Von einem, der sich seine Kunden nicht fangen, sondern aussuchen möchte, einem, der seine Mitarbeitenden nie von einem Headhunter vermitteln lassen würde, und von einem, der selbst anfangs wenig Lust auf den väterlichen Betrieb hatte und seine Töchter niemals fragen würde, ob sie in seine Fußstapfen treten möchten: Jörg Schürholz von Schürholz Brille & Linse in Essen.
Als Jörg Schürholz 2002 das Zepter im Familientrieb in Essen-Steele – Mitten im „Pott“ – übernimmt, liegt das unabhängige Augenoptikgeschäft bereits inmitten von anderen Kollegen. Auch heute hat sich an dieser Wettbewerbs-Situation nichts geändert: „Schürholz Brille & Linse“ geht in der knapp 600.000 Einwohner zählenden Großstadt in einem Radius von rund 400 Metern gemeinsam mit Kind, Apollo, Fielmann und zwei weiteren Unabhängigen auf Kundenfang.
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Genauer gesagt fängt Schürholz keine Kundschaft, sondern er sucht sie sich getreu seiner seit 20 Jahren gewachsenen Vision aus. Und die Konkurrenzsituation ist durchaus belebend, man ergänzt sich ganz gut in Steele, der vor einhundert Jahren noch unabhängigen Stadt im Osten der Ruhrgebiets-Metropole. Schürholz ist Fachmann, Typ, Kumpel – und so steht das Du mit dem Kunden meist schon vor dem ersten Espresso und sowieso vor der Refraktionsbestimmung fest. Das Erfolgsrezept dieses Augenoptikbetriebs fußt auf einem gegenseitigen Vertrauen, das Schürholz und dessen sieben mitarbeitenden Augenoptikermeister und -meisterinnen den Kunden entgegenbringen, das sie aber auch ein Stück weit von ihnen einfordern.
Wir möchten die Augen strahlen lassen, möchten Mut geben.
Der Teamspirit und die spürbare Begeisterung, mit der die Fachleute im Laden zu Werke gehen, stecken an und bieten Gesprächsstoff unter Freunden und Kollegen. Bei Schürholz ist der Kunde Teil einer Familie – das bleibt oft sogar mehr hängen als die ausgefallenen Kollektionen oder die modern gehaltene Mess-Technologie. Zumal weder der Chef noch die Mitarbeitenden bei ihrer Beratung allzu viele Brillenfassungen in die Hand nehmen. „Oft fällt die Wahl schon auf die erste Brille, die ich vorschlage“, behauptet der 51-jährige Vater der beiden Töchter Paula und Ella Schürholz.
Liebe auf den zweiten Blick
Jörg Schürholz zeigt als Jugendlicher zunächst weniger Interesse an dem Geschäft, das sein Vater Ekkehard 1970 gegründet und etwas später mit zwei Filialen ausgebaut hat. Als einer der ersten, die in Essen Kontaktlinsen anpassen und anbieten, macht sich Schürholz Senior einen Namen, aber es ist auch vor allem dessen Fähigkeit, Menschen zur begeistern, die dem Sohn heute in Erinnerung geblieben ist. Der Vater und Betriebsgründer verstirbt 1990, zurück bleibt das Stammhaus und Jörgs Mutter Renate, die Apothekerin ist und den Betrieb beziehungsweise das operative Geschäft in die Hände der Mitarbeitenden legt.
Jörg Schürholz möchte seiner Mutter später nach dem Abitur helfen, zumindest lässt er sich mit einer Ausbildung zum Augenoptiker in einem fremden Betrieb darauf ein. Es folgen ein paar Gesellenjahre im elterlichen Geschäft, doch die Begeisterung für die Augenoptik wird beim heutigen Inhaber erst mit der Fortbildung zum Augenoptikermeister an der Höheren Fachschule in Köln (HFAK) entfacht. Das aber nicht wegen der HFAK, sondern vielmehr wegen des Aushilfsjobs bei Buschmann Optik, wo Schürholz eine völlig andere Augenoptik als die daheim erwartet: „Dort habe ich die Erlebnisschiene kennengelernt, da hatte ich richtig Freude, das war eine prägende Zeit für mich.“ Im schicken Anzug darf der HFAK-Student in einem Premiumgeschäft der Domstadt mitunter auch Stars und Sternchen beraten – bei Buschmann gibt es alles, nur keinen Standard!
