„Viele Diskussionen leben davon, dass es eine direkte und ungeschminkte Antwort auf eine These gibt, zumal es zu einigen Themen in unserer Branche unterschiedliche Auffassungen gibt.“ So steht es auf der Website von „Inseyeder“ geschrieben und so startete das neue Format in der Gläsernen Manufaktur von Markus T in Gütersloh auch sein Programm: mit prominenten Gästen und einem „kontroversen Thema“, die remote und vollautomatische Refraktionsbestimmung.
Die 45-minütige Aufzeichnung der Diskussion zum Thema „Refraktionsbestimmung – Kratzt die automatische Refraktion nur an der Eitelkeit oder gar am Meisterbrief der Augenoptiker?“ gibt es unter inseyeder.de (Foto: Screenshot)
Thorsten Boss von Oculus, Jacqueline Hemmert von brillen.de und Christian Müller, Präsident des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), hatten den Weg nach Gütersloh gefunden, um gemeinsam live mit der online zugeschalteten Augenoptikerin Conny Hermann aus Bad Neuenahr/Ahrweiler und Moderator Ingo Rütten ein heikles Thema anzugehen. Heikel deswegen, weil die Refraktionsbestimmung einerseits des Augenoptikers „heilige Kuh“ ist und andererseits ihn scheinbar überflüssig macht, je automatischer sie wird.
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Diesem Gedanken nahm Boss gleich zu Beginn der 45 Minuten Wind aus den Segeln: „Remote ist ja nichts anderes als das Home-Office für den Augenoptiker, das ist vereinfacht gesagt nur so gut, wie ich selber refraktionieren kann, nur eben ortsunabhängig.“ Dass die automatische Refraktion „eine andere Klasse“ sei, schob der Oculus-Vertriebsleiter Deutschland gleich hinterher, aber hier sei eben das Ergebnis entscheidend und nicht der Weg dorthin.
Zuspruch erhielt Boss von Seiten des ZVA, auch wenn Müller einige seiner Positionen auch eher als selbstständiger Augenoptiker kund tat. „Natürlich sind wir nicht gegen solche Verfahren. Wir wissen, wir haben einen Fachkräftemangel, und wir sind der Meinung, dass man auf diese Art sicherlich in gewisser Weise Brücken überwinden kann.“
Selbst brillen.de, das anstelle von Meistern im Betrieb häufig eine Remote-Refraktion anbietet, gehe es laut der für die Kommunikation verantwortlichen Jacqueline Hemmert nicht darum, auf den Meister grundsätzlich in den Betrieben verzichten zu wollen: „Einsparen möchten wir ihn nicht. Wir sind ein Stück weit dazu gezwungen. Wir haben den Fachkräftemangel, der die ganze Branche betrifft, wir möchten unsere Kompetenz sammeln, um auch eine Qualitätssicherung darzustellen.“
Stellenwert durch Qualifikation
Conny Hermann ergänzte, dass sie einer Künstlichen Intelligenz bei der vollautomatischen Refraktion nicht zutraue, auf einen Menschen so eingehen zu können, „wie wir das können und wie wir das wollen. Wir haben uns über unsere ganze Qualifikation auch einen Stellenwert schaffen wollen, dass wir den Kunden ganzheitlich beraten können. Es geht ja bei dem Sehtest nicht nur um: wird es besser, wird es schlechter!“ Eine Meinung, die der ZVA-Präsident nur allzu gerne unterstütze, auch wenn Müller sich im Großen und Ganzen nicht abgeneigt gegenüber den technologischen Möglichkeiten zeigte: „Ich finde die menschliche Interaktion extrem wichtig. Ich muss schon sehen, wie reagiert der Kunde. Und eine grundsätzliche Frage stelle ich mir bei diesem Thema: Warum kommt überhaupt ein Kunde in ein Geschäft?“
Technik kann unterstützen
Für Boss ist es vereinfacht gesagt das Ergebnis der Refraktionsbestimmung, das zählt, und nicht der Weg dorthin – was er an einem anschaulichen Beispiel festmachte: „Ich glaube, jeder, der refraktioniert, stellt fest, dass er mit einer gewissen Zeit irgendwann seinen eigenen Ablauf hat, dass er seine eigenen Prozesse kennt und dass er auch weiß, wie die Kunden auf ihn reagieren. Technik kann unterstützen, sie kann begleiten, sie kann helfen. Sie kann auch interaktiv agieren und neue Möglichkeiten schaffen. Und auch wenn der Goldstandard im Prinzip die Messung ist, dann müssen wir uns genauso fragen: Was haben wir mit den Schleifmaschinen gemacht? Wer vermisst denn jetzt hier noch die Formscheiben?“