Die beste Nachricht zuerst: Bei Augenoptiker*innen, die sich auf Sportbrillen spezialisiert haben, machten sich Corona-bedingte Umsatzeinbrüche weniger bemerkbar. Die zweitbeste: Wer erfolgreiche Sportoptiker um ein Interview bittet, erlebt auskunftsfreudige, engagierte Gesprächspartner. eyebizz hat mit drei Sportoptikern aus Düsseldorf, Kelheim und Garmisch-Partenkirchen sowie einer Sportoptikerin aus Bad Wurzach gesprochen.
Bei Optik Jäkel in Kelheim konnte man den Umsatz im Sportsegment 2020 gegenüber 2019 steigern, wie Inhaber Simon Jäkel erzählt: „Acht Wochen lang ging gar nichts, dann war Hochsommer und Herbst, die Leute stürmten wieder mehr nach draußen. Da haben wir die eine oder andere Sonnenbrille oder Sportbrille mehr verkauft.“
Anzeige
Auch bei Bernd Willer, Inhaber von Der Alpenoptiker in Garmisch-Partenkirchen, seit 23 Jahre in der Branche, ebenfalls Sportoptiker, ist 2020 die Nachfrage nach optischen Sportbrillen gestiegen, ebenso die nach Kontaktlinsen für den Sport. Im Durchschnitt machen Sportbrillen, verglast und unverglast, 12 bis 13 % seines Umsatzes aus.
Eine Laufbrille für Wanderer
Die meisten Sportbrillen werden seit Jahren in den Bereichen Radfahren, Laufen, Ski- und Bergsport verkauft, doch Corona hat auch hier leichte Änderungen gebracht, wie Christiane Vinçon Westermayer von Optik Westermayer in Bad Wurzach weiß: „Bei Radbrillen haben wir meistens den ambitionierten Radler vor Augen, aber das hat sich verändert. Freizeitradler haben in der Corona-Pandemie erheblich zugenommen, ebenso die Wanderer. Die Laufbrille ist nicht nur eine Schutzbrille für Jogger und Walker, sondern auch für Wanderer.“
Es gibt keine validen Zahlen, wie viele Sportbrillen in Deutschland verkauft werden, weil insbesondere die Grenze zur Sonnenbrille nicht präzise gezogen werden kann. Doch der Markt wächst, wenn man berücksichtigt, dass allein der Absatz an Fahrrädern trotz oder wegen Corona deutlich gestiegen ist. 38 % aller Radfahrer und 31 % aller Wanderer sind mit Brille unterwegs (Allensbach-Studie 2014/15 „Sehbewusstsein der Deutschen“).
Mythos Spezialbrille
Während sich das Angebot der Sportbrillenhersteller entsprechend der wachsenden Vielfalt an Sport-(Unter)Arten immer mehr in Richtung Spezialisierung auffächert, sind die Kundenwünsche mitunter andere. Der von Sportoptikern häufig herangezogene Vergleich „Überlegen Sie einmal, wie viele Sportschuhe Sie zuhause haben: einen Joggingschuh, einen Wanderschuh, einen Mountainbikeschuh, einen Tennisschuh …“, überzeugt oft nicht.
„Ich hatte noch keinen Kunden, der zu mir kam und sagte: Ich brauche eine Trail-Run-Brille“, stellt Simon Jäkel nüchtern fest. „Die meisten wünschen sich eine Allround-Brille. Wenn sie schon zwischen 400 und 600 Euro für eine Sportbrille auf den Tisch legen, dann soll sie für möglichst alle von ihnen betriebenen Sportarten ausreichen.“
Sportoptik krempelt den Tradi um
Erfolgreiche Sportoptiker finden auf gewissermaßen natürliche Weise zu ihrer Profession, sind sie doch das genaue Gegenteil von Sportmuffeln. „Jeder in unserer Alpenoptiker-Mannschaft treibt in der Freizeit Sport. Darum wissen alle, wovon sie sprechen“, sagt Geschäftsinhaber Bernd Willer, der jahrelang im Bereich Sportoptik verschiedene Optiker-Gemeinschaften in D, A und CH geschult hat.