Erster Kunde fragt nach einem Haarschnitt
Mit dieser Erfahrung und dem Wunsch, echte Lösungen für Menschen anzubieten, geht es 2002 zurück in die Heimat. Schürholz ist vom Augenoptikfieber erfasst, steigt überzeugt ins Familienunternehmen ein und dreht den Laden auf links. Die Brillenfassungen werden so gut wie alle in Schubladen verbannt, sodass der erste Kunde nach dem Umbau nach einem Haarschnitt fragt. Die Mutter lässt den Filius gewähren, „sie war ja froh, dass sie das alles los war. Und ich bin ins Risiko gegangen, wollte nichts kopieren und keine Überschneidungen mit den Kollegen um mich herum haben“, blickt Schürholz heute kopfnickend auf seinen damaligen Mut.
Aus diesen Anfängen entwickelt sich die Vision, und daraus resultiert natürlich auch die Entwicklung von einem Generalisten zu einem Spezialisten. Bei Schürholz Brille & Linse ändert sich strukturell einiges; die neue Kundenansprache fällt dabei eher auf als das eingeführte Kontaktlinsen-Abosystem. „Wolfgang Sebold war in der Anfangszeit eine große Hilfe für mich“, vergisst Schürholz die Wegbegleiter zum heutigen Erfolg nicht. Sebold als Berater und der „Nebenjob“ als Referent für Alcon bringen „Jörch“ immerzu auf Ideen. Auf das niedrige Preissegment bei Brillenfassungen verzichtet er von Beginn an, was nicht nur etwas mit einem gewissen Anspruch an die verkauften Produkte zu tun hat. „Das hat auch mit der Kompetenz und der Wertschätzung unserer Mitarbeitenden zu tun, die wir über unsere Fassungen ausdrücken möchten.“
Auf dem Weg zu diesem Alleinstellungsmerkmal sind einige Fassungshersteller mit kreativen Lösungen behilflich. Zwar legt Schürholz heute auch einen großen Wert auf optometrische Dienstleistungen, aber ohne dabei zu vergessen, womit er erfolgreich bleiben wird. Weil bei Schürholz hochwertige Fassungen verkauft werden, wird die Brillenglas-Auswahl zur Randerscheinung, und Screenings gehören eben dazu, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, „Lösungen zu anzubieten“ und daran festhalten möchte.
Lösungen, die sich sehen lassen können
Lösungen, die sich sehen lassen können, nein müssen: „Jede Brille im Gesicht eines Kunden arbeitet für uns“, sagt Schürholz, der sich auch deswegen gerne aussuchen möchte, mit wem er zusammenarbeitet, was wohlgemerkt nicht auf die Mitarbeitenden gemünzt ist. Wer über einen vollen Terminkalender und einen guten Ruf verfügt, darf sich solche Wünsche offensichtlich auch Richtung Kundschaft erlauben, Schürholz erklärt das damit, „dass jeder Kunde von uns wissen soll, wo er ist und woran er bei uns ist. Wenn er das Schnäppchen sucht, geht er besser ein paar Meter weiter. Und wenn er nicht auf einen Termin warten möchte, damit wir ihn entsprechend seiner bevorstehenden Gleitsichtlösung, für die er über 1.000 Euro zahlen wird, beraten können, dann müssen wir auch mal auf einen Kunden verzichten können.“
Möchte der Kunde aber den Chef an dessen selbstbewussten Worten messen, macht einen Termin und lässt sich dann die erste Brillenfassung zeigen. Jene, die oft schon die eine ist! „Wir reden mit den Leuten, wir sehen sie uns genau an. Welche Augenfarbe hat mein Gegenüber, wie sind die Augenbrauen? Wir möchten die Augen strahlen lassen, möchten Mut geben!“ Was zum Start vor über 20 Jahren schwieriger war, hat sich heute eingespielt. Mit der Theo-Kollektion in der Schublade holt sich das anfangs aus vier Leuten bestehende Team zunächst „blutige Nasen“, mitten im Ruhrgebiet muss sich das Verständnis für die Brillenmode eines besonderen Augenoptikers ja auch erst einmal entwickeln.
