kunden wertiger als eine Standardlinse, die online verramscht wird“.
Zusammenhalt auf dem Land
Der Start mit einem neuen Geschäft ist nie einfach, sich mitten während der Corona-Pandemie bewähren zu müssen, war eine extreme Herausforderung, so Sabrina Oberlander. „Zur Eröffnung sind wir von unseren Kunden sehr offen und herzlich empfangen worden. Viel positive Resonanz hat uns über den Lockdown im März/April 2020 hinweggeholfen.“
Ein Pluspunkt in dieser schwierigen Zeit sei der große Zusammenhalt der Menschen auf dem Land gewesen. „Wir haben von Anfang an größten Wert auf individuelle und professionelle Beratung gelegt. Dies hat sich schnell herumgesprochen.“ Ihre Begeisterung für Augenoptik teilt die Meisterin über die sozialen Medien. Auf Facebook (793 Follower) und Instagram (1.116 Follower) gibt sie mit ihrem Team regelmäßig Einblicke in den augenoptischen Alltag.
Weitere Bekanntheit verschaffte Sabrina Oberlander ihre Funktion, als Botschafterin für die Imagekampagne des Deutschen Handwerks die Optikerzunft zu repräsentieren. In einem dreiminütigen Imagefilm als Teil einer Social-Media-Filmreihe wirbt sie deutschlandweit für die abwechslungsreichen Tätigkeitsfelder und die Spezialisierungsmöglichkeiten in der Augenoptik. „Ich freue mich sehr, das Handwerk repräsentieren zu dürfen, und wurde schon häufig darauf angesprochen. Zudem hatten wir viel gute, vor allem regionale Presse. Ein positiver Werbeeffekt für unser Geschäft!“
Wie geht’s weiter, Frau Oberlander?
Seit der Gründung habe es viele schöne Erfahrungen gegeben, so Sabrina Oberlander. Besonders freue sie sich über Kundenaussagen wie: „Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt mit einer Brille (oder so gut gesehen).“ Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder der Kunden kommen auf Empfehlung. „Jeder kann Brillen machen – wir wollen es besonders gut machen und versuchen, jeden Tag noch ein bisschen besser zu werden und die Kunden ehrlich und umfassend zu beraten.“
Und Sabrina Oberlanders Ziele für die kommenden Jahre? „Ich wünsche mir, dass unser Team und der Kundenkreis weiter so wachsen. Die Bereiche Screening, Low Vision und Myopie-Management werden noch weiter ausgebaut.“ Wie es aussieht, hat die Botschafterin für Augenoptik bis jetzt viel richtig gemacht.