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Wie es ein Brillen-Start-up fast geschafft hätte

Traum geplatzt, Freisicht erledigt

Eine der überzeugendsten Start-up-Gründungen in den letzten Jahren: Mit Brillen aus einem Stück heimischem Massivholz individuell gefertigt, startete Freisicht fulminant: Linus Frank und Sebastian Wittmann aus Bayern gewannen Preise, Investoren, die Sympathien der Medien und vieler Brillenträger. Doch in der Pandemie rutschte das Unternehmen in die Krise. Ingo Rütten hat Freisicht von 2017 an begleitet und fragte nach den Gründen für das Scheitern.

Freisicht Eyewear: die Gründer
Ein Foto aus der ersten Zeit: Gründer Sebastian Wittmann (links) und Linus Frank (rechts) mit ihrem Designer Thomas Winter – die Ventilette ist lange Zeit das wichtigste Utensil im kargen Büroraum der Freisicht-Zentrale

2017, gute zwei Jahre nach der Idee, eine Brillenfassungs-Manufaktur aufzubauen und nachhaltige und anpassbare Holzbrillen auf den Markt zu bringen, läuft Sebastian Wittmann über die opti und macht auf sich und sein Start-Up aufmerksam. „Freisicht sustainable eyewear“ lebt auch von der offenen Art seiner zwei Gründer. Während Sebastian Wittmann fürs Marketing zuständig ist, kennt sich Linus Frank mit dem natürlichen Werkstoff Holz aus.

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Nach der Silmo ein paar Monate zuvor ist es das zweite Mal, dass die Holzbrillen von Freisicht bei einer Messe vor neugierigen Kunden auf dem Tresen liegen. Wittmann hat damals noch Zeit, Kontakte an anderen Messeständen zu knüpfen, und treibt mit Frank die Idee aus gemeinsamen Studienzeiten voran. Die beiden gewinnen Thomas Winter als Designer und ein paar Jahre später beachtenswerte Preise.

Vollgas bis zum Anschlag

Sie landen beim bayerischen Gründerwettbewerb Plan B auf dem ersten Platz, wo insbesondere Geschäftsideen für die biobasierte Wirtschaft ausgezeichnet werden. Der Sieg bringt Renommee und „5.500 Euro Preisgeld für die Weiterentwicklung des Unternehmens“, freute sich Wittmann seinerzeit über die Ehrung. „Das ist eine wunderbare Chance für uns, noch mehr Menschen von den Möglichkeiten des Werkstoffs Holz zu überzeugen und weitere Fans zu gewinnen.“

Freisicht Eyewear: Woodflex
„Woodflex“ nannte Linus Frank das von ihm erfundene und patentierte Verfahren, das Massivholzbrillen anpassbar macht

Freisicht wächst, gewinnt 2019 den Silmo d’Or, kommt mit der Lieferung der bestellten Fassungen nicht hinterher. Ein Warnzeichen dafür, dass eine gute Idee zur rechten Zeit, ein klarer Kopf, ein stringenter Plan und „Vollgas bis zum Anschlag mit immerzu 140 Prozent Einsatz“ (Frank) trotzdem keine Garantie für langfristigen Erfolg sein müssen. Heute gibt es Freisicht nicht mehr, die GmbH wurde durch den bestellten Liquidator bereits im Herbst 2021 aufgelöst.

Und doch scheint es auch heute noch, als machten die drei Jungunternehmer damals alles richtig. Frank kommt aus einer Familie, die seit mehr als einem Dreiviertel-Jahrhundert Holzinstrumente baut, mit Wittmann möchte er nachhaltige Brillen aus Holz herstellen, so wie es gewachsen ist, Made in Germany, heute und in Zukunft.

Das bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, denn die Bruchneigung und das Quellverhalten von Holz müssen die Pioniere erst in den Griff bekommen. Als das gelungen und ein Patent für die Lösung angemeldet ist – eine selbst entwickelte Technologie, die Fassungen aus massivem Holz sogar mit einer Ventilette anpassbar macht –, scheint der Weg frei zu sein, unter Herstellern von Holzfassungen bald einen herausgehobenen Rang einnehmen zu können.

Gründer wird Gesicht des Labels

Doch die Produktion inklusive Lieferzeiten und der Vertrieb blieben stets zwei der ganz großen Herausforderungen. Das „grüne Produkt“ – aus heimischem Holz in Deutschland produziert – und die Preise und Ehrungen machten Freisicht bekannt. Doch für den erhofften Umsatz musste immer auch die komplette Story erzählt werden.