Simon Jäkel hat 25 Jahre lang Handball gespielt, ist viel Marathon gelaufen, fährt Rennrad und hat seine Masterthesis über Sehen im Sport verfasst. Dass sich der Optometrist und Augenoptikermeister vor 15 Jahren auf Sportoptik spezialisierte, hat noch einen weiteren Grund. „Wir wollten dem Tradi-Geschäft in dritter Generation neues Leben einhauchen, wollten jüngere Kunden gewinnen. Menschen, die sich zum regelmäßigen Sport motivieren, haben meistens einen vernünftigen Job, ein gutes Einkommen. Nach außen konnten wir zeigen: Wir tun was, sind dynamisch, haben was Neues.“
Jäkel macht einiges dafür. Er lässt Außendienstler kommen, die dem sechsköpfigen Team die Vor- und die Nachteile neuer Produkte erklären. Bei hausinternen Schulungen sind vom Azubi bis zum Meister alle dabei. So ist jeder im Geschäft Spezialist für Sportoptik.
Spezialisierung dank der Tochter
Optik Westermayer verkauft 70 bis 90 Sportbrillen im Jahr und ist bekannt für Schießbrillen. „Die Spezialisierung kam durch meine Tochter, die aktive Schützin im Landesverband und der Nationalmannschaft war. Wegen ihrer Kurzsichtigkeit trug sie Kontaktlinsen, stellte aber fest, dass sie bei weiten Zielen keine so gute Leistung hat, seitdem nutzt sie eine Schießbrille“, so Christiane Vinçon Westermayer.
Öfter war die Schützin in der Zeitung, Schützenvereine wurden auf Optik Westermayer aufmerksam. Im Keller des Fachgeschäftes hat man für Kunden einen Schießstand eingerichtet. Christiane Vinçon Westermayers Mann Christian ist der Ansprechpartner für den Schießsport. „Man muss Sportoptik leben, damit es authentisch ist“, sagt sie, „Wir golfen nicht, also verkaufen wir auch keine Golfgläser.“
Augenoptiker*innen, die selbst Sport treiben, kennen die Sehlösungen, die sie ihren Kunden empfehlen, aus der Praxis. Sie wissen, was funktioniert. Sertac Özenir, Sehwelt Eller, Düsseldorf, verbindet Emotionen mit seinen Produkten: „Ich liebe Photochromic- und Reactive-Gläser, die sich den unterschiedlichsten Bedingungen anpassen – und das in rasantem Tempo.“
Er testet Polarisationsfilter beim Angeln in Schweden und funkelnagelneue Skibrillen in Oberstdorf-Kleinwalsertal. Wenn er sagt, „Die neue EVAD-1-Brille von Julbo mit ihren vielseitigen digitalen Features ist der Kracher“, klingt das wie Werbung, ist aber auch eine glaubwürdige Entscheidung, als Markenbotschafter in Erscheinung zu treten. Im Übrigen führt „Sehwelt Sports“ selbstverständlich auch andere Sportmarken.
