Junge Augenoptiker*innen müssen entscheiden: Übernehmen oder nicht übernehmen? In den kommenden Jahren stellt sich für jeden vierten augenoptischen Betrieb die Frage nach der Unternehmensnachfolge. eyebizz sprach mit Dr. Norbert Medelnik, Experte für Nachfolgeberatung und selbst Augenoptikermeister, über Strategien einer geglückten Übernahme. [13595]
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, heißt es in Schillers „Lied von der Glocke“, schon zwei Zeilen später die Warnung: „Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang“. Gemünzt ist das auf die Ehe, lässt sich aber auch auf die Unternehmensnachfolge in Familienbetrieben übertragen.
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Herr Medelnik, die geplante Übernahme eines familiären augenoptischen Fachbetriebs durch eines der Kinder verläuft nicht immer so reibungslos. Woran liegt das?
Die Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie gilt als die anspruchsvollste Form der Nachfolge. Die Ursache dafür liegt in der Tatsache, dass wirtschaftliche Belange durch langjährig gewachsene psychologische Strukturen überlagert werden. Lasse ich die Vielzahl an Übergaben innerhalb der Familie, die ich in den vergangenen Jahrzehnten begleitet bzw. beobachtet habe, noch einmal in kompakter Form an meinem geistigen Auge vorüberziehen, so stelle ich im Nachhinein eine große Bandbreite fest: Sowohl werden Nachfolgen innerhalb von Familien mustergültig vollzogen, aber es gibt eben immer wieder auch einmal solche, welche sich letztendlich als nicht realisierbar erweisen. Grund dafür sind praktisch immer die beteiligten bzw. handelnden Persönlichkeiten.
Wo lauern für Töchter und Söhne die Fallstricke?
Letztendlich erhält die junge Generation nur dann die Chance auf eine erfolgreiche Nachfolge, wenn die vorausgehende Generation kooperationswillig ist. Das ist aber längst nicht immer der Fall. Die junge Generation muss eine ungünstige Konstellation möglichst früh erkennen und dann unbedingt rechtzeitig ihren eigenen Weg einschlagen.
„Die junge Generation hat dann die Chance auf eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge, wenn die vorausgehende Generation kooperationswillig ist.“
Ein zentrales Erkennungszeichen ist beispielsweise der von der vorausgehenden Generation zugebilligte Entscheidungs- und Handlungsspielraum, eine gute Eignung der Nachfolgerin bzw. des Nachfolgers vorausgesetzt. Wenn die Nachfolge immer wieder verschoben und hinausgezögert wird oder die schriftliche Vereinbarung eines gemeinsam festgelegten Zeitpunktes für die endgültige Übergabe abgelehnt wird, dann ist aus Sicht der jungen Generation Vorsicht geboten!
Wie sollte der zugebilligte Entscheidungs- und Handlungsspielraum im Idealfall aussehen?
Die junge Generation muss die Freiheit haben, das Unternehmenskonzept so weiterzuführen bzw. anzupassen, dass die branchenspezifische Nachfrage im lokalen Markt auch zukünftig bzw. noch wirkungsvoller angezogen und gebunden werden kann. Das beginnt bei der Gestaltung des Fachgeschäftes von innen und außen und beinhaltet sämtliche Facetten der Unternehmensführung, wie beispielsweise Personalführung und Sortimentspolitik.
Wenn jemand vor der Wahl steht, den Familienbetrieb zu übernehmen oder aber bei einem fremden Unternehmen einzusteigen, wie kommt man da zu einer guten Entscheidung?
In der Nachfolgeberatung ist immer der Blick in die Zukunft entscheidend. Wenn man sich zwischen zwei Unternehmen entscheiden muss, ist es immer sinnvoll, Überlegungen zu zukünftigen Entwicklungen anzustellen. Dies schließt Aspekte wie den bereits erwähnten Handlungs- und Entscheidungsspielraum mit ein.
