Schon in der Ausbildung wurden Stefanie Poggenpohl und Felix Mats Weber „Freunde fürs Leben“. 2019 bündelten die beiden Augenoptikermeister ihre Stärken und starteten mit dem Augenoptik-Fachgeschäft „Sehenswert“ ihr gemeinsames berufliches Projekt. Mit Leidenschaft verbinden sie in Hattingen erfolgreich Handwerk und Optometrie.
Nicht viel los an diesem September-Nachmittag im Sankt-Georgs-Viertel in Hattingen. Wer in den verwinkelten Gassen der Fußgängerzone unterwegs ist, macht einen entspannten Bummel oder will gezielt zu einem der kleinen Geschäfte. Eines davon ist das Augenoptik-Fachgeschäft „Sehenswert“ von Stefanie Poggenpohl und Felix Mats Weber.
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Laufkundschaft kommt weniger in die Sankt-Georgs-Straße 10, trotzdem haben die zwei Augenoptikermeister gut zu tun. Die Kunden finden sich fast ausschließlich über feste Termine in dem 2019 eröffneten Laden ein – aus gutem Grund, denn eines der Markenzeichen ist die ausführliche Beratung inklusive optometrischer Dienstleistungen.
Beim Filialisten kennengelernt
Schon in der Ausbildung kristallisierte sich heraus, was Stefanie Poggenpohl und Felix Mats Weber besonders an der Augenoptik begeisterte: Leidenschaft fürs Handwerkliche, für Kontaktlinsen und Beratung, Optometrie und Sehgesundheit.
Beide machten 2011 zeitgleich ihre Ausbildung bei Apollo-Optik, sie war in der Filiale in Hattingen, er in Soest. „Am ersten Tag der Ausbildung in der Lehrwerkstatt von Apollo Optik in Hamm lernten wir uns kennen und verstanden uns auf Anhieb. In der Berufsschule in Dortmund begegneten wir uns wieder. Aus einer Lerngruppe wurde Freundschaft, von da an machten wir alles zusammen“, erzählt der 27-Jährige.
Während er als eher ruhiger Typ sein handwerkliches Geschick entdeckte und 2014 seine Lehrjahre als Kammersieger im handwerklichen Teil erfolgreich beendete, lagen ihre Stärken schon früh bei Beratung und Kundenservice, geprägt durch ihre direkte, doch ehrliche Art. Auch die 32-Jährige absolvierte die Ausbildung mit Bestnoten.
Sehenswert-Gründung noch vor der Meisterprüfung
Nach einigen Jahren im Beruf war beiden klar, was sie wollten: mehr Fachwissen und mehr Verantwortung. So pendelten sie von 2017 bis 2019 täglich nach Köln, um sich in Vollzeit an der Höheren Fachschule für Augenoptik weiterzubilden.
Bereits im zweiten Semester dachten beide ernsthaft darüber nach, ihre fachlichen und persönlichen Stärken zu bündeln und gemeinsam ein Augenoptik-Fachgeschäft zu eröffnen. „Die Ausbildung bei Apollo war zwar sehr hochwertig, doch während unserer Zeit an der HFAK stellten wir fest, dass wir das dort erworbene Fachwissen gar nicht würden anwenden können. Die Ausrichtung von Apollo Optik ist eher auf Umsatz und schnellen Verkauf ausgelegt.“
Poggenpohl und Weber wollten sich hingegen mehr Zeit für jeden Kunden nehmen. Schon während der Vorbereitungen auf die Meisterprüfung gründeten sie eine GmbH. Es folgten Nachtschichten zur Planung und Einrichtung des Ladenlokals, die Auswahl der Fassungen und betriebswirtschaftliche Kalkulationen im heimischen Wohnzimmer – am 23. November 2019 dann endlich die feierliche Eröffnung von „Sehenswert“.
Hier in der Altstadt Hattingens, im Dreieck zwischen Essen, Dortmund und Wuppertal in einer Schleife an der Ruhr, finden sich Fachwerkbauten und Schieferhäuser, aber auch moderne Gebäude wie im Sankt-Georgs-Viertel. Der 80-qm-Laden von „Sehenswert“ beherbergt eine große Verkaufsfläche, im hinteren Bereich den Refraktionsraum mit Platz für Messungen und Kontaktlinsen sowie eine kleine Werkstatt.
Die große Glasfront des Schaufensters offenbart die gemütliche offene Atmosphäre im Geschäft, warme Braun- und Beige-Töne laden zum Betreten ein. In Zusammenarbeit mit einem niederländischen Ladenbauer hatten sich die Inhaber für eine Kernsanierung entschlossen und konnten so alle ihre Vorstellungen umsetzen.
