„Die Spreu vom Weizen trennen“ – da kommt das Getreidekorn als wertvolles Nahrungsmittel bestens weg. Doch das Abfallprodukt Spreu holt auf und ist so nutzlos nicht. Im Gegenteil. Als Ersatz für Kunststoff findet es eine neue, nachhaltige Bestimmung. Wie bei GrainSustain von Stadtholz, den Brillen vom Kornfeld.
Seit 2009 stellt Stadtholz fair produzierte, nachhaltige Produkte her. Vor allem mit aufwändig gefertigten Holzbrillen ist das Label aus Bad Zwischenahn (Niedersachsen) erfolgreich. Gründer Christian Puzik verfolgt konsequent sein Konzept, Werkstoffe, Arbeitsvorgänge und Produkte besser im Sinne von umweltschonender zu machen. Weil die Holzbrillen ab 300 Euro Verkaufspreis nicht für jeden erschwinglich sind, suchte er nach einer preisgünstigeren Alternative und testete neue Materialien.
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Eine überzeugende Lösung fand Puzik in einem Reishülsen-Hybridmaterial, ein Rohstoff, der sich im Herstellungsprozess gut verarbeiten lässt, pflegeleicht und funktional ist. Fassungen daraus lassen sich leicht mit den bekannten Techniken anpassen.
Getreideabfall für Geschirr und Autos
Werkstoffe, die Abfallprodukte aus der Landwirtschaft nutzen, wie Hülsen von Reis und anderen Getreidekörnern (Spelzen), die nach Dreschen und Schälen übrigbleiben, finden seit einigen Jahren Verwendung als Plastikersatz, z.B. für Geschirr oder Fahrzeugteile. Das Naturmaterial wird unter Beigabe eines umweltfreundlichen Bindemittels (Cellulose, Harz) und Wasser gemischt und unter Hitze in die gewünschte Form gepresst oder gespritzt. Ursprünglich beigebraun lässt sich das stabile Material mit natürlichen Farben beliebig einfärben. Wird das Produkt später entsorgt, ist es kompostierbar.
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Mio. Tonnen Getreide
wurden 2020/21 weltweit industriell verwertet, 736 Mio. für Lebensmittel und 1 Mrd. (ca. 50 Prozent der insgesamt 2,1 Mrd. Tonnen) als Futtermittel. Tendenz insgesamt steigend.
(Quelle: International Grains Council IGC, London, 2021)
Unter dem Namen GrainSustain (Grain= Getreide, sustain=nachhaltig) startet Stadtholz mit einem ersten Modell dieser Bio-Brillen. „Da wir ein kleines mittelständisches Familienunternehmen sind, haben wir uns zu Beginn auf ein Modell festgelegt. Weitere fünf Modelle sind geplant“, so Puzik.
Stadtholz: Allianz aus Urbanität und Natur
Seit seiner Kindheit liebt der 37-Jährige die Natur und natürliche Materialien. In der heimischen Werkstatt startete er mit ersten Versuchen an Sonnenbrillen aus Holz. Noch während des Studiums (Produktdesign, Sportwissenschaften im Bereich PR/ Marketing/ Journalismus) gründete er die Stadtholz UG und entwickelte die Produkte weiter.
Allen Menschen die Natur näherzubringen, besonders den Städtern, ist Christian Puzik wichtig. Im Namen Stadtholz bilden die Gegensätze Urbanität und Natur eine harmonische Allianz.
Zu den Holzbrillen kamen mit der Zeit Uhren, Fliegen, Handyhüllen und andere Accessoires, die im eigenen Geschäft in Bad Zwischenahn und im Online-Shop verkauft werden. Die Firma wuchs stetig, blieb dennoch überschaubar. „Mein Ziel war nicht, ein riesiges Unternehmen oder ein großes Team zu haben. Sämtliche Wege, Strukturen und Abläufe müssen kurz und effektiv geregelt sein – mit dem Ziel, wenig Ressourcen zu verbrauchen und Kosten zu sparen. Wir arbeiten viel mit Freiberuflern und Handelsvertretern zusammen, um die Kunden kümmern wir uns persönlich.“
Mit Erfolg. In der D-A-CH-Region bieten rund 400 Augenoptiker*innen die Brillen, Holzfliegen und Holzuhren an.
