Geschäftsführer der Fielmann Ventures im Interview
Thomas Rützel: Fielmann-Brückenkopf ins Digitale
von Christine Höckmann,
Erst kam die Physik, dann das Digitale. Heute fungiert der Geschäftsführer der Fielmann Ventures, Thomas Rützel, als Brückenkopf in die Digitalorganisation der Fielmann AG, in der mehr als 300 Beschäftigte am Omnichannel-Modell des Branchenprimus arbeiten: mit 3D-Anprobe, 3D-Anpassung und Online-Sehtest. [13242]
Nach Abschluss seines Physik-Studiums in Hamburg sammelte der 34-Jährige zunächst Erfahrung als Business Technology Consultant bei McKinsey in der Steuerung großer IT-Projekte, der Post-Merger-Integration und im High-Tech-Sektor. Er erwarb die Abschlüsse „Master of Public Administration“ und „Master of Public Policy“ der Columbia University in New York und der Hertie School of Governance in Berlin.
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Ab 2014 war Thomas Rützel für Westwing Home & Living in München im E-Commerce tätig, bevor er 2016 als Geschäftsführer der Fielmann Ventures zurück nach Hamburg kam. Hier führt er ein Team von rund 20 internationalen Spezialisten, die ein schlagfertiges Netzwerk für diese führende Plattform der augenoptischen Branche knüpfen. Die Fielmann Ventures wurde 2012 als hundertprozentiges Tochterunternehmen der Fielmann AG gegründet und ist für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien und Geschäftsmodellen verantwortlich.
Herr Rützel, welche Rolle spielt die Fielmann Ventures für das Unternehmen?
Wir sind Forschungseinheit, strategischer Partner und Risikokapitalgeber in einem. Unser Team ist nicht nur bestens vernetzt, sowohl innerhalb als auch außerhalb der augenoptischen Branche, sondern auch extrem flexibel – eine Grundvoraussetzung für disruptive Innovationen. Schließlich ändern sich Kundenbedürfnisse heute immer schneller. Erfolgsentscheidend ist, das rechtzeitig zu antizipieren und Entwicklung zu gestalten. Als Marktführer haben wir hier eine besondere Verantwortung.
Alle sind gespannt auf den Multichannel-Ansatz, den Fielmann ab 2021 verwirklicht. In der Online-Pressekonferenz hieß es dazu, das Modell soll nun „rasch an Bedeutung gewinnen“…
Die Fielmann Ventures arbeitet an drei Schlüsseltechnologien, die den Online-Brillenkauf in Fielmann-Qualität ermöglichen: eine verlässliche 3D-Anprobe, eine millimetergenaue 3D-Anpassung und ein Online-Sehtest. Wir migrieren diese Technologien im Laufe dieses Jahres in unsere Fielmann-App. Mittelfristig rechnen wir bei Korrektionsbrillen trotzdem weiterhin mit einem stationären Anteil von 90 Prozent, weil viele Messungen immer noch in der Niederlassung vorgenommen oder dort präzisiert werden. Insofern liegt die Zukunft in der intelligenten Verbindung aus persönlicher Beratung und digitalen Services, dem Omnichannel-Geschäftsmodell.
Welche digitalen Features stecken jetzt schon im neuen Fielmann-Flagshipstore Mönckebergstraße?
Unser Flagshipstore dort zeigt, wie wir Omnichannel verstehen: Wir sprechen alle Kundengruppen gleichermaßen an. Der Kunde entscheidet selbst, welcher Service für ihn der richtige ist. Einige kaufen künftig rein online, andere weiterhin nur stationär, viele wechseln im Lauf der Customer Journey. Die Grenzen zwischen online und offline verschwimmen – das kann man in der Mönckebergstraße erleben. Wir nutzen Augmented Reality sowohl online als auch in der Niederlassung, können dank RFID-Technologie Brillen sekundenschnell finden und auch unsere Fielmann-Focus-Technologie – sie ermöglicht die 3D-Anpassung – ist im Einsatz. Firmenkunden beraten wir nicht nur zu Arbeitsplatzbrillen und Schutzbrillen, sondern bieten als Erster auch eine Full-Service-Lösung rund um Smart Glasses an.
Auf welche digitalen Lösungen dürfen sich Fielmann-Kunden freuen?
Im vergangenen Jahr wurden unsere Websites mehr als 20 Millionen Mal besucht, wir verzeichneten knapp sechs Millionen Nutzer unserer digitalen Services – zum Beispiel die Online-Terminvereinbarung, der Auftragsstatus und unsere Omnichannel-Plattform für Kontaktlinsenkunden. Das größte Ärgernis für Fielmann-Kunden sind Wartezeiten, und die gehen wir mit einer Kombination aus drei innovativen Technologien an: Die Kombination aus der Online-Terminvereinbarung, einem digitalen Zeitmanagement-Tool und der digitalen Personaleinsatzplanung erlaubt es uns, Kunden und Mitarbeitern Zeit zu sparen, gleichzeitig erhöhen wir die Produktivität.