Auch wenn kaum jemand „hellsehen“ kann: Nicht wenige zukünftige Entwicklungen lassen sich bereits relativ frühzeitig absehen. Ein Beispiel wäre etwa geplante Stadtentwicklungsmaßnahmen wie die Errichtung eines innerstädtischen Einkaufszentrums mit entsprechender Beeinflussung von Standortqualität und Anziehungskraft. Durch eine sorgfältig erarbeitete Zukunftsprognose lässt sich der Raum für Unvorhersehbares und Überraschungen zumindest einschränken.
Ist es nicht auch von der persönlichen Disposition abhängig, ob man etwas Gewachsenes übernimmt oder selbst etwas auf die Beine stellt?
Damit sprechen Sie einen zentralen Erfolgsfaktor unternehmerischen Engagements an: Sie müssen „dafür brennen“, was und wie Sie es tun. Nur dann haben Sie die Chance, langfristig erfolgreich zu sein. Wenn Sie ein Unternehmen in erster Linie deshalb übernehmen, um jemandem einen Gefallen zu tun, so wäre dieser Aspekt wohl eher weniger erfüllt.
Wie kann ich denn für mich selbst herausfinden, ob ich „genug“ für das Unternehmen meiner Eltern „brenne“, um es erfolgreich fortzuführen?
Ich denke, dass man die Antwort in der Tiefe in sich trägt: Das berühmte Bauchgefühl gibt uns die Antwort. Man braucht etwas Stille, um es besser wahrnehmen zu können. Sicherlich ist es auch gut, die gewohnte Umgebung für ein paar Tage zu verlassen, um in sich selbst hinein zu spüren. Eine Bergtour oder ein Aufenthalt in der Küstenregion können ideale Gelegenheiten sein, eine gute Entscheidung reifen zu lassen.
Derzeit haben wir bei augenoptischen Fachbetrieben 74 Prozent Inhaber und lediglich 26 Prozent Inhaberinnen. Was denken Sie, werden in den kommenden Jahren, wenn sich für jeden vierten Betrieb die Nachfolgefrage stellt, mehr Frauen zum Zuge kommen?
Das kann ich mir gut vorstellen. In meinem beruflichen Umfeld haben sich einige Frauen dafür entschieden, diesen Weg alleine oder mit einer Geschäftspartnerin zu gehen – mit Erfolg! Entsprechend hoch fällt die Zufriedenheit aus. Ich denke, dass diese Beispiele in den kommenden Jahren Schule machen werden.
Wenn man sich die Marktsituation insgesamt betrachtet – stärkere Verteilungskämpfe nach Corona, das Zulegen der Filialisten, mehr Marktkonzentration – gibt es da noch mal spezielle Kriterien, nach denen man heute entscheiden muss?
Grundsätzlich beinhaltet die Übernahme etablierter, langjährig gewachsener Unternehmen ein riesiges Chancen-Potenzial. Zu beachten ist aber auch: Kein Unternehmen gleicht dem anderen. Daher ist eine tiefgründige wirtschaftliche, professionell verfasste Analyse als ein unabdingbares Entscheidungskriterium anzusehen. Ansonsten kann man auch sehr leicht „baden gehen“.
Allerdings betrachte ich die Übernahme eines guten bestehenden Unternehmens nicht als den „allein selig machenden Weg“. Denn unsere Welt ist heute dynamischer denn je, was regelmäßig zu Veränderungen und neuen Chancen führt. So gehen beispielsweise innerhalb der Immobilienbranche regelmäßig neue Entwicklungsprojekte „an den Start“, neue Quartiere entstehen, Zentren verlagern sich usw. Somit kann auch heute noch eine „Gründung von Null“ durchaus Sinn machen.
Aber auch in solchen Konstellationen, welche auf den ersten Blick „erfolgssicher“ erscheinen, „lauern“ zum Teil enorme Risiken. Somit kommt einer Zukunftsanalyse auch dann ein hoher Stellenwert zu. Und zweifellos bedarf es einer hohen Kompetenz, Branchenerfahrung und persönlicher Stabilität, um einen solchen Weg erfolgreich beschreiten zu können.
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Dr. Norbert Medelnik ist Geschäftsführer seiner eigenen Beratungsgesellschaft, welche auf Unternehmensbewertungen und Nachfolge-Beratungen spezialisiert ist. Zur Firmengruppe gehören auch eigene Augenoptik-Fachgeschäfte.