Freisicht Eyewear: Preis von Plan B
Beim bayerischen Gründerwettbewerb Plan B kam Freisicht 2019 auf den ersten Platz, angelte sich auch noch den Publikumspreis – Produkt, Story und Gründer kamen an: Sebastian Wittman wurde das „Gesicht“ des jungen Unternehmens

Für die wenigen Marketing-Kampagnen und Broschüren stand Wittmann selbst Modell, die anderen „lebenden“ Motive werden aus Familie und Freundeskreis rekrutiert. Vor allem waren es die Messen, die für die drei „Jungs“ aus Freising und Umland die Möglichkeit bieten, auf sich aufmerksam zu machen. Letztlich wurde das dem Label zum Verhängnis.

„Rund 80 Prozent unserer Aufträge generierten wir über die Messen. Als die dann wegen der Pandemie ausgefallen sind, wurde die Durststrecke für uns zu lang, wir sind in die Knie gegangen“, erklärt Frank heute, ein gutes halbes Jahr nach der Auflösung der Freisicht GmbH, die im Übrigen ohne Insolvenz endete, sodass viele Beteiligte und insbesondere die Gründer zwar mit einem finanziellen Schaden, aber letztlich mit blauem Auge davonkamen.

Niemand weiß, wie es ohne Pandemie weitergegangen wäre, denn die Situation davor war noch vielversprechend: „Uns gelang es, mithilfe des ‚Woodflex‘-Verfahrens Brillenfassungen aus Holz wirklich marktfähig zu machen“, sagt Frank, der das Verfahren selbst erfunden hat. Heute vermittelt er anderen Gründern Know-how und gibt seine Erfahrungen weiter. Ein klarer Fokus auf das Wesentliche, ein gutes Team drumherum und das Wissen, dass es Höhen und Tiefen geben wird, stellt er dabei heraus. Das alles hat er ja selbst erlebt.

Wachstum erzeugt Druck

Der frische, nahbare Erfolg des jungen Unternehmens machte damals neugierig. Ein Investor stieg bei Freisicht ein, das Unternehmen wurde in „Freisicht – pioneering spirit“ umgetauft, man legte jetzt mehr Wert auf Pioniergeist, weniger auf Nachhaltigkeit. Doch mit der Corona-Pandemie und den ersten Messe-Ausfällen lief es nicht mehr so rund wie 2015, als mit einem EXIST-Gründerstipendium alles begann. Ein Jahr später unterstützte der erste Geldgeber, 2017 lief die Produktion bereits derart erfolgreich an, dass schon der Umzug in eine größere Werkstatt anstand.

Zwischenzeitlich hatten ein halbes Dutzend Handelsvertreter die Freisicht-Kollektion in ihrem Kofferraum und waren damit quer durch die Republik unterwegs. „Wir brauchen gute Vertreter für unsere guten Augenoptiker*innen“, sagt Wittmann damals. „Du musst den Leuten unsere Story schon erklären, nicht nur, weil die Fassungen ab 259 Euro sicher zu den Hochpreisigeren gehören.“

Etablierung braucht Zeit

In der neuen Werkstatt tüftelten die Hochmotivierten parallel an der Automatisierung der Produktion; an zusätzlichen Fräsmaschinen standen immer mehr Teilzeitkräfte, die den Gründern buchstäblich zur Hand gingen, denn die unterschiedlichen Produktionsstufen erfolgten vielfach manuell. Ein vierter festangestellter Mitarbeiter für den Vertrieb kam hinzu.

Von einem Verkauf, der schon zwei Jahre nach der Gründung als Option für die Zukunft im Raum stand, wollten die Jungunternehmer nie etwas wissen. Frank wusste sehr wohl, dass es noch einige Jahre dauern würde, den Optikermarkt großräumig zu erschließen. So sagte er es damals dem Handelsblatt, das wie viele Medienhäuser die Story rund um Freisicht begeistert druckte. „Ich bin mir sicher, dass wir das sehr lange machen werden. Wenn wir Träger mit unseren Brillen sehen, geht uns das Herz auf.“

Und heute? „Der Traum ist geplatzt, das ist für uns hart, auch wenn wir glimpflich aus der Sache herausgekommen sind. Es war aber eine lehrreiche Zeit“, sagt Frank, der mit seinem Kumpel selbst in der Startphase durch das Gründerstipendium ohne Kredite und Anteilsverkäufe wachsen und auch den Lebensunterhalt bestreiten konnte.

Dass nicht alles so reibungslos funktionierte, zeigte sich 2019. Unter dem Namen „Save –sunglasses“ versuchten sie, Sonnenbrillen online im Direktvertrieb zu verkaufen. Jede Brillenfassung war aus regionalem massivem Bergahorn herausgearbeitet. „In Handarbeit in Bayern. Das Holz haben wir mit unserem selbst entwickelten Verfahren veredelt. Zeitlos schöne Unikate mit Top-Gläsern für Winter und Sommer, auf Wunsch auch mit individuellem Etui.“

Ausweg Crowdfunding?