Verglasung trübt Begeisterung
In der Sportoptik hat sich auch auf Herstellerseite in den vergangenen Jahren eine Menge getan. Bernd Willer zählt auf: „Eine wesentliche Vereinfachung, Sortimentserweiterung und Qualitätsverbesserung der Sportoptik-Verglasungen, die Bestellmöglichkeit der fertig gerandeten Sportbrillengläser bei einigen Glasherstellern. Komplettanfertigungen der Sportoptik-Brille der Sportbrillenhersteller.“
Christiane Vinçon Westermayer stimmt zu: „Der Glaslieferbereich bei den Stärken hat sich erweitert, auch die Brechungsindizes, sowie die Filtervarianten, kontraststeigernd, phototrop, polarisierend. Die Möglichkeit, die Gläser in verschiedenen Farben zu verspiegeln, lassen fast keine Kundenwünsche offen.“
Aber eben nur fast, wie Simon Jäkel einwendet. „Die schönen kantigen Sportbrillen mit Panoramascheibe, die wir bei sämtlichen Rennradteams und der Tour de France schon seit zwei Jahren sehen, sind ausgerechnet Modelle, die sich furchtbar schlecht mit Sehstärke verglasen lassen.“
Der temperamentvolle Sportoptiker geht ins Detail. „Unserer Erfahrung nach möchten nur sehr wenige Kunden Innenclips, ich glaube, meinen letzten Innenclip habe ich vor zwei Jahren verkauft. Die meisten wünschen ein direkt verglastes Brillenglas. Wir haben viele kurzsichtige Kunden. Bei –3 oder –4 Dioptrien sind das natürlich etwas dickere Gläser, und die müssen sich schön in der Sportbrille verstecken lassen, damit das Modell nicht zu klobig aussieht.“
Die Industrie, so sein Fazit, produziere zwar schöne Sportbrillen, hat aber die Verglasungstechnik zu wenig im Fokus. „Gerade schicke Damensportsonnenbrillen, die ich vernünftig mit Sehkorrektur ausstaffieren kann, gibt es nicht viele.“
Dieses Problem hört man auch von anderen Sportoptikern. Christiane Vinçon Westermayer: „Bei –8 Dioptrien gibt’s nur die Möglichkeit der Clip-in-Lösung. Manchmal müssen unsere Kunden deshalb Kompromisse eingehen: Ich sehe gut, nicht hervorragend, aber ich habe wenigstens alle anderen Vorteile einer Sportbrille.“
Sehprofil bringt Kunden auf den Geschmack
Die interviewten Sportoptiker gehen bei jedem Kunden, der das Geschäft betritt, in die Offensive und sprechen das Thema Sportbrille an. Die meisten arbeiten mit einem Sehprofil, das den Seh-Alltag des Kunden detailliert beleuchtet. Nach der Messung werden Sehlösungen empfohlen, explizit auch Sportbrillen.
„Das Sehprofil bringt den Kunden auf den Geschmack“, so Westermayer. „Oft wird die Sportbrille zurückgestellt, aber später gekauft. Sobald der Kunde bei seinem Sport bequem sehen möchte, kommt er.“ Bei Optik Jäkel nähert man sich dem Thema indirekt, wie Simon Jäkel an einem Beispiel verdeutlicht: „Haben Sie bei Ihrer Sonnenbrille spezielle Anforderungen? Fahren Sie damit auch Fahrrad? Dann sagt der Kunde vielleicht: Ja, ich fahre damit Rad, mache noch anderes damit. Dann frage ich weiter: Und was haben Sie da bisher an Möglichkeiten im Einsatz? Sind Sie zufrieden? Wir haben da nämlich etwas.“
Die Stunde der Kontaktlinse schlägt
Wer Kontaktlinsen trägt, muss keine Kompromisse bei der Wahl der Sportbrille eingehen, er kann bei dem riesigen Angebot aus dem Vollen schöpfen. Im Sportsegment spielen Kontaktlinsen deshalb eine prominente Rolle. Besonders beim Ausdauersport und bei den Ballsportarten seien Kontaktlinsen gefragt, so Westermayer: „Unter der Brille schwitzt man, außerdem kann sie kaputt gehen.“
Simon Jäkel hat ambivalente Erfahrungen gemacht. „Wenn Kunden eine Sportbrille mit Sehstärke wünschen, sprechen wir sie immer auf Kontaktlinsen an, stellen aber fest, dass die Würfel oft schon gefallen sind. Derjenige hat Linsen schon ausprobiert und ad acta gelegt. Wenn jemand ohnehin Kontaktlinsen trägt, kauft er keine Sportbrille mit Sehstärke, ist auch nicht unbedingt Kunde beim Sportoptiker, sondern kauft seine Modelle im Internet.“
Inspirierend das Vorgehen von Bernd Willer: In einem ersten Beratungsschritt schlägt er seinen Kunden Kontaktlinsen vor, mit der attraktiven Option, jede erdenkliche Sportbrille dazu auszuwählen. Es folgen als weitere Vorschläge Direktverglasung, Adapterlösung und bei sehr hohen Minuswerten die Clip-in-Lösung.
