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Augenoptik in der Welt

Wie sich das Traditionsunternehmen Menrad erfolgreich globalisiert hat

Menrad China Fabrik
Die Produktionsstätte von Menrad in Jieyang in der chinesischen Provinz Guangdong (Bild: Menrad)

1997 gründete das Familienunternehmen Menrad aus Schwäbisch Gmünd eine Produktionsstätte in Jieyang in der chinesischen Provinz Guangdong. Seit 2006 fertigt Menrad ausschließlich dort. Ein Gespräch mit Eberhard Müller-Menrad, der gemeinsam mit Bruder Hermann die Geschäfte in vierter Generation führt, über China, den Mut zum unternehmerischen Risiko und zukünftige Produktions-Standorte einer globalisierten Augenoptik.

eyebizz: Herr Müller-Menrad, Jieyang liegt gut 800 Kilometer von Wuhan (Provinz Hubei) entfernt. Wie haben Sie dort die Corona-Pandemie erlebt?

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In China kam das Thema in der letzten Januarwoche 2020 hoch, als während des Chinesischen Neujahrfestes die Fabriken zwei Wochen geschlossen waren. Wir durften unsere Fabrik in Jieyang nicht wie geplant am 5. Februar wieder öffnen, sondern erst eine Woche später.

Problem war: Unsere Arbeiter aus den anderen Provinzen konnten nicht zurückkommen. Von den 500 Leuten waren vielleicht hundert da. Die chinesische Regierung hatte die Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern teilweise mit tiefen Gräben aufgerissen. Keiner konnte durchfahren. Im Februar hatten wir deshalb einen totalen Produktionsausfall, im März konnten wir langsam wieder loslegen. Seit Spätfrühjahr 2020 ist Corona in China kein Thema mehr.

Menrad China Produktion 1
Aus der Produktion in China (Bild: Menrad)

Meine größte Sorge zwischen Ende Januar und Mitte März war, ob wir genügend Fassungen auf Lager haben, um unsere Kunden weltweit bedienen zu können. In Deutschland und Europa ist zu dieser Zeit noch alles normal gelaufen, nur unser Lager schrumpfte. Ab Mitte März hatte sich das ins Gegenteil gekehrt, als im Verkauf überhaupt nichts mehr ging.

Als Menrad 1997 das Werk in China eröffnete, gehörte man zu den ersten deutschen Mittelständlern, die diesen Schritt wagten. Was waren die Gründe?

In der Brillenbranche können wir nicht mit beliebig hohen Löhnen arbeiten. Wir haben die Nachteile der Modebranche – relativ schnelle Produktzyklen und erwartete Angebotsvielfalt –, können aber nicht mit Vorbestellungen arbeiten, sondern müssen jedes Mal auf eigene Faust planen. Die neuen Kollektionen müssen sofort verfügbar sein, die ersten fünf Monate gleichen einem Blindflug, wir sind gezwungen, mit einer groben Schätzung der Nachfrage zurechtzukommen.

Die Konsequenz: Es bleiben Waren übrig, es gibt Verschrottungen, Abwertungen, die nicht unbeträchtlich sind. Deshalb können wir nicht mit einem zu teuren Produkt arbeiten. Einigen aus der Branche hat das schon das Genick gebrochen. Die Lagerkosten holen einen ein. Deshalb ist China mit seinen kostengünstigen Löhnen interessant geworden.

Wann haben Sie den zunehmenden Kostendruck gespürt?

Im Laufe der 90er Jahre wurde deutlich, dass es mit eigenen Produktionsstätten in Europa zunehmend schwierig wird. Die ersten Hongkong-Investoren gingen schon Anfang der 80er Jahre nach China, als sich das Land mehr und mehr öffnete. Da siedelten sich auch die ersten Brillenproduzenten an, die alle ursprünglich aus Hongkong kamen, das als Produktionsstandort ebenfalls schon zu teuer geworden war.

Das Werk in Jieyang ist ein Joint Venture: 60 Prozent gehört Menrad, 40 Prozent dem chinesischen Partner. Wie fanden Sie ihn?

Menrad - Eberhard Müller-Menrad GF
Eberhard Müller-Menrad (Bild: Menrad)

Unser Partner kommt aus Singapur, ist gelernter Augenoptiker und hatte eine eigene Optikkette in Singapur. Er arbeitete rund um die Uhr, wollte kürzertreten und hat sich eine Immobilie in Australien gekauft, was übrigens nicht wenige Singapurchinesen so machen. Als er sich mit 39 dort zur Ruhe setzte, langweilte er sich bald. Deshalb baute er 1993 in Jieyang, woher seine Familie ursprünglich stammt, eine Brillenproduktion auf. Allerdings musste er sich dort um alles kümmern: Verkauf, Produktion, Kunden und dabei viel Lehrgeld zahlen. Als wir ihn 1995 kennenlernten, hat er unsere Unterstützung gebraucht.