Zentrum des Raums ist ein großer Holztisch, betont durch grüne Pflanzen-Deko an der Decke und goldene Lichtquellen. Er bietet Platz für die Fassungs- und Glasberatung, während an den Wänden und Fensterfronten in offenen Regalen die Brillen in Szene gesetzt werden. An der Theke sind Kasse und Kaffeeautomat gut aufgehoben. Der Umgang mit den Kunden ist herzlich und ungezwungen, auch mit der Journalistin ist man ist schnell beim Du.
Faible für Bohrbrillen
In der kleinen Werkstatt ist gerade mal Platz für einen Handschleifstein – das Gros der Brillengläser wird per Tracer und Fernrandung „in Form gebracht“. Felix liebt es, für seine Kunden individuelle Glasformen zu fertigen, und hat eine große Leidenschaft für Bohrbrillen. „Mit seiner einfühlsamen Art ist er ein wahrer Kundenliebling, vor allem ältere Damen lieben seinen Charme“, erzählt Stefanie.
Sie selbst bringt Struktur, Ordnung und Überblick in das Gemeinschaftsprojekt Sehenswert GmbH. Die Begeisterung der gebürtigen Münchnerin steckt an: „Ich liebe die Vielseitigkeit des Berufs, und dass jeder neue Kunde anders ist und etwas anderes braucht. Kontaktlinsen und Anatomie faszinieren mich jeden Tag aufs Neue, es gibt nichts Spannenderes für mich als ein 40-fach vergrößertes Auge vor der Spaltlampe!“
Grundsätzlich machen beide alles. Stefanie kümmert sich primär um Verwaltung, Buchführung und Marketing und macht alles, worauf Felix keine Lust hat, etwa das Erstellen von Tabellen und Statistiken.
„Unser Alleinstellungsmerkmal: die Anpassung von formstabilen Kontakt- und Speziallinsen sowie unsere optometrischen Dienstleistungen.“ (Felix Mats Weber)
Was ihre gute Zusammenarbeit ausmacht? „Wir ergänzen uns in allen Arbeitsbereichen. Fast wie ein altes Ehepaar bringen wir uns gegenseitig zum Lachen und können auch zusammen weinen. Natürlich gibt es Momente, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind, aber genauso schnell, wie Meinungsverschiedenheiten aufkommen, sind sie wieder vom Tisch. Vertrauen spielt eine sehr große Rolle bei so einem Unternehmen.“
Keine Furcht vor Mitbewerbern
Obwohl sie beide in der Nähe einer Apollo-Filiale arbeiten, empfinden sie das nicht als schwierig. „Wir haben guten Kontakt zu unseren ehemaligen Kollegen, doch haben wir grundsätzlich unterschiedliche Zielgruppen und eine andere Firmenphilosophie. Da kommen wir uns nicht in die Quere.“
Neben Apollo gibt es in dem Ort mit rund 56.000 Einwohnern noch eine Fielmann-Filiale und vier unabhängige Augenoptik-Fachgeschäfte. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist die Anpassung von formstabilen Kontakt- und Speziallinsen sowie unsere optometrischen Dienstleistungen. Auch das Ambiente und unser Anspruch, uns genügend Zeit für jeden Kunden zu nehmen, kommen sehr gut an“, so Felix. Für Berufstätige werden bei Bedarf auch Termine außerhalb der üblichen Öffnungszeiten vergeben.
„Es ist für uns wichtig, zunächst ein ausführliches Anamnese-Gespräch zu führen. Wir tragen alle Informationen zusammen: bisherigen Korrektionen und Erfahrungen mit Sehhilfen, Sehanforderungen im Alltag, der allgemeine Gesundheitszustand, die Einnahme von Medikamenten und anderes mehr. Mit dem Kunden besprechen wir dann, welche unserer Dienstleistungen sinnvoll und notwendig sind.“
So ist der Refraktionsraum nicht nur mit den Meisterurkunden der Inhaber ausgestattet, sondern auch mit einem umfangreichen Messgerätepark von Oculus und Rodenstock. Kombiniert wird die ausführliche Augenmessung meist mit biometrischen Brillengläsern.
Transparente Preise
Zu den angebotenen Dienstleistungen gehören neben der Refraktion Glaukomscreening (Tonometrie, Pachymetrie und Funduskopie), Netzhautbefundung (Easyscan), Farbsehteste, Kontrastsehteste, Prüfung des Dämmerungssehens, Tränenfilmanalyse, Myopie-Management sowie die optometrischen Funktionsprüfungen. Neuerdings ist man auch auf Kinderoptometrie spezialisiert.