Seine Erfahrung: Viele Sportler wüssten zu wenig über Kontaktlinsen. Auch Kunden, die gezielt nach einer Sportbrille mit Sehstärke fragen, werden deshalb von ihm auf Kontaktlinsen angesprochen. „Unser kompletter Kontaktlinsenanteil ist im Vergleich zum deutschen Markt relativ hoch. Wir starten auch früh mit Kontaktlinsen bei Kindern speziell für den Sport. Multifokale Kontaktlinsen sind gefragt, denn Sportler werden immer älter und fitter.“
Sportoptiker mit Wasserbecken
Ein attraktiv gestalteter Sportbereich, egal ob als Wandfläche oder Vitrine, oder noch besser über ausreichend Quadratmeter verteilt, ist wichtig, um das Angebot sichtbar zu machen. Schaufenster-Dekorationen, dem saisonalen Sport gewidmet, sind unerlässlich wie die Präsenz des Sportsegments im Internet, mindestens auf der eigenen Homepage, aber auch auf Social-Media-Kanälen. Dort surft die Zielgruppe der jüngeren Sport-Affinen.
Im Geschäft kommt es darauf an, Sportoptik auch erlebbar zu machen. Musterverglasungen zum Anfassen und Probieren sind ein Anfang. Je größer der Bereich, desto mehr ist möglich. Der Windkanal ist fast schon Standard. „Manche Kunden denken, mit ihrer normalen Brille können sie Wind gut bewältigen, aber im Windkanal werden sie eines Besseren belehrt, spüren buchstäblich, welche Vorteile eine Sportbrille bringt“, so Christiane Vinçon Westermayer.
Sertac Özenir geht noch viel weiter. Er baut seinen Sportbereich gerade im großen Stil um. Ab Mitte des Jahres sollen rund 45 qm des 245 qm großen Geschäftes der „Sehwelt Sports“ gewidmet sein. Laufband, Windkanal, aufgebautes Fahrrad und sogar ein Wasserbecken erwarten die Kunden. Sie können dann sogar Taucherbrillen testen. Vor der Pandemie nahm Özenir fünf bis sechsmal im Jahr an Sportmessen in und um Düsseldorf teil, präsentierte „Sehwelt Sports“ auf der Cyclingworld, der Expo beim Metro-Marathon oder beim T3-Triathlon. Auch vom Umsatz her lohnenswert, sagt er.
Chef sitzt auf einer Sportbrille
Als Simon Jäkel vor 15 Jahren mit der Sportoptik anfing, waren er und sein Team von Beginn an auf regionale Sportveranstaltungen aktiv, präsentierten Infostände bei Radrennen, kooperierten vielfach mit Sportvereinen. In der Zeitschrift des Alpenvereins schreibt er seit zehn Jahren, klärt über Sportbrillen auf. „All das hat geholfen, Sportoptik als Geschäftszweig auszubauen“, sagt er. Und es macht ihm Spaß. In der eigenen Werbung zeigte sich der Chef schon einmal in einer Fotomontage selbstironisch auf seiner Sportbrille sitzen.
Auch Optik Westermayer, Sehwelt Eller und die Alpenoptiker sind eng vernetzt mit Sportvereinen, unterstützen Mannschaften mit Bandenwerbung oder Sponsoring, Mitarbeiter nehmen laufend an Sportveranstaltungen teil. „Was das im Einzelnen bringt, ist schwer messbar, aber doch ein Baustein des gesamten Sportoptik-Marketings“, meint Bernd Willer, der in Garmisch-Partenkirchen selbst vielfach sportlich unterwegs ist (Bergwacht, Bayerischer Skiverband, Olympiastützpunkt Ski GaPa, Biathlon Werdenfels).
Sportbrillen sind beratungsintensiv, das verschweigt keiner der interviewten Spezialisten. Mit gebremstem Einsatz kommt hier kein Augenoptiker nach vorn, doch wer fest entschlossen und beständig dranbleibt, schaffe die Zielgerade mit Bravour.
Simon Jäkel: „Schlussendlich ist es nicht nur die Sportbrille, die wir verkaufen, sondern zwei, drei Folgebrillen, damit verdienen Sie Ihre Brötchen.“