Zudem bieten wir unseren Kunden heute schon den Fielmann Finder: Sie können virtuell Sonnenbrillen in 3D anprobieren. Dabei lernt der Finder aus dem Klickverhalten des Nutzers, was ihm gefällt, und schlägt entsprechende Modelle aus unserem Sortiment vor. Viel wichtiger aber, der Finder beantwortet erstmals auch die Frage, ob die Brille dem Kunden passt. Als digitales Pendant zum Stöbern im Laden ist der Service ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Omnichannel-Plattform von Fielmann.
Sie sprachen bereits RFID-Technologie an. Wie setzen Sie die ein?
Wir testen zahlreiche Anwendungsfälle der RFID-Technologie in mehreren Niederlassungen. In unserem Flagshipstore in der Hamburger Innenstadt verbinden wir alle Use Cases: Über maßgeschneiderte Antennen, die wir im Ladenbau integriert haben, lassen sich unterschiedliche Anwendungen realisieren. Sie reichen von spielerisch-inspirativen Features, die Artikelinformationen auf Screens in der Niederlassung ausspielen, bis hin zur Fassungslokalisierung. Über Tags in den Preisschildern der Fassungen kann das System ausgeben, in welcher Etage, auf welchem Tisch und in welcher Schublade sich das Modell befindet. So helfen wir Augenoptikern, eine bestimmte Brille in der Riesenauswahl aus tausenden Artikeln sekundenschnell zu finden. Auf Basis der Erfahrungen in der Mönckebergstraße entscheiden wir über den weiteren Rollout der Technologie.
Was ist die wichtigste Technologie im Multichannel-Bereich, die 3D-Anprobe, die millimetergenaue 3D-Anpassung oder der Online-Sehtest?
Diese drei Technologien, marktreif und kombiniert, sind die Voraussetzung für den Onlinekauf in Fielmann-Qualität.
Welche Entwicklungen bei Fielmann sind ausgereift, welche stecken noch in den Kinderschuhen?
Beim Online-Sehtest sehen wir im Markt derzeit keine Lösung, die zuverlässig die Refraktionswerte über die Distanz bestimmen kann. In der Fielmann Ventures arbeiten wir seit Ende 2018 an einer eigenen Technologie für Smartphones, die wir Fielmann Vision nennen. Einen ersten Prototypen haben wir vor einem Jahr fertiggestellt. Unsere aktuellen Testrunden stimmen uns sehr zuversichtlich bezüglich des Go-Live einer ersten Version.
Für die 3D-Anpassung nutzen wir in unseren Niederlassungen bereits standardmäßig unsere tabletbasierte Technologie Fielmann Focus, konnten so den Algorithmus bereits mit Millionen Messungen trainieren. Noch in diesem Jahr werden wir die Technologie vollständig automatisiert auf das Smartphone unserer Kunden bringen. Für Kunden mit stärkerer Fehlsichtigkeit arbeiten wir zudem gemeinsam mit FittingBox an einer Lösung, die es ermöglicht, die aktuelle Brille des Kunden digital aus dem Gesicht zu entfernen, und es so erscheinen zu lassen, als trüge er keine Brille. Wir nennen das „diminished reality”. So muss der Kunde bei der Anprobe virtueller Modelle seine Brille nicht absetzen und kann viel leichter als bisher erkennen, ob ihm die ausgewählte Fassung passt. Die Technologie ist fertig, jetzt arbeiten wir an der Integration in unsere Omnichannel-Plattform.
Welche Bedeutung hat die Fielmann-Kooperation mit Ubimax? Zum Hintergrund für unsere Leser: Das Bremer Start-up gilt als aussichtsreicher Entwickler von Datenbrillen für industrielle Prozesse. Über 400 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, darunter Airbus, BMW und Siemens, setzten bereits auf Software-Lösungen von Ubimax.
Gemeinsam mit Ubimax begleitet Fielmann Firmenkunden beim gesamten Prozess von der Hardwareauswahl über die Vermessung und Anpassung der Smart Glasses bis zur Schulung der Mitarbeiter. Wir sind die ersten Anbieter, die diese Leistungen integriert und flächendeckend anbieten können. Mit der Partnerschaft profitiert Fielmann vom Trend zu Smart Glasses am Arbeitsplatz. Wir bauen so frühzeitig Kompetenzen im Service und in der hardware-agnostischen Softwareentwicklung für diese Schlüsseltechnologie auf.
Wie sieht das Online-Geschäft in fünf Jahren aus?
Die Kunden werden sich ganz selbstverständlich durch unsere Omnichannel-Angebote bewegen, ohne zwischen online und offline zu unterscheiden. Dabei bleibt die Beratungskompetenz unserer Augenoptiker unersetzbar. In meinen Augen bietet die Digitalisierung spannende Chancen, um durch den intelligenten Einsatz von Technologie neue Angebote für Brillenträger zu schaffen. Vielleicht werden aus Augenoptikern dann sogar Optotroniker, die unsere Kunden mit neuen Technologien und herausragender Fachkompetenz noch besser bedienen können. Wichtig ist, dass wir uns stetig weiterentwickeln und Digitalisierung als Chance begreifen, den Markt im Dienst der Kunden zu verändern.