„Man muss Kunden klare Angaben an die Hand geben, da wir durch das Internet sehr vergleichbar geworden sind.“ (Stefanie Poggenpohl)
Auf der Website finden sich Angaben zu den Kosten der einzelnen optometrischen Leistungen, wie auch fürs Einschleifen der Gläser und Reparaturen: „Man muss dem Kunden klare Angaben an die Hand geben, da wir durch das Internet sehr vergleichbar geworden sind. Bei uns weiß der Kunde, was auf ihn zukommt. Wir erhoffen uns dadurch eine größere Wertschätzung dieser Dienstleistungen“, sagen die Inhaber.
Bei der Kontaktlinsen-Anpassung sind die Preise nach Aufwand gestaffelt. Hier bringt Stefanie ihre Leidenschaft für formstabile Kontaktlinsen ein. Außerdem passt sie formstabile Multifokallinsen sowie Linsen zur Orthokeratologie- und Keratokonus-Versorgung an.
Das Brillen-Sortiment beinhaltet viele Independent Labels wie Coblens, Andy Wolf, Barton Perreira und Lunor, aber auch Lizenzmarken wie Mini Eyewear, Moncler und Guess. Ein großer Teil wird in Deutschland hergestellt. Auch wenn die beiden Inhaber bei den Fassungen nicht strikt auf Nachhaltigkeit schauen, sind hier neben Bio-Acetaten auch reichlich Naturmaterialien vertreten mit Hoffmann Natural Eyewear (Naturhorn) und Woodfellas (Holz). Zudem bietet „Sehenswert“ mit BO 44 eine regionale Marke aus der Nachbarstadt Bochum an: handgefertigte Unikate mit innovativem Design.
Der Zeitaufwand für die ausführliche Messung und Beratung von bis zu zwei Stunden ist nur mit Terminplanung möglich. Von daher konnten die beiden „Rookies“ der Corona-Pandemie, die wenige Monate nach Geschäftseröffnung im Frühjahr 2020 ihr Gemeinschaftsprojekt bedrohte, sogar etwas Positives abgewinnen, machte sie doch die Kundenbetreuung nach Termin zu einem ganz normalen Procedere.
Nicht unterkriegen lassen
Wie es jetzt weitergeht mit rasant steigenden Energiekosten und womöglich immer sparsameren Konsumenten, beschäftigt auch die beiden Jungunternehmer. So stellte die frisch verheiratete Stefanie ihre geplante, große Hochzeitsfeier erst einmal zurück. Aber unterkriegen lassen wollen sie sich nicht.
Den Kundenstamm von „Sehenswert“ beschreibt das Duo als vielfältig. „Wir haben eine gute Mischung, sowohl ältere stylische als auch jüngere gesundheitsbewusste Leute. Mittlerweile hat sich auch herumgesprochen, dass man bei uns beides in Kombination bekommt: modische Beratung, aber auch Beratung im Sinne von Seh- und Augengesundheit.“
Damit es noch mehr solche anspruchsvollen Kunden in die Sankt-Georgs-Straße zieht, nutzt „Sehenswert“ die sozialen Netzwerke mit Facebook, Instagram und Co – und lässt die besten Kundenbewertungen von dort auf der Geschäftshomepage für sich sprechen.
Artikel in der Tageszeitung gab es auch schon, zweimal im Jahr macht man ein Kundenzeitung. Seit kurzem engagiert sich Stefanie zudem als Vorsitzende in einem Marketing-Verbund des Viertels und nutzt die Werbeeffekte mit 17 anderen Geschäften.
Vernetzungen vor Ort lohnen sich. Das haben Stefanie und Felix mittlerweile herausgefunden. Stadtfeste wie der Hattinger Herbst Anfang Oktober locken regelmäßig potenzielle Kunden aus der Umgebung in die Einkaufsstraßen und die Altstadt von Hattingen. Auch in die Sankt-Georgs-Straße zu „Sehenswert“ mit seinem Augenoptiker-Dream-Team.
Augenoptiker*in zu sein ist vielseitig und herausfordernd zugleich. Wer hier mit Mut zum Risiko und frischen Ideen erfolgreich seinen Weg geht, verdient unsere ganze Aufmerksamkeit. In jeder Ausgabe von eyebizz portraitieren wir Unternehmer-Persönlichkeiten, die kennenzulernen sich lohnt.
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