Doch als mein Vater gemeinsam mit dem Werkleiter unserer Produktionsstätte in Malta nach China flog, um das Werk zu besichtigen, kam die Ernüchterung: Die Produktionsstätte war klein, rudimentär und schmutzig. Die Qualität war auch nicht auf dem Niveau, wie wir es brauchten.

Doch es war eine Basis vorhanden, und unser zukünftiger Partner war mit dem Produkt Brille vertraut, auch seine europäische Mentalität war vertrauensbildend für uns.

Wie begann die Zusammenarbeit?

In einem ersten Schritt nahmen wir ihn als Lieferanten an. Wir gründeten mit Eyeconomy eine günstige Marke, während unsere gesamte Produktion in Europa im hochwertigen Bereich angesiedelt war. Wir machten auch keinen Hehl daraus, dass die Marke in China produziert wird.


Eberhard Müller-Menrad: „Ein Standort ist immer günstiger als zwei. Um notwendige Kosten einzusparen, haben wir ganz auf China gesetzt.“


Die Zusammenarbeit entwickelte sich gut. 1997 errichteten wir eine gemeinsame neue Fabrik, 1998 zogen wir um. Die ersten fünf Jahre bauten wir nach und nach die Qualität auf. Natürlich war die Versuchung da, möglichst viel zu produzieren, weil die Kosten niedrig waren, doch wir waren vorsichtig genug, erst die Qualität zu steigern und dann mit der Kapazität nachzuziehen.

Wir hatten am Anfang auch nicht alle Technologien zur Verfügung und haben die Bandbreite an Produkten erst langsam erweitert. Längerfristig sollte das chinesische Werk unsere europäischen Fabriken ersetzen. Unser Ziel war es, dort in höherwertiger Qualität auch unsere anderen Marken produzieren zu können.

Wie viele Menschen arbeiten in dem chinesischen Werk?

Derzeit sind es gut 400 Mitarbeiter, wir hatten aber auch schon deutlich mehr. Aufgrund von Lohnerhöhungen mussten wir Personal reduzieren, die Effizienz steigern und produzieren heute pro Kopf mehr als früher. Noch immer ist es so, dass ein Großteil der Arbeiter aus anderen Provinzen kommt, also Wanderarbeiter sind. Sie können mit dem Geld eine ganze Familie ernähren.

Bei der Belegschaft versuchen wir, eine Balance zu halten, dass nicht zu viele Arbeiter aus einer Provinz kommen, sonst gibt es Streit. Von Anfang an hatten wir warmes Wasser in der Wohnunterkünften, das war damals in den chinesischen Fabriken nicht oft der Fall. Derzeit werden in unserem Werk jährlich rund eine Million Fassungen hergestellt.

China Standort - Statista 2020

Doch in den vergangenen 20 Jahren hat sich für uns einiges verändert. Auf einen Fabrikjob, in dem manuell gearbeitet wird, hat die Generation der 20- bis 30-Jährigen keine Lust mehr. Doch genau solche Arbeitskräfte brauchen wir. Die jungen Chinesen wollen am liebsten in der IT-Branche arbeiten oder mit dem Internet Geld verdienen. Der Lebensstandard ist auch gestiegen, mittlerweile gibt es sogar in Jieyang viel besuchte Nachtclubs.

Was sind die Erfolgsfaktoren für ein unternehmerisches Engagement in China?

Man braucht den unternehmerischen Mut zum Risiko und einen starken Partner vor Ort. In China wäre es damals ohne nicht gegangen. Unser Partner sorgt dafür, dass es auf lokaler Ebene funktioniert, der richtige Umgang mit Behörden ist wichtig. Ohne das Sprachwissen hätten wir gar nichts machen können, auch das Verständnis für chinesische Geschäftsgepflogenheiten muss da sein.

Mit dem operativen Geschäft kannten wir uns aus. In den 90er Jahren hatten wir bereits 25 Jahre lang Fabriken im Ausland erfolgreich gemanagt. Von der Zentrale in Schwäbisch Gmünd aus ist es relativ egal, ob die Fabrik in Irland, Malta oder China sitzt. Die erste Priorität war für uns immer Qualität. Unser Verständnis: Wir sind ein produzierendes Unternehmen, das unterscheidet uns von manchen Mitbewerbern.

