„Diese Technik kann eine ganze Industrie revolutionieren“
Sven Neitzel und Konrad Feiler: Generation App
von Dagmar Schwall,
2018 haben sich Sven Neitzel und Konrad Feiler zusammengetan, um mit ihrem Start-up LooC die Augenheilkunde zu digitalisieren und damit ein Stück weit zu revolutionieren. Seit 2019 gibt es ihre Augentest-App im App-Store und ist dort auf Platz 1 bei den Augentests in Deutschland. Doch die beiden digitalen Antreiber sind längst mit weiterführenden Visionen beschäftigt. [13366]
Anzeige
eyebizz: Herr Neitzel, woran arbeiten Sie gerade?
An einer Funktion zur digitalen Ausmessung der Zentrierung. Unser Ziel ist es, eine solche Messung digital für unsere Kunden anzubieten, damit nicht nur Brillenfassungen, sondern auch die richtige Verglasung bestellt werden kann.
Gibt es nicht schon Apps, die das anbieten?
Das stimmt. Wir haben uns die Mühe gemacht, eine ganze Reihe davon zu testen, doch leider gab es keine, die auch nur in die Nähe der richtigen Messung gekommen ist.
Was ist das Problem?
Das könnte sehr gut funktionieren, wenn die Apps nicht schon den Fehler in der Entfernungsmessung machen würden, die sie leider nicht genau wissen. Mit unserer Funktion versuchen wir geringe Abweichungen besser einzukalkulieren, indem wir den Winkel und den Abstand des Kopfes zum Gerät messen. Damit bekommen wir ein Ergebnis, das sich mit dem eines professionellen Gerätes beim Optiker vergleichen lässt.
Das Feld der Augenheilkunde wird nicht zwangsläufig von Start-ups überrannt. Wieso diese Spezialisierung?
Konrad ist Programmierer für IOS und startete das Projekt zusammen mit einem Augenarzt 2010. Sie brachten einen Sehtest heraus, der auch gleich auf Platz 1 im Ranking der deutschen Medizin-Apps stand. Ich bin 2018 dazu gekommen. Damals war Konrad auf der Suche nach einem Designer, der die App überarbeitet und auf den neuesten Stand der Handhabung bringt. Wir haben die App technisch weiterentwickelt und eine automatische Entfernungsmessung zwischen Nutzer und Gerät eingebaut. Eine Technologie, die erst durch die Geräte mit FaceID möglich wurde.
Wenn die App so gut läuft, wieso dann die Entwicklung einer virtuellen Brillenanprobe?
Wir haben schnell gemerkt, dass die Augmented-Reality-Technologie von Apple noch viel mehr kann und haben Tests mit einem Kunden aus Los Angeles und seinen digitalen Brillen gemacht. Er war begeistert. Dann wussten wir, dass diese Technik eine ganze Industrie revolutionieren kann. Vollständig umgesetzt haben wir die App dann erstmalig für Grafix aus Rathenow, einem der wenigen Hersteller von Titanbrillenfassungen aus Deutschland. Mit der App kann Grafix nun individualisierbare Brillen anbieten, die sich an die Gesichtsform des Nutzers anpassen lassen. Damit hat sich ein komplett neues Geschäftsmodell aufgetan.
Inwiefern kann eine solche App auch Optikern helfen?
Grafix bietet ihre App direkt für Optiker-Geschäfte an. Die Optiker nehmen die Kunden auf eine digitale Anprobe mit, zeigen im Vergleich physische Modelle und stellen mit den Kunden digital Veränderungen der Brille im System ein. Der so angepasste Modellrahmen wird an die Rathenower weitergeleitet und sie erhalten aus unserem System gleich noch eine Schnittdatei für die Produktion. Insofern profitieren alle Parteien und der Kunde hat Zugang zu einem ideal angepassten Design.
Wer ist Ihr größter Konkurrent?
Wir bewegen uns zwar im Bereich der digitalen Augenheilkunde, doch mit den Sehtests, der virtuellen Anprobe und der Gesichtsvermessung sind wir relativ einzigartig. Es gibt keinen Hersteller, der ein Ökosystem dieser Form anbietet. Auf der anderen Seite bauen große Hersteller wie Luxottica ihr digitales Angebot massiv aus. Das erhöht den Druck auf mittelständische Unternehmen und verursacht vielerorts Bedenken, nicht an der Digitalisierung teilnehmen zu können. Wir versuchen, durch unser Angebot dieser Entwicklung entgegenzuwirken, und helfen kleineren Firmen, ihre eigene App basierend auf ihrem Businessmodell und zu einem bezahlbaren Preis zu erstellen.
Was unterscheidet Ihre Try-On-App von anderer Software?
Jede unserer Entwicklungen stellt den Nutzer in den Mittelpunkt. Dabei schauen wir genau, wie das Design mit der neuesten Technik zusammenzubringen ist. Bei der digitalen Brillenanprobe achten wir darauf, dass die Brillen besonders realistisch aussehen. Wir entwickeln Lichtverhältnisse und erzeugen Reflexionen so, dass eine digitale kaum von einer analogen Brille zu unterscheiden ist.
Hinzu kommen viele Details, wie beispielsweise das Öffnen und Schließen der Brillenbügel beim Anprobieren. Der Nutzer kann die Brille auf seiner Nase hoch und runter schieben. Solche Möglichkeiten sehen wir bei keiner anderen App. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich das Design der Brille in gewissen Grenzen verändern lässt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Augenbranche?
Durch die Digitalisierung werden neue Geschäftsfelder erschlossen und traditionelle umgewandelt. Jeder, der diese Veränderung erkennt, wird sich zum Positiven weiterentwickeln können. So wird in Zukunft der Arzt über eine App direkt mit seinen Patienten kommunizieren, Optiker werden ein längerfristiges Verhältnis mit ihren Kunden eingehen können, und für Hersteller wird es wieder lukrativ, im eigenen Land zu produzieren.
Wie digital seid Ihr persönlich?
Sehr. Konrad besitzt sogar ein Gerät, das digital die Luft im Büro ausmisst. Ich bin vollends Designer, der Gestaltung und Technik zum besten Zweck zusammenbringen möchte. Es gibt aber wichtigere Dinge als Technik, etwa dass Konrad und ich im letzten Jahr Vater geworden sind. Vater zu sein ist doch eines der schönsten Dinge. Da kann man das Handy schon schnell vergessen.