Schnell aber wird das Ladenlokal eigentlich zur klein. Da trifft es sich gut, dass das Reisebüro nebenan auszieht und Schürholz die zusätzlichen 35 Quadratmeter mit der kompletten Messtechnik seines Betriebes gut nutzen kann – die „alten“ 65 Quadratmeter dienen der Beratung an drei dafür vorgesehenen Plätzen. Den Rest des Raumes im Geschäft nimmt eine riesige Theke ein, an der die Kunden in Empfang genommen werden. Die Servicewerkstatt ist in der vierten Etage untergebracht, wobei Schürholz heute rund 80 Prozent der Aufträge fernranden oder auch komplett extern anfertigen lässt. „Wir haben einen tollen Partner gefunden, besser könnten wir das auch nicht. Mir sind die Mitarbeitenden im Verkaufsraum wichtiger, als dass sie den ganzen Tag an einer Maschine stehen.“
Erlebnisrefraktion statt Strandurlaub
Statt Strandurlaub (wie früher im Reisebüro) gib es weiter unten seit 2012 im neuen Raum „Erlebnisrefraktionen“, als Schwerpunkt Kontaktlinsen-Anpassungen und seit einiger Zeit und wachsend ein Screening- und Vorsorge-Angebot, das in die Sehanalyse integriert ist. Einen Augen-Check gibt es in Essen-Steele schon lange, Künstliche Intelligenz hat den Praxistest auch schon erfolgreich bestanden und wird alsbald in das Angebot integriert. „Wir messen schon seit jeher den Augendruck, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit als Ansprechpartner in Sachen Augen und gutes Sehen“, sagt der Hobby-Tennisspieler, der zu selten Zeit dafür findet.
Die Mess-Technologie, für die Schürholz einen Faible hat, dient weder der Show noch dem Selbstzweck, aber „oft stehen die Leute schon mit offenem Mund da und sind total begeistert“ von dem, was heute beim Augenoptiker möglich ist. Bei dieser Sehanalyse wird der Bedarf des Kunden ermittelt, im Refraktionsraum wird der Verkauf gestartet, wohlgemerkt jener der zweiten oder dritten Brille. Dass er eine Brille braucht, weiß der Kunde bei der Terminvereinbarung: „Geld verdienen wir mit der zweiten und dritten Brille, die er braucht.“
Schürholz wohnt 300 Meter vom Geschäft entfernt – nah genug, um im Notfall parat zu stehen, aber weit genug entfernt, um den Feierabend genießen zu können. In der wenigen Freizeit gibt „Jörch“ dem Lions Club am Ort als Präsident ein Gesicht, ein Teil eines imposanten Familien-Netzwerks, zu dem Ehefrau Tanja als Architektin ihren Teil beiträgt. Schürholz weiß, dass er viel angestoßen und zum Erfolg des Betriebs beigetragen hat. Doch er betont auch, „dass es nur mit den richtigen Menschen um dich herum funktioniert. Mitarbeitende, die meine Launen ertragen und die der Kollegen, und die immer bereit sind, ein paar Meter extra zu gehen.“
Vielleicht gibt es einfach zu viele Geschäfte?
Potenzielle neue Mitarbeitende gebe es im Ballungsraum Essen genug, aber es gelte, die richtigen, die passenden Leute zu finden. „Und dazu gehört auch für mich als Chef, mehr zu bieten als ein ordentliches Gehalt. Es gibt genügend Fachkräfte, aber vielleicht gibt es einfach zu viele Geschäfte?“ Die regelmäßigen Anrufe von Headhuntern in seinem Geschäft nimmt Schürholz gelassen, weil seine Leute nicht zu denen gehören, die darauf anspringen. Auch er selbst würde niemanden einstellen, der auf diesem Weg vermittelt wird – „das sind die ersten, die beim nächsten Anruf wieder weg sind“.
Bliebe noch zu klären, was mit dem Geschäft passiert, wenn irgendwann einmal die Nachfolge geregelt werden muss. Die Töchter, die eine mit 13 Jahren noch sehr jung, die andere mit 22 eine erfolgreiche Beachvolleyballerin mit anderen Interessen für die Zukunft, würde der Vater nicht fragen wollen. „Das werde ich nie tun. Ich werde den beiden diesen Rucksack sicher nicht aufsetzen.“ Noch hat Jörg Schürholz ohnehin Lust, weiter zu machen, jung genug ist er auch. Ob es zu viele Geschäfte gibt? Vielleicht – aber solche wie dieses eine in Essen-Steele, mitten im Pott umringt von Filialisten, müssen bitte bleiben.
Bravo! Sehr beeindruckend.