Parallel bemühten sie sich um weitere Unterstützung, in finanzieller Hinsicht war das für den Onlineshop und die Sonnenbrillen-Idee nötig. Helfen sollte eine Crowdfunding-Kampagne, die aber nur 36 Unterstützer fand und nur 4.538 Euro einsammelte – statt der Zielsumme von 20.000 Euro Die Finanzierung des Projektes misslang, die Shop-Seiten sind längst wieder offline. „Auch hier sind wir durch die Pandemie gebremst worden“, so Frank heute, seine Stimme klingt, als habe er einen Kloß im Hals.

Freisicht Eyewear: die Werkstatt
Die Werkstatt muss laufen, die Produktion war neben dem Vertrieb eines der großen Themen und Probleme von Freisicht – für Personal und Maschinen brauchte es auch Geld und damit Investoren

Ambitionen, das einte Linus Frank, Sebastian Wittmann und Thomas Winter von Beginn an, der Ehrgeiz und die Lust, die gemeinsame Idee – ihr Projekt – zu verwirklichen. Vor Corona war es noch das erklärte Ziel, die Produktion auf 5.000 Brillenfassungen im Jahr (knapp 420 im Monat) zu steigern. Bis zum Beginn der Pandemie verließen monatlich 150 Fassungen aus Massivholz, Handmade in Germany, die Manufaktur in Freising. Mehr konnte die Produktion nicht leisten.

Dann setzte mit dem ersten Lockdown im März 2020 starke Zurückhaltung bei den Augenoptiker*innen ein, Messen fielen aus, der Schwung durch die Ehrungen und die erlangte Bekanntheit verebbten, die Luft wurde dünner.

Letzte Lebenszeichen

Auf der opti 2020 konnten Branchenfachleute die Freisicht-Holzbrillen noch in den Händen halten, über die natürliche Maserung staunen, die Anpassbarkeit erleben, die immer noch faszinierende Gründergeschichte anhören und letztlich das Gesamtkonzept mitsamt den Verantwortlichen für gut befinden.

Nach dieser Messe aber wurde es ruhig um die drei Jungunternehmer, im Herbst 2020 gab es eine kleine Kommunikations-Offensive auf Facebook, die letzten Lebenszeichen rund um den eigentlichen Termin der Heimmesse in München im Januar 2021, die dann nicht stattfinden konnte: so etwas wie das Ende für Freisicht.

Frank weiß, „dass wir mit Herzblut alles versucht, aber vielleicht auch nicht alles richtig gemacht haben.“ Heute sind Frank, Winter und Wittmann im Angestellten-Verhältnis in anderen Jobs und anderen Branchen untergekommen. Aber, das darf verraten werden, sie sind sich und ihren Idealen treu geblieben. Zumindest das dürfen sich die Fans der Freisicht-Holzbrillen und der Unternehmensidee trotzig sagen.

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Ein Jammer, dass Freisicht „erledigt“ ist

Im Januar 2017 lernte unser Autor Ingo Rütten Sebastian Wittmann auf der opti kennen. Wittmann eröffnet launig ein Gespräch, Rütten besuchte Freisicht nur wenige Wochen später in deren „Zentrale“: ein kleiner Raum, den die Hochschule Weihenstephan ihren Gründern zur Verfügung stellte, darin nicht viel mehr als eine Ventilette, ein Schreibtisch und leere Getränkekisten. Die Jungunternehmer willigten der Idee des damaligen Chefredakteurs einer augenoptischen Fachzeitschrift ein, ihr Projekt zu begleiten und in regelmäßigen Abständen darüber zu berichten.

Linus Frank erinnert sich an diese Anfänge gerne zurück, auch wenn das Gespräch einige Monate nach dem Ende von Freisicht eher die Stimmung drückt. Auf Franks Bitte hin verzichtet der Bericht auf die Nennung der neuen Tätigkeiten der drei Ex-Unternehmer, die vieles aus der Vergangenheit nicht missen möchten, sich wenig vorzuwerfen haben und jetzt vor allem nur nach vorne blicken wollen. Für den Autor, der alles aus nächster Nähe mitverfolgt hat, bleibt ein wehmütiges Fazit: Schade, dass dieses Projekt nicht weitergeführt werden kann, ein Jammer, dass Freisicht „erledigt“ ist.


 

Ingo Rütten ist fester freier Mitarbeiter bei eyebizz und kennt die Branche aus diversen Blickwinkeln. Der Augenoptikermeister ist nicht nur Autor, sondern auch als Webinar-Veranstalter in der Augenoptik aktiv: www.akademie.partnerauge.de.

 

Artikel der eyebizz 4.2022 (Juni/Juli)

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Wenn ich den Bericht lese fällt mir auf dass angeblich Vertreter die Brillen zum Verkauf hatten
    Da liegt wahrscheinlich das Problem
    Ich als Kunde habe nie einen Vertreter in meinem Geschäft gesehen
    Wie soll man da erfolgreich weiter verkaufen?

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