Das Werk in Malta wurde 2006 geschlossen, seitdem produziert Menrad ausschließlich in China. Ist das nicht riskant?

Mein Vater wollte in den 70er Jahren aufgrund der politischen Unruhen in Irland einen zweiten Produktionsstandort haben und hat deshalb in Malta investiert. Doch ein Standort ist immer günstiger als zwei. Um notwendige Kosten einzusparen, haben wir im Zuge einer Umstrukturierung Malta geschlossen und damit ganz auf China gesetzt. Wir haben dabei sorgfältig abgewogen: Wie viel Risiko sind wir bereit, in Kauf zu nehmen, oder wie viel Sicherheit wollen wir haben, was aber auch mehr kostet. Das politische Risiko hielt ich in China immer für vertretbar.

Es gibt durchaus auch schwierige Themen, mit denen Sie in Jieyang konfrontiert werden: Mangelnder Umweltschutz, Arbeiterrechte, Kinderarbeit. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben bei Menrad immer unseren eigenen, hohen Standard gehabt – schließlich muss man als Unternehmer die Verantwortung tragen, auch die moralische. Kinderarbeit war nie ein Thema, da wir niemand unter 16 Jahren eingestellt haben. In Sachen Umweltschutz waren wir unserer Zeit voraus, als wir schon sehr früh eine Abwasseraufbereitungsanlage für die Galvanik installierten. So etwas gab es damals in China sehr selten.

Menrad China Produktion 2
Über 400 Mitarbeiter sind bei Menrad in China beschäftigt (Bild: Menrad)

In der Zwischenzeit hat sich die Lage stark verändert: Umweltschutz wird seit Jahren schon rigoros umgesetzt und wenn man dem Personal heutzutage nicht einen gewissen Standard bezüglich Arbeitszeiten und Unterkünften bietet, findet man niemanden, der für einen arbeitet.

Wie Sie gerade erwähnten, sind die günstigsten Jahre des Produktionsstandorts China vorbei. Die Kosten steigen, die Karawane zieht weiter. Wohin?

Das beschäftigt mich schon einige Jahren. Es ist auch Teil meiner Verantwortung, mich damit auseinanderzusetzen. Ich war schon in Afrika, um mich umzuschauen. Auch Vietnam, Bangladesch, Indonesien wird von manchen in Erwägung gezogen. Myanmar galt als interessant, doch seitdem das Land im Chaos versunken ist, ist das politische Risiko zu hoch. Ich beschäftige mich gerade mit Kambodscha. Das Land ist relativ stabil, die Löhne sind günstig. Wir haben dort auch eine Kooperation, bei der wir theoretisch aufsatteln könnten.

Seit den 90er Jahren waren Sie rund hundertmal in China. Was fasziniert Sie persönlich an diesem Land?

Faszinierend war es, die Quantensprünge hautnah mitzuerleben. Vor 25 Jahren gab es in Jieyang keine Autos, nur Fahrräder, alte Häuser, mittlerweile wurde alles komplett neu aufgebaut, ist supermodern geworden. Aus unternehmerischer Sicht war es fantastisch, was wir damals für Möglichkeiten hatten. Wir haben unser ganzes technisches Know-how aus Europa ins Werk eingebracht, das hat sehr gut funktioniert, auch weil die chinesischen Arbeiter wissbegierig und mit hundertprozentigem Einsatz dabei waren.

Diese unternehmerische Freiheit hat man in China heute nicht mehr. Jetzt wird viel mehr vom Staat kontrolliert. Auch deshalb bin ich nicht mehr so euphorisch wie vor 20 Jahren. Die Euphorie damals war aber berechtigt.

/// Die Fragen stellte Jürgen Bräunlein.

 

Ferdinand Menrad GmbH + Co. KG

Oderstraße 2, 73529 Schwäbisch Gmünd

Gründung: 1896 als Württembergische Optische Industrie-Anstalt

Geschäftsführer: Hermann und Eberhard Müller-Menrad in vierter Generation

Produktion: seit 2006 ausschließlich in China

Mitarbeiter China: über 400

Mitarbeiter Deutschland: 160

Markenportfolio: Joop!, Jaguar, Davidoff, Menrad u.a.

www.menrad.de

 


Flagge ChinaVolksrepublik China

Einwohner: rund 1,4 Milliarden (2019)

Staatsform: kommunistischer Staat, Einparteiensystem

Hauptstadt: Peking

Jieyang: bezirksfreie Stadt in der südchinesischen Provinz Guangdong

Einwohner: 6,09 Mio. (2017)


 

Beitrag aus der eyebizz 4.2021 (Juni/Juli)

 

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