Nachhaltigkeit als ganzheitliche Aufgabe
Das kreative Unternehmen verarbeitet Resthölzer aus verschiedenen Industrien, z.B. der Möbelindustrie, die zertifiziert sind und aus legalem Baumschlag stammen. Auch Bio-Acetat kommt zum Einsatz.
Zu einer nachhaltigen Firmenführung gehört für Christian Puzik aber noch mehr: faire Löhne und soziale Arbeitsbedingungen sowie transparente Abläufe von der Beschaffung der Rohstoffe bis zum Versand. Um die CO2-Bilanz zu verbessern, verzichtet er auf große Lagerbestände und beheizte Lagerräume, nutzt vor allem recycelte Büromaterialien und Verpackungen. Die zentrale Organisation in Bad Zwischenahn mit Lager, Werkstatt, Versand und Büro an einem Ort minimiert Transportwege, spart Energie und Kosten.
Seit vergangenem Sommer ist Stadtholz Mitglied bei der Organisation Greenspark. Christian Puzik: „Mit jedem verkauften Produkt kann man seinen CO2-Fußabdruck reduzieren, Bäume pflanzen oder Plastik aus den Weltmeeren entfernen lassen. Auch das passt zum nachhaltigen Gedanken unserer neuen Brillen.“
/// PE
„Auch die Halme werden verwendet“
Mit dem neuen Material zeigt Stadtholz eine spannende Alternative für Brillenfassungen aus umweltbelastenden Kunststoffen. 3 Fragen an Christian Puzik, Gründer und Geschäftsführer von Stadtholz.
Herr Puzik, warum ist Getreideabfall für die Brillenproduktion interessant?
Das Material wird ähnlich wie herkömmlicher Kunststoff hergestellt. Es lässt sich in jede beliebige Form flüssig und fest verarbeiteten. Dabei ist es stabil, dennoch flexibel, enthält keine schädlichen Weichmacher, und ist – bis auf die Gläser – kompostierbar. Für Brillen besitzt GrainSustain die gleichen Eigenschaften wie Kunststofffassungen – es ist unter Wärme anpassbar, verformbar und extrem leicht.
Wichtig: Für die Herstellung werden keine Nahrungsmittel verschwendet. Ein minimaler Teil besteht aus Ähren und Reiskörnern, auch die Halme werden verwertet. Den größten Teil machen die nicht essbaren Reishülsen aus, die auch erfolgreich als natürlicher Dünger, Isoliermaterial oder Kraftstoff Verwendung finden.
Wie liegen die Modelle preislich?
Unsere Holzbrillen fertigen wir größtenteils von Hand. Hier sind viel mehr Arbeitsschritte nötig. Die Brillen aus Reishülsen kosten mit einem UVP ab 29 Euro wesentlicher weniger, die Modelle im Bild liegen bei knapp 40 Euro. Eine Konkurrenz zu uns selbst sehen wir dadurch nicht. Stadtholz steht für qualitative Holzbrillen. Das bleibt auch so und wird durch die neue Linie nur ergänzt, sodass wir auch andere Zielgruppen, z.B. jüngere Menschen mit geringeren Einkommen, die für Nachhaltigkeit weniger ausgeben können oder wollen, erreichen können.
Welche neuen Produkte planen Sie als nächstes?
Bei den Holzbrillen wird es mehr Modelle mit Carbonfaser-Verstärkung geben, da arbeiten wir noch an Anpassbarkeit oder Veredelung. Und wir planen, Einzelstücke komplett individuell in Holzart, Farbe und Form mit dem Kunden zu designen, über die Beratung beim Augenoptiker.